Protocol of the Session on October 6, 2010

Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie zu unserer 22. Plenarsitzung.

Gestatten Sie mir folgende Bemerkungen, bevor wir in die Tagesordnung eintreten: Gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 2 der Geschäftsordnung des Landtages Brandenburg teile ich Ihnen mit, dass die SPD-Fraktion in ihrer Sitzung am 28.09.2010 den Abgeordneten Ralf Holzschuher zum Vorsitzenden und in ihrer Sitzung am 05.10.2010 die Abgeordnete Britta Stark zur stellvertretenden Vorsitzenden gewählt hat. Ich wünsche beiden viel Glück und eine erfolgreiche Arbeit!

(Allgemeiner Beifall)

Gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 3 der Geschäftsordnung des Landtages Brandenburg teile ich Ihnen mit, dass der Hauptausschuss in seiner Sitzung am 29.09.2010 die Abgeordnete Dr. Ludwig zur stellvertretenden Vorsitzenden gewählt hat. Auch Ihnen herzlichen Glückwunsch und eine erfolgreiche Arbeit!

(Allgemeiner Beifall)

Gibt es Bemerkungen zur Tagesordnung? Da das nicht der Fall ist, bitte ich um ein zustimmendes Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dies ist nicht der Fall. Damit ist die Tagesordnung beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Vereidigung des Ministers des Innern

Der Ministerpräsident hat mir mitgeteilt, dass er anstelle des am 23.09.2010 von seinem Amt als Innenminister zurückgetretenen Abgeordneten Rainer Speer am heutigen Tag den Abgeordneten Dr. Dietmar Woidke zum Minister des Innern gemäß Artikel 84 der Verfassung des Landes Brandenburg ernannt hat. Gemäß Artikel 88 der Verfassung des Landes Brandenburg leisten die Minister der Landesregierung vor Übernahme ihrer Geschäfte vor dem Landtag den Amtseid. Dieser kann mit einer religiösen Beteuerung geleistet werden. - Herr Minister Woidke, ich bitte Sie nach vorn, um den Eid abzulegen.

Ich schwöre, dass ich meine ganze Kraft dem Wohle der Menschen des Landes Brandenburg widmen, ihren Nutzen mehren, Schaden von ihnen wenden, das mir übertragene Amt nach bestem Wissen und Können unparteiisch verwalten, Verfassung und Gesetz wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. Ich schwöre, so wahr mir Gott helfe.

Herzlichen Dank und viel Erfolg bei dieser nicht einfachen Aufgabe. Alles Gute!

(Anhaltender Beifall SPD, DIE LINKE, CDU, FDP und GRÜNE/B90 - Der Ministerpräsident, die Fraktionsvor- sitzenden und weitere Abgeordnete gratulieren dem Minister.)

Wir fahren in der Tagesordnung fort und ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Solidarische Finanzierung des Gesundheitssystems

Antrag der Fraktion der SPD

Drucksache 5/2046

Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE LINKE mit Drucksache 5/2073 vor.

Unsere Geschäftsordnung enthält die Neuerung, dass Entschließungsanträge auch in der Aktuellen Stunde eingebracht werden können.

Wir eröffnen die Rednerliste mit dem Beitrag der SPD-Fraktion. Die Abgeordnete Lehmann spricht.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Wann ist eine Reform eine Reform? Das weiß natürlich jeder von uns: Wenn sie ein System neu- bzw. umgestaltet, wenn Strukturen bestimmten Entwicklungen angepasst werden und wenn es um Verbesserungen geht, also schlicht und einfach ein Problem gelöst wird. Eine Reform geht immer mit Veränderungen einher, und alle Beteiligten sind von diesen Veränderungen gleichermaßen betroffen.

Mit Verlaub: Diese Gesundheitsreform - die Finanzreform der gesetzlichen Krankenversicherung - erfüllt diese Ansprüche an eine Reform bei Weitem nicht. Von Systemwechsel, meine Damen und Herren, ist hier keine Spur. Keines der wirklichen Probleme im Gesundheitssystem wird mit dieser schwarzgelben Reform gelöst, weder der Ärztemangel, die langen Wartezeiten noch das Problem der steigenden Kosten, um nur einige zu nennen.

Diese Gesundheitsreform ist nicht nur schlechthin ein Armutszeugnis, sie wird auch viele Menschen arm machen. Mit dem Einstieg in die Kopfpauschale steigt die Bundesregierung aus dem Solidarprinzip der Krankenversicherung, nach dem Gesunde für Kranke und Starke für Schwache einstehen, aus. Die Bundesregierung trägt damit das solidarische Gesundheitswesen zu Grabe und beendet die gemeinsame Finanzierung der Krankenversicherung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Sehenden Auges und politisch gewollt zerstört Schwarz-Gelb das Solidarprinzip, das unseren Sozialstaat stark gemacht und über Jahrzehnte den sozialen Frieden gewährleistet hat.

Mit dieser Reform verändert sich das Gesicht unserer Gesellschaft. Sie bedeutet eine tiefe Zäsur für den Sozialstaat. Diese Zäsur werden die Menschen nicht heute und morgen, aber in zwei, drei Jahren deutlich spüren.

Die Arbeitnehmer müssen in Zukunft alle Kostensteigerungen allein zahlen, die Arbeitgeber bleiben verschont. Im FDPJargon heißt das „Entkoppelung der Lohnkosten von den Arbeitskosten“. Diese Entkoppelung steigere die Wachstums

kräfte. Um es ganz klar zu sagen: Die paritätische Finanzierung der Krankenversicherung hat bislang noch keinen einzigen Arbeitsplatz in Deutschland vernichtet. Der derzeitige Aufschwung bei sozialversicherungspflichtigen Jobs belegt das Gegenteil. In der Krise hat die paritätische Finanzierung für die Wirtschaft sogar konjunkturstabilisierend gewirkt und damit Arbeitsplätze erhalten. Also: Das Entkoppelungsargument der FDP ist falsch.

Vielmehr tritt auch hier die schwarz-gelbe Klientelpolitik offen zutage. Einige Großaktionäre und Manager von Versicherungsund Pharmakonzernen konnten ihre Interessen brutal gegen 72 Millionen gesetzlich Versicherte durchsetzen. Wie sagt man so schön? Gewinner der Gesundheitsreform sind die Pharmakonzerne und die private Krankenversicherung.

Die Hauptlast tragen die gesetzlich Versicherten. SchwarzGelb schröpft die Kassenpatienten. Dabei hatte diese Bundesregierung den Menschen mehr Netto vom Brutto versprochen. Mit dieser Gesundheitsreform jedenfalls wird das Gegenteil erreicht, denn Versicherte müssen künftig einen höheren Beitragssatz zahlen: 15,5 % vom Bruttolohn ab 01.01.2011. Bislang liegt dieser Satz bei 14,9 %. Je nach Kassenlage der jeweiligen Krankenkasse - füge ich hinzu - sind Zusatzbeiträge nicht ausgeschlossen.

Und nun kommt der Sozialausgleich ins Spiel. Versicherte, deren Zusatzbeitrag bzw. Kostenpauschale 2 % ihres Bruttoeinkommens übersteigen, sollen einen Ausgleich erhalten. Die Ermittlung des sogenannten Sozialausgleichs ist ein bürokratisches Ungetüm und soll verschleiern, dass gerade Geringverdienern mit der Kopfpauschale überproportional Geld aus der Tasche gezogen und der sogenannte Sozialausgleich bescheiden ausfallen wird. Interessant ist jedoch, dass dieser Sozialausgleich aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds finanziert werden soll und damit von den Beitragszahlern selbst getragen wird. Mit anderen Worten: Die Beitragszahler finanzieren sich ihren Sozialausgleich selbst. Ursprünglich waren dafür Steuermittel vorgesehen, um auch Wohlhabende zu beteiligen.

Das zeigt den Geist und das Menschenbild dieser Bundesregierung. Aber der Gesundheitsminister, der nur den Beitragszahler im Blick hat, will es ganz genau wissen. Er geht jetzt aufs Ganze und plant, das Krankenversicherungssystem langsam aber sicher so recht im Sinne der FDP zugunsten der privaten Krankenversicherung umzubauen. Er kündigte schon einmal an, die Finanzierung gesetzlicher Krankenkassen stärker am Vorbild privater Krankenkassen auszurichten und das Prinzip der Vorkasse bei der Krankenkasse attraktiver machen zu wollen - soll heißen, dass auch der Kassenpatient künftig seine Rechnung für medizinische Leistungen auf Euro und Cent beim Arzt bezahlt und sich das Geld anschließend von seiner Kasse holt. Vorkasse heißt also, dass dem Arzt der Griff ins Portemonnaie seiner Patienten ermöglicht wird.

Der Patient wäre bei diesem Verfahren chancenlos überfordert. Er kann beim besten Willen nicht erkennen und auch nicht wissen, ob diese Leistung im Leistungskatalog enthalten ist und somit von der Kasse erstattet wird. Er kann auch nicht nachprüfen, ob der Arzt sparsam und wirtschaftlich arbeitet und ob er wirklich nur die Leistungen erbringt und abrechnet, für die er eine entsprechende Qualifizierung hat. Alle diese Dinge prüft jedenfalls derzeit die Krankenkasse. Damit ist ein einzel

ner Patient völlig überfordert. Die Gefahr, dass er auf Kosten sitzen bleibt, weil die Kasse sie nicht anerkennt, ist relativ groß.

Mit dieser Stellschraube Vorkasse will der Minister seinem erklärten Ziel, alle Bürgerinnen und Bürger in eine private Krankenversicherung zu treiben, näherkommen. Sollte sich Rösler mit seinen Plänen durchsetzen, kämen neben den höheren Beitragssätzen und den Zusatzbeiträgen auch noch diese Kosten auf die Versicherten zu. Unglaublich und unverschämt! Zudem ist es ein Angriff auf die soziale Krankenversicherung als wichtige Säule und wichtiges Merkmal unseres Sozialstaats. Das Sachleistungsprinzip ist das Herzstück der gesetzlichen Krankenversicherung; es besagt, dass der Versicherte mit seinem Beitrag bereits alle Kosten, die bei seinem Arztbesuch anfallen, beglichen hat. Deswegen erhöht ja der Minister die Beiträge. Diese Gesundheitsreform schröpft die kleinen Leute. Diese Gesundheitsreform muss verhindert werden.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Sie gefährdet unseren Sozialstaat und die gesetzliche Krankenversicherung als Solidargemeinschaft. Das ist Stilbruch, meine Damen und Herren. Hier werden wir der Bundesregierung das Stoppschild zeigen. Ich werbe an dieser Stelle für unseren Entschließungsantrag und bitte um Ihre Zustimmung, denn nur im Bundesrat können wir diesen Irrsinn noch stoppen.

Gerade auch für Brandenburg hat diese Gesundheitsreform gravierende Auswirkungen und eben nicht nur für die Versicherten. Die nunmehr in Rede stehende asymmetrische Verteilung soll die Honorarreform von 2009 zu Fall bringen und würde in Brandenburg zu einer dramatischen Unterfinanzierung in der ambulanten Versorgung führen. Fast 20 Millionen Euro würden Brandenburg verloren gehen. 1 900 Fachärzte und Psychotherapeuten sowie rund 1 500 Hausärzte wären davon betroffen. Alle unsere bisherigen Bemühungen, die Grundversorgung der Patienten in der Fläche des Landes zu sichern, wären damit infrage gestellt. - Herzlichen Dank.

(Beifall SPD, DIE LINKE und von der Regierungsbank)

Wir setzen mit dem Beitrag des Abgeordneten Prof. Dr. Schierack fort. Er spricht für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Herzlich willkommen zu einem Déjà-vu zu morgendlicher Stunde hier im Hohen Haus. Wieder einmal eine Aktuelle Stunde zur Gesundheitsreform. Die letzte hatten wir erst vor einem halben Jahr.

(Frau Melior [SPD]: So schlimm ist das!)

Wieder einmal wird - wie wir gehört haben - ein Kampffeld um das Gesundheitswesen aufgebaut. Sie beweisen: Gesundheit ist kein Thema zur Sache, sondern ein Streitthema. Sie bedienen sich gern des Bildes des Haifischbeckens, also der Haie, die die Gesundheitspolitik umschwirren.

(Frau Lehmann [SPD]: Kommen Sie doch zum Thema!)

Sie haben heute eine Chance vertan - das sage ich Ihnen ausdrücklich -, Vertrauen in unser gutes Gesundheitssystem zu bringen. Sie hätten hier ein Programm der Landesregierung zur flächendeckenden Versorgung im ländlichen Raum,

(Beifall CDU und FDP)

zur Verbesserung der Koordination unserer Rettungsdienste, zur Verkürzung der Hilfsfristen und zur Stabilisierung der Krankenhäuser vorstellen können. Das hätte heute zu einer Aktuellen Stunde gepasst. Das sind Landesthemen. Stattdessen nutzen Sie die Aktuelle Stunde zur Stimmungsmache.

Ich will Sie, meine Damen und Herren und Frau Lehmann, daran erinnern: Die Bundesgesundheitspolitik wurde in den letzten zehn Jahren bis voriges Jahr von der SPD bestimmt.

(Frau Lehmann [SPD]: Und das war gut so!)

Ulla Schmidt hat maßgebend die Disparität zwischen den Arbeitgeber- und den Arbeitnehmerbeiträgen eingeführt.

(Zurufe von CDU und FDP: Aha!)

Sie hat den Beitrag auf 15,5 % gehoben und die Zusatzbeiträge in dieses Land eingeführt, was Sie heute so vehement bestreiten und bekämpfen. Das ist Populismus pur. Man kann Sie nicht wirklich ernst nehmen, wenn Sie das hier heute wieder beklagen. Das hat Ulla Schmidt zehn Jahre lang durchgesetzt.

(Frau Lehmann [SPD]: In der Koalition mit Ihnen!)