Protocol of the Session on November 24, 2004

Lebensverhältnisse in allen Teilen des Bundesgebietes

Antrag der Fraktion der PDS

Drucksache 4/84

Für die PDS- Fraktion eröffnet der Abgeordnete Vietze die Aussprache.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Thema „Föderalismusreform“ hat in den ersten Zusammenkünften des Hauptausschusses eine sehr intensive Erörterung stattgefunden. In diesem Zusammenhang wurden zweimal Berichte des Finanzministers, der stellvertretend für die Landesregierung Brandenburg Mitglied der Föderalismuskommission ist, zur Kenntnis genommen.

In diesem Zusammenhang wurde allen Abgeordneten nunmehr sogar ein Sprechzettel der beiden Kovorsitzenden der Föderalismuskommission, Herrn Müntefering und Herrn Stoiber, über das am 17./18. Dezember abschließend zur Erörterung Anstehende zur Kenntnis gegeben. Diese Sachverhalte gaben den Anlass, sich in den Landtagen SchleswigHolstein, Sachsen- Anhalt, Berlin, Brandenburg, NordrheinWestfalen und anderen nochmals zu diesen Problemfeldern zu verständigen und entsprechende Empfehlungen zu beschließen. Dies ist umso wichtiger, als es auch in Brandenburg Differenzen zwischen der von sämtlichen Landtagspräsidenten erarbeiteten und abgegebenen Münchener Erklärung und der Auffassung einiger Abgeordneter gibt. Es ist sicherlich angebracht, dazu eine Verständigung herbeizuführen.

Wir haben in unserem Antrag Verständigungsbedarf bezüglich des Inhalts signalisiert. Mir wurde heute zur Kenntnis gegeben, dass die Koalitionsfraktionen einer Überweisung an den Ausschuss zustimmen. Ich sehe damit durchaus die Möglichkeit, zum Beispiel durch eine Beschlussempfehlung des Hauptausschusses, Fragen der Föderalismusreform am 15. oder 16. Dezember, also noch vor der abschließenden Beratung in der großen Kommission, im Landtag zu behandeln.

Ich bitte um Zustimmung zur Überweisung des Antrags und um eine konstruktive Teilnahme an der Diskussion und eine abschließende Beratung im Dezember. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Für die Fraktion der SPD spricht der Abgeordnete Holzschuher.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Es wurde eben schon vorweggenommen, dass vonseiten der SPD- Fraktion und, soweit ich informiert bin, auch vonseiten der CDU- Fraktion, die Überweisung des Antrags an den Hauptausschuss empfohlen wird. Es ist also nicht so, dass wir grundsätzlich ablehnen, was von der PDS- Fraktion kommt.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

In diesem Falle rennen Sie offene Türen ein, jedenfalls hinsichtlich einiger im Antrag enthaltener Punkte.

Die SPD- Fraktion hat sich am gestrigen Tage zum wiederholten Mal mit der Thematik befasst und eine ähnliche Ent

schließung gefasst. Allerdings sind wir der Meinung, dass es im gegenwärtigen Stadium nicht sinnvoll ist, die Verhandlungsführer - insbesondere den Ministerpräsidenten, bei dem, was er in der Kommission ausrichten kann - zu eng an Vorgaben zu binden.

Die Regierungen der 16 Länderparlamente und der Bund - die Bundesregierung und der Bundestag - sind daran beteiligt. Jeder hat unterschiedliche Vorstellungen darüber, was an der vorgesehenen Reform der Verfassung gut und richtig ist. Aus unserer Sicht ist die Reform dringend erforderlich, ja überfällig, um Deutschland handlungsfähig zu machen. Eine zu enge Bindung an Vorgaben würde die Gefahr in sich bergen - jedenfalls, wenn jeder an Vorgaben gebunden wäre - , dass in der Kommission kein Ergebnis erzielt werden könnte. Dies ist nicht im Sinne unseres Landes und auch nicht im Sinne der Handlungsfähigkeit des Bundes und der Länder, die ja gestärkt werden soll.

Vor diesem Hintergrund können wir dem Antrag in der vorliegenden Form nicht zustimmen. Er ist jedoch sehr wohl diskussionswürdig. Diese Diskussion sollte im Hauptausschuss geführt werden. Deswegen halten wir den Vorschlag der Überweisung an den Hauptausschuss für richtig. - Vielen Dank.

Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht versäumen, die Gäste von der „Neuen Sozialarbeit Brandenburg“ aus Dahme und Luckenwalde herzlich zu begrüßen.

(Allgemeiner Beifall)

Es spricht der Abgeordnete Schuldt für die Fraktion der DVU.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Föderalismusreform ist angesichts der mit ihrer Zielsetzung verbundenen Neuverteilung der Kompetenzen in den Artikeln 73 bis 75 wahrscheinlich das größte Reformvorhaben seit dem Zusammentritt der verfassunggebenden Versammlung zur Schaffung des Grundgesetzes. Mit Recht - historisch gesehen sinnvoll - haben sich die Väter des Grundgesetzes seinerzeit für ein föderales System entschieden, denn die besondere Situation Deutschlands gebot damals, einen besonderen Akzent auf die regionalen, kulturellen und strukturellen Besonderheiten der Regionen zu setzen. Diesen Erfordernissen kann aber nur Rechnung getragen werden, wenn das Subsidiaritätsprinzip bei der Kompetenzverteilung und der Kompetenzzusicherung konsequent angewandt wird, und zwar auf Bundes- , Landes- bis hinunter zur kommunalen Ebene, angepasst an den spezifischen Regelungsbedarf und an die spezifische Leistungsfähigkeit der einzelnen Ebenen.

Leider Gottes wurden durch die Bundespolitik der letzten Jahrzehnte, insbesondere durch die Politik der SchröderRegierung, immer mehr Länderkompetenzen auf die Bundesebene gezogen und durch die Schaffung von Gemeinschaftsaufgaben und der damit verbundenen Mischfinanzierung auch eine überbordende Bürokratie geschaffen. Das trägt einerseits zur Misere der öffentlichen Haushalte, andererseits aber auch zur Schwerfälligkeit und teilweise zur Undurchführbarkeit elementarer Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge bei. Deswegen bedeutet die Föderalismusreform für uns als

DVU- Fraktion vor allem eine Wiederherstellung des föderalen Systems, wie es dem Willen der damaligen Verfassungsgeber entsprach.

Der Antrag der PDS- Fraktion enthält viele Prämissen, denen man durchaus zustimmen könnte. Geht man allerdings ins Detail, werden ideologische Standpunkte deutlich, die wir so nicht mittragen können. Wenn die PDS- Fraktion als Primat der Reform ein Bekenntnis zu gleichwertigen Lebensverhältnissen in allen Teilen des Bundesgebietes fordert, gleichzeitig jedoch den Ideenwettbewerb der Länder um die beste Lösung zur Verbesserung der wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen allein von dieser sozialen Komponente abhängig macht - so in Punkt 6 ihres Antrags - , dann passt das genau zu ihren Forderungen in Punkt 3, dass die Stärkung der Gesamtkompetenz der Länder nur so weit akzeptiert werden soll, wie das Verfassungsziel der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in allen Ländern nicht tangiert wird. Das bedeutet jedoch letztlich genau das Gegenteil, nämlich ein Bekenntnis zum zentralstaatlichen Dirigismus. Denn eine absolute Gleichwertigkeit der sozialen Verhältnisse in allen Ländern wird es mit Sicherheit nicht geben, schon gar nicht, solange das Land Brandenburg die ihm zugewiesenen Mittel aus dem Solidaritätszuschlag zweckentfremdet und nicht zielgerichtet - konzentriert auf den Aufbau der Infrastruktur des Landes - einsetzt.

Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Land Brandenburg mit denen der südlichen Bundesländer bleibt auch so lange Utopie, wie die Landesregierung eine Infrastrukturpolitik betreibt, die Investoren abschreckt, den Standort Brandenburg zu nutzen und hier Arbeitsplätze zu schaffen. Das Scheitern der Großprojekte, zum Beispiel der Chipfabrik, der LEG- Skandal und der lachhafte jahrelange Hickhack um den Bau des internationalen Großflughafens in der Region, sprechen ebenso für sich wie die Pleitewellen in nahezu allen Branchen dieser Region.

Zu alledem steht in Ihrem Antrag nicht das Geringste. Die PDS- Fraktion schielt einzig und allein auf den Status quo bzw. auf eine Ausweitung der Solidarität der finanzstarken Bundesländer. Eine Akzentuierung der Stärkung der eigenen Zukunfts- und Überlebensfähigkeit als selbstständiges und selbst verantwortliches Gemeinwesen ist in ihrem Antrag letztlich nicht erkennbar. Deswegen wird schon mit der Überschrift Ihres Antrags, nämlich der Gleichsetzung von staatsorganisationsrechtlichem

Reformbedürfnis

sozialstaatlichen Kriterien, im Grunde genommen das Thema verfehlt. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

Für die CDU- Fraktion spricht der Abgeordnete Lunacek.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bezüglich der grundsätzlichen Notwendigkeit der Föderalismusreform besteht breiter, parteiübergreifender Konsens. Dies gilt auch für das allgemeine Ziel, bei einer Reform der bundesstaatlichen Ordnung

Zuordnung

Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern zu kommen. Das heißt, wir brauchen eine Entflechtung der Zuständigkeiten auf allen Ebenen.

Es ist notwendig, die Blockademöglichkeiten im Bundesrat zu reduzieren; darüber ist viel diskutiert worden. Die Finanzverfassung muss teilweise geändert, das heißt, das

System der Mischfinanzierung in Teilen neu geordnet werden.

Das System des deutschen Föderalismus ist das Ergebnis einer über Jahrzehnte gewachsenen Entwicklung - Fehlentwicklungen eingeschlossen. Durch die Befugnis zur Rahmengesetzgebung war es dem Bund in den letzten Jahren und

Jahrzehnten

möglich,

Gesetzgebungskompetenzen an sich zu ziehen und die Länderparlamente in ihren Gestaltungsmöglichkeiten einzuschränken.

Bezüglich

jeweiligen

Schwerpunktsetzungen bei der Föderalismusreform gibt es allerdings je nach Interessenlage gravierende Unterschiede.

Für den Bund hat die Verminderung der Bundesratsmitwirkung durch die Verringerung der Zahl der zustimmungsbedürftigen Gesetze Vorrang. Wir, die Länder, fordern mehrheitlich mehr eigene Gestaltungsmöglichkeiten bei der Gesetzgebung sowie die Zusammenführung von Aufgaben- und Ausgabenkompetenzen durch eine Entflechtung bei den Gemeinschaftsaufgaben und der Mischfinanzierung. Die Föderalismuskommission von Bund und Ländern steht vor der ausgesprochen anspruchsvollen Aufgabe, die unterschiedlichen Interessenlagen zu einem Gesamtkonzept zusammenzuführen.

Meine Damen und Herren! Ich möchte auf einige Punkte gesondert eingehen. Zunächst zur Mischfinanzierung! Hier muss die Eigenständigkeit der Länder gestärkt werden. Ein sehr großer Teil der Investitionsmittel in unseren Haushalten ist durch Vorgaben des Bundes im Rahmen der Gemeinschaftsfinanzierung bereits gebunden. Dadurch wird der Handlungsspielraum der Länder eingeschränkt. Trotz Veränderungen muss es allerdings auch zukünftig einen solidarischen Ausgleich von gesamtstaatlich nicht hinnehmbaren strukturellen Unterschieden geben. Durch die Reform darf kein Land finanziell schlechter gestellt werden als bisher. Das ist für uns außerordentlich wichtig.