Protocol of the Session on May 22, 2006

Entsprechend der Beschlussfassung des Landtages werden wir im Januar die Gelegenheit haben, uns mit dem Bericht der Landesregierung zur Umsetzung des Handlungskonzepts „Tolerantes Brandenburg“ auseinanderzusetzen. Diese Gelegenheit sollten wir intensiv nutzen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Herzlichen Dank. - Jetzt spricht Herr Abgeordneter Schippel für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, wer von Ihnen nach der 1. Lesung ebenfalls anonyme Zuschriften von ehemaligen Frontsoldaten erhalten hat - ob es wirklich Frontsoldaten waren, kann ich nicht beurteilen, weil sie anonym geblieben sind -, die den Eindruck vermitteln, dass wir mit diesem Gesetz die persönliche Trauer ehemaliger Wehrmachtsangehöriger um ihre toten Kameraden, die persönliche Trauer von Eltern, Geschwistern, Kindern oder sonstigen Verwandten verbieten oder verhindern wollen. Das Gegenteil ist der Fall! Gerade die Möglichkeit zur persönlichen Trauer auf dem größten Soldatenfriedhof Deutschlands muss an 365 Tagen im Jahr vor denen geschützt werden, die diesen Ort zur Wallfahrtsstätte umfunktionieren wollen.

(Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS sowie ver- einzelt bei der CDU)

Wie notwendig das ist, beweist eine E-Mail vom 14.09.2006 der so genannten Versammlungsleitung „Heldengedenken“ - im Übrigen ein Begriff aus dem Nationalsozialismus, nur dass Sie das einmal wissen - in Halbe. Ich zitiere aus dieser E-Mail:

„Da die Situation nahezu aussichtslos war, bewiesen die Reste der Wehrverbände und vor allem auch die Zivilbevölkerung, dass sich Heldenmut erst richtig in solcher Situation entwickeln kann.“

Heldenmut? Fragen Sie einmal den damals 13-jährigen Fritz Zimmermann aus Burg, der am Rande des Kessels in die Tieffliegerangriffe geraten war. Fragen Sie einmal nach Heldenmut!

Meine Damen und Herren, perfider geht es nicht. Das ist nicht nur die Fortsetzung oder Übernahme einer Propaganda im Stile solcher Kriegsverbrecher wie Goebbels oder Göring, sondern das ist die bewusste Falschdarstellung der letzten Tage und letzten Stunden im Leben derer, die in Halbe im April 1945 die letzten Opfer eines verbrecherischen Krieges wurden. Pfarrer Teichmann, der mit vielen Beteiligten gesprochen hat, trifft es wohl am ehesten, wenn er sagt: Es waren keine Helden, es waren nur Männer, die nach Hause wollten.

Es war ein Krieg, der dort zu Ende ging, der von deutschem Boden ausging. Es war ein verbrecherischer Krieg. Er ist untrennbar verbunden - in der Sache und vor der Geschichte - mit den Bomben auf Guernica, mit den Lagern in Auschwitz und Trblinka, verbunden auch mit den letzten wahnwitzigen Einsatzbefehlen aus der Reichskanzlei an 15- und 16-jährige Hitlerjungen im April 1945.

Sie alle kennen die Bilder, die das letzte Verbrechen Nazideutschlands an der eigenen, an der deutschen Jugend dokumentieren. Mit einer bewussten Falschdarstellung, einer nebulösen und nachträglichen Verherrlichung eines völlig überflüssigen, sinnlosen Sterbens in und um Halbe wollen Neonazis den Anspruch darauf erheben, sie würden das Vermächtnis gefallener deutscher Soldaten erfüllen.

Ich nenne Ihnen ein einfaches Vermächtnis eines deutschen Soldaten, Jahrgang 1907, eingezogen im Sommer 1939, Teilnehmer des so genannten Polenfeldzuges, der an den Kämpfen um Minsk und anderswo in Russland beteiligt war, also ein

Soldat von 1939 bis 1945 an der so genannten Ostfront. Er hat gesagt: Passt auf, dass so etwas nie wieder passiert!

Es gibt ein weiteres Vermächtnis, ausgesprochen 1964 an den Gräbern unbekannter Toter in Halbe. Auf die Frage eines damals 13-Jährigen, weshalb seine Mutter dort Blumen hinlege, war die Antwort: Vielleicht hat mein Bruder, dein Onkel Helmut, einen Platz bei Stalingrad gefunden, auf den auch jemand Blumen legt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, so ähnlich, wie meine Eltern empfanden, ging es der Mehrzahl der Generation, die Krieg und Nachkriegszeit bewusst miterlebt hat.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf - ich sehe, dass die Lampe blinkt - erfüllen wir dieses Vermächtnis. Wir wollen beidem gerecht werden, das Vermächtnis erfüllen und dafür sorgen, dass so etwas nie wieder passiert. Vielleicht, Herr Schuldt, sollten Sie einmal da nachlesen, sollten einmal über Wehrmachtsbefehle nachlesen. Dann wüssten Sie, dass zum Geschichtsbild nicht eine nachträgliche Gleichschaltung, sondern eine Differenzierung beiträgt.

Frau Präsidentin, ein letztes Wort. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt nachher noch den Aufruf des Landtagspräsidenten. Ich kann Sie nur über Fraktionsgrenzen hinweg ganz herzlich bitten: Lassen Sie uns am 18. November dafür sorgen, dass die, die dort rechts außen sitzen, in Deutschland nie richtig wahrgenommen werden.

(Anhaltender Beifall bei SPD, CDU und der Linkspar- tei.PDS)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Schippel. - Das Wort erhält die DVU-Fraktion. Es spricht der Abgeordnete Schuldt.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich merke, Sie wollen unbedingt das Versammlungsgesetz verschärfen. Sie wollen dieses Gesetz durchboxen, ohne dabei zu bedenken, dass hier demokratische Rechte misshandelt werden, nämlich das Recht der Versammlungsfreiheit - ein hohes Recht, und das sollte auch erhalten werden.

(Beifall bei der DVU)

Der in der Anhörung als einziger erschienene Experte von fünf - wo zu fragen erlaubt sein darf, warum die anderen nicht erschienen sind - schlug vor, die Entscheidung über dieses Gesetz hinauszuzögern, es zu verschieben, bis die obersten Bundesrichter entschieden haben. Also, meine Damen und Herren, warum hören Sie dann nicht auf diesen Experten und warten ab, bis die obersten Richter des Bundes entschieden haben? Insgesamt kann man zu allem, was hier gesagt wurde, nur sagen - Sie, Herr Schippel, sagten, dass die da nichts zu tun haben -: Wir sind nicht eine Partei von gestern, wir sind eine Partei von morgen, wir sind eine Partei der Zukunft

(Beifall bei der DVU - Widerspruch bei SPD, CDU und der Linkspartei.PDS)

und vergessen dabei die Geschichte nicht

(Schippel [SPD]: Sie verfälschen!)

und behandeln die Geschichte so, wie sie auch wirklich war, lieber Herr Schippel.

(Zuruf des Abgeordneten Schippel [SPD])

So müssen Sie das sagen.

Ihnen, werte Genossen der PDS, kann ich auf die Frage, ob ich eventuell das, was ich hier gesagt habe, zurücknehmen werde, nur sagen: Nein! Was ich gesagt habe, habe ich gesagt. Das war notwendig und das werde ich nicht zurücknehmen.

Ihnen kann ich nur kurz sagen: Nehmen Sie diesen Gesetzentwurf zum Wohle der Demokratie unseres Landes zurück!

(Lachen bei SPD und CDU)

Sonst - da haben Sie ganz Recht - schaffen Sie nämlich eine Diktatur. Die wollen wir als Demokraten doch nun wirklich nicht.

(Beifall bei der DVU - Widerspruch bei SPD und CDU - Bochow [SPD]: Ein Spott ist das!)

Das Wort erhält die CDU-Fraktion. Es spricht der Abgeordnete Petke.

Ich begrüße inzwischen Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Cottbus.

(Beifall bei SPD, CDU und der Linkspartei.PDS)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieses Versammlungsgesetz ist gut, dieses Gesetz ist richtig und dieses Gesetz ist notwendig. Ich habe bereits in der 1. Lesung gesagt: Niemand hat es sich einfach gemacht, weder die Landesregierung noch wir in der Koalition, dieses Gesetz zu verabschieden. Bevor sich festsetzt, wir schafften die Versammlungsfreiheit im Land Brandenburg ab, schauen Sie, Kollege Schuldt, bitte in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Dort werden Sie feststellen, dass der Gesetzgeber natürlich die Möglichkeit hat, die Versammlungsfreiheit gesetzlich zu bestimmen.

Niemand will die Versammlungsfreiheit abschaffen. Wir wollen, dass den Friedhof in Halbe das ausmacht, was einen Friedhof dieser Dimension ausmacht. Dort spiegelt sich nämlich die ganze Schrecklichkeit, das ganze Verbrechen des Zweiten Weltkrieges durch Zehntausende Opfer, die dort bestattet sind, wider. Das Totengedenken muss man in Halbe ohne Störung durch Extremisten, ohne Störung durch Radikale von rechts außen wahrnehmen können.

Möglicherweise stehen wir vor übertriebenen Erwartungen, nämlich dass dieses Versammlungsgesetz die Bestrebungen, die es in unserer Gesellschaft von rechts außen gibt, einen solchen Ort zu missbrauchen, ein für alle Mal eindämmt. Ich glaube, wir gehen heute einen richtigen Schritt, wir gehen einen notwendigen Schritt. Ich bin der festen Überzeugung: Wir

haben hier sorgfältig gearbeitet. Das wird dazu führen, dass dieser Gesetzentwurf auch gerichtlichen Anfechtungen standhält und wir am 18. November bei einer Verbotsverfügung Erfolg haben werden. Das ist auch gut so. Es ist gut für die Demokratie. Es ist gut für das Ansehen unseres Landes, es ist gut für die Menschen im Land, jedenfalls für die große Mehrheit, die zu ihrer Demokratie, die zu Werten wie Freiheit, Demokratie und Toleranz steht.

Eine solche Debatte bietet Gelegenheit, sich überhaupt Fragen zu stellen, die dahin gehen: Warum überzeugen wir nicht alle Menschen in unserer Gesellschaft von dem Wert unserer Demokratie? Es sind unsere Kinder, es sind unsere Jugendlichen, die in Teilen den Rechtsextremisten auf den Leim gehen, obwohl Eltern etwas tun, obwohl Sozialarbeiter etwas tun, obwohl wir uns an unseren Schulen, in Vereinen und beim Sport Mühe geben. Für uns stellt sich die Frage: Warum gelingt es uns nicht, jeden Jugendlichen tatsächlich für unsere Werte zu gewinnen und von ihnen zu überzeugen? Da braucht es eine politische Debatte im Land. Da braucht es eine Debatte auch über die Fragen: Was macht diese Werte aus? Warum ist die Deutsche Demokratische Republik 1989 gescheitert? Warum sind die Menschen damals auf die Straße gegangen, um unter anderem für Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit zu demonstrieren?

Um jede Form des Radikalismus und Extremismus in unserer Gesellschaft gerade unter den Jüngeren abzuwehren, ist es notwendig, dass wir tatsächlich jeden Tag, an dem wir die Möglichkeit haben, für die Werte unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung werben und dass wir an dieser Stelle selbst ein gutes Beispiel geben, indem wir den Menschen immer wieder sagen: Ein freies, gewaltfreies und tolerantes Zusammenleben ist ein sehr hoher Wert.

(Beifall des Abgeordneten Lunacek [CDU])

Ich möchte auf das antworten, was Herr Kollege Schuldt zu den Lehren der Geschichte gesagt hat. Die Völker in Europa haben die Lehren aus der Geschichte gezogen. Was ist denn die Europäische Union anderes als der erfolgreiche Versuch, nach zwei schrecklichen Kriegen im letzten Jahrhundert dauerhaft Frieden unter den Völkern in Europa zu gewährleisten? Viele dieser Staaten in der Europäischen Union übernehmen an anderer Stelle in der Welt Verantwortung, indem sie Hilfe leisten, indem sie ihre Soldaten dorthin schicken, um Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre Zukunft in Frieden und in Freiheit zu gestalten.

Sie sollten darüber nachdenken, dass die Lehre von Millionen Toten das Zusammengehen der Völker in der Europäischen Union ist, ein Zusammenwachsen in einem friedlichen und freien Europa. Es ist doch kein Zufall, dass Sie dieses Zusammengehen in der Europäischen Union mit Blick auf die Osterweiterung und anderes immer wieder kritisieren. Da schließt sich doch ein Kreis in Ihrer politischen Demagogie.

Ich möchte ebenfalls dazu auffordern, am Tag der Demokraten teilzunehmen, am Tag der Demokraten natürlich auch des Volkstrauertags zu gedenken. Denn auch der Volkstrauertag hat in unserer Republik, in der Weimarer Republik beginnend, eine gute Tradition; er ist später von den Nationalsozialisten missbraucht worden. Wir sollten trotzdem natürlich denen ein eh

rendes Angedenken widmen, die dort bestattet sind, aber auf eine Art und Weise, die diesen Opfern der Weltkriege würdig ist. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei CDU und SPD)

Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der Landesregierung fort. Es wird jetzt der Innenminister, Herr Schönbohm, zu uns sprechen.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, der heute in 2. Lesung beraten wird, hat aus verschiedenen Gründen eine außerordentliche Bedeutung. Ich denke, aus den Beiträgen der Vorredner ist dies sehr deutlich geworden.

Es geht zunächst einmal um die Frage, wie wir die Totenehre an den Grabstätten wahren, die Ehre von Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft. Dies ist eine Aufgabe, der wir uns gemeinsam verpflichtet fühlen. Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir diese Opfer vor politischer Instrumentalisierung schützen und bewahren. Wir wollen die Gräberstätten als Orte der stillen Erinnerung, der Trauer, der Einkehr und der geistigen Besinnung nutzen. Ich wiederhole: Trauer, Einkehr und geistige Besinnung. Ich glaube, das täte manchem gut.