Protocol of the Session on January 19, 2005

Wir haben und werden genug Probleme haben, die wir nur schwer oder gar nicht lösen können. Umso dringender ist es, die lösbaren Fragen wirklich anzugehen. Die Bereitschaft in Deutschland und Europa, zu spenden und zu teilen ist größer, als wir alle noch vor wenigen Wochen gedacht haben. Deshalb

werden wir unsere Erinnerung und unser Gedenken an drei Adressaten zu richten haben. Vor Gott wird der Ermordeten, der Gefallenen, der Gestorbenen, der Opfer gedacht. Es ist eine zeitzeugenärmere Zeit, in der wir heute leben und in die wir gehen. Umso dringender werden das Gedenken und die Erinnerung. Darum ist es so wichtig, dass auch die verschiedenen Gedenkveranstaltungen der kommenden Wochen und Monate mehr sind als nur ritualisierte Feierlichkeiten, ob in Sachsenhausen oder Ravensbrück, auf den Seelower Höhen oder in Halbe oder überall sonst auch, wo wir der Ereignisse von 1945 gedenken werden.

Ich weiß, es ist eine schwere Aufgabe, aber es muss, nein, es kann auch nach 60 Jahren gelingen, den heute Lebenden das Geschehene und Vergangene in seiner historischen Vielschichtigkeit begreiflich und erlebbar zu machen.

Ein Beispiel dafür: „Opa war in Ordnung“, so schreiben es die Rechtsextremisten auf ihre Plakate, mit denen sie in Halbe oder anderswo die Kriegsverbrechen der Wehrmacht infrage stellen. Tatsächlich kann es durchaus sein, dass der konkrete, individuelle, einzelne Opa als Soldat der Wehrmacht in Ordnung war, ein Christ vielleicht, ein Pazifist, ein Sozialdemokrat oder ein Kommunist, der gegen seinen Willen zum Kriegsdienst gezwungen wurde, oder ganz einfach ein anständiger Mensch. Dieser Opa war dann als junger Mann tatsächlich in Ordnung, aber andere waren es eben nicht. Erst recht war die verbrecherische Sache nicht in Ordnung, für die alle zusammen in den Krieg geschickt wurden und gegangen sind. Auf die Fähigkeit zu genau diesen Unterscheidungen kommt es an. Genau sie müssen wir fördern und unterstützen, wo immer wir können, bei Erwachsenen und erst recht bei den Kindern.

(Beifall bei SPD und PDS)

Zweitens haben wir uns zu erinnern, die, die wir gelernt haben, was uns fehlt durch den Weltkrieg und seine Opfer.

Drittens erinnern wir unsere Kinder, machen sie sprachmächtig; denn die Erinnerung und das Gedenken sollen und können sie mit uns gemeinsam erlernen, damit die Flamme der Scham, der Trauer und des Gedenkens in diesem neuen Jahrhundert in ihnen weiterbrennt. Wenn wir da versagen, dann wird es dunkler, dann werden wieder Fehler gemacht, wieder Irrwege begangen. Nur wer gedenken kann, lernt auch denken. Wer nicht gedenken kann, verlernt auch das Denken.

(Einzelbeifall bei der PDS)

Cognosco te ipse, sich selbst zu erkennen heißt eben, sich zu erinnern. Ich wünsche uns allen ein erinnerungen- und gedenkenreiches Jahr. Nur dann kann es ein gutes und erfolgreiches Jahr 2005 werden. - Vielen Dank.

(Beifall bei SPD, CDU und PDS)

Meine Damen und Herren, wir beenden damit die Aktuelle Stunde und treten in eine Mittagspause ein, die um 13 Uhr endet.

(Unterbrechung der Sitzung: 12.01 Uhr)

(Fortsetzung der Sitzung: 13.04 Uhr)

Meine Damen und Herren! Liebe Abgeordnete! Trotz des verständlichen Wunsches nach einer ausgiebigen Mittagspause sollten wir jetzt fortsetzen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:

Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes

Gesetzentwurf der Fraktion der SPD der Fraktion der CDU

Drucksache 4/189

2. Lesung

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie

Drucksache 4/395

Die Beschlussempfehlung geht dahin, den vorliegenden Gesetzentwurf anzunehmen, damit das für die spätere Abstimmung klar ist.

Ich eröffne die Aussprache mit dem Redebeitrag der Abgeordneten Kaiser-Nicht von der PDS-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz klarer Ablehnung des vorliegenden Gesetzentwurfs durch kommunale Spitzenverbände wie auch durch die Wohlfahrtsverbände will die Koalition an dem von ihr eingebrachten Gesetzentwurf festhalten. An solche Verfahren mussten wir uns mittlerweile schon gewöhnen - leider, möchte ich sagen. Auch wenn weder Sachverständige noch Betroffene ein gutes Haar an einem Vorhaben der Regierung oder Koalition lassen, wird es durchgezogen. Ich erinnere an das Schulgesetz.

Was aber die Sache in diesem Fall noch verschlimmert: Die Koalition nimmt gegenüber den Kommunen im Gesetzgebungsverfahren weitere Einschnitte vor und bricht ihre Zusagen. So war im Gesetzentwurf ursprünglich vorgesehen, dass das Land den Kommunen einen finanziellen Ausgleich für Mehrbelastungen in Höhe von 9,3 Millionen Euro jährlich gewährt. Diese an sich schon unzureichende Summe ist nun von der Koalition gänzlich gestrichen worden, und zwar deshalb, weil sich „die Haushaltslage des Landes noch wesentlich dramatischer darstellt als bisher eingeschätzt.“ - So war die Begründung im Ausschuss.

Das ist ja nun eine Begründung für alle Wechselfälle des Lebens. Sie könnte von den Kommunen mit gleichem Recht für ihre Situation vorgebracht werden. Heute lesen wir nun, dass das 610-Stellen-Programm doch gekürzt wird, die Kommunen gegensteuern sollen. Wo soll das noch hingehen?

Ich darf daran erinnern, dass meine Fraktion noch vor wenigen Wochen eine differenzierte Darstellung der Finanzsituation des

Landes verlangte - Stichwort Kassensturz. Sie haben damals abgewinkt. Jetzt kommen Sie mit einer derart plumpen Ausrede, um den Kommunen erneut Mittel vorzuhalten. Das ist für uns nicht akzeptabel.

Zu den Detailregelungen des Gesetzes debattierten wir in der 1. Lesung. Nur eine grundsätzliche Frage möchte ich noch einmal herausheben. Die PDS vertritt nicht erst seit gestern, sondern schon seit der letzten, der vorletzten und der vorvorletzten Novellierung des AG BSHG den Standpunkt, dass es einer grundsätzlichen Neuordnung der sachlichen und finanziellen Zuständigkeit zwischen Land und Kreisen im Sozialhilferecht bedarf. Mit Herrn Domres, der das damals immer wieder begründete, stimme ich völlig überein, dass die bestehende Situation für die Betroffenen unbefriedigend ist, besonders im Hinblick auf fehlende ambulante Angebote. Außerdem ist sie teuer.

Frau Lehmann, Sie haben uns in der Debatte dazu freundlich vertrösten wollen mit dem Hinweis, irgendwann, in zwei Jahren vielleicht, würden wir das gelöst haben und jetzt werde eben nur die absolut notwendige technische Gesetzesanpassung an die neue Rechtslage im Bundesrecht vorgenommen. Im Grunde genommen hat die Landesregierung seit Jahren also nicht gehandelt, wo hätte gehandelt werden müssen, auch im Interesse der eigenen Finanzlage und der der Kommunen.

Im Übrigen haben auch die kommunalen Spitzenverbände richtigerweise darauf verwiesen, dass jetzt die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung vorliegen und selbige eben in zwei Jahren nicht mehr aktuell sind. Auch deshalb wäre kurzfristig mehr geboten, als jetzt getan wird.

Kurzum, sehr geehrte Frau Lehmann, gerade weil ich Ihre Kompetenz und Ihr Engagement auf diesem Gebiet schätze: Hier sollten Sie Ihrer Landesregierung vielleicht etwas mehr Feuer machen. Der betonte Reformeifer der großen Koalition könnte sich gerade hier entfalten, tut er aber nicht. Wie so oft zielt man an der falschen Stelle und in die falsche Richtung. In Bezug auf die ambulante Versorgung Hilfe- und Pflegebedürftiger im Land wurde in der öffentlichen Anhörung am 5. Januar 2005 jedenfalls festgestellt: absolut unzureichend.

Für den Fall, dass der vorliegende Gesetzentwurf beschlossen werden sollte, wurden seitens der Spitzenverbände bereits Klagen angekündigt. Das Protokoll liegt vor. Sie alle hier im Haus können das nachlesen. Nicht nur unser Fachausschuss wird sich damit also noch zu befassen haben.

Die PDS-Fraktion lehnt die Beschlussempfehlung und damit auch den Gesetzentwurf ab. - Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke der Abgeordneten Kaiser-Nicht. - Wir setzen mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort. Es spricht die Abgeordnete Lehmann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Koalition wird den vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des

Bundessozialhilfegesetzes natürlich nicht zurückziehen, wie von der PDS-Fraktion vor wenigen Tagen erst gefordert. Dazu gibt es keinen Grund und dazu besteht auch keine Veranlassung. Selbst der Landkreistag hat in der Anhörung zum Gesetzentwurf eine zügige Beschlussfassung begrüßt, damit die notwendigen Rechtsgrundlagen für die Ausführung des SGB XII in Brandenburg vorliegen. Denn das BSHG ist in seinen wesentlichen Teilen zum 31.12.2004 aufgehoben und mit Wirkung vom 1. Januar 2005 in das Sozialgesetzbuch eingeordnet worden.

Neu ist nunmehr, dass das SGB XII nicht mehr von der bisherigen Zuständigkeitssystematik „ambulant vor stationär“ ausgeht, sondern die sachliche Zuständigkeit definiert. So sieht der § 97 Abs. 1 vor, dass zunächst grundsätzlich der örtliche Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig ist. Absatz 2 hingegen regelt, dass die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers nach Landesrecht bestimmt wird. Dabei soll für im Gesetz vorgegebene Leistungen eine einheitliche Zuständigkeit angestrebt werden, das heißt sowohl für den ambulanten als auch für den stationären Bereich.

Gibt es keine landesrechtliche Bestimmung der Zuständigkeit des überörtlichen Trägers, so ist dieser per Bundesgesetz für die ambulanten und stationären Leistungen, die Eingliederungshilfe, die Hilfe zur Pflege, die Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und für die Blindenhilfe sachlich zuständig. Diese Bestimmung tritt jedoch erst zum 01.01.2007 in Kraft, sodass auch nach Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB XII bis zum 31.12.2006 § 100 Abs. 1 BSHG für die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers gilt. Diese Zeit hat der Bundesgesetzgeber den Ländern ausdrücklich eingeräumt, die wir dringend benötigen und für eine umfangreiche Diskussion nutzen müssen, um Grundlagen und Voraussetzungen für eine Reform in der Sozialhilfe für Menschen mit Behinderungen zu schaffen.

Im Vergleich mit anderen Bundesländern ist festzustellen, dass die Fallzahlen und die Kosten für die stationären Hilfen in Brandenburg auf vergleichsweise hohem Niveau liegen. Ziel der Reform kann nur sein, bei einem kostenbewussten Umgang mit den zur Verfügung stehenden Finanzmitteln die Lebensqualität unserer behinderten Menschen, sprich: die Teilhabe behinderter Menschen am Leben, weiter zu erhöhen. Das ist kein Widerspruch, sondern eine spannende und lohnende Herausforderung für die Landespolitik. Die Zusammenführung von Finanz- und Sachverordnung, eine strukturelle Neuorientierung unserer Angebotsstrukturen, eine output-orientierte Veränderung in der Hilfesteuerung und nicht zuletzt die Hilfebedarfsbestimmung im Einzelfall werden uns in den nächsten Monaten beschäftigen. Die durch das Fachministerium in Auftrag gegebenen Projektstudien werden uns hierbei - davon gehe ich aus wichtige Hinweise und Impulse geben können. Sie sind keineswegs vertane Zeit oder gar verschwendete Steuergelder.

Die Reform steht uns also noch bevor. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erfolgt im Wesentlichen eine notwendige redaktionelle Anpassung des bisherigen AG BSHG an die ab dem 01.01.2005 geänderte Gesetzeslage. Mit Ablauf des 31.12.2006 tritt dieses Gesetz außer Kraft; bis dahin ist die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers per Landesrecht zu bestimmen.

Bei der Kostenerstattung gehen wir von den tatsächlichen Aufwendungen aus und ermöglichen eine zeitnahe Kostenerstat

tung. In der Fraktion, aber auch in der Koalition haben wir uns lange damit auseinander gesetzt, wie wir mit den Zuweisungen des Landes an die örtlichen Träger der Sozialhilfe für deren Mehraufwendungen im Bereich der stationär erbrachten Grundsicherung umgehen. In den letzten zwei Jahren erfolgten diese Zuweisungen des Landes an die Kommunen auf freiwilliger Basis. An der sachlichen Zuständigkeit der Landkreise und kreisfreien Städte hat sich auch mit In-Kraft-Treten des SGB XII nichts geändert. In der Fraktion und in der Koalition sind wir letztlich zu der Auffassung gelangt, dass es unredlich wäre, bereits im Vorgriff auf den Landeshaushalt 2005/2006 solch eine ehemals freiwillige Zuweisung auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Zudem dürfte es wohl auch den anderen Ressorts gegenüber unfair sein; denn auch dort sind Zuweisungen an die Landkreise und kreisfreien Städte veranschlagt, die in die Diskussion zum Landeshaushalt 2005/2006 einfließen müssen und werden.

Wir bitten Sie, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen. - Danke.

(Beifall bei der SPD)

Ich danke allen Abgeordneten für ihre Toleranz und Langmut und appelliere an die Kunst des Kürzens.

Während der Abgeordnete Nonninger ans Rednerpult tritt, begrüße ich unsere nächste Besuchergruppe aus dem FriedrichStoy-Gymnasium in Falkenberg. Ich wünsche euch einen erlebnisreichen Nachmittag mit vielen Informationen, einiger Aufklärung und vielleicht auch Unterhaltung bei diesem spannenden Thema.

(Allgemeiner Beifall)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens in unserem Land stehen auch über diesem Gesetzentwurf die dunklen Hartz-IV-Wolken. Die Fraktion der DVU als erklärter Gegner der neuen Sozialgesetzgebung versuchte dennoch, ein paar Sonnenstrahlen oder zumindest Aufhellungen zu entdecken. Wir wollen und können uns jedoch aufgrund der bundesrechtlichen Situation der Realität nicht völlig verschließen.