Protocol of the Session on December 13, 2006

die die Menschen in diesem Lande bewegen. Genau das tut er. Ihm dann die Überschriften vorzuhalten ist absolut unredlich.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Wachstum aus eigener Kraft ist unser Ziel. Der Titel dieser Regierungserklärung ist ganz bewusst gewählt, weil wir in einigen Jahren nicht nur auf eigenen Beinen stehen, sondern auch sicheren Fußes laufen können müssen. Das müssen wir nicht nur müssen, sondern wir wollen es auch wollen. Wir werden es auch können, weil wir Brandenburger dazu in der Lage sind.

(Beifall bei der SPD)

Vor ein paar Tagen habe ich in der „Märkischen Oderzeitung“ gelesen: Kein Wunder an der Oder, aber Zuversicht. - Das gilt nicht nur für Frankfurt, das gilt für ganz Brandenburg. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Für die DVU-Fraktion spricht die Abgeordnete Hesselbarth.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, ein hilfloser Versuch, eine bisher verfehlte Wirtschaftspolitik gerade zu ziehen, genau das sind die Gedanken, die mir kommen, wenn ich die Politik Ihrer Regierung insbesondere in den investiven Bereichen der Wirtschaft und Infrastruktur objektiv analysiere. Das Kabinett hat am 5. Dezember ein sogenanntes Maßnahmenbündel für weitere neun sogenannte regionale Wachstumskerne, die ich hier nicht noch einmal im Einzelnen aufzählen will, gebilligt. Aus dem entsprechenden Bericht der Landesregierung, Herr Ministerpräsident, einschließlich der im Anhang befindlichen Projektlisten zu den einzelnen Schwerpunktorten geht allerdings, selbst wenn man sich das Ganze zehn Mal durchliest, nichts, aber auch wirklich nichts, was nicht ohnehin schon bekannt wäre, hervor. Daher frage ich mich als Fraktionsvorsitzende der einzigen echten Opposition hier im Landtag:

(Allgemein: „Oh!“ - Beifall bei der DVU)

Wozu heute diese Regierungserklärung? Ich denke, die Frage ist berechtigt. Warum ist sie hier und heute notwendig? - Die DVU-Fraktion hat sehr lange und intensiv über Ihre Beweggründe nachgedacht, Herr Ministerpräsident. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass Sie selbst, Herr Platzeck, und Ihre Regierung nach den Skandalen in den letzten Wochen angeschlagen sind und völlig orientierungslos herumtaumeln.

(Beifall bei der DVU)

Sie meinten in den letzten Wochen, nach Gutsherrenart regieren und auf die Demokratie pfeifen zu können, nach dem guten alten Motto der Grünen der siebziger Jahre: legal, illegal, scheißegal. - Das ist wohlgemerkt ein Zitat und nicht von mir.

(Beifall bei der DVU)

Nach der Szymanski-Versorgungsaffäre, Ihrem Versuch, Ihre für dieses Amt völlig ungeeignete Parteifreundin auf den Posten der Präsidentin des Landesrechnungshofs zu hieven, der doppelten Mehrheitsentscheidung der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung gegen die Landtagsschlossattrappe auf dem Alten Markt und schließlich auch nach den Massenprotesten von über 8 000 Beamtinnen und Beamten gegen den Versuch Ihres Finanzministers, das Weihnachtsgeld komplett zu streichen - was von Ihren Koalitionsfreunden erst einmal verschoben wurde -, stehen Sie, Herr Ministerpräsident, nackt und bloß da, wie die berühmte Gestalt aus Hans Christian Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“.

(Beifall bei der DVU)

Da dachten Sie wohl: Ich mache jetzt nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ einen Schachzug nach vorn und lobe mich öffentlichkeitswirksam selbst in Form einer Regierungserklärung. Doch mit Verlaub, Herr Ministerpräsident, dieses Thema Ihrer Regierungserklärung ist wahrlich alles andere als dazu angetan, für diese Landesregierung Pluspunkte bei der Bevölkerung oder der mittelständischen Wirtschaft dieses Landes zu sammeln.

Herr Baaske, ich gebe Ihnen den Rat: Gehen Sie nicht immer in Vorzeigeunternehmen oder Vorzeigeschulen, sondern an die Basis, und zwar unangemeldet.

(Beifall bei der DVU)

Brandenburg ist heute, 17 Jahre nach der Wende, von Massenarbeitslosigkeit, Firmenpleiten, geradezu fluchtartiger Abwanderung besonders aus den berlinferneren Regionen und dem Zusammenbruch des Bildungssystems sowie der Infrastruktur geprägt. Das sind nur die wichtigsten Politikbereiche. Mit Ihrer Fokussierung der Förderpolitik auf nur 15 sogenannte regionale Wachstumskerne und 16 sogenannte Schwerpunktbranchen wird sich die Abwärtsspirale, in der sich unser Land befindet, in Zukunft noch viel schneller drehen.

Meine Damen und Herren! Bevor ich in meiner sachlichen Analyse fortfahre, zunächst noch ein Zitat von Ihnen, Herr Ministerpräsident und Herr Wirtschaftsminister Junghanns, laut Presse- und Informationsamt der Landesregierung vom 22.11.2005:

„Wir haben heute wichtige Weichen für die Zukunft gestellt. Kernpunkt aller Überlegungen ist das Ziel, die bedrückend hohe Arbeitslosigkeit in Brandenburg zu verringern. Wir stellen uns mit der neuen Förderstrategie sowohl den Auswirkungen des demografischen Wandels als auch der Tatsache, dass das Etatvolumen in den nächsten 15 Jahren um mehr als 20 % schrumpfen wird.“

Doch was, Herr Ministerpräsident und Herr Wirtschaftsminister, ist im vergangenen Jahr passiert? - Genau darüber haben wir uns ausführlich im Zuge der Haushaltsdebatte unterhalten. Von über 600 Millionen Euro GA- und EFRE-Mitteln des Wirtschaftsressorts wurden bis zum 30.09. dieses Jahres gerade einmal 200 Millionen Euro, das heißt ein knappes Drittel, ausgegeben. Zum Jahresende, so denken wir, dürften es nicht einmal 50 % sein. Das freut natürlich Herrn Steinbrück, und es freut sich möglicherweise auch die EU-Kommission, aber für die mittelständisch geprägte Wirtschaft unseres Landes ist das Ganze jedoch ein Skandal und eine Katastrophe zugleich. Laut vorliegendem Haushaltsplan sollen die Wirtschaftsfördermittel im Jahr 2007 gegenüber diesem Jahr nochmals um 131 Millionen Euro gekürzt werden.

Kommen wir zum Infrastrukturbereich, dem zweitgrößten Investitionsbereich unseres Landes, so stellen wir fest, dass auch hier fast 32 Millionen Euro gekürzt werden sollen. Dazu kommt noch eine inzwischen durch politische Taschenspielertricks der Koalitionsfraktionen scheinbar geschlossene Deckungslücke beim ÖPNV in der Größenordnung von 25,8 Millionen Euro. Unserer Fraktion - sicherlich nicht nur unsere Fraktion - liegt ein Schreiben der Brandenburger Unternehmensgemeinschaft ÖPNV aus Cottbus zur Novellierung des vom 1. Januar 2007 an geltenden ÖPNV-Gesetzes vor. Darin heißt es:

„Die Ausgaben der Bürgerinnen und Bürger für individuelle Mobilität steigen immer weiter an. Hinter den Wohnungskosten und vor den Aufwendungen für Ernährung machen sie den zweitgrößten Anteil der Lebenshaltungskosten privater Haushalte aus. Insbesondere das Autofahren ist erheblich teurer geworden. Wie das statistische Bundesamt ermittelt hat, haben sich die Preise für den Kauf und die Unterhaltung eines Kraftfahrzeugs zwischen

August 2000 und August 2006 um 17,1 % erhöht. Dagegen sind die durchschnittlichen Verbraucherpreise in Deutschland nur um 10,5 % gestiegen. Leider führt der Zwang zum rein wirtschaftlichen Betrieb verstärkt dazu, dass immer mehr Bus- und Bahnverbindungen ausgedünnt oder eingestellt werden. Die in diesem Jahr beschlossene Kürzung der Regionalisierungsmittel um 3,3 Milliarden Euro bis 2010 wird die Situation weiter verschärfen. Gerade wenn die Kosten für das Autofahren weiter steigen, wäre es fatal, weniger Mittel für Busse und Bahnen bereitzustellen. Wir als Verkehrsunternehmen kämpfen daher um Ihre Unterstützung, damit unser Verkehrsangebot den Menschen in unserer Region als echte Alternative zum PKW erhalten bleibt. Wir fordern vom Landtag Brandenburg, die Kürzungen des Bundes weitgehend auszugleichen. Die Länder erhalten aus dem Bund-Länder-Paket unter anderem durch die erhöhte Mehrwertsteuer eine Nettoentlastung von rund 11 Milliarden Euro im Jahr. Ein Teil dieses Geldes sollte der Mobilität der Bürgerinnen und Bürger wieder zugute kommen und die Kürzungen der Regionalisierungsmittel weitestgehend kompensieren.“

Ja, meine Damen und Herren, ja, Herr Minister Dellmann, in anderen Bundesländern hat man das so gemacht, jedoch nicht in Brandenburg. Nach dem Motto: Was kümmert uns des Volkes Wille? soll die Verkehrsinfrastruktur in weiten Teilen unseres Landes noch stärker ausgedünnt und sollen sechs Strecken komplett gestrichen werden. So kann man Verkehrspolitik natürlich auch machen.

Meine Damen und Herren! Nachdem sich in dem zu Ende gehenden Jahr seit den großartigen Ankündigungen des Ministerpräsidenten und seines Wirtschaftsministers zur neuen Förderpolitik die Abwärtsspirale in der von mir gezeigten Weise bereits deutlich beschleunigte, wird es nach den neuen Kabinettsbeschlüssen nicht besser werden; denn, meine Damen und Herren von der Regierungsbank, wenn ich mir Ihre Karte der sogenannten regionalen Wachstumskerne ansehe, stelle ich fest, dass es immer noch Landkreise in Brandenburg gibt, die überhaupt nicht gefördert werden, und zwar die Landkreise Märkisch-Oderland, Potsdam-Mittelmark und auch Havelland.

Bleiben wir beim Havelland. Vor kurzem ließ eine Pressemeldung in der „Märkischen Allgemeinen“ Zeitung aufhorchen, in der berichtet wurde, dass die Gemeinden Wustermark, Brieselang, Dallgow-Döberitz und Schönwalde-Glien sowie die Stadt Falkensee von sich aus künftig enger als bisher zusammenarbeiten wollen. Hauptziel dieser neuen Gemeinschaft in Osthavelland, so die Bürgermeister, sei es, gegenüber den Akteuren auf Landesebene kraftvoller als bisher auftreten zu können. Hintergrund dieses Bündnisses ist die Tatsache, dass die genannten fünf Kommunen trotz ihrer relativ großen Wirtschaftskraft und ihres günstigen, berlinnahen Standortes ein sogenannter weißer Fleck auf der Karte der regionalen Wachstumskerne sind. Selbst Herr Müller von der SPD-Fraktion, der als selbstständiger Unternehmer bekanntlich aus dieser Region kommt - Sie werden heute bestimmt noch etwas dazu sagen -, hat im vergangenen Jahr kritisiert, dass es für diese Regionen, besonders für die Entwicklung der Metropolenregionen, kein Konzept gibt.

Meine Damen und Herren! Nicht nur die von mir erwähnten Landkreise sind weiße Flecken auf Ihrer Förderlandkarte, son

dern auch die gesamte Uckermark mit Ausnahme von Schwedt, der Landkreis Ostprignitz-Ruppin mit Ausnahme von Neuruppin sowie der Landkreis Barnim mit Ausnahme von Eberswalde. In der Prignitz wurde der Wachstumskern KarstädtPerleberg-Wittenberge

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Klocksin [SPD])

nur deshalb künstlich zusammengeschustert, weil sich dort oben mehrere Kommunen sogar schon lautstark mit dem Gedanken trugen, das Bundesland zu wechseln und sich Mecklenburg-Vorpommern anzuschließen.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Klocksin [SPD])

Und wie sieht es, meine Damen und Herren, mit den sogenannten Schlüsselbranchen aus, auf die der Großteil der Fördermittel konzentriert werden soll? - Deren Arbeitskräftebedarf ist wie bei der Biotechnologie, der Informationstechnologie und der Luftund Raumfahrttechnik entweder von Hause aus sehr gering oder erfordert so hochqualifiziertes Personal, dass man es von außerhalb holen muss, wenn man es in der Region nicht hat.

Bei anderen Schlüsselbranchen wie der Ernährungswirtschaft oder dem Tourismus wird sich die räumliche Einengung auf Wachstumskerne sehr negativ auswirken; denn diese Branchen sind von Natur aus breitflächig angelegt. Gerade zum Bereich Tourismus hatten wir im zurückliegenden Jahr mehrere Anhörungen und wissen daher sehr genau, welche Probleme herrschen und dass sich deren Lösung räumlich nicht auf sogenannte Wachstumskerne konzentrieren lässt.

(Zuruf von der SPD)

Um unsere Argumentation einer räumlichen wie auch branchenmäßigen Ausblutung Brandenburgs zu untermauern, brauchte man sich nur per Mausklick die derzeit geltende GA-Richtlinie über den Ausbau der wirtschaftsnahen kommunalen Infrastruktur anzusehen. Hier ist insbesondere interessant, was nicht mehr gefördert werden kann. Ich möchte einige Beispiele benennen: der Einzelhandel, die Erschließung von Industrie- und Gewerbegelände, Landschaftspflege und Denkmalschutz, Naherholungsmaßnahmen, Sanierung oder Instandsetzung kulturhistorischer Gebäude, Errichtung oder Ausbau von Unterkünften, Sporteinrichtungen, Parkplätze, Bäder, Kureinrichtungen, Gästehäuser, Kongress- und Tagungszentren, Wirtschaftshäfen und Regionalflugplätze, Straßennetze oder Netze des öffentlichen Personennahverkehrs, Errichtung oder Ausbau von Gewerbezentren sowie Technologie- und Gründerzentren usw. usf.

Dass eine solche Förderpolitik Wirtschafts- und Infrastrukturverhinderung sowie Abwanderungsbeschleunigung bewirkt, pfeifen heute bereits die Spatzen von den Dächern. Nicht umsonst haben derzeit einzig und allein Abrissunternehmen in den ländlichen Regionen Brandenburgs Hochkonjunktur. Unter dem schön umschreibenen Namen „Stadtumbau Ost“ verschwanden in den letzten Jahren bereits 16 000 Wohnungen. Insgesamt sind bis zu 50 000 weitere Abrisse vorgesehen. Auslöser dieses gigantischen Abrissprogramms sind die teilweise drastisch zurückgehenden Einwohnerzahlen.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Klocksin [SPD])

Beispiel Schwedt, immerhin ein regionaler Wachstumskern: 3 100 Wohnungen wurden bereits abgerissen, 2 000 weitere sind

zum Abriss freigegeben. Von einstmals 52 000 Einwohnern verließen in den letzten 15 Jahren 14 000 die Stadt. Die meisten Menschen zogen wegen fehlender Arbeit in andere Gegenden, insbesondere in die Altbundesländer.

Beispiel Wittenberge: Rund 8 000 der ehemals 28 000 Einwohner kehrten ihrer Heimat den Rücken. Von den einstmals drei großen Arbeitgebern des Ortes blieb kein einziger übrig, und 8 000 Arbeitsplätze verschwanden praktisch über Nacht. Bis 2010 sollen in Wittenberge rund 2 000 Wohnungen abgerissen werden.

Brandenburg wird in den nächsten 15 Jahren 170 000 Einwohner verlieren. Neben der inzwischen geradezu fluchtartigen Abwanderung trägt eine dramatisch niedrige Geburtenrate ebenso zu der Bevölkerungsabnahme bei. Während die Bevölkerungszahl im sogenannten Speckgürtel rund um Berlin bis zum Jahre 2020 sogar noch einmal um 50 000 Einwohner zunehmen dürfte, werden nach statistischen Berechnungen die ländlich geprägten Regionen Brandenburgs rund 225 000 Einwohner verlieren.

(Dr. Klocksin [SPD]: Ist ja alles bekannt! Das ist alles nicht neu!)

Diesen Abwärtstrend kann nicht einmal die höhere Lebenserwartung umkehren. Im Jahre 2020 ist jeder vierte Brandenburger über 65 Jahre alt - und was tut diese Landesregierung? Statt eine Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Sozial-, Bildungs- und Infrastrukturpolitik mit dem Ziel einer deutlichen Steigerung der Geburtenrate und eines Stopps bzw. einer Umkehr der Abwanderungsbewegung zu betreiben,

(Zuruf des Abgeordneten Holzschuher [SPD])

haben Sie das verfassungsmäßig festgelegte Prinzip der dezentralen Konzentration längst aufgegeben. Sie haben sich mit den demografischen Gegebenheiten, als seien sie gottgegeben, abgefunden und preisen Ihre förderpolitische Zentralisierungspolitik in den höchsten Tönen, während Sie gleichzeitig das breite Land, das förderpolitisch zum größten Teil aus weißen Flecken besteht, buchstäblich links liegen lassen.

(Beifall bei der DVU)

Ich denke, die Frage ist berechtigt: Warum machen Sie aus rund zwei Dritteln unseres Landes nicht gleich einen überdimensionierten Naturpark? In diesem können die Touristen, wenn sie denn kommen, die wenigen verbleibenden Ureinwohner in ihren wenigen Reservaten als Touristenattraktion bestaunen.

(Dr. Klocksin [SPD]: Das ist dummes Gerede!)

- Denn nichts anderes, Herr Dr. Klocksin, ob Sie das nun wollen oder nicht, wird das Ergebnis Ihrer Förderungszentralisierung auf wenige Schlüsselbranchen in sogenannten Wachstumskernen sein.