Protocol of the Session on November 11, 2010

Nun wollen wir Grünen der rot-roten Landesregierung keinesfalls vorwerfen, sie peitsche die Polizeireform durch das Parlament wie die Bundesregierung die Gesetze zur Verlängerung der Akw-Laufzeiten. Wir mahnen aber eine weitergehende Beteiligung des Parlaments an der Ausgestaltung der Polizeireform an.

Nach dem von der Landesregierung vorgelegten Gesetzentwurf, der sich augenblicklich im parlamentarischen Verfahren befindet, wird nur die oberste Organisationsstufe der Polizei gesetzlich geregelt; alles Weitere soll dem Innenminister im Rahmen untergesetzlicher Organisationsverfügungen obliegen. Dies halten wir für problematisch. Das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip legen dem Gesetzgeber nahe, wesentliche Entscheidungen selbst zu treffen. Dass diese Polizeireform mit dem Abbau von 1 900 Stellen und einer geplanten Reduktion der Polizeiwachen um 70 % wesentlich ist, daran besteht ja wohl überhaupt kein Zweifel.

Meine Damen und Herren! Der Gesetzgeber hat sich vom Frühjahr 2009 bis zum Herbst 2010 zum Beispiel zweimal mit

gesetzlichen Regelungen der Stellung und der Befugnisse von ehrenamtlichen Besuchskommissionen im Rahmen des PsychKG beschäftigt. Darin wird für eine Kommission, die in der Regel einmal jährlich agiert, die Einsicht in Dienstpläne und das Betreten von Geschäftsräumen gesetzlich geregelt. Aber die Ausgestaltung der Polizeistrukturreform unterhalb der Polizeipräsidiumsebene soll nicht wesentlich sein?

Wir haben im letzten Plenum über die Novelle des Ordnungsbehördengesetzes diskutiert. Dabei wird die Ausnahme von der Übertragung von Aufgaben der Verkehrsüberwachung in großen kreisangehörigen Städten geregelt. Aber die Anzahl und die Standorte der verbleibenden Polizeiwachen sollen unwesentlich sein?

Nein, diese Entscheidungen sind sehr wesentlich. Deshalb hat der Gesetzgeber auf sie ein Zugriffsrecht. Sie unterliegen dem Parlamentsvorbehalt, denn nach Artikel 96 Abs. 1 der Landesverfassung liegen die Organisation der staatlichen Landesverwaltung und die Regelung der Zuständigkeiten in der Verantwortung des Gesetzgebers.

Deshalb fordern die Oppositionsfraktionen in dem vorliegenden Antrag, das laufende Gesetzgebungsverfahren zu stoppen, das Reformkonzept zu überarbeiten und im Frühjahr nächsten Jahres einen neuen, erweiterten Gesetzentwurf vorzulegen.

(Beifall GRÜNE/B90 und FDP - Speer [SPD]: Großarti- ges Tempo! Stillstand!)

- Dazu kommen wir noch, Herr Speer.

Aber nicht nur verfassungsrechtliche Erwägungen lassen eine Denkpause im Verfahren dringend angeraten erscheinen. In der Anhörung zur Polizeireform im Innenausschuss am 28. Oktober kam von allen Bürgermeistern, Amtsdirektoren, Gewerkschaftsvertretern und den kommunalen Spitzenverbänden massive Kritik an dem Konzept und der geplanten Umsetzung sowie schwere Bedenken hinsichtlich der Auswirkung der Reform auf die innere Sicherheit des Landes. Nur der Herr Generalstaatsanwalt äußerte sich überwiegend positiv. Warum wohl?

Ausdruck der schwerwiegenden Bedenken und der tiefen Verunsicherung sind auch die zahllosen Resolutionen von Gemeindevertretern und Kreistagen sowie der offene Brief des Städte- und Gemeindebundes an den Ministerpräsidenten und die Abgeordneten, den über 100 kommunale Verantwortungsträger unterzeichnet haben.

Ausdruck der tiefen Besorgnis ist auch die von den Gewerkschaften gestartete und vom Städte- und Gemeindebund unterstützte Volksinitiative für den Erhalt einer leistungsfähigen, handlungsfähigen und wahrnehmbar präsenten Polizei in allen Regionen des Landes Brandenburg.

Die etwas wolkigen Aussagen der Gewerkschaftsvertreter in der Anhörung lassen vermuten, dass das erforderliche Unterschriftenquorum in Rekordzeit überschritten wurde.

All dies verlangt nach einer Auszeit und nach Nachbesserung. Der Innenminister hat sich zwar auf eine sehr lobenswerte Tour durch Kommunen und Polizeiwachen begeben und führt endlich die Gespräche, die sein Vorgänger längst hätte führen müssen. Doch allein die Tatsache, dass Herr Dr. Woidke charman

ter lächelt und über höhere Kommunikationskompetenz verfügt, führt noch nicht zu einer verbesserten Polizeireform.

(Frau Stark [SPD]: Doch!)

Die zahlreich vorgetragenen Einwände der Experten, die Bedenken der kommunalen Vertreter und die Sorgen der Polizeibediensteten müssen erneut bewertet werden und in ein überarbeitetes Konzept einmünden.

Seien wir ehrlich: Es deuten sich in den Debatten doch bereits konsensfähige Kompromisslinien an. Auch aufseiten der Kommunen wird Verständnis für die Notwendigkeit des Sparens und der Haushaltskonsolidierung signalisiert. Statt ausschließlich von „Wachenschließung“ ist jetzt mehr von „Standorterhalt“, sei es nun als Tageswache, Posten, Büro oder Ähnliches, die Rede. Selbst in die Zahl der Vollwachen kommt durchaus Bewegung. Statt „15 plus BBI“ hören wir jetzt von 21 bis maximal 25 Polizeiwachen. Auch der interaktive Streifenwagen erfährt eine realistische Würdigung als nützliches Instrument der Polizeiarbeit statt als Wunderwaffe einer heimatlos kreuzenden Polizei.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, nehmen wir uns als Parlament und als Gesetzgeber ernst, und nehmen wir die Sorgen der Betroffenen ernst! Ein Festhalten am geplanten Ablauf und die Verabschiedung eines Rumpfgesetzes im Dezember 2010 wird beidem nicht gerecht. Es besteht durchaus die Chance, eine Reform zu erarbeiten, die von einem viel breiteren gesellschaftlichen und parlamentarischen Konsens getragen wird. Wir verlieren keine Zeit, sondern gewinnen Qualität, wenn im II. Quartal 2011 ein überarbeitetes und näher ausgestaltetes Gesetz dem Landtag vorgelegt wird.

Ich schließe meine Ausführungen wiederum mit einem Zitat des Bundestagspräsidenten aus der „Spiegel“-Ausgabe dieser Woche:

„Das Parlament“

- so Herr Lammert

„hat jede Macht der Welt, einen unzumutbaren Zeitplan zu verändern.“

Vielen Dank.

(Beifall GRÜNE/B90, CDU sowie FDP)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Nonnemacher. - Das Wort erhält nunmehr die SPD-Fraktion, für die die Abgeordnete Stark sprechen wird.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Frau Nonnemacher, ich schätze Sie sehr als Fachpolitikerin im Innenausschuss und dafür, wie Sie sich als Vertreterin der Oppositionspartei der Grünen in die Debatten einbringen. Aber mit dem vorliegenden Antrag sind Sie nach meiner Einschätzung weit unter Ihren Möglichkeiten geblieben.

Sie sagen: Wir als Parlamentarier wollen mitreden. Wir wollen diesen Gesetzentwurf stoppen und an die Landesregierung zurückverweisen. - Sie machen einen Fragenkatalog auf, den die Landesregierung beantworten soll.

Zur Erinnerung: Wir, der Landtag, beschäftigen uns seit geraumer Zeit mit dem vorliegenden Gesetzentwurf. Wir haben erst vor Kurzem eine lange Anhörung dazu durchgeführt. Das heißt, der Ball liegt in unserem Spielfeld. Wir haben, wie Sie richtig ausgeführt haben, die Möglichkeit, hier alles zu beschließen. Wir legen die Konditionen fest, zu denen wir den Gesetzentwurf beschließen. Wir entscheiden, ob wir parallel dazu, etwa im Rahmen von Entschließungsanträgen, all die Punkte, die Sie - zu Recht - kritisch anmerken, noch in die Debatte einfließen lassen.

Aber ich glaube nicht, dass es der richtige Weg ist, dieses Gesetzgebungsverfahren nach hinten zu verschieben, zu stoppen und den Ball an die Landesregierung zurückzuspielen. Das wäre der falsche Weg. Deshalb ist Ihr Antrag überflüssig. Wir sind im Innenausschuss dabei, diesen Gesetzentwurf zu besprechen. Ich bin mir sicher: Wir werden ihn qualifizieren und all die Fragen, die von Ihnen kritisch angesprochen worden sind, klären. Lassen Sie uns im Ausschuss besprechen, was unterhalb der Ebene der vier Direktionen passieren soll, das heißt, wie die Polizeiorganisation darunter aus polizeifachlicher Sicht nicht aus politischer, wahlkreisegoistischer Sicht - aussehen soll. Aber lassen Sie uns bei dem Zeitplan bleiben! Ich glaube, dass auch die Polizeibediensteten ein Recht darauf haben, dass wir diesen Prozess nicht endlos in die Länge ziehen, sondern dass wir kurz, konzentriert und sachorientiert die Sache gemeinsam zu Ende bringen.

In diesem Sinne: Ihr Antrag ist überflüssig. Sie sind, wie gesagt, unter Ihren Möglichkeiten geblieben. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen. - Danke.

(Beifall SPD und DIE LINKE) )

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Stark. - Das Wort erhält nunmehr die CDU-Fraktion. Der Abgeordnete Petke wird sprechen.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Fraktionen GRÜNE/B90, CDU und FDP bringt es auf den Punkt: Die Landesregierung hat sich verrannt. Damit es nicht wieder heißt, das sei alles nur der Petke und die CDU, will ich Minister Woidke zitieren, der sich mit 7 Seiten an die 8 900 Polizeibeamtinnen und -beamten wendet.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Das ist doch gut!)

- Ja, und ich möchte, weil ich es gut finde, daraus zitieren und bitte den Kollegen Speer, genau zuzuhören, welche Polizei er seinem Amtsnachfolger im Ministerium nach zwölf Monaten übergeben hat. Dr. Woidke schreibt:

„Ich möchte nicht, dass jemand meint, Angst haben zu müssen, wenn er seine Meinung sagt.“

Das ist der Zustand nach zwölf Monaten Minister Speer,

(Ministerpräsident Platzeck: Und nach 10 Jahren Minis- ter Schönbohm! - Unmut bei der SPD - Frau Hacken- schmidt [SPD]: Das ist eine Unterstellung!)

in denen man versucht hat, den Abbau von 1 900 Stellen, die Schließung von 50 % oder zwei Drittel der Polizeiwachen im Land als problemlos für die innere Sicherheit darzustellen. Das Zitat des damaligen Ministers war: Alles wird jut. - Es wird eben nicht gut, wenn man es so macht. Es wird eben nicht gut, wenn man die Kommunen nicht beteiligt. Es wird eben nicht gut, wenn man die Rechte des Parlaments mit Füßen tritt.

(Speer [SPD]: Dummes Zeug!)

Deswegen ist dieser Antrag richtig. Denn wir brauchen die Diskussion hier im Parlament, nicht in den Hinterzimmern der Koalition nach dem Motto: Welche Wache erhalten wir, damit der Wahlkreis gesichert ist? Welche Wache erhalten wir, damit der SPD-Bürgermeister - die Linke hat ja nicht so viele - sich nicht beschwert?

(Beifall CDU und FDP)

Diese geschlossene, von der Öffentlichkeit ferngehaltene Diskussion läuft gerade bei Ihnen, sie läuft doch in den Hinterzimmern der Macht.

(Kosanke [SPD]: Nur kein Neid! - Frau Kaiser [DIE LIN- KE]: Woher wollen Sie das denn wissen?)

- Frau Kollegin Kaiser, woher ich das weiß? Damals hieß es 15 plus x und unter 20, jetzt sind wir schon bei 25. Raten Sie doch mal, woher die fünf mehr kommen? Darum geht es doch.

Ich finde es bezeichnend, dass der jetzige Minister die Zeit seines Vorgängers so prägnant und mutig auf den Punkt bringt. Und es wäre gut, Herr Dr. Woidke, wenn Sie den Mut hätten, hier im Landtag nicht nur über die Frage von ein oder zwei Präsidien, 15 Schutzbereichen und jetzt 4 Direktionen zu debattieren, sondern wenn Sie auch über die Anzahl und die Standorte der Wachen diskutieren würden. Es wäre gut, wenn Sie nicht weiter verschleiern und vertuschen würden, sondern diese Diskussion im Parlament und im Innenausschuss führten.

(Beifall CDU)

Es geht nicht nur um das Selbstverständnis des Parlaments, sondern auch darum, wie Sie als Abgeordnete in den Kreistagen und Stadtverordnetenversammlungen agieren. Da stimmen die Abgeordneten von SPD und Linke, wenn es um die Wachenstandorte geht, Frau Kollegin Wehlan, zu, dass in TeltowFläming drei Wachen erhalten bleiben. Wenn es hier im Landtag zur Abstimmung darüber kommt, die Wachen zu erhalten, stimmen Sie natürlich dagegen. Was ist denn auf dem Weg von Potsdam nach Luckenwalde zum Kreistag, auf diesen 45 Kilometern, bei Ihnen vorgegangen,

(Heiterkeit und Beifall CDU)

dass Sie hier sagen, die Wachen können geschlossen werden, und in Luckenwalde sagen, die Wachen müssen erhalten bleiben? Das kann doch nicht nur daran gelegen haben, dass der