Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich eröffne die 10. Sitzung des Landtages Brandenburg in seiner 5. Wahlperiode. Als unsere Gäste begrüße ich Schülerinnen und Schüler des Humboldt-Gymnasiums in Potsdam. Ich wünsche euch einen spannenden Vormittag im Landtag!
Gemäß § 20 Abs. 2 der vorläufigen Geschäftsordnung des Landtages Brandenburg informiere ich Sie darüber, dass am 28.01.2010 die Abgeordnete Große vom Vorsitz des Ausschusses für Bildung, Jugend und Sport zurückgetreten ist und der Abgeordnete Krause - ebenfalls in dieser Sitzung zum neuen Vorsitzenden gewählt wurde. Viel Erfolg bei dieser Arbeit!
Der Ausschuss für Europaangelegenheiten und Entwicklungspolitik hat in seiner Sitzung vom 17.02.2010 den Abgeordneten Maresch zu seinem stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Auch ihm viel Erfolg und Freude an der Arbeit!
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte der Herr Ministerpräsident Ihnen eine Mitteilung machen. Bitte, Herr Platzeck.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muss Ihnen mitteilen, dass Ministerin Jutta Lieske um ihren Rücktritt ersucht hat. Sie hat seit mehreren Wochen mit akuten gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, die mittlerweile zu einem Klinikaufenthalt geführt haben. Auf Anraten ihrer Ärzte hat sie mir gestern dieses Gesuch übermittelt.
Ich habe das Rücktrittsgesuch mit Bedauern, aber auch mit großem Respekt entgegengenommen und werde Jörg Vogelsänger als Minister für Infrastruktur und Landwirtschaft berufen. Ich habe den Landtagspräsidenten gebeten, dass es möglich gemacht wird, morgen die Vereidigung von Herrn Vogelsänger vorzunehmen. - Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. Ich glaube, wir bedauern das alle sehr und wünschen Jutta Lieske gute Besserung.
Meine Damen und Herren, Ihnen liegt der Entwurf der heutigen Tagesordnung vor. Gibt es hierzu Bemerkungen? - Wenn dies nicht der Fall ist, bitte ich um Ihr zustimmendes Handzeichen. - Gibt es Enthaltungen oder Gegenstimmen? - Beides ist nicht der Fall. Damit ist die Tagesordnung beschlossen.
Neuorganisation der Aufgabenwahrnehmung im SGB II - Reform der Jobcenter als Chance für Arbeitsuchende und Landkreise in Brandenburg
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst darf ich Ihnen, Herr Ministerpräsident, im Namen der Fraktion der FDP für Frau Lieske alle guten Wünsche, verbunden mit der Hoffnung auf gute Besserung mit auf den Weg geben.
Meine Damen und Herren, drei Jahre nach dem Inkrafttreten des SGB II hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe gebildete Organisationsform der Arbeitsgemeinschaft von Kommune und Bundesagentur für Arbeit verfassungswidrig ist, weil keine eindeutige Verantwortlichkeit gegeben ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat der Politik eine Frist bis zum 31. Dezember 2010 eingeräumt, um die derzeitige Form der Zusammenarbeit neu zu ordnen. Ausdrücklich sollte dabei die Erfahrung mit der einheitlichen Aufgabenwahrnehmung in den sogenannten Optionskommunen gemäß § 6 a SGB II ausgewertet werden können. Sollte bis zum 31. Dezember 2010 keine Entscheidung getroffen werden, müssten die bundesweit 349 Jobcenter entflochten, zahllose Verträge neu ausgehandelt und Tausende Vermittler versetzt werden. Die 69 Optionskommunen verlören dann ebenfalls ihre Existenzgrundlage. Die Folgen wären gravierend.
Die von uns allen als sinnvoll und notwendig angesehene Betreuung der Arbeitsuchenden aus einer Hand gäbe es auf einen Schlag nicht mehr. Bundesagentur für Arbeit und Kommunen müssten neue Verwaltungsstrukturen aufbauen. Der gesamte Aktenbestand müsste neu aufgebaut werden. Die Kommunen bräuchten eine neue Berechnungssoftware, da das bestehende System der Bundesagentur gehört. Teilweise müsste Personal aufgestockt und in neuen Räumen untergebracht werden. Die betroffenen Arbeitsuchenden würden wieder zwischen Arbeitsagentur und Sozialbehörden hin- und hergeschoben.
Mitten in der größten Wirtschaftskrise seit Bestehen der Republik und angesichts einer weiterhin hohen Anzahl von Arbeitslosen wären bei einer vollständigen Entflechtung der Behörden diese nicht mit der Betreuung der Arbeitsuchenden, sondern mit sich selbst beschäftigt. Genau darum geht es im Kern. Das wäre ein Ergebnis, das politisch kaum jemand will.
Nun hatte das Verfassungsgericht drei Jahre Zeit gegeben, um eine Lösung zu finden. Zwei Jahre davon war das sozialdemokratisch geführte Bundesarbeitsministerium tatenlos.
Die von SPD und Grünen ausgedachte Reform der Sicherungssysteme, die wir unter dem Namen Hartz kennen, ist mittlerweile zum zweiten Mal vom Bundesverfassungsgericht als nicht verfassungsgemäß beurteilt worden. Das kommt heraus, wenn man Rote und Grüne gemeinsam allein regieren lässt.
Wir als FDP-Fraktion haben uns hier im Landtag bei der ersten Debatte, die wir in dieser Legislaturperiode dazu hatten, gegen eine Verfassungsänderung ausgesprochen,
weil wir die Systematik nicht für richtig halten. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet, dass eine Regelung verfassungswidrig ist; dennoch will man dann nicht das verfassungswidrige Gesetz ändern, sondern die Verfassung, damit das Gesetz verfassungstreu wird. Das ist im Grundsatz nicht unser Verfassungsverständnis.
Da wir aber wissen, dass wir sonst auf den Status quo ante zurückfallen, müssen wir jetzt schnell handeln. Dies ist im Interesse der armen Menschen, die arbeitsuchend sind. Deswegen sehen wir jetzt - da die Große Koalition im Bund es nicht rechtzeitig geschafft hat, eine einfachgesetzliche Regelung zu schaffen - keine andere Möglichkeit mehr als eine Verfassungsänderung.
Wir haben heute eine Aktuelle Stunde beantragt, weil wir auch von der brandenburgischen Landesregierung wissen möchten, welche Position sie in dieser Debatte einnehmen wird. Wir hören ja sehr unterschiedliche Stimmen aus den Reihen der SPD. Erst fordert die SPD vehement eine Grundgesetzänderung, und nun hören wir Bedingungen, die die SPD an selbige stellt.
Herr Baaske möchte mehr Optionskommunen, und Frau Nahles erklärt, sie wolle die Zustimmung der SPD daran festmachen, dass die Regelsätze nicht gekürzt werden. Frau Nahles scheint eine Glaskugel zu haben. Wir haben ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, welches besagt, dass wir eine neue, transparente Berechnungsgrundlage brauchen.
Erst wenn diese vorhanden ist und wir die Berechnung haben, können wir eine ernstgemeinte, vernünftige Aussage zu den Regelsätzen treffen. Vorher wird dies nicht möglich sein.
Es geht auch um die Zahl der Optionskommunen. Damals ist festgelegt worden, dass es in Deutschland 69 Optionskommunen geben darf. Die Zahl ist übrigens an der Zahl der Sitze des Bundesrates bemessen worden. Wie man bei einem solchen Unfug den Menschen den Entscheidungsfindungsprozess der Politik erklären will, erschließt sich mir nicht.
Wir Liberalen meinen, jeder Landkreis sollte die Chance auf das Optionsmodell haben. Wenn wir die Anzahl der Landkreise, die dafür infrage kommen, wieder begrenzen, heißt das für Brandenburg, dass wahrscheinlich nicht alle optionswilligen Kreise dieses Modell auch wählen können. Genau dieser Wunsch ist aber nach Angaben des Landkreistages Brandenburg von fast allen Landkreisen geäußert worden, unter der Bedingung, dass die Aufsicht des Bundes über die Optionskommunen beschränkt wird.
Politik gegen die Kommunen kann nicht im Interesse des Landes und der arbeitsuchenden Menschen sein. Es darf neben der Entfristung der Option nur noch um die Beendigung der Begrenzung der Option gehen. Optionskommunen leisten eine gute Arbeit bei der Vermittlung der arbeitsuchenden Menschen. Sie sind näher an den Problemen der Bevölkerung als die BA. Und sie kennen ihren regionalen Arbeitsmarkt besser.
Wir möchten wissen, welche Position die Landesregierung dazu hat, damit auch die Landkreise in Brandenburg eine verlässliche Aussage ihrer Landesregierung bekommen.
Alle weiteren Ausführungen, meine Damen und Herren, hören Sie von mir, nachdem ich mir die Ihrigen angehört habe. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon das zweite Mal innerhalb dieser Wahlperiode, dass wir uns mit der Neuorganisation des SGB II, das heißt, der Reform der Jobcenter, beschäftigen. So haben wir uns erst in der Landtagsdebatte am 17. Dezember letzten Jahres mit der SGB-II-Organisationsreform auseinandergesetzt. Seitdem hat sich die Situation wieder verändert. Ich bin überzeugt davon, dass sich der aktuelle Stand, auf dessen Grundlage wir heute diskutieren, noch weiterentwickeln wird. Das eigentlich Negative an der Auseinandergesetzung um diese Reform ist, dass sie inzwischen deutliche Spuren bei den Beschäftigen in den ARGEn und natürlich auch bei den Kunden, den Arbeitsuchenden, hinterlässt.
Ich will betonen, dass es für die SPD-Landtagsfraktion um die Belange der Arbeitslosen, der Arbeitsuchenden geht, die im Vordergrund stehen sollten. Darum stellt eine Gleichstellung mit den Interessen der Landkreise, so wie sie in Ihrem heutigen Antrag formuliert ist, eine nicht sachgerechte Verkürzung dar. Der Antrag der FDP-Fraktion zur Durchführung einer Aktuellen Stunde scheint von seiner inhaltlichen Ausgestaltung eher dem Datum Rechnung tragen zu wollen, an dem er geschrieben
wurde. Auch der eben gehörte Beitrag, meine Damen und Herren, erinnert eher an die Fortsetzung einer unsäglichen Aschermittwochsdebatte Ihres Bundesvorsitzenden, Herr Büttner.
Gestatten Sie mir deswegen zunächst eine Klarstellung. Am 7. Februar dieses Jahres hat nicht die Bundesregierung einen Beschluss zur Zukunft der Jobcenter gefasst, sondern die Union musste die gegensätzlichen Positionen der Ministerpräsidenten aus ihren eigenen Reihen mit der Bundes-CDU klären. Darum mutet es schon etwas merkwürdig an, wenn im Antrag formuliert wird, dass sich die Landesregierung Brandenburg den Reformansätzen der Bundesregierung „nicht widersetzen“ dürfe. Nach meiner Kenntnis wurde das seinerzeit auch mit einem konkreten Ergebnis der CDU gekippt. Wie Sie wissen, gelang es dem damaligen Bundesarbeitsminister Olaf Scholz Anfang 2009, sich mit den Ministerpräsidenten Beck und Rüttgers auf einen Kompromiss zu verständigen, und zwar auf die sogenannten Zentren für Arbeit und Grundsicherung, ZAG. Dieser Vorschlag berücksichtigte die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.
Die Fortsetzung der Arbeitsgemeinschaften unter verbesserten Rahmenbedingungen auf der Grundlage einer Verfassungsänderung wäre damals schon möglich gewesen. Das bürgerfreundliche Modell „Hilfe aus einer Hand“, das Sie heute hier fordern, hätte damit fortgesetzt werden können. Dieser parteiübergreifende Kompromiss wurde aufgekündigt. Die CDU/ CSU-Fraktion im Bundestag stellte sich damit nicht nur gegen ein seinerzeit faktisch von allen Bundesländern unterstütztes Konzept, welches damals schon die Fortführung sowohl der ARGEn als auch der Jobcenter und den Erhalt der Optionskommunen ermöglicht hätte.