Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! „Opferschutz vor Täterschutz“ - das ist eine sehr plakative Überschrift für die heutige Aktuelle Stunde. Herr Kollege von Arnim, ich schätze Sie als sehr besonnenen, vernünftig denkenden und handelnden Menschen. Deswegen hätte ich mir schon gewünscht, dass Sie sich mit dieser Überschrift etwas mehr auseinandergesetzt hätten. Täterschutz - so etwas kennen wir im deutschen Recht nicht. Das ist unserer Rechtsordnung, un
serem Selbstverständnis fremd. Der Straftäter wird verfolgt, angeklagt, verurteilt und seiner Strafe zugeführt.
Natürlich hat der Täter in Deutschland Rechte. Das ist eine Selbstverständlichkeit, die sich über Jahrhunderte entwickelt hat. Auch der Täter genießt als Mensch den Schutz des Staates, wie jeder andere Mensch das Recht auf Achtung seiner Menschenwürde hat. Das ist selbstverständlich. Deswegen finde ich es bedauerlich, dass gerade die Partei, die sich doch auf die christlich-humanistische Tradition unseres Landes am meisten berufen sollte - sie trägt das „C“ im Namen -, diesen Grundsatz durch die Wahl der Überschrift ein bisschen infrage gestellt hat.
Aber auch der zweite Teil der Überschrift scheint mir an der Sache vorbeizugehen: „Möglichkeiten und Grenzen der nachträglichen Sicherheitsverwahrung“. Wir haben einen aktuellen Anlass. Es ist in der Tat so, dass zukünftig auch bei Jugendlichen und Heranwachsenden, die nach Jugendstrafrecht verurteilt werden, in seltenen Ausnahmefällen eine nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann. Die Zahl dieser Fälle wird in Deutschland - nach allem, was wir wissen - eine Handvoll im Jahr nicht überschreiten; schon die Zahl der Jugendlichen und Heranwachsenden, die zu Freiheitsstrafen über fünf Jahren verurteilt werden, liegt in Gesamtdeutschland gegenwärtig zwischen 70 und 80 im Jahr. Von denen wiederum kommen nur sehr wenige überhaupt für die Verhängung einer derartigen Maßnahme in Betracht. Im Land Brandenburg wird das mit Sicherheit nur einmal in mehreren Jahren vorkommen. Deswegen ist es weder sinnvoll noch zielführend, dies zum zentralen Thema zu machen, wenn wir über den Opferschutz debattieren.
Herr Kollege Sarrach hat zur Sicherungsverwahrung sehr viel gesagt; ich brauche mich dem jetzt nicht diskutierend anzuschließen. Die Erfolge bzw. Misserfolge und die verfassungsrechtlichen Probleme der Sicherungsverwahrung sind ein anderes Thema.
Wichtig aber ist, dass Sie das Thema Opferschutz hier einmal zum Gegenstand einer Aktuellen Stunde gemacht haben. Ein besserer Anlass wäre doch gewesen, dass wir gerade - unter reger Anteilnahme vieler wichtiger Persönlichkeiten, unter anderem des Landtagspräsidenten und des Ministerpräsidenten 15 Jahre „Weißer Ring“ im Land Brandenburg gefeiert haben.
Der „Weiße Ring“ repräsentiert wie kaum eine andere Organisation das gesamte Spektrum der Problematik des Opferschutzes. Damit sollten wir uns heute auch schwerpunktmäßig befassen.
In der Tat ist der Schutz des Opfers einer Straftat eine zentrale Aufgabe des Staates. Opfer einer Straftat - zumal einer Gewaltstraftat - zu werden bedeutet für das Opfer eine unvorstellbare Erniedrigung; die Menschenwürde des Opfers wird in unvorstellbarer Weise missachtet. Der Staat, der zuallererst - Artikel 1 Grundgesetz - die Verpflichtung hat, diese Würde zu schützen, muss alles tun, einem Opfer zu helfen. Er muss natürlich auch alles tun - dazu komme ich gleich noch -, um zu verhindern, dass jemand überhaupt Opfer wird.
Das Opfer einer Straftat bedarf des besonderen Schutzes des Staates. Damit ist die Forderung verbunden, dass das Opfer im Strafverfahren nicht, wie es leider immer noch vorkommt, zu einem Objekt degradiert wird, das heißt, nur als Beweismittel, als Zeuge dient. Das Opfer muss im Zentrum des Strafverfahrens stehen. So weit würde ich schon gehen. Denn die Ahndung der Tat, die wir dem Täter angedeihen lassen wollen, ist nur verständlich aus der Tatsache, dass es ein Opfer gibt; ohne Opfer gibt es auch keine Straftat. Das Opfer hat deswegen darauf Anspruch - und muss mehr Anspruch als bisher haben -, dass seine Rolle gewürdigt wird. Herr Kollege Sarrach hat es angesprochen: Die Unterstützung im Verfahren ist zentral. Ebenso zentral sind die Beratung über die Rechte des Opfers und die psychologische Betreuung.
Jeder Mensch, der Opfer einer Tat wird, muss die Chance haben - unterstützt vom Staat mit allem, was ihm zur Verfügung steht -, wieder ein normales Leben, ein Leben frei von Angst zu führen. Die Angst, die ein Opfer erleidet, ist die größte Beschränkung - nicht nur der Menschenwürde, sondern auch der Freiheit. Wer sich nicht mehr auf die Straße traut - weil er Opfer war oder auch nur, weil er Angst vor Straftaten hat -, der ist unfrei. Dies unter allen Umständen zu vermeiden ist auch Aufgabe staatlichen Handelns. Jeder Mensch soll sich zu jeder Zeit überall in diesem Lande gefahrlos und angstfrei auf der Straße bewegen können. Auch das ist ein Aspekt des Opferschutzes.
Die wichtigste Gruppe aber, wenn ich an Opferschutz denke, sind die Kinder; heute sind Schüler anwesend. Kinder als Opfer einer Straftat - das ist ein ganz besonderes Problem. Es wird zu einem existenziellen Problem für den Staat, wenn Kinder Straftaten in der Familie erleben, insbesondere wenn Gewalt permanent Teil des Lebens in der Familie ist. Kinderschutz ist, für mich jedenfalls, der wichtigste Opferschutz. Diejenigen, die als Kind Opfer werden, sind nicht nur Opfer in dieser Zeit, sondern werden später wesentlich häufiger als andere zu Tätern und schaffen wiederum Opfer. Kinderschutz in frühester Kindheit, insbesondere Schutz vor Gewalt, ist deswegen eine sehr wichtige Aufgabe des Staates, wenn es darum geht, Opfer zu vermeiden. Dazu gehört eine vernünftige, sehr früh ansetzende Bildung und Erziehung. Wenn es nötig ist, bedarf es auch des staatlichen Eingriffs in Strukturen, die Kinder zu Opfern werden lassen. Gegebenenfalls sind die Kinder aus den Familien herauszunehmen. Auch das ist Teil des Opferschutzes.
Wir wollen und müssen verhindern, dass es überhaupt Opfer gibt. Wenn es gelingt, Kindern klarzumachen, dass gewaltfreies Leben das Entscheidende in der Welt ist und dass man Konflikte auf andere Weise löst als durch Aufeinander-Einschlagen, dann haben wir schon viel gewonnen. Die Kriminalität wird zwar nicht aus der Welt sein, aber eine niedrigere Stufe von Kriminalität wird möglich werden. Das ist schon einmal ganz wesentlich.
Natürlich müssen wir darauf achten, dass diejenigen, die später, wenn sie älter sind - trotz aller Bemühungen im Kindesalter -, zu Straftätern werden, wenigstens nicht rückfällig werden. Deswegen - der Kollege Sarrach hat es angesprochen -: Resozialisierung ist auch Opferschutz. Das ist nicht etwas, was wir dem Täter antun, weil es so schön ist, für den Täter etwas zu tun, sondern es ist für mich Opferschutz, Schutz der Allgemeinheit vor Straftaten. Wir müssen uns darum kümmern, dass jeder Straftäter, der aus der Haft entlassen wird - und das ist nun einmal der Regelfall in einem Rechtsstaat, in einem huma
nistisch-christlich geprägten Staat -, noch einmal eine Chance erhält. Wir müssen dafür sorgen, dass er diese Chance auch umsetzen kann. Deswegen - der Kollege Sarrach hat es angesprochen - müssen wir auch überlegen, wie wir den Übergang von der Haft in die Freiheit besser regeln können. Das Stichwort heißt Resozialisierungsgesetz, über das wir in der Tat nicht nur reden wollen, sondern von dem ich mir wünsche, dass es eines Tages, sehr sorgfältig vorbereitet, in diesem Land Gesetz wird. Das ist eine der Voraussetzungen dafür. Da gibt es noch eine ganze Menge zu tun.
Opferschutz ist also eine sehr vielfältige Thematik, und ich freue mich, dass wir heute Gelegenheit haben, einige wenige Aspekte davon anzusprechen. Die Opfer von Straftaten haben es verdient, dass wir uns mehr um sie kümmern und dass sie Mittelpunkt des Handelns werden, wenn etwas schiefgegangen ist. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Opferschutz geht vor Täterschutz. Dieses der Aktuellen Stunde vorangestellte Motto stößt bei meiner Fraktion auf offene Ohren. Längst überfällig wurde nunmehr durch den Bundesrat die wichtige Regelung zur nachträglichen Sicherungsverwahrung im Anwendungsbereich des JGG beschlossen.
Wie Sie wissen, verehrte Kollegen, haben wir als DVU-Fraktion in den letzten Jahren gerade zur Stärkung der Spezialprävention mehrere Anträge zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes gestellt. So zielt unsere Bundesratsinitiative mit der Drucksache 4/2886 auf eine Reformierung des Jugendrechts gerade unter dem Aspekt des Schutzes der Allgemeinheit vor gefährlichen Jugendlichen und Heranwachsenden ab. Auch den Kollegen von der CDU haben wir in diesem Hause immer wieder gerade das Paradoxon vor Augen geführt, dass nach dem geltenden JGG 18-Jährige, die sowohl das Wahlrecht als auch volle zivilrechtliche Geschäftsfähigkeit haben und die voll schuldfähig sind, prozessual einem 14-jährigen Täter gleichgestellt werden, obwohl ihre Gefährlichkeit feststeht. Ausdrücklich im Sinne der Anpassung des Jugendstrafrechts an die Realität der zunehmenden Verrohung und Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen und heranwachsenden Delinquenten haben wir in diesem Landtag mit der Drucksache 3/7633 eine umfassende JGG-Reform eingebracht, die in Anlehnung an namhafte Strafrechtsexperten eine angemessene Ausweitung der Sanktionen des JGG enthielt. Dazu gehört natürlich auch die Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung.
Angesichts dieser Fülle von Initiativen zugunsten des Opferschutzes überrascht mich nun der vorliegende Antrag zur Aktuellen Stunde der CDU schon einigermaßen. Denn zu all den vorgenannten Initiativen kam von dieser Seite bisher nichts oder, wenn überhaupt, billige Polemik. Schließlich haben Sie, Herr Kollege Werner, zu unserer letzten Initiative zum JGG wörtlich gesagt:
„Vielmehr ist mit dem Begriff des Jugendlichen der noch ungefestigt in der Entwicklung stehende, auch noch prägbare Mensch zu verstehen, bei dem entwicklungskräftige Größen wirksam werden.“
„Die Errungenschaften des Jugendgerichtsgesetzes, vorrangig dem Erziehungsgedanken Rechnung zu tragen, ist zu wertvoll, um es Ihnen als Scharfmacher auszuliefern.“
Mit dieser billigen Polemik haben Sie in der Sache den spezialpräventiven Gedanken aus dem Jugendstrafrecht komplett ausgeklammert. Daher ist es nicht glaubwürdig, wenn Sie heute hier auf eine prozessuale Lücke bei schuldfähigen, gleichwohl aber gefährlichen Verurteilten sprechen und postulieren, hier müsse zum Schutz der Allgemeinheit notwendigerweise der Opferschutz den Vorrang erhalten.
Meine Damen und Herren von der CDU, Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie wollen. Opferschutz vor Täterschutz, dann wäre der Antrag in dieser Aktuellen Stunde mehr als ehrlich. Wäre dem aber so, hätten Sie allerdings unseren Anträgen konsequent zustimmen müssen. Das haben Sie aber nicht getan, sondern Sie haben eher dagegen polemisiert. Oder Sie bleiben weiterhin der Schwanz vom roten Hund, dem angesichts zunehmender Greueltaten sogenannter Antifagruppen allerdings an allem anderen als an einer Verschärfung des Jugendstrafrechts gelegen ist. Insgesamt haben Sie in der Vergangenheit bei der Fortentwicklung des Jugendstrafrechts eine schwache Rolle gespielt. Daran ändert auch der vorliegende, zu Ihrem gesamten Verhalten widersprüchliche Antrag heute nichts.
Wir als DVU-Fraktion werden uns indes auch zukünftig konsequent für den Opferschutz und den Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Verbrechern einsetzen.
Ich hoffe, meine Damen und Herren von der CDU, dass Sie bis dahin auch einmal Ihr Profil überarbeiten. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort erhält Ministerin Blechinger. - Während sie zum Pult geht, begrüße ich ganz herzlich ausländische Bürgerinnen und Bürger, die an der Volkshochschule Potsdam Deutsch gelernt haben. Herzlich willkommen!
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Selten fühlt man sich als Politiker so zwischen allen Stühlen wie beim Thema Sicherungsverwahrung für Straftäter. Es geht
hier um schwerste Straftaten gegen Leib und Leben, um Sicherheit und Opferschutz und um die Paradigmen unseres Strafrechts. Von den Bürgern und von manchen Medien werden wir kritisiert, weil die derzeitigen Gesetze nicht weit genug gehen, und von vielen Juristen und Wissenschaftlern, weil sie zu weit gehen.
Gerade in Brandenburg hat sich die Debatte um die nachträgliche Sicherungsverwahrung und die damit verbundene Rechtsprechung auf der Grundlage eines aktuellen Falls auf das Heftigste entzündet. Ich habe bei dieser Debatte mit Erstaunen feststellen können, dass sich bei örtlicher oder persönlicher Betroffenheit die Sichtweisen auf das Thema Sicherungsverwahrung sehr schnell ändern können.
Etliche Male ist die Sicherungsverwahrung in den vergangenen zehn Jahren ausgeweitet worden. Noch immer besteht erwiesenermaßen Regelungsbedarf. Mit dem am 31. Januar 1998 in Kraft getretenen Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten wurden umfangreiche Verbesserungen des Schutzes der Allgemeinheit insbesondere vor gefährlichen Sexualstraftätern vorgenommen. Neben Änderungen im strafrechtlichen Sanktionensystem ist mit dem Gesetz die Unterbringung von einschlägig rückfallgefährdeten Sexualstraftätern in der Sicherungsverwahrung schon nach dem ersten Rückfall erleichtert worden, wenn sie Taten von erheblicher Schwere begangen haben. Es ist aus heutiger Sicht eher erstaunlich, dass diese Erweiterung der originären Sicherungsverwahrung erst im Jahre 1998 Gesetz geworden ist. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass in den Jahren davor überwiegend noch die Auffassung vorherrschte, die Anordnung von Sicherheitsverwahrung sei in einem Rechtsstaat problematisch.
Am 28. August 2002 kam es durch die Erweiterung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung zu einer weiteren wichtigen Rechtsänderung. Es wurde erstmals die Möglichkeit geschaffen, nachträglich Sicherungsverwahrung für jene Straftäter anzuordnen, bei denen zum Zeitpunkt des Urteils ein Hang zu erheblichen Straftaten gemäß § 66 StGB nicht festgestellt werden konnte. In diesen Fällen kann der Tatrichter einen Vorbehalt im Urteil vorsehen. Die Anordnung erfolgt dann später durch die Strafvollstreckungskammer.
Am 29. Juli 2004 trat das Gesetz zur nachträglichen Sicherungsverwahrung in Kraft. Ziel war, die Bevölkerung vor besonders gefährlichen Straftätern auch dann zu schützen, wenn sich deren Gefährlichkeit erst während des Vollzuges herausstellt.
Im Frühjahr 2007 ist dann, vor allem auf Betreiben Brandenburgs, eine weitere Gesetzesänderung beschlossen worden. Diese betraf Fallkonstellationen, bei denen wegen des eingeschränkten Anwendungsbereichs der Sicherungsverwahrung im Beitrittsgebiet nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht angeordnet werden konnte, weil die Straftaten vor dem 1. August 1995 begangen wurden und die Gefährlichkeit des Straftäters bereits bei der Verurteilung erkennbar war. Für diese Fälle ist seither sichergestellt, dass auch unabhängig vom Vorliegen neuer Tatsachen die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung möglich ist.
Die Klarstellung des Gesetzgebers, diese Altfälle vom Erfordernis der neuen Tatsachen auszunehmen, war für Brandenburg äußerst wichtig. Erst kürzlich hat der Bundesgerichtshof, was
leider in der Diskussion um den Problemfall Werner K. völlig untergegangen ist, einen mindestens ebenso gefährlichen brandenburgischen Straftäter nicht aus der Haft entlassen und die Anordnung der Sicherungsverwahrung des Landgerichts Frankfurt (Oder) ausdrücklich bestätigt.
Am vergangenen Freitag hat nun der Bundesrat das am 20. Juni vom Bundestag beschlossene Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Verurteilung nach Jugendstrafrecht gebilligt. Anlass für die Verhängung nachträglicher Sicherungsverwahrung wird künftig die frühere Verurteilung eines Jugendlichen oder Heranwachsenden nach Jugendstrafrecht zu einer Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren wegen eines Verbrechens gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung oder wegen eines Raubdeliktes sein. Außerdem muss die Anlasstat zu einer schweren seelischen oder körperlichen Schädigung des Opfers oder zu einer entsprechenden Gefahr geführt haben. Schließlich muss die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und der Entwicklung während des Vollzuges der Jugendstrafe ergeben, dass dieser mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten der genannten Art, also Taten mit schwerer Opferschädigung, begehen wird. Damit ist der Anwendungsbereich des Gesetzes von vornherein auf wenige Ausnahmefälle beschränkt.
Natürlich muss gerade im Bereich der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei gesetzlichen Änderungen besonderes Augenmaß gewahrt werden. Deshalb sind wir in der Pflicht, immer wieder deutlich zu machen, welche Abwägung wir in dieser Frage getroffen haben und welche Ziele wir mit den gesetzlichen Änderungen verfolgen. Es ist wichtig, dass wir solche Debatten nutzen, um sowohl die Möglichkeiten als auch die Grenzen dieser „Maßregel der Besserung und Sicherung“ aufzuzeigen. Möglich wird mit dem jetzt beschlossenen Gesetz ein verbesserter Schutz potenzieller Opfer - und dabei geht es eben häufig um Kinder -, da jetzt auch Täter erfasst werden können, die als Jugendliche oder Heranwachsende wegen schwerster Verbrechen mehrjährige Jugendstrafen vollständig verbüßen und sich den Erziehungs- und Behandlungsangeboten des Jugendstrafvollzuges beharrlich verweigern.
Ich möchte hier ausdrücklich betonen, dass die Betroffenen zum Zeitpunkt der Prüfung einer nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung in allen Fällen dem Gesetz nach bereits Erwachsene, also älter als 21 Jahre, sind. Dies ist eine Tatsache, die, wie ich wiederholt feststellen musste, in der öffentlichen Diskussion, in der medialen Berichterstattung und selbst in Fachkreisen nicht immer hinreichend Berücksichtigung findet. Auch die Sorge, dass es zu einer inflationären Anwendung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei nach Jugendstrafrecht verurteilten Tätern kommen könnte, kann ich nach der bisherigen, sehr restriktiven Rechtsprechung bei der Anwendung der Sicherungsverwahrung in keiner Weise nachvollziehen, zumal schon nach den formalen Voraussetzungen für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gerade in diesem Gesetz die Hürden für die Anwendung sehr hoch gesetzt sind.
Außerdem soll in Abständen von einem Jahr - bei der Sicherungsverwahrung nach allgemeinem Strafrecht beträgt der Zeitraum zwei Jahre - geprüft werden, ob die weitere Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
Es ist deshalb falsch, wenn man sagt: Da werden Jugendliche oder gar 14-Jährige ein Leben lang hinter Gittern gelassen. Das ist völlig abwegig. Bei der Frage der Anwendung sind alle mindestens 21, und sie haben jedes Jahr die Möglichkeit, selbst die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie aus der Haft entlassen werden. Deshalb steht bei dieser Konstellation das Grundprinzip des Jugendstrafrechts, nämlich der Erziehungsgedanke, keineswegs einer Anordnung von Sicherungsverwahrung entgegen. Dass der Jugendstrafvollzug bei uns nichts mit Wegsperren zu tun hat, sondern den jungen Straftätern vielfältige Chancen bietet, ihrem Leben eine andere Richtung zu geben, davon haben sich inzwischen viele, unter anderem auch der Rechtsausschuss, überzeugen können. Welchen Stellenwert bei uns die Resozialisierung hat, kann man nicht zuletzt aus dem neuen Jugendstrafvollzugsgesetz ablesen, das wir im letzten Jahr verabschiedet haben.
Eines muss uns im Ergebnis trotzdem klar sein: Wir werden trotz aller Änderungen und auch durch zukünftige Gesetzgebungsverfahren nicht dazu kommen, dass Straftäter erst entlassen werden können, wenn sie nicht mehr gefährlich sind. Und da sind wir bei den Grenzen der Sicherungsverwahrung. Denn das ist eine Konsequenz unseres Rechtsstaates, und wenn wir den Rechtsstaat wollen, müssen wir dieser Konsequenz ins Auge sehen.