Protocol of the Session on January 19, 2005

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus der Kirche kann man austreten, aus den Kammern nicht. Mit dieser Realsatire lässt sich die absurde Situation in Deutschland und auch hier in Brandenburg am ehesten beschreiben. In einer ansonsten doch angeblich so liberalen Wirtschaftsordnung sind alle inländischen Unternehmen verpflichtet, je nach Gewerbe entweder in der Industrie- und Handelskammer oder in einer Handwerkskammer Zwangsmitglied zu sein. Mit Blick auf die schlechte wirtschaftliche Lage der kleinen und mittelständischen Unternehmen, mit Blick auf die vielfach unzureichende Eigenkapitaldecke und mit Blick auf die vielen Firmeninsolvenzen, deren Zahl von Jahr zu Jahr steigt, ist es für uns ein Gebot der Stunde, die Unternehmen von Zwangsbeiträgen und Zwangsgebühren zu befreien.

Ähnlich wie in den meisten anderen EU-Staaten soll daher die bisher geltende Pflichtmitgliedschaft in den Industrie- und Handelskammern sowie den Handwerkskammern in Zukunft durch eine freiwillige Mitgliedschaft ersetzt werden. Dies entlastet die kleinen und mittelständischen Betriebe und führt zu einer gewünschten Zunahme des Wettbewerbs der einzelnen Kammern um neue Mitglieder und damit zu einer Modernisierung der heute vielfach verkrusteten Kammerstrukturen und zu deren Entwicklung hin zu modernen Dienstleistungsinstitutionen.

Es ist doch unbestritten, dass die IHKs - dies trifft im beschränkten Maße auch auf die Handwerkskammern zu - heutzutage weniger denn je Interessenvertretungen für ihre Mitglieder sind. Sie entwickeln sich immer mehr zu Unternehmen mit eigenen wirtschaftlichen Interessen. Dies führt dazu, dass die Industrie- und Handelskammern zu einem Konkurrenten für ihre Mitglieder werden, deren Anliegen sie eigentlich wahrnehmen sollten. So erweist sich die mächtige IHK mit ihren verstärkten Aktivitäten auf dem Gebiet von EDV-Schulungen und Weiterbildungsmaßnahmen als ernsthafte Konkurrenz für Unternehmen, die in genau diesen Segmenten tätig sind.

Die Front der Gegner einer Pflichtmitgliedschaft in den Kammern wird immer größer. Bei einer im letzten Jahr durchgeführten bundesweiten Umfrage unter mittelständischen Unternehmen sprachen sich sage und schreibe 93 % für eine Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft aus. Darunter befindet sich unter anderem der Bund der Selbständigen - Deutscher Gewerbeverband. Er vereinigt bundesweit 80 000 Unternehmen mit 1,5 Millionen beschäftigten Mitarbeitern und spricht sich heute ganz klar und deutlich gegen die Pflichtmitgliedschaft bei den Kammern aus.

Dies gilt auch für andere Verbände wie den Berufsverband Selbständiger in der Informatik e. V. oder die Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer, ASU, deren Bundesvorsitzender Thomas Selter angesichts der extremen Unterschiede von bis zu 400 % bei den IHK-Pflichtabgaben zwischen den einzelnen Kammern kürzlich erklärte:

„Die Kammern sind zum Teil verstaubte Institutionen, die Ineffizienz zeigen.“

Es verwundert mich auch nicht, dass es seit 1995 einen Verband der IHK-Verweigerer mit Sitz in Dortmund gibt, der bundesweit inzwischen sogar ca. 350 000 kleine und mittelständische Betriebe zu seinen Mitgliedern bzw. Anhängern zählt.

Die DVU-Fraktion hat sich von Anfang an für die Interessen der kleinen und mittelständischen Unternehmen in Brandenburg eingesetzt. Wir fordern heute, dass das überholte Relikt der Zwangsmitgliedschaften abgeschafft wird, und wir hoffen auf Ihre Unterstützung. - Zunächst bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Meine Damen und Herren, ich begrüße jetzt Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse der Realschule Cottbus-Kahren und heiße sie ganz herzlich willkommen.

(Allgemeiner Beifall)

Wir fahren mit der Aussprache fort. Für die Koalitionsfraktionen spricht der Abgeordnete Karney.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion der DVU wird von den Koalitionsfraktionen natürlich abgelehnt. Die DVU hat mal wieder den untauglichen Versuch unternommen, einem ausschließlich auf populistische Wirkung zielenden Antrag das Deckmäntelchen von begründeter Sachlichkeit umzuhängen.

(Widerspruch bei der DVU)

Dieser Antrag war auch deshalb von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil er nicht - wie in diesem hohen Haus in aller Regel üblich - auf recherchierten und politisch bewehrten Fakten beruht, sondern der einfachen Denkweise folgt, dass allein Kostenreduzierung die Existenz eines Unternehmers bzw. eines Unternehmens sichert.

So betrachtet, meine Damen und Herren von der DVU, reiht sich Ihr Antrag nahtlos in die Reihe Ihrer unsinnigen Vorhaben ein, fällt also nicht weiter aus dem Rahmen. Bertolt Brecht hatte Recht: Der größte Feind des Menschen ist die Dummheit.

Zu den Fakten. Beiträge der Kammern sind keine Zwangs-, sondern Pflichtbeiträge. Der Unterschied liegt nicht nur im gewählten Terminus, sondern auch in der Sache.

Die vom Gesetzgeber gewählte Form der Pflichtmitgliedschaft bringt Vorteile für alle am Wirtschaftsleben Beteiligten. Die Unternehmen - hier die GmbHs - zahlen ca. 650 Euro pro Jahr, ein Einzelunternehmer ca. 165 Euro pro Jahr. Diese Beiträge verschlechtern die wirtschaftliche Situation eines Handwerkers oder eines kleinen Dienstleisters nachweislich nicht.

Auf der anderen Seite benötigen die Kammern diese Gelder, um die vom Gesetzgeber - Frau Hesselbarth, vom Gesetzgeber! - übertragenen Aufgaben im Sinne der Handel- und Gewerbetreibenden zu erfüllen.

(Zuruf der Abgeordneten Hesselbarth [DVU])

- Sie kennen keine Kammer von innen; das weiß ich.

Neben notwendigen administrativen Aufgaben, die von allen Kammern mit dem geringstmöglichen Aufwand und Kosteneinsatz ausgeführt werden, gibt es eine Vielzahl von Dienstleistungen. Von daher ist Ihr Hinweis, die Kammern müssten sich zu modernen Dienstleistungsinstitutionen entwickeln, mehr als entbehrlich.

Die Kammern bieten für den oben genannten Beitrag umfassende Rechtsberatung, schicken eigens geschulte Betriebsberater in die Unternehmen, organisieren bei Zahlungsproblemen einen so genannten runden Tisch mit allen Beteiligten, haben zusammen mit der Innungskrankenkasse Berlin-Brandenburg Arbeitskreise der Unternehmerfrauen gegründet und bieten hier über die Versorgungswerke - zum Beispiel mit der SignalIduna-Versicherungsgruppe Deutschland - erheblich vergünstigte Tarife und vieles mehr. Des Weiteren bieten die Kammern Foren im In- und Ausland mit ausländischen Unternehmen, um grenzüberschreitende Kooperationen zu ermöglichen und diese dann auch zu begleiten.

Dieses ganze Bündel von flankierenden, die Wirtschaftskraft steigernden und wieder herstellenden Maßnahmen können sich kleine Unternehmer aus eigener Kraft kaum leisten. Dass diese Leistungen für den Beitrag der Pflichtmitgliedschaft auf dem freien Markt nicht einzukaufen sind, müsste selbst Ihnen klar sein.

Darüber hinaus bieten die Kammern Berufs- und überbetriebliche Ausbildung, sind verantwortlich für die Fortbildung, für die Meisterausbildung - hier die Meisterkurse im Handwerk -, Gutachten durch bestellte Sachverständige und nicht zuletzt die politische und gesellschaftliche Interessenvertretung.

Schließlich, Frau Hesselbarth, wollen Sie mit Ihrem Antrag die handwerkspolitische Selbstverwaltung in Deutschland zerschlagen. Das nehme ich Ihnen persönlich ganz besonders übel, wie Sie sich vorstellen können.

(Frau Hesselbarth [DVU]: Dann müssten Sie die Vorlage einmal richtig lesen!)

Vielleicht, meine Damen und Herren von der DVU, beherzigen Sie vor Ihrer nächsten Antragstellung folgende Erkenntnis, auch wenn die Schlussfolgerung für Ihre Fraktion wahrscheinlich zu intellektuell ist: Wenn du geschwiegen hättest, wärst du ein Philosoph geblieben. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Für die Fraktion der PDS spricht der Abgeordnete Christoffers. Bitte, Herr Christoffers.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann es kurz machen und an die Worte meines Vorredners anknüpfen. Ergänzend möchte ich - erstens - hinzufügen, dass letztes Jahr eine Reform des Handwerksrechts durchgeführt worden ist, um eine Konformität des Handwerksrechts mit EU-rechtlichen Normen tatsächlich herzustellen.

Zweitens: Der Fraktion der PDS ist es genauso wie allen anderen Abgeordneten in diesem Haus bekannt, dass es in der Wirtschaft Diskussionen über die Ausrichtung und die inhaltliche Gestaltung von Handwerkskammern und IHKs gibt. Das ist Sache der Kammern selbst, ihr Qualitätsangebot in Absprache mit ihren angehörigen Unternehmen weiter zu verbessern.

Drittens - neben allen inhaltlichen Gründen, ihren Antrag zurückzuweisen -: Mit der Gründung eines rechtsextremen Wahlbündnisses für 2006 und 2009 haben Sie sich von der Tätigkeit demokratischer Parteien endgültig verabschiedet.

(Beifall bei PDS und SPD sowie vereinzelt bei der CDU)

Es geht Ihnen nicht um eine Vertretung der Interessen

(Widerspruch bei der DVU)

des Bundes der Selbständigen und anderer Institutionen, die Sie aufgeführt haben. Selbstverständlich sprechen alle Fraktionen dieses Hauses mit den Verbänden. Ich glaube, die würden

sich herzlich bedanken, ausgerechnet von Ihnen zur Begründung Ihres Antrages instrumentalisiert zu werden.

Ich kann nur sagen, meine Damen und Herren: Es geht nicht mehr nur um eine Auseinandersetzung über einen Antrag, sondern es geht darum, dass demokratische Parteien in diesem Hause verhindern, dass ein rechtsextremes Wahlbündnis 2006 und 2009 in irgendeiner Art und Weise als Interessenvertretung außerhalb dieses Hauses wahrgenommen wird. - Danke sehr.

(Beifall bei PDS und SPD)

Die Landesregierung hat Redeverzicht angezeigt. Wir kommen damit zum abschließenden Beitrag der DVU-Fraktion in dieser Aussprache. Es spricht die Abgeordnete Hesselbarth.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Karney, die Geschichte mit Brecht gebe ich gern zurück: Ein Philosoph wollte ich noch nie in meinem Leben werden und werde ich mit Sicherheit auch nicht werden.

(Bochow [SPD]: Das glauben wir!)

Herr Christoffers, ich finde es sehr bedenklich, wenn Mitglieder Ihrer Fraktion zum Beispiel mit der DKP zusammenarbeiten. Darüber sollten Sie auch einmal nachdenken.

(Beifall bei der DVU)

Ansonsten, meine Damen und Herren, sind die Begehrlichkeiten der deutschen Industrie- und Handelskammern grenzenlos. So fordert der Deutsche Industrie- und Handelskammertag als Dachorganisation der IHKs im Zuge der Umsetzung des sozialen Kahlschlagprogramms namens Hartz IV, dass die so genannten 1-Euro-Jobs auch in den Unternehmen eingeführt werden. Sehen diese Verbandsvertreter ihre Aufgabe eigentlich nur noch darin, ihren Mitgliedsfirmen Arbeitskräfte möglichst zum Nulltarif zu beschaffen? Ist nur noch der Mitarbeiter ein gern gesehener, der am besten gar keinen Lohn mehr nimmt?

In seiner Maßlosigkeit hat der DIHT offenbar jeden Bezug zur Realität verloren. Dabei würden auf Dauer unter der Umsetzung solcher Forderungen nicht nur die Arbeitnehmer, sondern auch die Unternehmen leiden. Denn der Bäcker, der Heizungsbauer, der Maler muss anders als ein produzierender Betrieb der Großindustrie in der Region leben, in der er arbeitet. Das dürfte bekannt sein, Herr Karney. Damit kann ihnen weder daran gelegen sein, dass sie ihre Dienstleistungen quasi für einen Apfel und ein Ei anbieten müssen, noch daran, dass diese Menschen nichts verdienen. Denn aus genau diesem Geld speisen sich ihre Aufträge.

Die Forderung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages gibt auch einen Einblick in die internen Machtverhältnisse der Kammerorganisationen bundesweit.

(Unruhe im Saal - Glocke des Präsidenten)

Die vielen kleinen zwangsweise in den IHKs vertretenen Händler und Dienstleister können unmöglich ein Interesse an

Lohndumping und der Verdrängung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze haben.