Protocol of the Session on June 2, 2010

Ich meine, man sollte den Schritt zur Einführung des SchülerBAföG endlich konsequent gehen. Denn noch immer studiert die überwiegende Mehrheit der Kinder aus Familien, in denen die Eltern selbst über einen Hochschulabschluss verfügen. In Familien ohne akademischen Hintergrund ist ein Studium der Kinder nach wie vor die große Ausnahme. Die PISA-Studie hat vor einigen Jahren auch Brandenburg ins Stammbuch geschrieben: Wir haben hier Defizite. - Was ist also näherliegend, als gerade hier in Brandenburg Vorreiter zu sein für ein neues, bundesweit einmaliges Projekt?

Nun sieht es, wie Sie wissen, die rot-rote Koalition als eines ihrer bildungspolitischen Leitmotive an, über Bildung Chancen für sozialen Aufstieg zu eröffnen. Genau diese zentrale Zielstellung - von der ich annahm, dass sie auch die Zielstellung der CDU sei - ist in der Anhörung, die hier schon eine Rolle gespielt hat, vom Grundsatz her von fast allen Anzuhörenden geteilt worden. Selbst der viel zitierte Herr Fuchs von der GEW hat eingangs erklärt, er begrüße es, dass die Koalition das Thema Chancengleichheit in der Bildung wieder ganz nach vorn auf die Agenda in Brandenburg setzt.

(Hoffmann [CDU]: Wenn Sie Herrn Fuchs jetzt zum Für- sprecher machen, dann wird er sauer!)

- Ich glaube, das kann Herr Fuchs ertragen.

Fast alle Anzuhörenden, nicht nur Herr Fuchs, haben festgestellt, dass es genau an dieser Stelle Handlungsbedarf gibt. Das Anliegen, das hinter unserem Gesetzentwurf zum Schüler-BAföG steckt, ist in der Anhörung grundsätzlich geteilt worden.

Richtig ist, dass es über den Weg dorthin unterschiedliche Meinungen gibt.

Wir halten fest: Es gibt keinen Zweifel daran, dass der Patient krank ist. Auch über die Diagnose herrscht große Einigkeit. Die meisten wollen aber - wie es in der Medizin halt immer ist auf konventionelle Therapien setzen. „Lieber kein Risiko eingehen“ ist das Motto. Dann kommen wir daher und sagen, dass es noch etwas anderes als die Schulmedizin gibt, nämlich ein Verfahren, das schon einmal seine Wirksamkeit unter Beweis gestellt hat; das hat auch Herr Hoffmann nicht bestritten.

(Hoffmann [CDU]: Das habe ich sehr wohl bestritten!)

Sie haben gesagt, das von Willy Brandt eingeführte SchülerBAföG habe dazu geführt, dass die Zahl der Studierenden aus Arbeiterhaushalten gestiegen sei. Vielleicht sollten Sie einmal an der Deutlichkeit dessen arbeiten, was Sie uns hier vortragen.

Das Verfahren gab es schon einmal. Es ist lange nicht angewandt worden. Die Frage ist: Gibt das den Vertretern der klassischen Schulmedizin, wie sie auch in unserer Anhörung vertreten waren, das Recht, an der Wirkung des Verfahrens zu zweifeln?

Herr Abgeordneter Günther, Frau von Halem hat Fragebedarf. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Kollege Günther, wenn Sie davon reden, dass ein Schüler-BAföG schon einmal positive Wirkung entfaltet hätte, und wenn Sie sich dabei auf das Schüler-BAföG der 70er Jahre in der alten Bundesrepublik beziehen, frage ich Sie: Sind Sie sich darüber im Klaren, dass - erstens - das SchülerBAföG damals in einer Höhe ausgezahlt wurde, die heute ungefähr 600 Euro entspräche, und - zweitens - das Bundesbildungsministerium auf Nachfrage erklärt hat, es gebe keine Studie, die eine positive Korrelation belege, wie von Ihnen behauptet? Wie bewerten Sie diese Aussagen?

(Dr. Woidke [SPD]: Weil es keine Studie gibt!)

Aus dem Umstand, dass es noch keine Studie gibt, die eine positive Korrelation belegt, schlussfolgern Sie, dass es einen negativen Zusammenhang gebe oder das Schüler-BAföG zumindest nicht sinnvoll sei. Frau von Halem, Sie wissen, dass wir eine wissenschaftliche Begleitung dieses Projekts anstreben. Vielleicht werden wir dann auch Ergebnisse zu dieser sehr schwierigen, strittigen Frage bekommen.

Wenn Sie uns vorwerfen, die Höhe des Schüler-BAföG sei nicht ausreichend, dann ist das, finde ich, für jemanden, der grundsätzlich dagegen ist, schon eine eigenartige Argumentation. Im Grunde haben Sie nämlich das gesagt.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Ich halte fest: Auch die Experten haben - außer ihrer eigenen Annahme - keinen Beleg dafür gebracht, dass das Mittel Schüler-BAföG unwirksam sei.

Es braucht selbstverständlich einige Jahre - das galt schon für das Schüler-BAföG in den 70er Jahren -, bis sich das neue Förderinstrument einspielt und seine Wirksamkeit voll entfaltet. So etwas wie das Schüler-BAföG macht man nicht für den schnellen Erfolg, schon gar nicht für den schnellen Wahlerfolg.

Noch einmal zur Diagnose: Wie soll man reagieren, wenn man der Meinung der Etablierten glaubt, ein wirksames Mittel für mehr Chancengleichheit sei nicht das Schüler-BAföG, sondern etwas anderes, wenn man aber trotzdem sein Mittel hat? Man optimiert sein eigenes Mittel für den Praxiseinsatz. So wird, ganz grob gesagt, in der Medizin vorgegangen. Das ist aber offenbar zu viel Optimierung für die Opposition. Ich kann mich nämlich noch gut daran erinnern, dass auch Sie, Herr Hoffmann, einer derjenigen waren, die hier hämisch gefragt haben, wo denn unser Schüler-BAföG bleibe.

Sie konnten es offensichtlich nicht erwarten. Ich sage Ihnen: Wir auch nicht. Jetzt ist es da, und es ist mehr als ein reines Hartz-IV-BAföG. Es geht weit darüber hinaus und richtet sich auch an diejenigen, die gegenwärtig das große, das StudentenBAföG bekommen würden, und auch an diejenigen - anders als beim Studenten-BAföG -, die noch bei den Eltern wohnen. Insofern ist unser Schüler-BAföG wesentlich breiter aufgestellt. Vor allem aber ist es nicht die einzige Maßnahme für mehr Bildungsgerechtigkeit. Vielmehr ist es - um diesen Ausdruck, der nicht neu und nicht von mir ist, zu benutzen - eine zusätzliche Sprosse auf der Leiter für den sozialen Aufstieg durch Bildung.

Die anderen Maßnahmen - für den Fall, dass mich jemand fragt, was es sonst noch gibt - sind unter anderem Sprachstandsförderung, flexible Eingangsphase, Ganztagsunterricht, Schulsozialfonds sowie die sechsjährige Grundschulzeit, die vielfach vergessen wird, die ich aber unter dem Aspekt für eine positive Botschaft aus Brandenburg halte und worauf andere neidvoll schauen. Auch das ist für gemeinsames Lernen eminent wichtig.

Nur im Zusammenspiel aller Elemente entfaltet sich die Wirkung des Schüler-BAföGs. Auf der Leiter braucht man - jeder weiß es - alle Sprossen, damit es vorangeht. In diesem Zusammenspiel soll das Schüler-BAföG als ein Argument in den Diskussionen in Wohnstuben und an Küchentischen wirken, und zwar dann, wenn sich Eltern hoffentlich gemeinsam mit ihren Schützlingen Gedanken über deren weiteren Bildungsweg machen. Dann kann Schüler-BAföG ein motivierendes Element sein.

Herr Abgeordneter Günther, lassen Sie eine Frage der Abgeordneten Blechinger zu?

Erstens: Welche Wirkung versprechen Sie sich von dem Gesetz für den derzeitigen Jahrgang der Klasse 10, der ab September in Klasse 11 wechselt?

Zweitens: Warum sind Sie nicht dem Rat aller Experten gefolgt, die Einführung des Gesetzes zumindest bis zum 1. Januar 2011 zu verschieben?

Frau Blechinger, zur praktischen Umsetzung werde ich noch etwas sagen. Mit Ihrem Argument, das auch Herr Hoffmann bereits vorgebracht hat, nach dem Motto, unter anderem den Schülern der Klasse 10 nütze es ohnehin nichts mehr, kann man die Einführung natürlich auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben.

(Beifall SPD und DIE LINKE - Hoffmann [CDU]: Das ist Quatsch! Im nächsten Schuljahr könnten sie mögli- cherweise davon profitieren!)

Meine Damen und Herren, bitte versetzen Sie sich in die Situation der Empfängerinnen und Empfänger von Schüler-BAföG. Es ist nicht gering zu schätzen, wenn die Überlegungen an Küchen- und Wohnzimmertischen folgende sind: Dann brauche ich nicht beim Discounter an der Kasse zu jobben. - Meine Damen und Herren, bitte gehen Sie bei der Beurteilung der Wirkung von 50 und 100 Euro nicht von der üblichen finanziellen Situation eines Landtagsabgeordneten aus. Schließlich wird im Jahr 2010 niemand mehr bestreiten, dass das sogenannte große BAföG für Studierende eine entsprechend motivierende Wirkung hat, und zwar weit in den Mittelstand hinein.

Ich bin ein wenig irritiert, dass insbesondere Sie von der CDUFraktion - schließlich, so dachte ich, ist der Mittelstand auch Ihre Wählerklientel - das so gering schätzen; denn meines Erachtens geht der Mittelstand diesbezüglich auch finanziell wesentlich weiter. Zudem wird es wahrscheinlich für den Mittelstand eine wesentlich größere Wirkung haben, als wir uns heute alle vorstellen können.

Kommen wir nun zur Frage der Umsetzung. Vorweg muss ich aber noch Folgendes sagen: Der Vertreter des Landkreistages er wird viel zitiert - hat eingangs der Anhörung glaubhaft ausgeführt, dass er das Vorhaben der Landesregierung prinzipiell unterstützt und die Brandenburger Landkreise bestrebt sind, das Gesetz in hoher Qualität umzusetzen. Vor genau diesem Hintergrund hat er dann seine Sorgen und Bedenken zur Umsetzung formuliert.

Was sind diese Sorgen und Bedenken? Erstens: Richtig ist, dass die notwendige Software voraussichtlich erst im September zur Verfügung stehen wird - vorausgesetzt natürlich, wir geben heute hier den Startschuss. Das heißt nichts anderes, als dass potenzielle Leistungsempfänger bereits jetzt ihren Antrag abgeben können, der dann im Verlauf des Jahres beschieden wird. Ich frage Sie: Ist das ein Grund für die Verschiebung des Gesetzes? Was wird einem Leistungsempfänger wohl lieber sein? Dass er am Ende des Jahres eine Nachzahlung für die Zeit ab August bekommt oder dass er schön regelmäßig jeden Monat, dafür jedoch erst ab Januar oder gar erst ab dem nächsten Schuljahr - das war auch ein Vorschlag das Geld bekommt? - Ich glaube, die Antwort ist sehr klar und eindeutig.

Zweitens: Die Frage - diese wurde auch bereits diskutiert nach der Anrechnung der Leistung für Hartz-IV-Empfänger ist natürlich wichtig und völlig berechtigt. Insofern haben sich die Koalition und die Landesregierung damit beschäftigt und vom Bund erfahren, dass eine Anrechnung für ein Schüler-BAföG so, wie wir es vorhaben - bis Ende des Jahres nicht erfolgen würde. An dieser Stelle bin ich hoffnungsfroh, dass man der Bundesregierung das glauben kann.

Drittens: Wie geht es nach dem 31.12.2010 weiter? - Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts dürfte man eigentlich erwarten, dass der größte Teil der Leistungen unseres SchülerBAföGs in den Leistungskatalog für die Ausbildung von Kindern aus Hartz-IV-Familien integriert wird. Damit wäre die Zuständigkeit - so, wie sie ist - gewahrt. Jedoch stimmt die derzeitige Ruhe zum Thema „eigener Regelsatz für Kinder“ schon sehr nachdenklich. Aus dem Beitrag von Herrn Hoffmann ging auch nicht hervor, wie die Aussicht ist, wann es diesbezüglich weitergeht und in welcher Art und in welchem Umfang wir mit einem eigenen Regelsatz zu rechnen haben. Das ist sehr bedenklich. Wir werden dies - auch das wurde bereits gesagt sehr aufmerksam beobachten und können nur hoffen, dass es möglichst bald verbindliche Entscheidungen dazu gibt.

An dieser Stelle darf ich darauf hinweisen, dass das Gesetz zum sogenannten Schüler-BAföG weit mehr ist als eine Unterstützung für Hartz-IV-Familien. Man kann eigentlich jeder Familie mit einem Kind in der Sekundarstufe II und weniger als 2 000 Euro Monatseinkommen - bei zwei Kindern weniger als 2 500 Euro - nur raten, einen Antrag auf Schüler-BAföG zu stellen.

Meine Damen und Herren, ich frage mich: Wie würden eigentlich Betroffene unsere heutige Debatte bewerten? Was würden sie dazu sagen, wenn für 50 oder 100 Euro - wie auch in der Anhörung gefordert - eine Verwendungsprüfung vorgesehen wäre? - Ich sehe bereits die Quittungen und die vorhergehenden Diskussionen, ob das gekaufte Buch ausreichend wissenschaftlichen Ansprüchen genügt.

Vielleicht haben einige Betroffene und zukünftige Leistungsempfänger - vermutlich aber eher wenige - im letzten Jahr die Grünen gewählt, und zwar möglicherweise aus dem Grund, weil sie deren Wahlprogramm gelesen haben, sich bis zur Seite 78 vorgekämpft - das werden auch eher wenige gewesen sein - und dort den Satz entdeckt haben:

„BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterstützen zudem die Forderung nach einem Landesausbildungsförderungsgesetz für einkommensschwache Familien.“

(Frau Melior [SPD]: Hört, hört! - Ness [SPD]: Ha!)

Die Betroffenen werden sicherlich sehr gespannt darauf sein, mit welcher Begründung Sie von den Grünen und auch die Abgeordneten der anderen Oppositionsfraktionen heute gegen diese Ausbildungsförderung für einkommensschwache Familien stimmen werden.

(Görke [DIE LINKE]: So sind sie!)

Möglicherweise wird es in einigen Jahren eine neue Anhörung dazu geben. Man könnte einen entsprechenden Antrag formulieren, um in der dann stattfindenden Anhörung zu erfahren, wer wie und auf welchem Bildungsweg vom Schüler-BAföG profitiert hat. Nach dem Willen der Koalition soll es zumindest eine Begleitung des Projektes geben, damit wissenschaftlich die Wirkung untersucht werden kann; denn wir stehen mit diesem Instrument im bundesweiten Fokus. Ich hoffe - ich bin mir sogar relativ sicher -, dass es in einigen Ländern Nachahmer geben wird. Vielleicht wird es sogar wieder ein bundesweites Schüler-BAföG geben. Dazu haben dann wir in Brandenburg den Anstoß gegeben.

Ich bin heute davon überzeugt, dass es - wenn das Schüler-BAföG in Brandenburg in den nächsten Jahren bekannt und beliebt wird - bald keine Partei mehr in Brandenburg geben wird ich werde auf Ihr Wahlprogramm achten -, die dessen Wirkung noch infrage stellt. Das Schüler-BAföG wird dann nämlich zu einem Markenzeichen des Landes werden, das sich niemand mehr aus Brandenburg wegdenken kann. - Vielen Dank.

(Zuruf der Abgeordneten Blechinger [CDU] - Beifall SPD und DIE LINKE)

Es gibt den Wunsch nach einer Kurzintervention. Der Abgeordnete Dombrowski hat darum gebeten, diese halten zu dürfen. Bitte, Herr Dombrowski, Sie haben das Wort. Herr Günther hat dann noch die Möglichkeit, drei Minuten lang darauf zu reagieren.

Herr Kollege Günther, Sie haben hier einiges unterstellt und einiges in Aussicht gestellt, unter anderem, dass das SchülerBAföG in Brandenburg, das Sie heute beschließen werden, bundesweit Nachahmer finden wird.

(Krause [DIE LINKE]: Vielleicht!)

Wissen Sie, Herr Kollege Günther, das hört sich sehr nach dem an, was wir aus alten Zeiten kennen: Wir sind die größte DDR der Welt, wo wir sind, ist vorne, und Ähnliches mehr.

(Beifall CDU - Zuruf des Abgeordneten Krause [DIE LINKE] - Weitere Zurufe)

Sie haben auch erwähnt, dass der Landkreistag nach anfänglichen Bedenken gesagt hat, das sei grundsätzlich doch eine gute Sache. Der Landkreistag findet alles gut, wofür es Geld gibt.

(Frau Lehmann [SPD]: Nein, der findet alles schlecht!)