Protocol of the Session on October 6, 2010

Ich komme zum Ende. Röslers Reform macht das Gesundheitswesen wieder einmal nicht zukunftsfest, sondern unsolidarischer. Die Zusatzbeiträge werden mittelfristig explodieren. Einen steuerfinanzierten Sozialausgleich wird es nicht geben. Den Gering- und Durchschnittsverdienern bleibt weniger Netto vom Brutto.

Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, Ihren Entschließungsantrag finde ich in einigen Teilen unglücklich formuliert, gerade angesichts der Honorarsteigerungen für Kassenärzte, die wir gestern zur Kenntnis nehmen mussten. Wir werden dem Antrag dennoch zustimmen, da die Stoßrichtung stimmt.

(Beifall GRÜNE/B90 sowie vereinzelt SPD und DIE LINKE)

Ministerin Tack spricht für die Landesregierung.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich teile die Auffassung von Herrn Beyer, der gesagt hat, dass wir in der Bundesrepublik insgesamt und damit auch in Brandenburg ein im internationalen Vergleich sehr gutes Gesundheitssystem haben. Gerade deshalb sage ich in Richtung von FDP und CDU: Wir wollen uns dieses gute Gesundheitssystem von Ihrer sogenannten „Reform“ nicht kaputtmachen lassen. Wir wollen eine zukunftsfähige Ausgestaltung des Solidarprinzips. Dafür werden wir uns einsetzen.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Meine Damen und Herren! Die gerechte Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung und damit auch die Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung ist für Brandenburg

das ist schon angesprochen worden - eine existenzielle Frage. Herr Prof. Schierack, sie gehört damit sehr wohl auf die Tagesordnung einer Aktuellen Stunde. Die Behandlung heute im Plenum ist durchaus passend, da zeitlich parallel Entscheidungen im Bund fallen. Gestern hat der Gesundheitsausschuss des Bundesrates in einer Sondersitzung die aktuellen Gesundheitsreformpläne der schwarz-gelben Bundesregierung behandelt. Es wird Sie nicht überraschen, dass wir - SPD, Grüne und die Linke - in der Länderkammer deutlich zum Ausdruck gebracht haben, dass dieser Gesetzentwurf das Ziel einer nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung des Gesundheitssystems verfehlt und deshalb von uns gemeinsam abgelehnt wird.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Wir waren gestern mit unserem Antrag noch nicht erfolgreich. Aber nach dieser Sonderausschusssitzung wird es weitere Aktivitäten geben.

(Zuruf von der CDU)

- Genau. Denn auch die B-Länder, also die CDU-geführten Länder, haben mittlerweile erkannt, dass insoweit sehr wohl Handlungsbedarf besteht; falls der Gesetzentwurf zum Tragen kommen sollte, ginge er in jedem Fall zulasten der Länder.

Wir haben zur Kenntnis genommen, dass nach heftigen Debatten unter den Koalitionspartnern CDU und FDP im Bund - wir amüsierten uns durchaus, als wir in der Zeitung lasen, dass Sie sich gegenseitig als „Wildsäue“ und „Gurkentruppe“ bezeichneten; so gehen sie miteinander um, wenn Sie um dieses sehr sensible Thema kämpfen - am 22. September die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf verabschiedet hat.

Das Gesetz hat den Titel „Gesetz zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung“. Diese Bezeichnung, meine Damen und Herren, halte ich für irreführend und in vielen Fällen zugleich für pure Ironie. Denn das Gesetz führt zu einer stetig wachsenden Belastung der Versicherten - das ist hier schon angesprochen worden - und zugleich zu einer schleichenden Aushöhlung der solidarischen Finanzierung. Das lehnt die rot-rote Landesregierung in Brandenburg ab, meine Damen und Herren!

(Frau Lehmann [SPD]: So ist es!)

Wenn auch Sie zum wiederholten Mal das System mit einem allgemeinen Beitragssatz, einer durchschnittlichen und individuellen Zusatzbeitragsregelung und einem mal per Kassensatzung, mal aus dem Gesundheitsfonds finanzierten Sozialausgleich, das uns jetzt mit dem Gesetz vorgeschlagen wird, möglicherweise nicht verstanden haben, dann liegt das weder an Ihnen noch an meiner Darstellungsweise, sondern es ist ganz einfach nicht zu verstehen. Und es ist zuallererst politisch nicht zu verstehen, dass Sie genau dieses vorhaben.

(Beifall DIE LINKE)

Die Entscheidung der Bundesregierung ist eine gewaltige gesundheits- und sozialpolitische Fehlleistung, und zudem - auch dazu ist schon gesprochen worden - wird es ein bürokratisches Monster in der Umsetzung werden.

Die Bundesregierung hat alles getan, um dieses Gesetz zustimmungsfrei durch den Bundesrat zu bekommen. Das heißt auch,

sie schert sich letztendlich überhaupt keinen Deut um Sinnklarheit, Verständlichkeit und Machbarkeit im Vollzug des Gesetzes. Die Sozialgerichte - das will ich an dieser Stelle schon erwähnen - werden sich darauf einstellen und sich bedanken, dass auf sie, wie ich denke, eine große Klagenflut zur Klärung von Zuständigkeiten und auch von Zahlungswegen zukommt.

Ein anderes Problem, das bisher noch nicht angesprochen worden ist, was aber, wie ich denke, sehr offensichtlich wird: In der weiteren Betrachtung des Gesetzes wird ganz deutlich, dass die Kommunen, also auch unsere Kommunen in Brandenburg, nach diesem Gesetz in Zukunft wohl ungedeckelt die Zusatzbeiträge, die individuellen und nicht die durchschnittlichen, für diejenigen, die sie nicht zahlen können - das sind in Brandenburg nicht wenige - zahlen müssen, also spätestens ab 2013 ca. 30 bis 60 Euro oder mehr.

Das Bundesgesundheitsministerium hat in der Anhörung der Länder noch so getan, als wäre das kein Thema. Aber nun wissen wir, dass es ein Thema sein wird. Im Gesetzentwurf fehlt ein Hinweis auf diese Situation. Aber ich denke, es ist schon klug, es hier deutlich zu benennen. Es wird für die Kommunen in Umsetzung dieses Gesetzes gravierende finanzielle Auswirkungen geben.

Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal auf die Kernsünde des Gesetzes zurückkommen, die begangen werden soll, weil die Bundesregierung und auch die Kollegen von CDU und FDP so getan haben, als könnten sie uns für dumm verkaufen. Es klang bei einigen Kollegen vorhin schon an. Der mit den Zusatzbeiträgen verbundene Sozialausgleich ist nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger völlig unverständlich. Er läuft auch auf eine schleichende Aushöhlung der solidarischen GKV-Finanzierung hinaus. Das heißt, der solidarisch finanzierte, aus dem Gesundheitsfonds stammende Anteil der GKVAusgaben sinkt immer weiter ab, während der einkommmensunabhängige Zusatzbeitrag ständig wächst. Die Ausgabenzuwächse der Krankenkassen - darüber haben die Kolleginnen und Kollegen auch schon gesprochen - werden über den Zusatzbeitrag immer mehr auf die Patienten abgeladen, die dafür die völlig falsche Adresse sind; denn sie haben letztendlich die finanziellen Leistungen zu tragen. Die zwangsläufige Folge dieser Privatisierung gesundheitlicher Risiken sind stetig steigende Zusatzbeiträge ohne eine spürbare Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung.

Am vergangenen Donnerstag hat der Bundesgesundheitsminister, Herr Rösler, letztendlich die Katze aus dem Sack gelassen, indem er gesagt hat, er wolle nun in der gesetzlichen Krankenversicherung auch noch die Kostenerstattung einführen. Ich habe erst gedacht, es ist ein Witz in der Zeitung. Aber es ist leider kein Witz. Die Arztpraxis wird sozusagen zur Ladentheke, die Ärzte werden die Verkäufer und die Patientinnen und Patienten die Kunden sein, und sie müssen dann anhand ihres Geldbeutels entscheiden, was sie sich leisten können und was nicht. Da kann ich nur sagen: Das ist das Allerletzte, was wir im Gesundheitswesen wollen!

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Meine Damen und Herren von der CDU und der FDP, ich frage Sie: Was für ein Verständnis haben Sie von kranken Menschen, die medizinische Hilfe suchen, wenn Sie genau dieses Verfahren gut finden? Gerade in Brandenburg mit dem zunehmenden Anteil älterer Bürgerinnen und Bürger gilt es, sie vor so einer

gnadenlosen Marktüberlassung zu schützen. Außerdem - das wissen Sie aus der privaten Krankenversicherung - macht dieses System ökonomisch auch keinen Sinn. Die Kosten sind einfach nicht mehr zu beherrschen. Ich würde Ihnen empfehlen: Raten Sie Ihren Kollegen im Bund davon ab! Es bringt keine zukunftsorientierten sinnvollen Lösungen.

Herr Rösler verfolgt damit offensichtlich das programmatische Ziel der FDP, aus der gesetzlichen Krankenversicherung schrittweise für alle - es hat Prozesscharakter und geschieht nicht von heute auf morgen, aber es ist erkennbar - eine private Pflichtversicherung nach dem Muster der Kfz-Haftpflichtversicherung zu machen. Die Versicherungswirtschaft wird sich sehr freuen, denn ihr wird dann ein zukunftsträchtiges Segment eröffnet, ein steuerlich subventioniertes Geschäftsfeld. Sie werden die Gewinner dabei sein. Die Versicherungskonzerne verdienen, die Gesundheit wird für die Bürgerinnen und Bürger noch teurer, und der Steuerzahler trägt die sozialen Lasten. Das ist, meine Damen und Herren, schon ziemlich ungeheuerlich. Da will ich Ihnen sagen: Wir lehnen das eindeutig ab!

(Beifall DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, was bedeutet das alles für die Menschen in Brandenburg, für das Gesundheitssystem in Brandenburg, für die neuen Länder und insgesamt auch für die strukturschwachen Regionen? Sie verwiesen schon auf die Aktuelle Stunde zur Kopfpauschale im März dieses Jahres. Da haben wir uns mit den Vorstellungen der Kollegen von CDU und FDP auseinandergesetzt. Ich will daran erinnern: All das, was wir damals und heute hier ausgeführt haben, gilt für strukturschwache Regionen mit niedrigen Einkommen und Problemen in der gesundheitlichen Versorgung im ländlichen Raum, die wir sehr wohl haben - das wissen Sie -, gilt insbesondere für uns ganz verstärkt und ganz besonders.

Der gesetzlichen Krankenversicherung in den neuen Ländern die solidarische Finanzbasis zu entziehen, das ist - meine Damen und Herren, ich glaube, das haben die Kollegen von SPD, Linke und Grüne sehr deutlich gemacht - ausnahmslos der falsche Weg. Denn das hat nicht nur unmittelbare Auswirkungen - auch das ist beschrieben worden - auf die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung. Es wird auch entscheidende arbeitsmarktpolitische Konsequenzen haben. Sie haben es erwähnt, erst jüngst ist die Anhebung der vertragsärztlichen Vergütung auf 95 % des Westniveaus erfolgt. Aber ich frage Sie: Was ist mit all den anderen Berufsgruppen, die für eine gute Versorgung der Menschen in unserem Gesundheitssystem unverzichtbar sind? Nach 20 Jahren muss es diese Perspektive der Ost-West-Angleichung für alle anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen wie Krankenschwestern, Pflegepersonal, Physiotherapeuten und medizinische Assistenzberufe ebenso geben, damit wir die Abwanderung stoppen können,

(Beifall DIE LINKE)

damit medizinisches Fachpersonal nachwachsen kann und damit die medizinische Versorgung auch weiterhin im Land flächendeckend gewährleistet werden kann.

Wir erwarten hier - meine Damen und Herren, wenn Sie das in Ihre Bundestagsfraktionen und an die Bundesregierung tragen wollen - ein Gesamtkonzept für eine vollständige Ost-West

Angleichung im Gesundheitswesen und nicht, wie es mit Ihrer Reform zum Tragen kommen wird, ein Ausbluten des Gesundheitssystems.

Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetz - auch das ist beschrieben worden - soll das solidarische Gesundheitssystem entgültig ad acta gelegt werden. Die Bundesregierung - das will ich hier eindeutig sagen, und das ist keine Schwarzmalerei, ich glaube, alle Argumente, die wir vorgebracht haben, machen es deutlich - setzt die Gesundheit der Bevölkerung aufs Spiel. Wir brauchen eine Versicherung für alle, die solidarische Bürgerversicherung. Das will ich hier noch einmal ganz deutlich unterstreichen.

An die Kollegen von CDU und FDP gewandt will ich sagen: Sie vertreten aus meiner Sicht eine sehr scheinheilige Politik.

(Einzelbeifall)

Von der Landesregierung fordern Sie - ja, da kann man wirklich klatschen, das ist so - die Sicherstellung der gesundheitlichen und medizinischen Versorgung im ländlichen Raum im Lande; das ist völlig okay. Mit der Politik Ihrer Bundesregierung von CDU und FDP entziehen Sie uns in den Ländern Schritt für Schritt die Basis dafür, dass wir auch künftig ein gesichertes und zukunftsfähiges Gesundheitssystem haben.

(Beifall DIE LINKE)

Hierzu sage ich Ihnen: Das ist nicht nur scheinheilig, sondern das ist auch verantwortungslos und unsozial. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Ich begrüße Schülerinnen und Schüler der Bildungseinrichtung in Buckow und der Ulrich-v.-Hutten-Gesamtschule aus Frankfurt (Oder). Herzlich willkommen im Landtag Brandenburg und euch einen spannenden Vormittag!

(Allgemeiner Beifall)

Frau Abgeordnete Lehmann spricht nun für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, es war klar, dass die unterschiedlichen Meinungen heute hier wieder aufeinanderprallen würden. Insofern möchte ich noch einmal bestimmte Dinge für uns gemeinsam festhalten; mir jedenfalls ist das ganz wichtig.

Ich habe festgestellt, dass Sie, die Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, nichts, aber auch gar nichts zur Kostendämpfung gesagt haben. Ich nehme damit zur Kenntnis, dass Sie billigend in Kauf nehmen, dass die finanziellen Belastungen einseitig zulasten der Versicherten gehen. Sie nehmen billigend in Kauf, dass die solidarische Krankenversicherung zu Grabe getragen wird, und Sie nehmen damit auch billigend den Angriff auf unseren Sozialstaat in Kauf, für den schon unsere Väter und Mütter gestritten haben und der auch im Grundgesetz festgeschrieben ist.

Enttäuschend für mich war, dass die Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP heute überhaupt nichts zu dem Aufruf der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg gesagt haben. Damit nehmen Sie auch billigend in Kauf, dass 1 900 Fachärzte und 1 500 Hausärzte in Brandenburg erheblich weniger finanzielle Mittel haben werden. Das nehme ich heute aus dieser Debatte mit, und, meine Damen und Herren, ich nehme gleichermaßen zur Kenntnis, dass wir mit Umsetzung dieser Gesundheitsreform - Sie sind ja wild entschlossen und davon überzeugt, dass das so kommen wird - künftig in Deutschland nicht nur ein Zweiklassensystem, sondern im Gesundheitswesen ein Dreiklassensystem haben werden. Wir haben auf der einen Seite den privat Krankenversicherten, wir haben den ganz typischen gesetzlich Versicherten, und wir haben den Versicherten mit Vorkasse. Das, meine Damen und Herren, macht das Menschenbild dieser Bundesregierung deutlich und, wie ich heute zur Kenntnis nehme, auch das Menschenbild dieser Opposition. - Herzlichen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Herr Prof. Schierack, haben Sie noch Worte für 30 Sekunden? Das ist nicht der Fall.

(Görke [DIE LINKE]: Nein, der ist sprachlos!)