Meine Damen und Herren, da heute niemand Geburtstag hat, haben wir keinen Grund, verspätet anzufangen. Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen.
Ich begrüße Sie alle recht herzlich zu unserer heutigen Plenarsitzung. Insbesondere begrüße ich unsere Gäste, die aus dem Herzen der Mark Brandenburg, der schönen Stadt Brandenburg an der Havel, zu uns gekommen sind. Es handelt sich um Schüler der 13. Klasse des dortigen Bertolt-Brecht-Gymnasiums. Seid herzlich willkommen; ich wünsche euch einen interessanten Vormittag.
Meine Damen und Herren, Sie haben es sicherlich mitbekommen: Der Bundespräsident hat für heute für alle öffentlichen Gebäude Halbmastbeflaggung angeordnet; das gilt auch in Brandenburg. In Berlin findet der Festakt zum Gedenken an die Opfer der Flutkatastrophe in Südostasien statt. Wir sollten diesen Anlass wahrnehmen und uns dem solidarisch anschließen. Ich bitte Sie, sich für eine Schweigeminute von den Plätzen zu erheben. - Ich danke Ihnen.
Neben diesem Ereignis, das uns sicherlich noch eine ganze Weile beschäftigen wird, weil wir unter den Deutschen auch Opfer aus Brandenburg zu beklagen haben, gibt es in diesem Jahr ein weiteres wichtiges Ereignis. Wir haben dazu gestern eine Aktuelle Stunde durchgeführt. Wir als Landtag sollten noch einmal zusammenfassen, was wir als Ergebnis dessen sehen.
Am 27. Januar 1945 wurde das KZ Auschwitz befreit. Am 8. Mai 1945, also vor fast 60 Jahren, setzten die Armeen und Staaten der Anti-Hitler-Koalition der Herrschaft des Nationalsozialismus ein Ende. Die kurzen 1 000 Jahre waren damit vorbei. Wir wenden uns mit folgender Aussage an alle Menschen in Brandenburg:
Faschismus ist keine Meinung, Faschismus ist ein Verbrechen. Wir dürfen nicht wegsehen, wenn erneut Gewalt die Toleranz bedrängt. Wir dürfen nicht wegsehen, wenn Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Abstammung, ihres Geschlechts, ihrer Behinderung oder ihrer Lebensform diskriminiert werden. Wir dürfen nicht schweigen, wenn Naziverbrechen verharmlost und die NS-Diktatur glorifiziert wird. Wir sagen Nein zu rechtsextremistischen Aufmärschen der Parteien. Wir verteidigen Demokratie, Frieden und Völkerverständigung.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu schützen und zu achten ist Aufgabe aller staatlichen Gewalt.“
Gestern wurde bereits deutlich, dass es in diesem Jahr hierzu eine Reihe von Veranstaltungen geben wird. Das beginnt am Montag, dem 31. Januar 2005, mit der Auftaktveranstaltung in Seelow. Eine andere Veranstaltung findet am 27. Januar in Sachsenhausen statt, deren Kernthema Martin Niemöller sein wird. Am 16. April wird die zentrale Veranstaltung Brandenburgs in Seelow durchgeführt werden. Ich fordere Sie auf und
bitte Sie, dass Sie selbst mit Ihren Bekannten möglichst zahlreich an diesen Veranstaltungen teilnehmen, um deutlich zu machen: Dieses Geschehen ist in Brandenburg nicht vergessen. Wir haben die Mahnungen verstanden.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich Ihnen mitzuteilen, dass die Dringliche Anfrage 6, Drucksache 4/469, zurückgezogen worden ist und dass der Tagesordnungspunkt 4 anders als angekündigt nicht ohne Debatte abläuft, sondern mit Redezeit der Variante 1. Wenn Sie dies akzeptieren können und auch ansonsten mit der Tagesordnung einverstanden sind, bitte ich Sie um ein zustimmendes Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Beides kann ich nicht feststellen. Damit verfahren wir nach dieser Tagesordnung.
Als Erster hat der Abgeordnete Klocksin das Wort, um seine Frage 167 (Rechtsextreme Gewalt) zu stellen.
Die private Hilfsorganisation „Opferperspektive“ registrierte jüngst für 2004 insgesamt 134 rechtsorientierte Gewalttaten. Das wären 13 % mehr als 2003. Damit hätte die rechtsextrem und rassistisch motivierte Gewalt in Brandenburg einen Höchststand seit Jahren erreicht.
Ich frage die Landesregierung: Wie beurteilt sie diese Zahlen und welche Konsequenzen beabsichtigt sie zu ziehen?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Klocksin, bei der Beurteilung der Lageentwicklung im Bereich der politisch motivierten Kriminalität sind für die Landesregierung die Statistikwerte verpflichtend, die sich aus dem gemeinsamen Meldedienst ergeben, den die Länderpolizeien mit dem Bund auf der Basis kriminalpolizeilicher Meldedienste in Fällen politisch motivierter Kriminalität entwickelt haben. Die Erhebung für diese Statistik basiert auf einem bundesweit abgestimmten Definitionssystem und daraus abgeleiteten Richtlinien und Verfahrensregelungen; Sie können sich vielleicht daran entsinnen, dass wir die Modalitäten dieser Erhebung vor drei Jahren geändert haben. Die Entwicklung der politisch motivierten Kriminalität im Jahr 2004 im Land Brandenburg werde ich der Öffentlichkeit vermutlich Mitte Februar auf einer Pressekonferenz präsentieren, wenn die Zahlen ausgewertet und bewertet sind.
Die vom Verein „Opferperspektive“ seit Jahren geführte Chronologie rechtsextremer Angriffe in Brandenburg beruht auf Berichten in den Medien und auf Informationen aus der eigenen
Opferberatung. Gleichwohl werden die in der Chronologie des Vereins „Opferperspektive“ aufgeführten Sachverhalte kontinuierlich durch die Polizei hinsichtlich des Vorliegens rechtsextrem motivierter Kriminalität bzw. Gewaltkriminalität ausgewertet, überprüft und abgeglichen.
Im Rahmen dieses Abgleichs haben wir zum Beispiel festgestellt, dass mehr als 30 Delikte, die wir in unserer Statistik haben, vom Verein „Opferperspektive“ nicht aufgeführt werden. Wir werden vor der erwähnten Pressekonferenz versuchen, mit dem Verein „Opferperspektive“ zu einer Abstimmung der Zahlen zu kommen.
Unabhängig davon ist festzustellen, dass die durch die Polizei im Jahresverlauf erhobene Statistik zu rechtsmotivierten Gewaltstraftaten auf einen Anstieg verweist. Bis einschließlich November 2004 - das sind die Zahlen, die wir vergleichen können - wurden 92 solcher Fälle registriert. Das waren acht mehr als im Vergleichszeitraum 2003.
Die konsequente Bekämpfung politisch motivierter Kriminalität, insbesondere von rechtsmotivierten Gewaltstraftaten, ist seit Jahren erklärter Schwerpunkt der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden. Die Polizei unseres Landes handelt hier auf der Grundlage eines modernen Konzeptes mit hinlänglich bekannten Arbeitsweisen wie Mega und Tomeg. Sie übt damit einen permanent hohen Verfolgungs- und Aufklärungsdruck aus und bringt sich maßgeblich in die gesamtgesellschaftlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Fremdenfeindlichkeit ein. Ich kann hier wirklich versichern, dass auch in Zukunft die Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden unter Ausschöpfung aller rechtlichen und praktischen Möglichkeiten diesen Weg konsequent fortsetzen werden.
Die seit Jahren hohen Aufklärungsquoten bei rechtsmotivierten Gewaltstraftaten - im Jahre 2004 waren es rund 90 % -, das nachhaltige Vorgehen gegen das Markenlabel Thor Steiner und die Aufklärung einer Reihe von Brandstiftungen einer Gruppierung, gegen die gegenwärtig wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung prozessiert wird, gelten hierfür als Beleg.
Ich habe wiederholt unterstrichen, dass energische Maßnahmen der Polizei, der Justiz und des Verfassungsschutzes eine Symptomkontrolle zu leisten vermögen. Zur Förderung des gegenseitigen Respektes und der Akzeptanz unseres Rechts in der Gesellschaft sowie der Ächtung von Gewalt auf unseren Straßen und Plätzen müssen auch andere Instanzen sozialer Kontrolle ihren Einfluss verstärken. Die Verinnerlichung demokratischer Werte im Sozialisationsprozess junger Menschen ist hierbei von großer Bedeutung. Möglicherweise müssen wir auch noch zu weiterführenden Überlegungen kommen. Ich denke, dass die Schulen hierbei eine wichtige Rolle spielen, und sich die Maßnahmen, die wir bisher getroffen haben und noch treffen werden, weiterhin positiv auf die Arbeit an den Schulen auch in diesem Bereich auswirken werden.
Hervorzuheben ist auch, dass nur eine lang anhaltende gesamtgesellschaftliche Therapie eine Veränderung dieser Situation in den Einstellungen herbeiführen kann. Kurzfristig und schnell greifende Konzepte zur Reparatur dieser gesellschaftlichen Defizite sind nicht zu finden - schon gar nicht im Bereich der Strafverfolgung. Die Polizei, Herr Abgeordneter, steht am Ende dieser Kette und muss mit den Defiziten umgehen. Wir alle
in der Gesellschaft stehen am Anfang dieser Kette und sollten unseren Beitrag dazu leisten, um diese Defizite auszugleichen.
Herr Minister, ich werde jetzt nicht fragen, was Sie unter der gesamtgesellschaftlichen Therapie verstehen. Gleichwohl bedanke ich mich für die Ausführlichkeit der Antwort. Wenn ich Sie richtig verstanden habe - ich bin mir nicht ganz sicher; deshalb frage ich nach -, sind nach Ihrer Zählung 30 Gewalttaten mehr zu verzeichnen, als der Verein „Opferperspektive“ kundgetan hat. Habe ich das richtig verstanden?
30 Straftaten. Das heißt, die Statistik des Vereins „Opferperspektive“ bildet noch nicht das tatsächliche Volumen an Straftaten ab.
Beim Abgleich stellen wir aber auch fest, dass in der Statistik des Vereins „Opferperspektive“ Straftaten aufgeführt werden, die nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und der Polizei nicht dem rechtsextremistischen Umfeld zuzurechnen sind. Von daher können Sie jetzt diese Zahl den Zahlen des Vereins „Opferperspektive“ nicht einfach hinzuzählen, sondern müssen die Gesamtzahlen gewichten.
Ich habe das deutlich gesagt, um herauszuarbeiten, dass wir das, was der Verein „Opferperspektive“ tut, sehr ernst nehmen und auch bewerten, um festzustellen, ob wir vielleicht eine unterschiedliche Sichtweise haben. Bisher hatten wir in Teilbereichen unterschiedliche Sichtweisen. Das hängt mit dem Definitionsmodell zusammen, das wir in der Innenministerkonferenz gemeinsam beschlossen haben.
Herr Minister, Sie haben die Zahlen aus dem Bereich des Rechtsextremismus geschildert. Gibt es auch entsprechende Zahlen für den Linksextremismus?
Meine zweite Frage bezieht sich auf einen Bericht in der heutigen Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Dort ist zu lesen, dass die Fraktionsvorsitzende der DVU hier im Land
tag am Neujahrsempfang der NPD in Sachsen teilgenommen hat. Es gibt ja nun offensichtlich die Absicht, zwischen DVU und NPD ein Wahlbündnis ins Leben zu rufen. Ich frage: Wie steht die Landesregierung zu dieser Absicht von DVU und NPD ein Wahlbündnis in der Bundesrepublik Deutschland bzw. in einzelnen Bundesländern ins Leben zu rufen?
Die Zahl der Straftaten im linksextremistischen Umfeld hat von 70 auf rund 80 und die der Gewalttaten von 14 auf 22 zugenommen. Ein Teil der Straftaten, die wir hier aufgelistet haben, hängt mit der Tatsache zusammen, dass wir im vergangenen Jahr Wahlkampf hatten.
Ich habe das, was Sie eben gesagt haben, heute Morgen auch gelesen und kann nur feststellen, dass die NPD erneut versucht, in Brandenburg Fuß zu fassen. Vertreter der DVU haben gesagt, sie würden auch gemeinsam auf NPD-Listen kandidieren, weil man sich zusammengetan hat: in Sachsen die NPD und hier die DVU. Diese Absprache soll dazu führen, die Kräfte zu bündeln, um möglichst viele Wählerstimmen zu bekommen und dann entsprechend repräsentiert zu sein. Von daher gesehen ist die politische Auseinandersetzung das Entscheidende.
Wenn der frühere Bundesvorsitzende der Republikaner, Franz Schönhuber, einer der Rechtsextremisten, einmal gesagt hat, der Streit gehe um den Narrensaum derjenigen, die Neonazis sind, dann kann ich nur entgegnen: Der Streit wird um die Frage gehen, was rechtsextremistisch ist. Was rechtsextremistisch ist, haben wir bei uns im Land definiert. Wir haben uns damit auseinander gesetzt und werden dies auch gemeinsam vertreten. Wir werden verhindern, dass ein Zusammenschluss von DVU und NPD dazu führt, dass in diesem Bereich die rechtsextremistischen Fähigkeiten, Tätigkeiten und Aktionen zunehmen.
Vielen Dank, Herr Innenminister. - Damit kommen wir zu der Frage 168 (Eingliederungsleistungen für Betroffene, die keine Leistungen nach dem SGB II erhalten), die von der Abgeordneten Kaiser-Nicht gestellt wird.
Die Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie hat am 17. November gegenüber dem Sozialausschuss die politischen Zielstellungen ihres Hauses für die nächsten fünf Jahre vorgestellt. Einer der Arbeitsschwerpunkte liegt danach in der Entwicklung eines Förderprogramms für Personen, die im Ergebnis der Hartz-IV-Gesetzgebung wegen der Anrechnung von Partnereinkommen keine Leistungen mehr erhalten. Die Ministerin betonte, es gehe hier vor allem darum, den von heute auf morgen stattfindenden Sturz nach unten abzufedern. Die Betroffenen, insbesondere Frauen, würden finanziell sehr schnell ins Abseits gedrückt und ein bisschen wieder in die Rolle der Hausfrau gedrängt.
Meine Frage lautet: Welchen Stand hat die Entwicklung von Förderinstrumenten für den genannten Personenkreis derzeit erreicht?
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Kaiser-Nicht, zunächst ist festzuhalten - das ist möglicherweise noch nicht hinlänglich bekannt -, dass auch Personen, die keine Geldleistung beziehen und arbeitssuchend sind, die Beratung, Vermittlung sowie aktive Förderleistungen der Agenturen für Arbeit gemäß SGB III in Anspruch nehmen können. Bei der Unterstützung der Integration von Nichtleistungsbeziehenden in reguläre Arbeit kann auf die Förderung von beruflicher Weiterbildung und auf Eingliederungszuschüsse nach SGB III zurückgegriffen werden. In welchem Umfang die Agenturen für Arbeit den Einsatz dieser Instrumente für den genannten Personenkreis fördern werden, wird in der nächsten Zeit noch Gegenstand der Beratungen sein. In einem kleinen Kreis von maximal 10 % der Teilnehmerinnen und Teilnehmer können Nichtleistungsbeziehern durch die Agenturen für Arbeit auch AB-Maßnahmen zugewiesen werden. Hier wird es sich aber aufgrund der geringen Anzahl nur um Einzelfälle handeln, also Fälle, in denen es erhebliche Vermittlungshemmnisse gibt. In diesen Fällen kann von dem Kofinanzierungsangebot des Landes für ABM unter Einsatz von ESF-Mitteln Gebrauch gemacht werden.
Ich werde mir auch anlässlich der Vor-Ort-Besuche berichten lassen, in welchem Umfang und mit welchen Instrumenten die Nichtleistungsbezieher durch die Agenturen gefördert werden, und auch den weiteren Handlungsbedarf - wie ich es auch im Ausschuss gesagt habe - prüfen.