Protocol of the Session on May 28, 2008

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Herzlichen Dank. - Das Wort erhält die Abgeordnete Wöllert.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich beginne mit Lob, aber das Lob dauert nicht lange. Ich zitiere aus einem UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland. Der Zusammenfassung habe ich entnommen:

„Führende deutsche Kindheitsforscher kritisieren, dass Politik und Gesellschaft das Wohlergehen von Kindern bis heute nicht als den zentralen Maßstab für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft ansehen.“

Weiter zitiere ich aus dem gleichen Bericht den deutschen Berichterstatter Prof. Dr. Hans Bertram:

„Die Politik muss ihren in Ressorts zersplitterten Ansatz überwinden und das Wohlergehen von Kindern in ihren vielfältigen Lebensweisen in den Mittelpunkt stellen.“

Die gute Nachricht ist: Das Netzwerk „Gesunde Kinder“ ist ein Ansatz, dass dies für die Zukunft berücksichtigt wird. Wie ich hier schon sehr oft gesagt habe - denn das Netzwerk „Gesunde Kinder“ haben wir schon sehr oft behandelt -, unterstützt meine Fraktion dieses Netzwerk. Sie ist für die flächendeckende Einführung und auch für Qualitätsstandards sowie für eine gesicherte Finanzierung. Das ist die gute Nachricht.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE und bei der Abge- ordneten Lehmann [SPD])

Jetzt komme ich zu dem uns vorliegenden Bericht. Ich erinnere an die Sitzung im Februar, als Sie den heute vorgelegten Bericht eingefordert haben, wobei im ersten Teil Ihrer Beschlussvorlage schon das bekannt wurde, was Sie, Frau Ministerin, heute wiederholt haben.

Frau Ministerin, zunächst einmal bedanke ich mich dafür, dass Sie schon im Februar wesentlich aktuellere Daten vorgelegt haben, als sie heute im Bericht stehen. Damals haben Sie sich nämlich auf aktuelles Zahlenmaterial konzentriert. Der Bericht stützt sich aber auf Material von November 2007. Im Bericht ist von 111 gewonnenen Patinnen und Paten die Rede. Im Februar haben Sie schon von 150 gesprochen. Es gab also schon bis zum Februar eine Fortentwicklung, die ja positiv ist.

Ich komme zum Bericht. Glückwunsch, dass Sie im Februar wesentlich weiter waren als heute. Überhaupt hält sich der Neuigkeitswert des Berichts wirklich in Grenzen. Die Aussagen zu a) - Netzwerkstrukturen - waren im Februar bekannt; sie sind heute wiederholt worden, also keine Neuigkeit, zu b) - Kooperationsspartner - sind sie ebenfalls nicht neu, zu c) - Ehrenamt - auch bekannt, zu d) - Inanspruchnahme - überholt, weil Sie schon Neueres gesagt haben. Zu e) - Kapazitätsgrenzen ist nicht klar, wo sie eigentlich liegen, in der Gewinnung der

Paten, in der Schulung oder in der tatsächlich nicht billig zu habenden Supervision der Ehrenamtlichen, die aber dringend notwendig ist.

Welche familienbegleitenden Angebote wurden tatsächlich angenommen, und wie wurden diese Angebote angenommen? Im Bericht steht im Gegensatz zu dem, was Sie gerade ausführten, dass es ein Problem ist, dass nur 10 % der Eltern die Familienschulungen annehmen. Davon, dass bei den Kinderärzten Reserven in der Kooperation bestehen, steht in Ihrem Bericht gar nichts. Im Bericht ist es nicht erwähnt, aber Sie haben es jetzt hier gesagt.

Für mich stellt sich also die Frage: Sollten wir dies nicht so abarbeiten, wie Sie es auch angemahnt haben, also anhand der folgenden Fragen: Welche Voraussetzungen müssen wir in unserem Land für den flächendeckenden Aufbau schaffen?

Wie weit sind die Beratungen auf Bundesebene gediehen? Sie erwähnten heute als ersten Schritt die Konferenz der Gesundheits- und Familienminister, was ich als neue Information werte. Wie weit ist man bei der Finanzierung insgesamt? In der Modellphase 1 gab es 100 000 Euro pro Projekt. Jetzt, in Modellphase 2, sind es 25 000 Euro. Vielleicht wird das in Modellphase 3 ja noch einmal geviertelt bzw. gefünftelt, und es sind dann nur noch 5 000 Euro. Wie wollen Sie vor diesem Hintergrund die noch nicht benannten Qualitätsstandards tatsächlich sichern?

Auf diese Fragen, die sich uns stellen, geben Sie mit Ihrem Bericht leider keine Antwort. Vielleicht weiß Frau Dr. Münch besser Bescheid. Sie hatte bekanntlich den Vorteil, vom Ministerium zu einem Gespräch mit den Trägern der Modellprojekte eingeladen zu werden. Bei dieser Beratung gab es zu den von mir genannten Fragen Ausführungen. Das Gespräch fand allerdings vorher statt. Vielleicht also hat Frau Dr. Münch dazu noch einige Hinweise für uns. Das wäre gut.

Ansonsten sage ich: Vielleicht fahren Sie ja bis September nächsten Jahres fort, immer wieder etwas zu berichten, was schön klingt, wozu wir alle Ja sagen können, was wie Wohltaten aussieht und im Übrigen eigentlich nichts kosten soll. - Danke.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Herzlichen Dank. - Das Wort erhält die Abgeordnete Dr. Münch für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den letzten Wochen wurde im Süden von Brandenburg unglücklicherweise wieder ein totes Baby aufgefunden, das offensichtlich unmittelbar nach der Geburt von seiner Mutter umgebracht worden war. Die Berichte über misshandelte Kinder oder überforderte Familien reißen leider nicht ab. Jedes Mal, wenn ein solcher Fall bekannt wird, werden wir von mehr oder weniger hilflosen Forderungen vonseiten der Politik oder vonseiten selbsternannter Kindeswohlschützer überschüttet, die etwa in der Forderung gipfeln, doch endlich eine Babyklappe einzurichten. Ich bedauere übrigens sehr, dass unser Koalitionspartner da plötzlich seine Meinung geändert hat und jetzt

die Einrichtung einer Babyklappe fordert, obwohl wir uns schon lange sehr verantwortlich und grundlegend mit diesem Thema beschäftigen: Anonyme Geburt? Was kann man tun, um solche Fälle zu vermeiden? - Dieser Konsens wurde jetzt aufgegeben. Aber vielleicht handelt es sich ja nur um einen wahlkampfbedingten Ausreißer.

Uns geht es dabei um Folgendes: Wir wollen im Lande Brandenburg eine Atmosphäre schaffen, die geeignet ist, solche Fälle möglichst zu verhindern, eine Atmosphäre, in der sich Kinder endlich wohlfühlen, Familien unterstützt werden, damit wir tatsächlich etwas dafür tun, kinderfreundlichstes Land zu werden. Darüber müssen wir uns alle über Parteigrenzen und sämtliche anderen Grenzen hinweg gründlich Gedanken machen.

Das Netzwerk „Gesunde Kinder“, über dessen Zwischenbericht wir heute sprechen, ist ein ganz wichtiger Baustein, der auf lange Sicht dazu dienen soll, die Einstellung gegenüber Kindern, gegenüber Familien mit Kindern zu ändern, und es selbstverständlich machen soll, dass Kinder uns allen willkommen sind. In unserer Fraktion haben wir aktuell glücklicherweise zwei werdende junge Mütter. Diese werden jetzt zum ersten Mal die Erfahrung machen, dass ein Kind plötzlich alles auf den Kopf stellt, dass die bisher gemachten Erfahrungen nicht mehr gelten. Man ist in einer solchen Situation relativ leicht hilflos und überfordert, wenn man keine Hilfe von außen bekommt. Genau an diesem Gedanken setzt unser Netzwerk an. Es geht nicht darum, Familien zu stigmatisieren oder zu sagen, dass sozial schwache Familien eine solche Unterstützung brauchen, um damit auszudrücken, dass diese Familien von vornherein Problemkandidaten seien; denn so einfach ist das auch nicht. Genau hier setzt unser Netzwerkgedanke an, dass es tatsächlich darum geht, alle Familien zu erreichen, ihnen eine niedrigschwellige Unterstützung anzubieten, um etwas Sinnvolles für die Familien und die Kinder zu tun, damit unsere Kinder sozial integriert und gesund aufwachsen können.

Daher verstehe ich auch Ihren Beitrag nicht, Frau Wöllert. Eigentlich klangen Ihre Ausführungen so, als herrsche hier Harmonie. Ich meine auch, dass unsere Ziele mittlerweile identisch sind und dahin gehen, dass wir flächendeckend Netzwerke einführen wollen. Dabei sind wir mittlerweile auch schon sehr erfolgreich. Es gibt im Lande insofern nur noch wenige weiße Flecken. Natürlich müssen wir die Strukturen klären und uns über die Finanzierung klar werden. Dazu bedarf es einer wissenschaftlichen Evaluation; denn gut gemeint ist in diesem Bereich häufig das Gegenteil von gut.

Frau Abgeordnete, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Ja, bitte.

Bitte, Frau Abgeordnete Wöllert.

Frau Dr. Münch, insoweit sind wir uns ja schon seit Monaten einig. Darüber brauchen wir nicht zu reden. Bei dem heutigen

Tagesordnungspunkt geht es um etwas anderes, nämlich um zentrale Aussagen des Berichts des Ministeriums. Sagen Sie mir doch bitte einmal, was Sie aus diesem Bericht jetzt an Neuem erfahren haben!

Es ist nicht unbedingt immer etwas Neues. Man kann sich zum Beispiel Trends oder Erkenntnisse bestätigen lassen, die man vorher schon hatte. Aber wenn das wissenschaftlich untermauert ist und die Evaluation sich auf einen Zeitraum bezieht, bei dem man sich notwendigerweise nach hinten orientiert, der auf den Beginn des Projekts zurückführt, dann ist das ein sehr wertvolles Material. Wir müssen mit den Ressourcen, mit den Steuergeldern, die uns zur Verfügung stehen, verantwortlich umgehen. Bis heute ist beispielsweise nicht klar, was so ein Netzwerk kostet, ob die 30 000 Euro genügen, wie viel an zusätzlichen Geldmitteln eingebracht werden können, was vielleicht die Kommunen dazuzahlen oder was es an Sponsoring gibt.

Wie ich eben schon gesagt habe, ist gut gemeint häufig das Gegenteil von gut. Das gilt auch für das Thema Babyklappe. „Gut gemeint“ muss letztendlich durch Erkenntnisse und wissenschaftliche Standards untermauert werden: Was heißt Netzwerk „Gesunde Kinder“?

Wir wollen das Netzwerk „Gesunde Kinder“ in Brandenburg als Qualitätsmerkmal, praktisch als eingetragenes Zeichen verwenden. Dafür muss man wissen, was sinnvoll ist, welches Instrument wirkt, welches Instrument vielleicht nur gut gemeint, aber letzten Endes sehr ineffizient ist. Deshalb ist eine wissenschaftliche Begleitung erforderlich.

Aus dem Bericht habe ich beispielsweise gelernt, dass wünschenswert ein prozentualer Anteil von 60 % aller Familien ist, dass dieser Anteil aber noch nicht erreicht worden ist.

Ich weiß im Übrigen, dass der ehrenamtliche Teil, der Patenteil, notwendiger Bestandteil ist. Aber auch hierüber besteht unter den verschiedenen Netzwerken ein Dissens. Es gibt ein Netzwerk, das eigentlich mit hauptamtlichen Kräften arbeiten möchte. Das ist ein anderer therapeutischer Ansatz als der Netzwerkgedanke in Lauchhammer. Deshalb ist es so wichtig, abzugleichen, welches letztendlich die Standards sind, die dauerhaft gebraucht werden, um die Netzwerke mit nachhaltiger Wirkung zu etablieren. Dazu habe ich aus dem Bericht eine Menge gelernt.

Dabei weiß ich, dass die Finanzierung nach wie vor nicht geklärt ist. Hier ist zu fragen, wie viele Mittel benötigt werden und wie das strukturiert werden kann.

Des Weiteren geht es um Folgendes - Sie haben diese Punkte ja auch angesprochen -: Wie können mehr Paten gewonnen werden? Welche Schulungen brauchen diese Paten? Wie gewinne ich die Eltern dafür, sich noch mehr in eine Unterstützung einbinden zu lassen? Es gibt Eltern bzw. Familien, die die Hilfen brauchen und diese auch annehmen. Das ist ein großer Fortschritt. Frau Wöllert, auch Sie wissen, dass ein Hauptproblem darin besteht, dass die Familien, die unsere Hilfe wirklich benötigen, durch das Raster fallen. Sie kommen nicht zu den Beratungsstellen, kommen nicht zu den Elternschulungen. Den wissenschaftlichen Daten kann ich dann entnehmen, dass es

offensichtlich gelingt, mit dem Netzwerk diese Eltern zu erreichen und ihnen die Hilfsangebote zu vermitteln, die sie dann auch annehmen. Das alles ist ein großer Erfolg.

Insofern ist Brandenburg auf dem richtigen Weg, ist bundesweit Vorreiter. Die wissenschaftliche Evaluation ist weiterhin wichtig. In diesem Sinne sollten wir zum Nutzen unserer Kinder und Familien fortschreiten. Deshalb begrüße ich den Bericht ganz außerordentlich und bin schon gespannt auf den Nachfolger. - Vielen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU)

Herzlichen Dank, Frau Abgeordnete Dr. Münch. - Das Wort erhält jetzt die Abgeordnete Fechner für die DVU-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Wöllert, Sie haben Recht, diesem Dreieinhalb-Seiten-Bericht kann man wirklich nicht allzu viel entnehmen. Vieles war schon vorhersehbar. Entnehmen kann man dem Bericht allerdings, dass 53 % aller Familien von ehrenamtlich tätigen Paten aufgesucht wurden. Sicherlich kann man unterschiedlicher Meinung darüber sein, ob 53 % bei den gegebenen Voraussetzungen viel oder wenig ist. Für uns wichtig zu wissen wäre, ob sich unter den 53 % erreichten Familien auch wirklich die befinden, die auf Hilfe angewiesen wären. Frau Dr. Münch, auch darin muss ich Ihnen Recht geben: Diese Familien fallen oftmals durch das Raster.

Es wäre auch für die DVU-Fraktion interessant zu wissen, welchen sozialen Status die Familien haben, die diese Hilfe in Anspruch genommen haben.

Meine Damen und Herren, auch nach Ansicht der DVU-Fraktion können diese lokalen Netzwerke einen durchaus sinnvollen Beitrag leisten, um der Kindesvernachlässigung entgegenzuwirken und damit auch Leben zu retten; denn Fälle der Vergangenheit haben gezeigt, dass Kindestötungen oftmals Kindesvernachlässigungen zugrunde liegen. Doch was nützen alle Hilfsangebote, wenn die Problemfamilien nicht erreicht werden?!

Deshalb ist es für die DVU-Fraktion wichtig, dass man den Ursachen auf den Grund geht. Man muss die Ursachen erforschen, um sie kennenzulernen. Meine Kollegin Liane Hesselbarth hat erst kürzlich eine Anfrage an die Landesregierung gerichtet und wollte wissen, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse es über Kindestötungen gibt, denn Brandenburg nimmt ja hier einen unrühmlichen Spitzenplatz ein.

(Na, na! bei der SPD)

Die Landesregierung teilte uns mit, dass keine landesbezogenen wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Ursachen der genannten Tötungsdelikte an Kindern vorliegen. Man weiß zwar, wie viele Kinder getötet wurden; doch warum diese Kinder sterben mussten, weiß man nicht.

Noch ein Aspekt, den es vielleicht zu berücksichtigen gilt: Inwieweit spielt der Bildungsgrad der Eltern eine Rolle? Gesetzt den Fall, der Bildungsgrad spielt eine wesentliche Rolle für den Werdegang der Kinder, dann muss ich sagen, meine Damen

und Herren, sehe ich für das Land Brandenburg schwarz, wenn ich an die PISA-Ergebnisse denke.

Dass Zusammenhänge zwischen Bildungsgrad und Sozialstatus existieren, ist bewiesen. Doch was ist hier die Ursache und was die Wirkung? Nach Ansicht der DVU-Fraktion wäre es wichtig, hier erst einmal eine konkrete Ursachenforschung zu betreiben. Die Frage ist doch: Warum vernachlässigen Mütter ihre Kinder? Ist es Unkenntnis, Desinteresse? Ist es gar Unfähigkeit? Doch solange die Frage, warum Eltern ihre Kinder vernachlässigen, nicht eindeutig geklärt ist, werden wir auch nicht mit wirklich effektiven, sinnvollen Maßnahmen gegensteuern können.

(Beifall bei der DVU)

Das Wort erhält nun die Abgeordnete Schier.