Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion unterstellt den Abgeordneten der anderen demokratischen Fraktionen und auch Frau Ministerin ausdrücklich nicht, dass sie das Problem der Kinderarmut nicht bewege. Es beunruhigt sie wie uns; es schmerzt. Aber die Mindestvoraussetzung, etwas wirksam zu bekämpfen, ist doch, zu sehen und zu sagen, was ist.
Dem sollte unsere Große Anfrage dienen. Ich wiederhole: Beim Lesen der Antworten hat mich erstaunt, wie groß der Unwille ist, sich den Tatsachen zu stellen, bzw. wie sehr man die Erkenntnis dessen vermeiden will, was ist.
Die Zahl der in Armut lebenden Kinder hat sich mit Hartz IV bundesweit verdoppelt. Das ist ein Fakt. Im Landkreis Märkisch-Oderland liegt der Anzeiger dafür da, wir müssen gar nichts weiter erheben: Die Zahl der Kita-Kinder, die von Gebühren befreit sind, hat sich nämlich seither verdoppelt; in Märkisch-Oderland leben 5 719 Kinder - das sind 28,4 % aller Kinder - von Sozialgeld. Die Experten des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes haben belegt: Für jüngere Kinder bedeutet Hartz IV sehr wohl eine deutliche Verschlechterung.
Kollegin Hartfelder - sie ist gar nicht mehr da -, den 70 000 Kindern in Brandenburg, die von Hartz IV leben, ist es doch egal, wie wir Armut definieren. Wenigstens für diese Kinder müssen wir doch versuchen, Verbesserungen zu erreichen.
Zu sehen was ist, heißt auch: Hartz IV war ein Fehler. Den schlanken Sozialstaat haben wir inzwischen in die Magersucht getrieben, weil nämlich durch die Steuer- und die Hartz IVGesetzgebung jetzt schon deutlich ist - ich zitiere den Bericht aus Märkisch-Oderland, den die Regierung kennen dürfte -:
„Gerade in Anbetracht der steigenden Lebenshaltungskosten ist für viele Familien eine Teilhabe an der Gesellschaft kaum möglich, da die zur Verfügung stehenden Mittel zur Existenzsicherung nur in geringem Umfang ausreichen.“
Wir sehen, wer im Landkreis von Kita-Gebühren, von Kosten für Lernmittel, von den Schülerbeförderungkosten, wer vom Essensgeld befreit ist. Damit sehen wir die reale Armut. Das ist aufgeschrieben und festgehalten. Bitte nehmen Sie sie zur Kenntnis!
„Die Kinder können bestimmte Zusatzangebote nicht wahrnehmen. Sie fehlen, wenn Theateraufführungen oder Zauberer kommen, weil sie den Unkostenbeitrag nicht bezahlen. Sie können nicht an Frühstück und Vesper teilnehmen. Sie fahren nicht in den Urlaub. Kinderarmut wirkt sich auf die Verhaltensweisen der Kinder aus. Sie merken
schnell, wenn sie nicht beliebt sind, nicht mithalten können. Sie ziehen sich zurück, werden kontaktscheu, reagieren auch aggressiv, um auf sich aufmerksam zu machen.“
Angesichts dieser Aussagen verstehe ich nicht, wie Sie auf Seite 19 der Antwort behaupten können, es sei für Sie kein Zusammenhang zwischen dem Sozialstatus der Kinder und den Verhaltensauffälligkeiten - Spielverhalten, Sprachverhalten, Arbeitsverhalten - erkennbar. Ihre Antwort ist Ausdruck einer Nichtwahrnahme von Fakten. Denn im Ergebnis der Schuleingangsuntersuchungen 2006/07 wurden von den Kindern mit niedrigem Sozialstatus 20,6 % zurückgestellt, bei 30,2 % der Kinder wurde Handlungsbedarf für sozialkompensatorische Einwirkungen gesehen, 24,4 % der Kinder wiesen Entwicklungsstörungen und 17 % emotionale und soziale Störungen auf. Sie dürfen gern nachlesen, wie der Vergleich mit Kindern aus Familien mit hohem Sozialstatus ausfällt; da sind es einstellige Zahlen.
Ich sage ganz klar, dass wir die Ursachen von Kinderarmut und darum bitte ich Sie - nicht verwechseln dürfen mit individuellen Anlässen, Auslösern oder der Erziehungskompetenz von Eltern. Es gibt strukturelle Zusammenhänge. Zunächst ist unbedingt eine andere Steuerpolitik notwendig, damit der Sozialstaat auch wieder Mittel zur Verfügung hat. Es ist notwendig, die Kindergrundsicherung zu regeln. Eine Grundsicherung ist mit dem Kinderregelsatz deutlich nicht gewährleistet.
In ihm ist kein Geld vorgesehen für Schulmittel, nichts für Freizeit, kaum etwas für Gesundheit. Das ist nicht zu machen. Wir brauchen strukturelle politische Entscheidungen, die da heißen: uneingeschränkter Zugang zu Ganztagsbetreuung und zu Ganztagsbildung; gemeinsames Lernen; Gesamtschulen; keine soziale Selektion. Um wirksam strukturell Armut zu bekämpfen, müssen wir Politikerinnen und Politiker die Verhältnisse verändern.
Ich sage noch einmal für meine Fraktion: Wir unterstützen alles, was heute an positiven Maßnahmen genannt wurde. Nur, um Verhältnisse zu ändern, brauchen wir arbeitsmarktpolitische, steuerpolitische und bildungspolitische Entscheidungen, die Abschaffung von Zugangsbegrenzungen. Wir brauchen dringend nicht nur Maßnahmen, die an das Verhalten von Eltern appellieren, sondern wir müssen an die Verhältnisse heran. Ich sage Ihnen voraus, dass wir darüber weiter miteinander diskutieren werden. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum Schluss noch einige kurze Bemerkungen aus der Sicht meines Ressorts.
Armut bei Kindern und Jugendlichen äußert sich nicht nur über die materielle Armut, sondern auch in anderen Bereichen. Sie wissen und erleben das genauso wie ich, mitunter tagtäglich. Denken Sie nur an die eingeschränkte Teilhabe am Gemein
Die wichtigsten Ressourcen für die erfolgreiche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen auch aus wirtschaftlich schwächeren Familien liegen neben dem Elternhaus, dessen Wichtigkeit ich keinesfalls unterschätze, in Kindertagesstätten, in der Schule und auch in der Jugendarbeit.
Die Innovationen im Bereich der Kindertagesbetreuung, meine Damen und Herren, sind Ihnen bekannt. Von zentraler Bedeutung sind hier neben der Einführung der Grundsätze elementarer Bildung die Sprachstandsfeststellung und die Sprachförderung. Mit diesen Instrumenten bieten die Kindertagesstätten den Kindern die Möglichkeit zu Anregung und Erfahrung. Dabei werden einerseits die individuellen Stärken der Kinder betont, andererseits können die Erzieherinnen und Erzieher auf spezielle Förderbedarfe Rücksicht nehmen.
Wir machen allerdings die Erfahrung, dass sich gerade arme Eltern häufig scheuen, sich in diese Prozesse einbinden zu lassen. Deshalb müssen wir unbedingt überall die Zugangsschwellen noch weiter senken. So werden insbesondere in den sozialen Brennpunkten unserer Städte, aber auch in sozial belasteten ländlichen Regionen durch landesgeförderte ElternKind-Zentren Angebote unterbreitet, die diesen Familien helfen und die sich in der Folge - hoffentlich - überall zu Knotenpunkten für lokale Hilfsnetze entwickeln können.
In unseren Schulen spielt das soziale Lernen, die Ausbildung von Schlüsselkompetenzen eine immer wichtigere Rolle, nicht zuletzt im Rahmen der „Initiative Oberschule“. Auch dadurch können wir die Widerstandsfähigkeit gegen Armutsfolgen stärken, wenn es uns gelingt, der Ausgrenzung jeglicher Art etwas entgegenzusetzen. Dies geschieht ab dem nächsten Schuljahr zusätzlich durch den schon erwähnten Schulsozialfonds, mit dem wir den Schülerinnen und Schülern Unterstützung geben wollen, deren Eltern Schwierigkeiten haben, die nötigen Kostenbeiträge aufzubringen, sei es bei eintägigen Schulfahrten, bei kostenpflichtigen Ganztagsangeboten oder auch beim Erwerb von Unterrichtsmaterial.
Armutsbekämpfung ist nicht Mitleid, sondern eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und der Herstellung gleicher Lebenschancen. Ich glaube, diesbezüglich sind wir hier alle einer Meinung. - Danke schön.
Herzlichen Dank, Herr Minister. - Ich beende damit die Aussprache. Die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage 37 ist zur Kenntnis genommen worden.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie geben mir sicherlich Recht, wenn ich sage: Das Wohnen hat für alle Menschen einen besonderen Stellenwert. Deshalb dürfen wir dieses Politikfeld nicht dem Selbstlauf oder den Marktkräften überlassen. Unsere Verfassung schreibt fest, dass das Land im Rahmen seiner Kräfte zur Verwirklichung des Rechts auf eine angemessene Wohnung zu sorgen hat; ich erinnere an Artikel 47.
Das Thema Wohnen ist ein komplexes, vielschichtiges Themenfeld und erfordert eine Gesamtsicht auf die unterschiedlichsten Aspekte. Diese Gesamtsicht wird oft durch Detailfragen und Einzelprobleme überlagert. Wir wollten mit unserer Großen Anfrage den Fokus stärker auf das Thema Wohnen in seiner ganzen Differenziertheit richten.
Was konnten wir feststellen? Das Studium der Antworten der Landesregierung ließ bei mir den Eindruck entstehen, als ob sich in der Frage des Wohnens eine gewisse Form der Selbstgefälligkeit eingestellt hat und bestimmte Widersprüche nicht oder nur oberflächlich dargestellt worden sind. Oft lauteten auf unsere Fragen die Antworten der Landesregierung: „Uns liegen keine Informationen vor.“ „Wir haben keine Berichtspflicht dazu.“ Oder: „Das obliegt der Selbstverwaltung der Kommunen.“ Das ist zum Teil unbefriedigend, und wir wollen noch einmal das eine oder andere klären.
Die Landesregierung sagt, dass die Wohnungsversorgungssituation im Land allgemein als gut eingeschätzt werde. Andererseits räumt sie gleichzeitig ein, dass die Versorgungsquote jener Wohnungsberechtigungsscheininhaber mit Dringlichkeit im Jahr 2006 bei lediglich 50 % lag. In der Stadt Potsdam war diese Quote noch deutlich niedriger. Das macht uns auf ein Problem aufmerksam, dem man sich stellen muss. Ausgerechnet für jene Bevölkerungsgruppen, die sich selbst am Markt nur schlecht mit angemessenem Wohnraum versorgen können, stellt sich die Wohnungsversorgungssituation bei weitem nicht so gut dar, wie es von der Regierung vielleicht angedacht wurde. Aufgabe der Wohnungspolitik muss es aber sein, dafür Sorge zu tragen, dass auch diese Menschen, die sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen, ausreichend und zeitnah mit Wohnraum versorgt werden können.
Die Wohnungsversorgung im Land Brandenburg wird durch ein zweites Problem geprägt: In den berlinnahen Regionen gibt es Bereiche, wo die Wohnungsnachfrage das Angebot übersteigt. Explizit wird in diesem Zusammenhang wieder auf die Stadt Potsdam verwiesen. Aber auch Städte wie Bernau, Falkensee, Kleinmachnow und Hohen Neuendorf sind in diesem Zusammenhang zu nennen, weil die Wohnungsversorgungssituation dort zeigt, dass nicht grundsätzlich zu wenig Wohnungen vorhanden sind, sondern dass in diesen Regionen Wohnungen im unteren Mietpreisniveau fehlen. So sind bereits heute und das schon seit geraumer Zeit - Prozesse der Verdrängung
der angestammten Wohnbevölkerung zu verzeichnen. Die berlinnahen Regionen verlieren allmählich einen großen Teil ihrer ursprünglichen Wohnbevölkerung. In Kleinmachnow - das wird mir Herr Dr. Klocksin bestätigen - leben heute kaum mehr als 20 % der einstigen Bewohner.
- Doch! - Die stetig steigenden Marktpreise führen zu einer Selektion hinsichtlich der Bewohnerschaft. Solche Prozesse machen aber deutlich, dass der Markt allein es nicht richten kann und hier soziale Korrektive eingesetzt werden müssen.
Ein wichtiger Aspekt der Wohnungsversorgung ist die Entwicklung der Wohnkosten im Land. Die Forderung des Alten Fritz, „ein Viertel Monatslohn für die Miete“, wobei er hier nicht nur die Miete, sondern die Wohnkosten insgesamt meinte, wird nach Auskunft der Landesregierung bereits heute deutlich überschritten. Der Anteil liegt im Landesdurchschnitt bei ca. 30 %.
Diese ermittelte Durchschnittszahl berücksichtigt allerdings nicht die exorbitanten Nebenkostenerhöhungen der letzten drei Jahre. Folglich dürfte die monatliche Wohnkostenbelastung schon jetzt, vor allem unter Berücksichtigung der Betriebskostenerhöhungen, insbesondere der Energiepreise, bei mehr als 30 % liegen. Dabei wird klar, dass vor allem die Ein- bis ZweiPersonen-Haushalte, aber auch Familien mit bis zu fünf Personen von diesen Entwicklungen stark betroffen sind. Die Entwicklung der stetigen Steigerung der Wohnkosten geht ungebrochen weiter. Ein Erfolg des Versuchs, der Preiserhöhungsspirale durch Änderung des eigenen Verbrauchsverhaltens zu entkommen, ist angesichts der Dynamik der Energiekostensteigerungen nicht zu erwarten.
An dieser Stelle bietet es sich an, noch einmal auf ein wichtiges wohnungspolitisches Thema, die kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen, aufmerksam zu machen. Nach den vorliegenden Informationen aus der Großen Anfrage sind von den rund 1,2 Millionen Wohnungen im Land ca. 30 % in Besitz der kommunalen - das sind 231 000 Wohnungen - und der genossenschaftlichen - das sind 144 000 Wohnungen - Wohnungsunternehmen. Damit kommt diesen Unternehmen am Wohnungsmarkt des Landes Brandenburg eine besondere Rolle zu. Sie stellen nämlich einen Großteil jener Wohnungen, der für sozial schwache Bevölkerungsgruppen zur Verfügung gestellt werden kann. Der nachhaltigste Vorteil eines solch großen Anteils an Wohnungen im Besitz der Kommunen bzw. in genossenschaftlichem Besitz besteht darin, dass es für die Mieter in diesen Beständen einen Mietpreisvorteil gegenüber den anderen Mieten am Markt gibt. Dieser macht mehr als 1 Euro netto - kalt - aus. Das ist die Antwort auf Frage 39. Hinzu kommt - das wissen Sie selbst -, dass diese Unternehmen vor Ort soziale Dienstleistungen anbieten, die teilweise über ihr unmittelbares Kerngeschäft hinausgehen und die entscheidenden Träger des Stadtumbaus in Brandenburg sind.