Protocol of the Session on December 15, 2004

Beschlussempfehlung und Bericht des Wahlprüfungsausschusses

Drucksache 4/190 (einschließlich Korrekturblatt)

Es wurde vereinbart, hierzu keine Debatte zu führen. Ich komme also gleich zur Abstimmung.

Wer der Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses Drucksache 4/190 - zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Beschlussempfehlung einstimmig entsprochen worden.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:

Einsetzung einer Enquetekommission „Demographische Entwicklung und ihre Auswirkungen auf die Lebensbereiche der Menschen in Brandenburg sowie ihre Folgen für die politischen Handlungsfelder“

Antrag der Fraktion der DVU

Drucksache 4/225

Ich eröffne die Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt mit dem Beitrag des Abgeordneten Norbert Schulze von der DVUFraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Brandenburg verödet, und dies im wahrsten Sinne des Wortes. Abwanderungen, fehlendes Humankapital, Arbeitslosigkeit und Niedergang der Infrastruktur insbesondere in den berlinfernen Regionen prägen das Land seit Jahren aufgrund der politischen Unfähigkeit der roten bzw. rot-schwarzen Landesregierungen.

Wie auch der noch kurz vor der parlamentarischen Sommerpause behandelte Bericht der Landesregierung zur demographischen Entwicklung beweist, sieht die Bevölkerungsprognose so aus, dass Brandenburg bis 2020 ca. 7 % seiner Gesamtbevölkerung verlieren wird, der äußere Entwicklungsraum jedoch etwa 15 %. Dann wird in Regionen wie der Prignitz, der Uckermark und weiten Teilen der Lausitz buchstäblich überhaupt nichts mehr gehen.

Obwohl ursächliche Zusammenhänge zwischen der demographischen Entwicklung des Landes einerseits und der wirtschaftlich-sozialen, bildungspolitischen und kulturellen Entwicklung andererseits bestehen, war und ist - sieht man von dem genannten Bericht ab - die demographische Entwicklung des Landes für diese Landesregierung ganz offensichtlich bisher kein relevantes Thema. Dabei räumte Ministerpräsident Platzeck in seiner Landtagsrede am 12. Mai dieses Jahres selbst ein, dass die Geburtenrate im Land 40 bis 50 % unter dem Niveau liegt, das für eine stabile Bevölkerungsentwicklung erforderlich ist.

Dabei sind die Folgen doch geradezu unübersehbar. - Herr Schippel schmunzelt; ich sehe, ich habe Recht. Weniger Kinder heißt weniger Kindertagesstätten, weniger Schulen, mehr Wohnungsleerstand, weniger Nachfrage nach Gütern und damit weiterer Zusammenbruch der mittelständisch geprägten Wirtschaft unseres Landes mit weiter wachsender Arbeitslosigkeit und als Folge davon weiteren Abwanderungen gerade junger und leistungsfähiger Brandenburgerinnen und Brandenburger vor allem in die alten Bundesländer.

Damit beginnt sich das Todesrad wiederum neu zu drehen. Geht die Entwicklung so weiter, so gibt es im Jahr 2020 in Brandenburg fast nur mehr eine vergreiste Gesellschaft, welche sich räumlich im so genannten Speckgürtel rund um Berlin konzentrieren wird, während der Rest des Landes aus zunehmend verödenden Landstrichen besteht, die sich wieder dem Naturzustand annähern mit verlassenen Dörfern, Industrieruinen ehemals florierender Betriebe, kaputten Straßen und Schienennetzen, die ohnehin niemand mehr brauchen wird, und selbst ohne die notwendige Grundversorgung mit dem Lebensnotwendigsten für die wenigen noch verbliebenen und ebenfalls meist älteren Bürgerinnen und Bürger, die sich trotz allem weigern wegzuziehen.

Doch dies, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, kann und darf nicht sein. Daher fordert unsere DVU-Fraktion, den gordischen Knoten endlich zu durchschlagen und eine Bevölkerungspolitik zu betreiben, die diese Entwicklung aufhält. Dazu brauchen wir eine Enquetekommission mit der Aufgabe, geeignetes Datenmaterial bereitzustellen und der Politik entsprechende Handlungsanweisungen zu geben.

Ihre Kollegen in Sachsen, meine Damen und Herren von der SPD und der CDU, sind jedenfalls wesentlich weiter als Sie;

denn dort kam der Antrag auf eine Enquetekommission zur Demographie von den Regierungsfraktionen.

Wir fordern bereits jetzt namentliche Abstimmung über unseren Antrag. - Ich bedanke mich vorerst.

(Beifall bei der DVU)

Für die Koalitionsfraktionen spricht die Abgeordnete Funck.

Sehr geehrte Damen und Herren! Der demographische Wandel ist eine Tatsache. Davor können wir unsere Augen nicht verschließen. Geburtenrückgang auf der einen Seite und steigende Lebenserwartung auf der anderen verändern diesen problematischen Lebensbaum, diese Alterspyramide, die wir haben. Das ist völlig richtig. Diese Entwicklung gibt auch Anlass zur Besorgnis und zwingt uns, politisch zu handeln.

Im Februar dieses Jahres legte die Landesregierung bereits einen Bericht vor, nämlich den Bericht zu den Auswirkungen der demographischen und wirtschaftsstrukturellen Veränderungen in Brandenburg. Man kann davon ausgehen, dass die Landesregierung auf der Grundlage dieser Erkenntnisse auch arbeitet. Der Koalitionsvertrag macht es deutlich. Wir haben dort Schwerpunkte vorgesehen, gerade was die Verbesserung der Situation der Familien in Brandenburg ebenso wie die konzeptionelle Neuausrichtung der Altenpflege betrifft.

Die Daten zur demographischen Entwicklung sind bekannt und hier auch schon vor einem Dreivierteljahr diskutiert worden.

Der Eindruck, den ich beim DVU-Antrag habe, ist - Ihr Misstrauen der Landesregierung gegenüber machen Sie jedes Mal deutlich -, dass Sie mit der Enquetekommission eine QuasiLandesregierung bilden wollen. Sie haben dort sämtliche Politikbereiche angesprochen, angefangen bei der Infrastruktur über die Stadtentwicklung, die Bildung - alles, was es so gibt. Für mich ist unverständlich, wie ein Gremium in dieser Art und Weise etwas abarbeiten soll.

Die Frage ist - die Enquetekommission soll eigentlich die Daten erheben, aber die Daten gibt es bereits -: Was machen wir damit? Wir brauchen nicht immer wieder neue Kommissionen und Berichte sowie Tatsachen, die uns bekannt sind, sondern wir müssen die bekannten Tatsachen in den politischen Alltag und in die Arbeit der Ausschüsse einfließen lassen, auch hinsichtlich der Haushaltssituation, die wir haben. Es ist wichtig, dass die Ausschüsse den Blick auf die demographischen Tatsachen weiterhin haben und wir unser langfristiges Wirken und Handeln darauf ausrichten.

Deswegen lehnen wir die Einrichtung der Enquetekommission und damit auch die erneute Erhebung der Daten ab. - Danke.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Danke. Wir setzen mit dem Beitrag der PDS-Fraktion fort. Frau Kaiser-Nicht, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die geforderte Enquetekommission soll nach Ansicht der DVU-Fraktion offensichtlich die Lösung für alle politischen Herausforderungen einschließlich der Geburtenfrage erbringen. Ich halte das für sehr fragwürdig.

Man greift hier in der DVU-Fraktion populistisch die Demographiedebatte auf, die anderswo auch Generationengerechtigkeit fordert und die so genannte Vergreisung der Gesellschaft beschwört. Man verschweigt dabei wohlweislich, dass soziale Ungleichheit in Deutschland wächst, und zwar innerhalb sämtlicher Generationen.

Es wurde schon von Frau Funck erwähnt: Wir hatten in diesem Jahr hier im Landtag zwei Debatten zur Demograhiefrage. Es gab im Übrigen auch bereits die Enquetekommission des Bundestages „Demographischer Wandel“. Der Ministerpräsident hat einen aktualisierten Bericht für das nächste Jahr angekündigt. Es gibt also aus Sicht der PDS-Fraktion bereits in ausreichendem Maße wissenschaftliche Analysen und statistische Erhebungen, die Sie in den Punkten 3 und 4 fordern. Ich denke, die öffentliche und politische Debatte dazu läuft auch längst.

Die PDS-Fraktion hat bekanntermaßen die Schlussfolgerung gezogen, dass es eher einer Enquetekommission „Nachhaltige Entwicklung“ bedarf. Unser Ansatz ist weitergehend. Zudem können unsere Schlussfolgerungen und Vorschläge in den Leitlinien für die Entwicklung des ländlichen Raums nachgelesen werden. Diese sind auch bereits Bestandteil öffentlicher Debatten sowohl in der Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und Strukturpolitik als auch in der Bildungs- und Sozialpolitik.

Ohnehin - das sei an die Adresse der DVU klar gesagt - werden wir mit Ihnen bei den politischen Zielen und Schlussfolgerungen an keiner Stelle Berührungspunkte suchen und finden - niemals und nirgends, sooft Sie auch Anträge der anderen demokratischen Fraktionen dieses Parlaments nachvollziehen wollen oder abschreiben; denn mit Ihrer Art der Demographisierung sozialer und wirtschaftlicher Probleme ideologisieren Sie soziale Ungleichheit und Armut. Das endet dann bei der DVU regelmäßig - ganz typisch - mit nationalistischer Politik und entsprechenden Forderungen für „deutsche Kinder, „deutsche Familien“ und „deutsche Mütter“; denn nachzulesen im DVU-Wahlprogramm - „es fehlen jährlich Hunderttausende Geburten in der Bundesrepublik Deutschland zur Erhaltung des deutschen Volkes“. Darum geht es Ihnen. Uns nicht!

Wir lehnen Ihren Antrag aus den genannten Gründen ab.

(Beifall bei der PDS und vereinzelt bei der SPD)

Danke, Frau Abgeordnete Kaiser-Nicht. - Die Landesregierung verzichtet auf einen Redebeitrag. Damit geht das Wort noch einmal an die DVU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Eine Tankstelle mit angeschlossener Imbisstheke auf dem Weg von Polen in die

Altbundesländer.“ Dieses Zitat unseres Ex-Ministerpräsidenten und jetzigen Verkehrsministers Manfred Stolpe, bezogen auf die wirtschaftlich-soziale sowie demographische Lage im Land bereits vor einigen Jahren, kann man nicht oft genug in Erinnerung bringen. Herr Dr. Stolpe beschrieb mit diesem Bild sehr genau, was die von ihm geführten Regierungen seit 1990 zum Schaden der Brandenburgerinnen und Brandenburger angerichtet hatten und was die seitherigen Regierungen unverändert und sogar verstärkt anrichten.

Doch statt heute aufgrund des vorliegenden Demographie-Berichtes vom Mai dieses Jahres und der Ergebnisse des Arbeitskreises für Verwaltungsoptimierung zum selben Thema endlich umzusteuern und eine sinnvolle, das heißt kinder- und familienfreundliche Bevölkerungs- und Sozialpolitik zu betreiben, erdreistet sich Herr Finanzminister Speer in einem Interview in der Zeitung „Die Welt“ vom 29. Oktober dieses Jahres hinsichtlich der demographischen Herausforderung zu äußern, es gehe angesichts des drastischen Bevölkerungsrückgangs insbesondere im ländlichen Raum nur darum, neue Konzepte gegen allzu drastische Versorgungsengpässe zu entwickeln, beispielsweise Rufbusse, Briefkästen an Wegkreuzungen oder Unterricht über das Internet. Merken Sie sich, Herr Speer: Wir sind hier in Mitteleuropa und nicht in der Wüste von Neu-Mexiko, der sibirischen Tundra oder dem australischen Outback.

(Beifall bei der DVU)

Dass die Tatsache des neuerlichen Milliardenlochs im Landeshaushalt möglicherweise auch demographische Ursachen haben könnte, nämlich weniger Steuereinnahmen von immer weniger Bürgern im leistungsfähigen - und damit Steuern zahlenden - Alter, müsste Ihnen eigentlich einleuchten. Also tun Sie etwas dagegen! Damit meine ich alle Mitglieder der Landesregierung und auch alle Landtagsabgeordneten.

Wir müssen bevölkerungspolitisch umsteuern, und zwar jetzt und sofort, bevor es ein für alle Mal zu spät ist. Dazu brauchen wir exakte Zahlen und Daten sowie gangbare Lösungsvorschläge. Ich fordere Sie daher alle als gewählte Vertreterinnen und Vertreter unserer Brandenburger Bürgerinnen und Bürger auf, dem vorliegenden Antrag im Sinne der Weiterexistenz und Weiterentwicklung unseres Landes zuzustimmen. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der DVU)

Wir sind damit am Ende der Debatte.

Die DVU-Fraktion hat namentliche Abstimmung über diesen Antrag, Drucksache 4/225, beantragt.

Ich eröffne die Abstimmung und bitte die Schriftführer um das Verlesen der Namen.

(Namentliche Abstimmung)

Hatte einer der anwesenden Abgeordneten keine Gelegenheit, seine Stimme abzugeben? - Das ist nicht der Fall.

Wir schließen die Abstimmung und ich bitte um Auszählung.

Ich gebe das Abstimmungsergebnis bekannt: Für diesen Antrag haben sechs Abgeordnete, gegen diesen Antrag haben 68 Abgeordnete gestimmt. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.

(Abstimmungsergebnis siehe Anlage S. 337)