Protocol of the Session on October 26, 2006

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dieser Änderung des Brandenburgischen Polizeigesetzes wollen wir unsere Polizei in die Lage versetzen, sich den aktuellen und geänderten Anforderungen auf dem Gebiet der inneren Sicherheit zu stellen und dabei zugleich in größtmöglichem Umfang die Rechte und Belange unserer Bürger zu wahren.

Die Landesregierung hat nach intensiver Erörterung diesen Entwurf am 26. September verabschiedet. An diesem Vorhaben haben bis zuletzt die Ministerien - insbesondere das Ministerium der Justiz, das Ministerium der Finanzen, das Ministerium für Wirtschaft und die Staatskanzlei - mitgearbeitet.

In diesem Gesetzentwurf geht es um vier zentrale Änderungspunkte. Sie betreffen folgende Bereiche, erstens: Videoüberwachung, zweitens: Wohnraumüberwachung, drittens: Eingriffe in die Telekommunikation und viertens: anlassbezogene Kennzeichenfahndung. Lassen Sie mich zu den einzelnen Punkten kurz einige Ausführungen machen.

Wie Sie wissen, läuft die polizeiliche Befugnis zur Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze im Dezember dieses Jahres aus. Dies war der zeitliche Anlass für die Änderung des Polizeigesetzes.

Durch die nun vorgesehene Gesetzesänderung wird das Instrument der Videoüberwachung nicht - wie verschiedentlich behauptet - großflächig ausgeweitet. Neu daran ist, dass die Überwachung grundsätzlich auch an besonders gefährdeten Objekten und Orten stattfinden kann, wenn entsprechende polizeiliche Erkenntnisse vorliegen, die eine solche Gefährdung belegen.

Daneben soll eine Aufzeichnung der Videoaufnahmen nunmehr permanent erfolgen und nicht, wie bisher, nur spontan. Diese ständige Aufzeichnung dient der erleichterten Verfolgung von Straftaten.

Der schnelle Fahndungserfolg bei der Suche nach den Tätern des gescheiterten Anschlags auf die Regionalbahn in Nordrhein-Westfalen im August dieses Jahres ist ein Beispiel dafür, dass dies möglich ist. Die Aufzeichnung kommt damit den Opfern von Straftaten zugute und trägt darüber hinaus präventiven Charakter, weil potenzielle Straftäter nicht mehr darauf vertrauen können, auch in videoüberwachten Bereichen unentdeckt zu bleiben.

Zum Ausgleich der Möglichkeit einer permanenten Videoaufzeichnung ist die Speicherfrist für die aufgezeichneten Daten auf 48 Stunden beschränkt worden. Ich möchte hinzufügen: In der Innenministerkonferenz ist dies umstritten. Es gibt Bundesländer, die der Auffassung sind, man müsste länger aufzeichnen. Wir sind mit 48 Stunden an die untere Grenze dessen gegangen, was in anderen Bundesländern für sachgerecht gehalten wird.

Zum zweiten Punkt, der Wohnraumüberwachung: Das Bundesverfassungsgericht hatte am 3. März 2004 über die Voraussetzungen für die Wohnraumüberwachung zu Strafverfolgungszwecken entschieden. Mit meinen Länderkollegen bestand sehr bald Einigkeit darüber, dass auch die Vorschriften für die polizeilich präventive Wohnraumüberwachung dieser neuen Rechtsprechung anzupassen sind. So haben einige Bundesländer wie Bayern, Bremen, Hessen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz ihre Polizeigesetze daraufhin bereits geändert. Für Brandenburg soll das mit dem jetzigen Gesetzentwurf ebenfalls geschehen. Eine Ausweitung der Befugnis findet nicht statt.

Die Änderungen dienen ausschließlich einem erweiterten Grundrechtsschutz, indem wir den unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung sowie das Vertrauensverhältnis zu Berufsgeheimnisträgern besonders schützen.

Zum dritten Punkt: Der Gesetzentwurf sieht darüber hinaus Befugnisse für die Eingriffe in die Telekommunikation vor; denn potenzielle Straftäter nutzen schon seit langem die Vorzüge moderner Kommunikationsmittel und sind darüber hinaus außerordentlich mobil. An diese Umstände sollen die Mittel, Instrumente und Möglichkeiten der Polizei zur Gefahrenabwehr angepasst werden. Damit wollen wir auch Straftaten vorbeugend bekämpfen.

Insofern sieht der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf unter anderem Befugnisse zur präventiven Telekommunikationsüberwachung, zur Ortung von Mobilfunkgeräten und zur Unterbrechung bzw. Verhinderung von Telekommunikationsverbindungen vor. Wir vollziehen damit das, was andere Länder bereits vorgenommen haben. Ich sage gerade den Kollegen von der PDS: Auch Mecklenburg-Vorpommern hat dies bereits in einem Gesetz verabschiedet.

Die gesetzlich vorgesehene Eingriffsschwelle für dieses Instrument ist dabei genauso hoch wie für die durchaus eingriffsintensivere Wohnraumüberwachung. Denkbare Lebenssachverhalte für den Einsatz dieser Mittel sind in der Gesetzesbegründung ausführlich beschrieben.

Gerade bezüglich der Mobilfunkortung möchte ich an dieser Stelle noch darauf hinweisen, dass allein vom Polizeipräsidium Potsdam bereits jetzt monatlich etwa sechs Anfragen an das Landeskriminalamt gerichtet werden, in denen es um die Suche vermisster oder hilfloser Personen geht, die über ihr Handy geortet werden können. Diesen Anfragen kann derzeit nur in wenigen Ausnahmefällen entsprochen werden, nämlich wenn sie auf den gesetzlichen Notstand gestützt werden können und die Mobilfunkbetreiber freiwillig Unterstützung leisten. Dies ist jedoch für alle Beteiligten - sowohl für die Beamten, für die Mitarbeiter der Mobilfunkbetreiber als auch für die Angehörigen der gesuchten Personen - nur schwer umzusetzen. Für die Mitarbeiter der Polizei und der Mobilfunkbetreiber ist dies auch mit nicht unerheblichen straf- und zivilrechtlichen Risiken verbunden und lässt höchstpersönliche Entscheidungen zu. Hier müssen wir Klarheit schaffen, weil dies auf Dauer kein hinnehmbarer Zustand ist.

Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich entschieden, dass die Mobilfunkortung als solche nicht gegen Grundrechte verstößt. Insofern dürften auch die zuletzt diskutierten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Einsatz des so genannten IMSI-Catchers vom Tisch sein. All die von mir vorgetragenen Maßnahmen bedürfen der Abwägung: Wie können wir das Recht und die Freiheit der Bürger auf rechtsstaatlicher Grundlage schützen?

Das Gleiche gilt letztlich auch für die Einführung der neuen anlassbezogenen automatischen Kennzeichenfahndung. Mit ihr wird - ähnlich der Mautdatenerfassung - das Kennzeichen eines vorbeifahrenden Fahrzeugs erfasst und mit Daten, die zur Abwehr einer bestimmten, unmittelbar bevorstehenden Tat hinterlegt sind, abgeglichen. Kennzeichendaten, die nicht mit dem zum Abgleich hinterlegten Datenbestand übereinstimmen, werden sofort verworfen. Dies wird auf nahezu alle erfassten Kennzeichen zutreffen, denn es werden im Regelfall Einzelfahrzeuge gesucht. Einen flächendeckenden Einsatz oder den Abgleich der erfassten Kennzeichen mit dem gesamten polizeilichen Fahndungsbestand schließen die neuen Vorschriften aus.

In den vergangenen Wochen ist dieses Gesetz öffentlich erörtert worden. Es war sehr viel von Bürgerrechten und persönlicher Freiheit die Rede. Bei einem solchen Gesetzgebungsverfahren geht es um die Abwägung: Wie können wir die körperliche Unversehrtheit unserer Bürger schützen, damit sie ihre Freiheitsrechte wahrnehmen können, und wo ist die Grenze, an der die Freiheit eingeengt wird?

Ich glaube, wir haben einen Vorschlag erarbeitet, mit dem diesem Gesichtspunkt Rechnung getragen wird, weil wir wissen, dass die Freiheitsrechte der Bürger die Grundlage unseres Gemeinwesens sind. Diese kann man nur wahrnehmen, wenn man Vertrauen in den Rechtsstaat hat und weiß, dass dieser unser Staat alles tut, was der Sicherheit der Bürger dient.

Dieser Gesetzentwurf zielt also nicht darauf ab, Rechte auszuhöhlen oder - wie bisweilen gesagt wird - einen Überwachungsstaat zu fördern. Halten wir uns doch vor Augen, dass die Polizei mit der Befugnis zu Eingriffen in die Telekommunikation und Kennzeichenfahndung besser in die Lage versetzt wird, Menschenleben zu retten und schwerere Straftaten zu verhindern - und dies auf einer klaren rechtlichen Grundlage.

Entscheidend ist, dass für die damit verbundenen polizeilichen

Maßnahmen die gesetzlichen Spielregeln von der Eingriffsschwelle über den Richtervorbehalt bis hin zur Information der Betroffenen detailliert festgelegt werden. Nicht die Beschränkung der Freiheit ist das Ziel dieses Gesetzes, sondern die Gewährleistung öffentlicher Sicherheit auch mit den Mitteln, die dem hohen technischen Niveau unserer Gesellschaft Rechnung tragen und uns in die Lage versetzen, uns auf hohem technischen Niveau mit den Straftätern auseinanderzusetzen.

Ich bitte Sie daher, den Gesetzentwurf an den Innenausschuss zu überweisen. - Danke.

(Beifall bei CDU und SPD)

Herzlichen Dank, Herr Minister. - Das Wort erhält der Abgeordnete Dr. Scharfenberg.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die vierte Novelle zum Brandenburgischen Polizeigesetz reiht sich nahtlos in einen kontinuierlichen Prozess der Verschärfung des Polizeirechts ein, der seit 1996 anhält. Ich möchte daran erinnern, dass seitdem unter anderem solche umstrittenen Regelungen wie der Große Lauschangriff, die Schleierfahndung, der finale Rettungsschuss und die Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze eingeführt wurden.

Diese zum Teil einschneidenden Änderungen haben jedoch kaum Wirkung entfaltet. Der seit Jahren anhaltende Rückgang der Kriminalität ist jedenfalls nicht auf diese Verschärfungen des Polizeirechts zurückzuführen. So ist der Große Lauschangriff 1996 in der dringenden Erwartung eingeführt worden, damit die organisierte Kriminalität wirkungsvoll bekämpfen zu können. Die Maßnahme ist jedoch in den vergangenen zehn Jahren nur ein einziges Mal zur Anwendung gekommen. Es geht also offensichtlich auch ohne diesen tief greifenden Grundrechtseingriff. Deshalb sollte der Große Lauschangriff nicht, wie jetzt vorgesehen, lediglich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angepasst, sondern gänzlich aus dem Gesetz gestrichen werden.

Ähnlich verhält es sich mit der Videoüberwachung. Die Landesregierung bewertet in ihrem Abschlussbericht den fünfjährigen Test an vier Orten als Erfolg. Die Ergebnisse liegen jedoch deutlich hinter den ursprünglichen Erwartungen zurück. Vor allem zeigt sich, dass das Land Brandenburg gar keine entsprechenden Kriminalitätsschwerpunkte, die einen dauerhaften Einsatz der teuren Technik rechtfertigen würden, aufweist.

Wir haben kein Verständnis dafür, dass die aus den wissenschaftlichen Begleitgutachten und aus der aktuellen Entwicklung deutlich abzuleitende Verdrängungskriminalität tunlichst übersehen wird. Das gilt auch für die Landeshauptstadt. Die Diskussion um das Verriegeln der unmittelbar neben dem Potsdamer Hauptbahnhof inmitten der Stadt gelegenen Freundschaftsinsel wegen zunehmender Zerstörungsdelikte ist angesichts des angeblich hohen Rückgangs der Kriminalität im angrenzenden Bereich der Videoüberwachung ein Hohn.

Das Argument, Videoüberwachung finde allgemeine Akzeptanz, ja, werde gewünscht, verkennt völlig, dass die Bürger dabei

von einer ständigen Beobachtung der Bildschirme ausgehen, die gar nicht praktiziert wird. Insofern dient die jetzt vorgesehene Aufzeichnung für 48 Stunden - der Innenminister hat es ja bestätigt - nicht der Verhinderung von Straftaten, sondern der nachträglichen Verfolgung.

Ich bedauere es außerordentlich, dass die SPD nach den großen Ankündigungen von 2000 die Ergebnisse des fünfjährigen Tests kritiklos akzeptiert, obwohl hier vieles zu hinterfragen ist.

(Schippel [SPD]: Wir haben die Praktiker gefragt!)

Die Diskussion um die Aufzeichnungsfrist ist insofern scheinheilig und aus unserer Sicht eher ein Nebenschauplatz.

Der Gesetzentwurf sieht weitreichende Eingriffsmöglichkeiten in die Telekommunikation mit noch nicht absehbaren Folgen vor. Für die Überwachung, Ortung und die Möglichkeit der Störung des Handyverkehrs gilt scheinbar eine hohe Eingriffsschwelle. Mit der beabsichtigten erleichterten Suche nach Vermissten und Suizidgefährdeten, dem ungeklärten Umgang mit Trägern von Berufsgeheimnissen und der offenen Definition von Kontakt- und Begleitpersonen sind jedoch fließende Übergänge gegeben.

Misstrauisch stimmt auch, dass die bereits jetzt praktizierten Telefonüberwachungen in den vergangenen Jahren explosionsartig ausgeweitet worden sind. Allein 2005 ist bundesweit eine Zunahme um 45,5 % auf 49 000 Überwachungsmaßnahmen zu verzeichnen. Das kann nicht nur Selbstmordgefährdete betreffen.

(Schulze [SPD]: Und in Brandenburg?)

- Die Zahlen sind mir jetzt nicht präsent.

Fragwürdig ist auch die Tatsache, dass das Ministerium des Innern bereits zwei kostenintensive IMSI-Catcher angeschafft hat, bevor die entsprechende Befugnis nach dem Polizeigesetz gegeben ist.

Auch die automatische Erfassung und Identifizierung von Autokennzeichen ist weit mehr als eine Effektivierung bisher manueller polizeilicher Tätigkeit. Mit diesem Vorgehen wird eine Vielzahl unbescholtener Bürger erfasst. Sowohl bei der Handyüberwachung als auch bei der automatischen Kennzeichenerfassung besteht angesichts der technischen Möglichkeiten die Gefahr einer sukzessiven Senkung der Eingriffsschwelle.

Die Entwicklung des Polizeirechts in Brandenburg führt so zu einer weiteren Aufweichung der Bürgerrechte. Es ist Verantwortung von Politik, hier auch Selbstbeschränkung zu üben und nicht die Gerichte immer mehr in die Rolle zu bringen, die Grenzen für Sicherheitspolitik aufzeigen und sozusagen die Notbremse ziehen zu müssen.

Benjamin Franklin sagte:

„Der Mensch, der bereit ist, seine Freiheit aufzugeben, um Sicherheit zu gewinnen, wird beides verlieren.“

Gerade vor dem Hintergrund des Personalabbaus bei der Polizei und der geplanten Schließung von Polizeiwachen, die wir sehr kritisch sehen, wird deutlich, dass eine bürgernahe Polizei

arbeit eine Alternative zum Ausbau der Eingriffsrechte ist. Das Land Brandenburg braucht nicht das schärfste, sondern ein wirksames Polizeigesetz. - Danke sehr.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Herzlichen Dank. - Das Wort erhält jetzt Frau Abgeordnete Stark für die SPD-Fraktion. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Scharfenberg, es ist natürlich auch die Verantwortung von Politik, Realitäten wahrzunehmen und ideologische Scheuklappen zu entfernen,

(Zuruf von der Linkspartei.PDS: Genau!)

zu sehen, was passiert, und danach die Gesetzgebung auszurichten.

Unter diesen Prämissen hat sich die Koalition dieses Polizeigesetz auf die Tagesordnung geholt. Vor dem Hintergrund, dass sich die internationale Lage verändert hat, dass sich die organisierte Kriminalität und der internationale Terror entwickeln und eben nicht um Brandenburg einen Bogen machen werden, haben wir uns mit dem vorliegenden Polizeigesetz auseinanderzusetzen. Die Polizei, das polizeiliche Handeln, steht somit vor großen Herausforderungen.

Wir müssen uns Gedanken darüber machen, ob es nötig ist, neue technische Methoden zur Gefahrenabwehr in unser Sicherheitssystem zu integrieren und dann auch polizeilich zu nutzen. Die SPD-Fraktion hat sich die Beantwortung dieser Frage und die kritische Betrachtung dieses Gesetzentwurfs nicht leicht gemacht, Herr Scharfenberg. Wir als Fraktion haben intern diverse Expertenanhörungen zu diesem Sachverhalt durchgeführt, und wir haben uns sehr intensiv mit den Vorschlägen, die der Innenminister hier auch in den vier Eckpunkten schon dargestellt hat, auseinandergesetzt. Wir haben auch Anregungen und Veränderungen in diesen Gesetzgebungsprozess hineingetragen.