Das Präsidium empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs in Drucksache 4/4425 an den Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie. Wer dieser Überweisung zustimmt, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Dieser Überweisung ist einstimmig zugestimmt worden.
Ich eröffne die Aussprache. Herr Dr. Scharfenberg hat für die Fraktion der Linkspartei.PDS das Wort. Bitte schön.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei Geld hört bekanntlich die Freundschaft auf. Wenn es den Menschen an das Portemonnaie geht, werden sie nervös. Das ist eine ganz normale Reaktion, auf die man sich einstellen kann und auch muss.
Manche Auseinandersetzung, mit der die Kommunen konfrontiert sind, resultiert daraus, dass die Bürger auf vielfältige Weise zur Kasse gebeten werden, sei es durch Erhöhung der Energie- und Wasserpreise oder der Gebühren für Straßenreinigung, Müllabfuhr und anderes. Der Bürger braucht diese Leistungen, und er muss sie auch bezahlen; das ist selbstverständlich. Er hat jedoch auch den Anspruch auf eine Information über die Leistung und den Preis sowie eine möglichst kostengünstige Bereitstellung.
Das Problem, das wir mit unserem Gesetzentwurf zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes ansprechen, geht in eine etwas andere Richtung. Ob und wie eine Straße ausgebaut wird, kann sehr unterschiedlich gesehen werden. Man kann das auf sehr hohem Niveau, aber auch mit hohen Kosten tun. Man kann aber auch sehr praktisch und bürgerfreundlich herangehen. Das geht bis dahin, dass zu berücksichtigen ist, dass solche Straßenausbaumaßnahmen zum Nachteil der Anlieger mit einer erheblich höheren Frequentierung der Straße verbunden sein können. Auch das muss man berücksichtigen.
Fakt ist aber, dass alle Anlieger einer solchen Straße - genauer: die Grundstückseigentümer - für die Ausbaumaßnahme anteilig zur Kasse gebeten werden. Die Kommunen folgen damit einer gesetzlichen Vorschrift. Das Kommunalabgabengesetz legt in § 8 Abs. 1 Satz 2 fest:
„Bei den dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Straßen, Wegen und Plätzen sollen Beiträge erhoben werden.“
Das heißt, selbst wenn die Kommunen im Geld schwimmen würden und solche Straßenausbauten selbst finanzieren könnten, wären sie doch durch das KAG angehalten, die Anlieger entsprechend an den Kosten zu beteiligen.
Die Höhe der Straßenausbaubeiträge wird durch eine entsprechende kommunale Satzung geregelt. Dabei richtet sich der Anteil, den die Anlieger zu den Gesamtkosten für einen Straßenausbau beizutragen haben, nach der Einordnung der jewei
ligen Straße. Bei einer Hauptstraße, die intensiver von einer breiten Öffentlichkeit genutzt wird, ist dieser Anteil deutlich niedriger als bei einer reinen Anliegerstraße, die im Wesentlichen nur den angeschlossenen Grundstücken zugute kommt. Für die konkrete Einordnung haben die Kommunen gewisse Spielräume, da es hierfür keine verbindlichen zentralen Vorgaben gibt. Eine Orientierung haben die Kommunen durch eine Mustersatzung des Städte- und Gemeindebundes erhalten.
Meine Damen und Herren, das KAG schreibt die Verpflichtung der Kommunen zur Erhebung von Anliegerbeiträgen fest, aber es sieht keine verbindliche Regelung vor, die den betroffenen Anliegern ein Mitspracherecht vor der Durchführung von Straßenbaumaßnahmen einräumt. Es gilt nur die allgemeine Unterrichtungspflicht nach § 16 der Gemeindeordnung, der die Kommunalverwaltungen in der Regel jedoch nur sehr locker nachkommen, da sie sehr allgemein gehalten ist. Die Vielzahl von Einsprüchen, Petitionen und anderes bestätigt diese Feststellung, und ich denke, das kann man vielerorts feststellen.
Das bedeutet faktisch, dass die Kommunen letztlich auf Kosten der Anlieger Straßen ausbauen können, ohne diese vorher einbeziehen zu müssen. Das führt vielerorts zu Unverständnis und heftigem Streit, obwohl doch eine sanierte Straße eigentlich eine gute Sache ist. Aber man sollte eben niemanden zu seinem Glück zwingen wollen.
Diesem Anliegen folgend, haben einige wenige Kommunen in ihre Straßenausbaubeitragssatzung eine entsprechende Regelung aufgenommen, nach der die betroffenen Anlieger in die Vorbereitung von Straßenausbauten einzubeziehen sind. Eine solche Vorschrift gilt zum Beispiel in der Landeshauptstadt Potsdam. Danach sind die jeweiligen Grundstückseigentümer über eine beabsichtigte Ausbaumaßnahme, das heißt über den Umfang, die konkrete Ausführung und die entstehenden Kosten, zu informieren.
Diese Information ist mit einer Befragung zu verbinden, ob die Anlieger - ich meine in diesem Fall die Eigentümer, die wiederum die Anlieger, also alle, informieren müssen - mit dieser Maßnahme einverstanden sind. Wenn sich eine Mehrheit dagegen ausspricht, ist der Vorgang der Stadtverordnetenversammlung zur Entscheidung vorzulegen. Damit ist eine bürgerfreundliche Regelung gefunden worden, die in verschiedenen Fällen nachweisbar positive Wirkung entfaltet hat.
In der praktischen Anwendung wurde aber auch deutlich, dass diese Satzungsregelung nur von begrenzter Wirkung ist. Wie sich im Falle der rückwirkenden Erhebung von Anliegerbeiträgen zeigte, ist die Satzungsvorschrift im Zweifelsfall nicht durchsetzbar. So stellt der Oberbürgermeister, ausgehend von einer Stellungnahme der Kommunalaufsicht, fest, dass die Satzungsregelung zur Information der Bürger nur eine Verfahrensregelung für die Planungs- und Durchführungsphase einer Baumaßnahme darstellt. Dann heißt es:
„Die Durchführungsphase ist jedoch zu trennen von der Heranziehungsphase für die Beitragspflicht, da die Voraussetzungen für die Beitragspflicht durch das Kommunalabgabengesetz bestimmt sind und das KAG keine Vorschrift enthält, die den Gemeinden eine Informationspflicht auferlegt.“
Hier wird also auf einen Mangel des KAG aufmerksam gemacht. Ich denke, diesem unbefriedigenden Zustand sollte schnell abgeholfen werden. Deshalb legen wir Ihnen einen Gesetzentwurf zur Novellierung des KAG vor, mit dem eine Stärkung der Rechte der Bürger, in diesem Fall der Grundstückseigentümer, erreicht werden soll. Wir wollen, dass in das KAG eine verbindliche Regelung zur Bürgerbeteiligung bei Straßenbaumaßnahmen aufgenommen wird. Damit soll den betroffenen Anliegern ermöglicht werden, darauf Einfluss zu nehmen, ob die geplante Maßnahme überhaupt durchgeführt wird bzw. wie umfangreich und kostenintensiv eine solche Maßnahme sein soll.
Da diese Diskussion nicht zum ersten Mal stattfindet - ich erinnere an die Kommunalen Entlastungsgesetze -, kenne ich das häufig gebrauchte Argument, das gegen ein solches Mitspracherecht ins Feld geführt wird. Da wird behauptet, dass unter diesen Umständen gar keine Straßenbaumaßnahmen mehr stattfinden würden, da sich immer eine Mehrheit der Anlieger dagegen ausspreche. Dem kann ich nicht folgen, da es in vielen Fällen das konkrete Interesse der Anlieger an einer Verbesserung des Straßenzustandes und die Bereitschaft zur finanziellen Beteiligung gibt.
Trotzdem schlagen wir analog der Potsdamer Regelung vor, dass nicht die Bürger unmittelbar über die Durchführung einer solchen Maßnahme entscheiden, sondern bei einer mehrheitlichen Ablehnung durch die Anwohner die Gemeindevertretung über den Vorgang entscheidet. Die Anlieger sind also vor einer solchen Maßnahme zu befragen. Das ist in jedem Fall mit einer öffentlichen Diskussion verbunden und ermöglicht eine spezifische Entscheidung zur Ausgestaltung der jeweiligen Ausbaumaßnahme.
Es kann darüber diskutiert werden, ob die Gehwege so breit sein müssen, wie sie geplant sind, in welchem Abstand und in welcher Ausführung eine Straßenbeleuchtung sein muss usw.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach meiner Kenntnis gibt es eine solche bürgerfreundliche Regelung bisher nur in unserem Nachbarland Berlin. In § 3 Abs. 3 des Berliner Straßenausbaubeitragsgesetzes vom 16.03.2006 ist festgelegt, dass die Beitragspflichtigen rechtzeitig vor Beginn einer Ausbaumaßnahme über deren Bereich, die Art und den Umfang sowie über die Höhe der zu erwartenden Kosten und die für das Grundstück anfallenden Beiträge schriftlich zu informieren sind. Es heißt weiter, dass ihnen Gelegenheit zu geben ist, Stellung zu nehmen, Einwände zu äußern oder Vorschläge einzubringen. Den Beitragspflichtigen ist die Einsicht in die Planungsunterlagen zu gewähren. Zudem soll die Behörde nicht nur eine Ausbauvariante, sondern auch kostengünstige Alternativausbauten aufzeigen. Ich verstehe nicht, warum Brandenburg auf einem so sensiblen Gebiet deutlich schlechter sein soll als Berlin. Warum sollte nicht gerade in dieser Frage eine zügige Rechtsangleichung unter Berücksichtigung der Spezifik des Flächenlandes Brandenburg erfolgen?
Ich fordere Sie auf - und würde mich sehr freuen, wenn Sie mir folgten -, einer Überweisung an den Innenausschuss zuzustimmen, um eine vertiefende Diskussion zu ermöglichen. - Danke schön.
Herzlichen Dank. - Ein Antrag auf Überweisung liegt hier - zumindest nicht schriftlich - nicht vor. Ich bitte das zu kontrollieren.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Scharfenberg, Sie machen es einem nicht leicht: Einmal reden Sie von Anliegerstraßen, dann sind es wieder alle Straßen, die dort benannt werden - ob Kreisstraßen, Landesstraßen oder Ähnliches -, und alles wird unterschiedlich behandelt. Im Übrigen bin ich mir sicher, dass die Brandenburger Kommunen in der Praxis besser verfahren, als in Berlin verfahren wird; denn da gibt es herausragende Unterschiede, schon was die Kleinteiligkeit der Entscheidung angeht.
Ich habe Ihren Gesetzentwurf verschiedenen Bürgermeistern, unabhängig ihrer politischen Ausrichtung, vorgelegt und darf den Kommentar eines dieser Bürgermeister verlesen, der mir geantwortet hat: Bisher war die PDS doch immer „Retter der Kommunen“. Was ist denn nun bei denen passiert? - Diese ablehnende Haltung wird nicht nur von den Bürgermeistern getragen, sondern auch von den kommunalen Spitzenverbänden, auf die Sie sich ja immer berufen.
So wichtig eine rechtzeitige Anliegerinformation für die betroffenen Bürger auch ist, birgt der vorgelegte Entwurf zur Änderung des Gesetzes aber auch einige Gefahren und nicht abschätzbare Mehrkosten für die Kommunen, die dann aus allgemeinen Steuermitteln finanziert werden müssen. Insofern stimmt also schon der Teil des Gesetzentwurfs nicht, in dem steht, dass keine Kosten entstehen würden.
Herr Schippel, stimmen Sie mit mir darin überein, dass das Interesse der betroffenen Bürger nicht automatisch mit dem Interesse von Kommunalverwaltungen und der kommunalen Spitzenverbände übereinstimmen muss?
Ich stimme mit Ihnen darin überein, gehe aber davon aus - das wissen wir alle -, dass es das hohe Gut der kommunalen Selbstverwaltung gibt und dass die Entscheidungen in den Kommunen nicht von den Verwaltungen getroffen werden, sondern von dem Souverän: den Stadtverordnetenversammlungen und Gemeindevertretungen.
Aber nicht nur an dieser Stelle wirft Ihr Gesetzentwurf Fragen auf. Dass die betroffenen Anlieger kein Mitspracherecht haben, ist nicht richtig. Anliegerinformationen werden seitens der Ver
waltung ebenfalls als notwendig erachtet und in der überwiegenden Zahl der Baumaßnahmen auch in mehreren Etappen gegeben bzw. durchgeführt.
Die erste Möglichkeit der Bürgerschaft, von beabsichtigten Baumaßnahmen Kenntnis zu nehmen, besteht im Rahmen der öffentlichen Haushaltsdiskussion in den Ortsbeiratssitzungen und Stadtverordnetenversammlungen bzw. Gemeindevertretersitzungen. Die Baumaßnahmen werden in öffentlichen Sitzungen der Bauausschüsse beraten, bevor sie der Gemeindevertretung zur Beschlussfassung vorgelegt werden. Auch die dortige Sitzung ist öffentlich. Sie haben gerade anhand des Potsdamer Beispiels beschrieben, wie wunderbar das funktionieren kann.
Nach Veröffentlichung im Amtsblatt wird die Planung in den Verwaltungen ausgelegt. Bürgerschaft und Anlieger haben dort die Möglichkeit, Anregungen und Bedenken anzumelden. Vor Beginn der Baumaßnahmen wird dann in der Regel die Anliegerversammlung oder die Versammlung der Betroffenen durchgeführt, um über die bevorstehenden Baumaßnahmen und - logischerweise - auch über die voraussichtlichen Kosten zu informieren. Die interessierten Bürger, also auch betroffene Anlieger, haben zu diesem Zeitpunkt ausreichend Möglichkeiten, sich rechtzeitig über bevorstehende Baumaßnahmen zu informieren, ohne dass es einer spezialgesetzlichen Regelung im KAG bedarf. Leider ist zu beobachten, dass diese vielfältigen Möglichkeiten von den Bürgern nicht genutzt werden.
Die PDS ist der Meinung, dass es keine Alternative zur Gesetzesänderung gebe. Meine Damen und Herren, Sie haben zwar § 16 genannt, verschweigen aber die Folgeparagrafen der Gemeindeordnung - beispielsweise § 20 -, in denen die umfangreichen Teilhabe- und Mitbestimmungsrechte der Bürger verankert sind. Sie müssen nur genutzt werden. Das können wir den Bürgern nicht vorschreiben, das sollten sie von sich aus tun. Was Bürgeranträge betrifft, werden wir im Übrigen die Möglichkeiten in der neuen Gemeindeordnung noch ausbauen.
Die Entscheidung über das Ob und Wie muss auch aufgrund der Verkehrssicherungspflichten und der Amtspflichten in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit nach dem Brandenburgischen Straßengesetz, nach anderen gesetzlichen Bestimmungen Wassergesetz etc. - weiterhin vollumfänglich in der Hand der Kommune liegen. Diese entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen und unter dem Aspekt der sparsamen Haushaltsführung über die Notwendigkeit einer Baumaßnahme. In diesem Fall, Kollege Scharfenberg, ist die Kommune nicht die Verwaltung, sondern die gewählte Vertretung.
Ihr Gesetzentwurf, meine Damen und Herren der PDS, ist de facto ein Misstrauensvotum gegenüber diesen gewählten Vertretungen. Die Änderung des KAG in dieser Hinsicht würde dazu führen, dass noch weniger Straßenbau in den Gemeinden stattfindet. Die Finanzierung würde erheblich erschwert werden. Aus diesem Grunde lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Um es kurz zu machen: Den vorliegenden Gesetzentwurf der Linkspartei.PDS zur Einführung einer Betroffenenbeteiligung bei Straßenbauund Erschließungsmaßnahmen lehnen wir ab. Einer Ausschussüberweisung würden wir zustimmen, jedoch lag bis jetzt nichts vor. Sie, Herr Dr. Scharfenberg, hatten es jetzt gesagt; vielleicht kommt dies noch.
Letzteres ist nicht den gesetzgeberischen Künsten der Linkspartei.PDS geschuldet, sondern dem Thema selbst, meine Damen und Herren. Die Linkspartei.PDS hat sozusagen einen Zufallstreffer gelandet. Oder konkret: Der Schuss geht in die richtige Richtung, aber: Dicht daneben ist auch vorbei!
Das Thema selbst brennt den Bürgerinnen und Bürgern tatsächlich auf den Nägeln; da kann man sich mit jedem unterhalten. Sie fühlen sich durch solche Straßenausbau- und Erschließungsmaßnahmen vielfach nach dem Prinzip „Die da oben entscheiden, und wir dürfen zahlen - egal, wie die Straße aussieht, wie sie gemacht wird, ob mit Bitumen oder sonst etwas“ über den Löffel gezogen. Eine Beteiligung der betroffenen Bürger ist deshalb wirklich diskussionswürdig.