Protocol of the Session on March 24, 2010

Niemand konnte voraussehen, dass das in Politik, Medien und Gesellschaft längst beiseite geschobene Thema „Aufarbeitung der Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur im Land Brandenburg“ plötzlich bundesweit Furore machen sollte. Eine Dynamik entstand, in der aus den ersten Ankündigungen der Oppositionsfraktionen zur Schaffung einer Enquetekommission ein gemeinsames Projekt von CDU, FDP und GRÜNE/B90 wurde, dessen Stoßrichtung und inhaltliche Ausgestaltung sich im Laufe des Erarbeitungsprozesses weiter qualifizierte und wandelte.

So steht heute nicht mehr die vordergründige Auseinandersetzung mit einzelnen Stasizuträgern im Mittelpunkt. Es reicht uns auch nicht, uns allein mit der Übernahme ehemaliger Parteifunktionäre und Systemträger in den öffentlichen Dienst des Landes zu beschäftigen. Gemeinsam wollen wir den Übergang in den demokratischen Rechtsstaat in den Blick nehmen, um daraus Schlussfolgerungen für die Zukunft zu ziehen. Hier treffen wir uns heute mit den Regierungsfraktionen, die sich nach ursprünglicher Ablehnung heute mit dem Projekt identifizieren und nunmehr in ihrem Ergänzungsantrag „die Einsetzung einer Enquetekommission, die sich mit der Aufarbeitung der Geschichte und der Überwindung der Folgen der SED-Diktatur 20 Jahre nach der Neugründung des Landes Brandenburg beschäftigt“, als besonders sinnvoll erklären. Hut ab! Auch wir halten die in Ihrem Antrag skizzierte Untersuchung der strukturellen, repräsentativen und informellen Verhaltenskonsolidierung - wenn auch mit weniger geschraubt klingenden Worten und die Untersuchung des Zustands der Bürgergesellschaft für richtig. Hier treffen wir uns.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie bei der Amtseinführung von Frau Poppe zu hören war, ist das Land Brandenburg das erste Bundesland, das sich nicht nur mit seiner DDRGeschichte, sondern auch mit der Aufarbeitung nach 1989 beschäftigen will: mit dem Übergang von der DDR in das neue Bundesland, mit den Fehlern und Versäumnissen, aber auch mit dem, was gut gelungen ist; Beschäftigung mit der jüngsten Vergangenheit nicht für die Geschichtsbücher, sondern um Lehren daraus zu ziehen und Vorschläge zu erarbeiten, was wir künftig besser machen können, um das in den letzten Jahren geschwundene Vertrauen in Rechtsstaat und Demokratie wiederzugewinnen. Viele von uns sind bereit, sowohl die eigenen Rollen als auch die Rolle unserer Parteien in der Aufbauphase dieses Landes nach 1989 kritisch zu hinterfragen.

Als Politiker dieses Landes müssen wir uns auch fragen, wo die im Jahr 1990 noch vorhandene Begeisterung für die Demokratie geblieben ist. Nahmen bei der ersten Volkskammerwahl noch 93 % der Bürgerinnen und Bürger ihr Wahlrecht wahr, pendelt bei Europa- und Landratswahlen die Wahlbeteiligung mancherorts deutlich unter der 20%-Marke.

Studien bescheinigen unseren Schülerinnen und Schülern gravierende Wissensdefizite über die DDR und die deutsche Teilung. Dabei geht es uns nicht um Faktenwissen, um Kenntnisse der Amtszeiten von Wilhelm Pieck oder Walter Ulbricht, sondern um den emotionalen Zugang zum Wissen um das Leben in einer Diktatur, um das Empfinden dafür, wie es ist, wenn die

Entscheidungsmöglichkeiten im öffentlichen Leben drastisch reduziert sind, wenn der gesamte Staatsapparat - einschließlich der Schulen - ein System der Kontrolle und Gegenkontrolle perfektioniert, wenn jeder 80. Mitbürger bei der Staatssicherheit engagiert ist, um ein Gefühl, wie es sich in einer Diktatur lebt, einen Eindruck davon zu haben, wie Angst systemstabilisierend wirken kann, und warum es sich lohnt, die Demokratie zu leben und demokratische Grundrechte zu verteidigen. Das muss Lernziel sein.

In einer Rundfunksendung hörte ich letzte Woche: „Demokratie ist die einzige Herrschaftsform, die man erlernen muss. In einer Diktatur bekommt man seinen Platz zugewiesen. Da ist nicht viel zu lernen.“ - Ich möchte hinzufügen: Man muss einen emotionalen Zugang zu Demokratie erlernen. Dafür braucht es Vorbilder, und zwar am besten in der Familie, in der Schule und im Berufsleben. Aber was ist zu tun, wenn zu wenige Vorbilder vorhanden sind, wenn in der Familie DDR-Geschichte eher verklärt als erklärt wird?

(Zuruf von der SPD)

Die Erfahrung, die an den Küchentischen weitergegeben wird so wusste schon Freud -, ist nachhaltiger als spätere Belehrung. Lehrerinnen und Lehrer, die sich nicht offen und selbstkritisch mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinandersetzen, werden in ihren Klassen keinen Erkenntnisschub bewirken.

(Frau Wehlan [DIE LINKE]: Woher wissen Sie das?)

Allen Antragstellern ist bewusst, dass diese Enquetekommission die Bewältigung der Folgen der DDR-Geschichte in Brandenburg nicht in vollem Umfang aufarbeiten kann, sondern sich auf einzelne Themenfelder konzentrieren und fokussieren muss.

Die im Erweiterungsantrag der Koalition geforderte umfängliche Prüfung, ob es gelungen sei, ein den spezifischen Voraussetzungen dieses Landes angemessenes zukunftsfähiges und nachhaltiges ökonomisches Modell zu entwickeln, mag zwar den marxistischen Grundsätzen entsprechen, wonach die materielle Basis den Überbau bestimmt,

(Görke [DIE LINKE]: Wahrscheinlich liegt das an der so- zialen Intention, dass Sie es nicht verstehen können!)

aber muss das in einer Enquetekommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur untersucht werden?

Aufarbeitung bedeutet heutzutage nicht mehr die juristische Verfolgung von Straftaten. Aufarbeitung bedeutet auch nicht wenn es denn überhaupt möglich wäre -, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Vielmehr bedeutet Aufarbeitung, sich damit auseinanderzusetzen, dass mit der Vereinigung nicht nur aus DDR-Bürgerinnen und DDR-Bürgern Bundesbürgerinnen und Bundesbürger wurden, dass nicht nur die Menschen in all ihren privaten und sozialen Lebenszusammenhängen, sondern zugleich auch Strukturen und Mentalitäten aus der DDR in dieses neue Bundesland Brandenburg übergegangen sind. Aufarbeitung bedeutet auch, zu prüfen, welche Wirkmächtigkeiten diese Strukturen und Mentalitäten im Guten wie im Schlechten heute noch entfalten und wo gegebenenfalls gegengesteuert werden muss.

Ich denke, wir stimmen alle darin überein, dass Brandenburg heute über eine rechtsstaatlich verfasste Polizei verfügt. Wir alle vertrauen darauf, dass unsere Polizistinnen und Polizisten sich nicht mehr in der Tradition der Volkspolizei sehen und dass sich die ursprünglich mehr als 1 500 ehemaligen inoffiziellen Mitarbeiter und mehr als 200 hauptamtlichen Mitarbeiter in ihren Reihen zu aufrechten Demokraten entwickelt haben. Dennoch müssen wir uns fragen, wie es Opfern der staatlichen DDR-Gewalt geht, wenn sie heute ihren Peinigern von einst auf der Polizeiwache begegnen und welchen Beitrag wir zum Opferschutz heute noch leisten können und müssen.

Nur: Die Betroffenen bzw. die Benachteiligten der SED-Diktatur und vor allem auch diejenigen, die nach 1989 keine Chance hatten, gibt es bislang nur summarisch-abstrakt in Sonntagsreden. Auch hier wollen wir es konkret. Diesen Menschen hat dieses Land öffentlich die Würde, öffentlich ein Gesicht zurückzugeben. Es muss sowohl Orte als auch Erinnerungen und Achtung für sie geben, und zwar in Schulbüchern, in Gedenkstätten und im gesellschaftlichen Bewusstsein. Wenn das der Brandenburger Weg der Zukunft ist, dann werden wir vorn dabei sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, viele Jahre Schweigen des Landtages über die Folgen der SED-Diktatur im Land Brandenburg finden mit dem heutigen Tag ihr Ende. Vertuschungen und Verharmlosungen bestimmten lange Jahre das Bild. Mit der Enquetekommission wollen wir alle zusammen einen aufrechten, fairen und ehrlichen Umgang mit der SEDDiktatur, den Tätern, Opfern und Mitläufern finden.

Die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit in der Enquetekommission ist kein Anliegen allein der Opposition mehr. Mit den heute vorliegenden Anträgen wird dokumentiert, dass dies zu unser aller Anliegen geworden ist. Ich denke, damit schreibt dieser Landtag ein Stück Zeitgeschichte. Wenn dieser Grundkonsens in der Arbeit der Kommission beibehalten wird, können wir und die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes stolz sein. - Recht herzlichen Dank.

(Beifall GRÜNE/B90, CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Vogel. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort. Frau Abgeordnete Geywitz, bitte.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Historische Wahrheit ist ein wichtiges Gut. Um sie wird gerungen, wo Gewalt, Krieg oder Diktatur die Gesellschaft zerrissen haben. Sie ist wesentliche Voraussetzung jeder Wiederannäherung und gesellschaftlicher Versöhnung, ohne die eine gemeinsame Zukunft in einem Land nicht möglich ist. Versöhnen setzt die Aufdeckung der Wahrheit zwingend voraus. Diese Aufdeckung der Wahrheit ist das Leitmotiv von Konfliktbewältigung.

In vielen Ländern ist das auf sehr unterschiedliche Weise geschehen, zum Beispiel als justiziell festgestellte Wahrheit wie in Kriegsverbrechertribunalen, als Untersuchung der Geschich

te mit dem Auftrag der Erarbeitung von konkreten Vorschlägen wie bei der einzigen Kommission in der arabischen Welt in Marokko oder aber als reumütig bekannte Schuld wie bei der Wahrheitskommission in Südafrika. Das Recht auf Wahrheit ist die Stütze der gemeinsamen Erinnerungen jedes Gemeinwesens. Der gemeinsame Besitz an gerade auch schmerzhaften Erinnerungen und die Übereinkunft, das gemeinsame Leben fortzusetzen, gehören zusammen, wenn ein Volk über seine Geschichte und Zukunft befindet.

Diese beiden Ziele hat auch unsere Kommission. Das erfordert, unbequeme Fragen zu stellen, auch uns selbst, der Politik. Bei den Parteien hier im Landtag, die es schon vor 1989 gab, sind personelle Kontinuität und Wandel zu beleuchten sowie ihre jeweilige ganz unterschiedliche Rolle in der DDR. Bei den Parteien, die seit 1990 in diesem Land regierten, sind Fehler, Unterlassenes und die Intensität der Suche nach Wahrheit zu beleuchten. Ich denke, wir sind dabei gut beraten, hier nicht auf jeden gedrückten roten Knopf, den wir alle haben, mit einem Schrei zu antworten, sondern innezuhalten und nachzudenken.

All jene, die wie ich nur kurz oder gar nicht in der DDR gelebt haben, dürfen aber auch nicht der menschlichen Neigung verfallen, dass der Blick auf die Dinge scheinbar um so klarer wird, je weiter man weg ist. Das ist eine sehr alte menschliche Erfahrung. Je weniger man von den anderen kennt, je weniger man mit ihnen gesprochen hat, desto schärfer und ungebrochener fallen mitunter die Urteile aus. Vor uns liegt die Suche nach der Wahrheit, nicht um der bloßen Rückschau willen, nein, vor allem um der Zukunft willen. Zukunft braucht Herkunft, das ist ein Motto des Ministerpräsidenten Matthias Platzeck, nicht erst seit heute. Herkunft ist das Fundament, auf dem wir alle gemeinsam stehen. Wir brauchen die Verständigung darüber, eine Grundlage, die Identität stiftet und unsere Gesellschaft stärkt.

20 Jahre nach dem Ende einer Diktatur, das war schon einmal in Deutschland der Ausgangspunkt einer breiten gesellschaftlichen Debatte, die die 68er im Westen mit ihren Eltern geführt haben. Ich bin der festen Meinung, dass wir auch in Brandenburg die Suche nach der Wahrheit nicht in eine Kommission delegieren dürfen. Ich möchte, dass wir unser Land in ein großes, intensives Gespräch verwickeln, in dem Menschen ihre Erfahrungen und Meinungen austauschen, in dem die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft eine Stimme erheben. Die Kommission kann einen wertvollen Beitrag leisten und Impulse dafür liefern, dass sich die Brandenburger, alte und neue, mit der DDR, deren Charakter und ihren Spätfolgen auseinandersetzen. Deshalb bitte ich alle Abgeordneten hier im Saal: Nehmen Sie teil an dieser Debatte!

Die Enquetekommission soll und darf keine Veranstaltung im Landtag und für den Landtag werden. Ich möchte, dass wir ins Gespräch kommen mit vielen Menschen, gerade auch mit den jüngeren, die eines Tages die Zukunft dieses Landes prägen werden, dass viele Zeitzeugen aus ihren Erfahrungen berichten, damit sich auch die Nachgeborenen ein Bild machen können. Ich weiß, dass viele dazu bereit sind.

Demokratie braucht eine starke Zivilgesellschaft. Diese Kommission kann dafür einen Beitrag leisten, wenn wir eine Antwort geben auf die Frage, wie alle Brandenburger - die Täter, die Opfer, die Mitläufer - in Zukunft in einer Gesellschaft zusammenleben können. Sicher, es gibt und gab dafür keinen

Masterplan, wie Gesellschaften einen Weg finden, um Gerechtigkeit, Stabilität, den Aufbau verlässlicher Institutionen und die Wiederherstellung von innergesellschaftlichem Vertrauen miteinander zu verbinden. Ohne Stabilität geht es auch in Umbruchphasen nun einmal nicht. Auch darum werden Täter und Mitläufer integriert, um ihre Loyalität zum neuen System zu fördern. Dieses Vorgehen muss jedoch dort seine Grenze finden, wo es zulasten der Gerechtigkeit und der Wahrheit geht.

Die Erwartungshaltungen gerade der Opfer der DDR-Diktatur an die Kommission sind groß. Ihnen Gehör zu verschaffen ist mein Ziel. Es muss jedoch genauso darum gehen, in der politischen Klasse dieses Landes eine Verständigung über den Charakter der DDR und den Umgang mit den vormaligen Verantwortungsträgern zu finden. Wir müssen auch klären, ob und gegebenenfalls warum die Politik die Vergangenheit zu lange auf sich beruhen lassen hat. Es darf in diesem Land dauerhaft keine weißen Flecken der Erinnerung, keine Kultur des Schweigens und auch nicht des desinteressierten Achselzuckens geben.

Als Sozialdemokratin ist mir bewusst, dass viele der Fragen, wie seit 1990 in unserem Land die Geschichte aufgearbeitet wurde, wie mit Tätern und Opfern umgegangen wurde, gerade auch an meine Partei gestellt werden. Wir sind bereit, uns diesen Fragen selbstkritisch zu stellen. Ich gehe nach den Gesprächen mit Vertretern anderer Fraktionen davon aus, dass diese Bereitschaft zur selbstkritischen Betrachtung der eigenen Rolle, sei es in der DDR oder als Regierungspartei in Brandenburg, auch bei ihnen vorhanden ist. Diese Kommission ist eine Chance. Für mich ist der ernsthafte, tiefgründige Dialog über die Wurzeln unserer Gesellschaft ein Anliegen, weil ich glaube, dass die Verständigung über unsere Herkunft der Schlüssel für eine gemeinsame Zukunft ist. Das setzt jedoch eine Kultur des Zuhörens, eine Atmosphäre von Nachdenklichkeit und Akzeptieren eben auch dieser schmerzhaften Wahrheiten voraus.

Ich bin sehr froh, dass die Fraktionen namhafte Wissenschaftler der Ostdeutschlandforschung in diese Enquetekommission entsandt haben. Ich bin sicher, dass wir in dieser Kommission gemeinsam Resultate für unser Brandenburg erarbeiten können, dass es uns nicht um parteipolitische Punktsiege geht, nicht um Verklärung und nicht um Schlussstriche. Die Bundeskanzlerin hat in dieser Woche bekräftigt, die deutsche Einheit bis 2019 mit dem Auslaufen des Solidarpaktes II zu vollenden. Damit das gelingt, müssen wir alle bis dahin auch die ökonomischen Spätfolgen der DDR überwinden. Nur wenn Brandenburg auf eigenen Füßen steht, werden wir sagen können: Die Transformation von der Diktatur zur Demokratie ist abgeschlossen.

Doch die Vollendung der Einheit bemisst sich nicht nur am Portemonnaie. Sie erweist sich auch in der inneren Stärke des Gemeinwesens. Der Bau der starken Zivilgesellschaft Brandenburg ist noch nicht vollendet. Sicher, die Institutionen der Demokratie sind etabliert und arbeiten, doch noch immer stehen zu viele Brandenburger am Gartenzaun und schauen dem neuen System zu, ich finde, zu oft gleichgültig bis ablehnend. Diese Menschen dafür zu gewinnen, sich für ihre Heimat zu engagieren, sei es in der Bürgerinitiative, im Verein oder gar in einer Partei, muss unser Ziel sein. Demokratie kann auf Dauer nur gut funktionieren, wenn sie eine Angelegenheit der vielen und keine Profession der Wenigen ist.

Marianne Birthler hat bei der Amtseinführung von Ulrike Poppe ein afrikanisches Sprichwort zitiert. Danach ist der beste

Zeitpunkt, einen Baum zu pflanzen, vor 20 Jahren gewesen. Der zweitbeste Zeitpunkt dafür ist heute. Ja, Brandenburg hat später als alle anderen ostdeutschen Länder eine Stasi-Beauftragte bekommen. Die meisten hier sind überzeugt: zu spät. Diese Kommission kommt jedoch nicht 20 Jahre zu spät. Heute sind die Stürme der Wendejahre vorbei. Wir haben die Zeit, uns mit dem Bisherigen auseinanderzusetzen.

20 Jahre nach der friedlichen Revolution ist aber auch ein guter Zeitraum, um sich noch genau zu erinnern, ohne jedoch so dicht dran zu sein, dass man einen persönlichen Abstand vermissen lässt.

Eines jedenfalls darf ich Ihnen versprechen: Ich werde mich mit ganzer Kraft dafür einsetzen, dass diese Kommission Nutzen bringt, dass sie Menschen zusammenbringt, Geschehenes benennt, Vergangenes erklärt und gerade deswegen hilft, Brücken zu bauen und eine gemeinsame Zukunft zu ermöglichen. Herzlichen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Geywitz. - Wir setzen die Diskussion mit der Fraktion der CDU fort. Frau Prof. Dr. Wanka erhält das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 20 Jahre nach dem Ende der SED-Diktatur und 20 Jahre nach Beginn der deutschen Einheit - ich denke, da ist es ganz normal, dass man zurückschaut, dass man auf die Entwicklung des Landes Brandenburg sieht und schaut: Was ist in diesen 20 Jahren geschehen? Wo stehen wir heute? Was wollen wir in Zukunft? - Ein an sich ganz normaler Vorgang. Dass es in Brandenburg auf diese Art und Weise passiert, so emotional und intensiv, wie es hier geschehen ist, hätte wohl vor einem halben Jahr keiner in diesem Raum für möglich gehalten.

Der Ausgangspunkt dieser Aktivitäten, das Thema Stasi, geriet in den Mittelpunkt, als die Entscheidung gefallen war, einen Koalitionsvertrag von zwei ehemaligen IM unterschreiben zu lassen. Da war es plötzlich ein Thema; da standen die Biografien von ehemaligen Funktions- und Mandatsträgern im Mittelpunkt, und die ganze Sache eskalierte, als es fast im Wochentakt Enthüllungen und neue Fakten gab. In dieser Situation ist es verständlich und auch berechtigt, zu überlegen und zu fragen: Warum passiert das gerade in Brandenburg? Das hat nicht nur etwas mit Rot-Rot zu tun; nein, das gab es auch in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Aber hier gibt es noch eine Spezifik. Deshalb ist die Frage, daraus eine Grundsatzdiskussion zu machen, ganz logisch; das hat sich ergeben. Herr Platzeck musste, glaube ich, sehr schnell einsehen, dass es mit einer „von oben“ verordneten Versöhnung nicht gelingen kann, die Versäumnisse und Probleme von zwei Jahrzehnten mangelnder Aufarbeitung einfach wegzuwischen oder zu verdrängen.

Es ist durch die Stasifälle - der Anlass - eine Diskussion entfacht worden, und ich denke, Aufklärung, Offenheit und kritische Auseinandersetzung sind heute wichtiger denn je. Für den Imageschaden, den Brandenburg in den letzten Monaten erlit

ten hat, ist es notwendig und das richtige Instrument, hier gemeinsam zu agieren. Wir sind uns in der Opposition einig, dass wir hier demonstrieren wollen - das war der Anlass für den Antrag zur Enquetekommission -, dass es die Bereitschaft zu einer ergebnisoffenen, ehrlichen Aufarbeitung gibt. Uns ist es ein zentrales Anliegen, die Würde der Opfer, gerade auch derjenigen, die wir in Brandenburg kennen oder die wir noch nicht kennen, zu wahren. Die von uns beantragte Enquetekommission soll abseits tagespolitischer Zwänge mit Expertenwissen arbeiten. Mir wurde mehrfach entgegengehalten: Das ist solch ein breites Thema, gebt doch Aufträge an Wissenschaftler, die können das doch untersuchen.

Ich denke, eine Enquetekommission hat eine Möglichkeit, die weit über das hinausgeht, was der einzelne Wissenschafter kann. Sicher kann er forschen, kann Publikationen schreiben. Aber in einer Enquetekommission sind Wissenschaftler mit Politikern zusammen - und eben nicht nur mal zwei Stunden in einer Podiumsdiskussion, sondern sehr, sehr intensiv. Das wird zu einer Befassung mit den Problemen, mit den Fragestellungen beitragen, die sonst überhaupt nicht denkbar ist. Das ist auch eine Chance für die Wissenschaft. Sicher werden sich aus dieser Diskussion auch Folgeaufträge an Wissenschaftler ergeben. Aber wer, wenn nicht wir vonseiten der Politik, sollte diese Aufträge auslösen?

Wir - CDU, FDP und Grüne - haben in unserem Antrag die wesentlichen Schwerpunkte zusammengetragen. Es geht, ganz kurz gesagt, vor allem um den Übergangsprozess und darum, wie er personell, strukturell, inhaltlich gestaltet wurde. Dabei spielen natürlich die Vorgeschichte und die Bedingungen vor 1989 immer wieder eine wichtige und zentrale Rolle. Wir haben einen sehr breiten Aufarbeitungsansatz. Er beschränkt sich nicht nur auf die Probleme in der Polizei und der öffentlichen Verwaltung, sondern es geht wirklich um Kontinuitäten und um Brüche der politisch Handelnden beim Übergang der gesamten Gesellschaft. Hierzu zählt zum Beispiel die Entwicklung des Geschichtsbildes in der DDR oder die Entwicklung der politischen Kultur in diesem Land.

Natürlich wollen wir auch nachschauen: Wie haben sich die Randbedingungen, die hier im Landtag gesetzt wurden, auf die Entwicklung in den Kommunen ausgewirkt? Ich möchte gleich vorab klarstellen, dass zu den Fragestellungen, die uns interessieren, natürlich auch der Einfluss der Medienlandschaft und ganz dezidiert auch die Frage nach den Eigentumsverhältnissen im landwirtschaftlichen Bereich gehören.

Aber, meine Damen und Herren, in unserem Antrag steht an keiner Stelle das Wort Bodenreform, im Antrag wird nichts zur Disposition gestellt, und es geht nicht um Enteignung. Ich denke, für Enteignung sind wir wirklich nie zuständig gewesen.

(Beifall CDU und GRÜNE/B90)

Der Einsetzungsantrag ist sehr breit gefasst, und dies ist mit Absicht geschehen.

(Interne Diskussion unter Abgeordneten der CDU)