Protocol of the Session on May 22, 2006

Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie herzlich zur 37. Sitzung des Landtages Brandenburg. Vonseiten der Fraktionen und der Landesregierung gab es mehrere Änderungswünsche bzw. Ergänzungen zur Tagesordnung. Gibt es zur vorliegenden Tagesordnung in der geänderten Form Bemerkungen? - Das ist nicht der Fall. Dann bitte ich um Zustimmung durch Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Beides ist nicht der Fall. Damit ist die Tagesordnung einstimmig beschlossen.

Es liegen einige Abwesenheitserklärungen von Abgeordneten für den heutigen Tag vor, und Minister Schönbohm hat vorsorglich angekündigt, dass er ab 17.30 Uhr von Ministerin Blechinger vertreten werde.

Ich begrüße ganz herzlich die Bundesfachklasse Wasserbauer - drittes Lehrjahr - aus dem Oberstufenzentrum Teltow zu unserer Plenarsitzung. Seien Sie herzlich willkommen.

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Die brandenburgische Wirtschaft zieht an

Antrag der Fraktion der CDU

Herr Abgeordneter Lunacek, Sie erhalten als Erster das Wort. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Wirtschaft in Brandenburg wächst! Auf diese kurze, aber überaus erfreuliche Meldung mussten wir lange warten, denn es liegt eine beachtliche Durststrecke hinter uns.

Bei der Vorstellung des „Jahreswirtschaftsberichts 2006“ hat Wirtschaftsminister Junghanns den Aufschwung anhand konkreter Zahlen deutlich gemacht: Im ersten Halbjahr 2006 ist das reale Bruttoinlandsprodukt in Brandenburg um 1,6 % gewachsen, nachdem im Jahr 2005 noch ein Rückgang von 1,5 % verzeichnen war. Besonders erfreulich hat sich dabei die brandenburgische Industrie entwickelt. Diese positive Gesamtentwicklung hat im Wesentlichen zwei Ursachen.

Erstens: Wir spüren den kräftigen Rückenwind der bundespolitischen Maßnahmen der Großen Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel. Hier wurden die richtigen Weichen gestellt.

(Lachen bei der SPD - Bischoff [SPD]: Agenda 2010!)

Die Menschen und die Unternehmen haben wieder Vertrauen in den Wirtschaftsstandort Deutschland gefasst. Sie konsumieren und investieren, und damit entstehen auch neue Arbeits

plätze. Darauf kommt es an! Vor allem bewegt sich die Anzahl der Arbeitsplätze wieder nach oben. Wir haben in den letzten Monaten einen Zuwachs an Arbeitsplätzen auf dem ersten Arbeitsmarkt zu verzeichnen, nachdem wir über Jahre hinweg auch in Brandenburg - Arbeitsplätze verloren hatten. Die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs ist in Brandenburg von Mitte 2005 bis Mitte 2006 um etwa 5 000 gewachsen. Das ist ein gutes Signal, und es ist wichtig, dies auch einmal zu sagen.

(Beifall bei der CDU)

Es gibt einen zweiten, ebenso gewichtigen Grund für die lang erwartete Trendwende in Brandenburg: Das ist zweifellos die neue Wirtschafts- und Förderpolitik der Landesregierung. Bereits in den Koalitionsverhandlungen auf Landesebene vor zwei Jahren wurde die neue Förderpolitik für Brandenburg vereinbart. Für die Wirtschaftspolitik hat Wirtschaftsminister Junghanns die Vorschläge zur neuen Förderstruktur erarbeitet. Jetzt werden sie mit Erfolg umgesetzt. Wir konzentrieren die Förderung auf wachstumsstarke Branchen und Standorte. Auch wenn ein solcher Kurswechsel erst mittel- bis langfristig in stärker messbaren Ergebnissen zum Tragen kommt, sind bereits erste positive Wirkungen spürbar.

Wirtschaftswachstum, Investitionen, steigende Beschäftigungszahlen in den Branchenzentren werden schrittweise für das ganze Land zum Konjunkturmotor. Dies illustriert insbesondere der brandenburgische Export, der überproportional wächst und inzwischen neue Rekordmarken erreicht. Wir in der Hauptstadtregion sind auf einigen Feldern inzwischen deutschlandweit auf Spitzenplätzen. Ich nenne als Beispiel die Medienbranche in Berlin-Brandenburg mit mehr als 150 000 Beschäftigten. Damit sind wir deutschlandweit - gleichauf mit der Region München auf Platz zwei. Im Bereich Biotechnologie haben wir in der Region etwa 160 Unternehmen, die mehrere Tausend Arbeitsplätze geschaffen haben. Auch in diesem Bereich sind wir im deutschen Vergleich weit vorn. Ebenso nehmen wir mit den großen Unternehmen der Luftfahrtindustrie vordere Plätze ein. Dies ist ein eindrucksvoller Beleg der Leistungsfähigkeit der Brandenburger Unternehmen.

All dies darf jedoch keine bloße Bestandsaufnahme sein. Vielmehr sollte es einen echten Wendepunkt für die langfristige Entwicklung Brandenburgs markieren. Jetzt gilt es, am Ball zu bleiben und den eingeleiteten Prozess dynamisch voranzutreiben. Es ist dabei von entscheidender Bedeutung, dass wir die sich bietenden Chancen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auf jedem Feld konsequent nutzen. Ich fordere ein, dass wir - die Landesregierung vornweg - alle Politikfelder, die wir landesseitig gestalten können, regelmäßig daraufhin überprüfen, welche weiteren Möglichkeiten sich bieten, die Bedingungen für brandenburgische Unternehmen zu verbessern: verbesserte Investitionsbedingungen, mehr Wachstum, mehr Arbeitsplätze.

Beispielhaft möchte ich einige Dinge nennen. Erstens: die Liberalisierung der Ladenschlusszeiten. Seit die Föderalismusreform auf den Weg gebracht wurde und Bund und Länder Rahmendaten vereinbart haben, wissen wir, dass die Regelungen zu den Ladenöffnungszeiten künftig auf Länderebene gestaltet werden. Mit dem Gesetz zur Freigabe der Ladenöffnungszeiten von Montag bis Samstag haben wir die Chance, Freiräume für die brandenburgischen Unternehmen zu schaffen. Aber wir

sind spät dran. Die Hälfte der Bundesländer hat die Freigabe bereits auf den Weg gebracht.

(Ministerin Ziegler: Das ist Quatsch!)

- Frau Ziegler, ich nenne sie Ihnen, wenn Sie wollen, konkret. Es ist Tatsache; überprüfen Sie es! - Ich bin froh, dass wir dieses Thema morgen auf der Tagesordnung haben und es im Parlament behandeln. Ich wünsche mir, dass wir das Gesetz zügig verabschieden.

Wir haben mit Berlin einen Markt mit 3,5 Millionen potenziellen Konsumenten vor der Haustür. Deshalb ich es wichtig, dass bei solchen Maßnahmen nicht gefragt wird: Wie lautet welche Verordnung? - Nach dem Motto: Alles muss seinen geregelten Gang gehen. - Die Frage muss lauten: Welche Chancen gibt es? - Der brandenburgische Handel braucht diese Konsumenten im Weihnachtsgeschäft, um die Umsätze bzw. den Gewinn hier zu generieren.

Zweitens: Genehmigungsgebühren. Ich war vor kurzem in Spremberg in der Lausitz und habe dort mit einem Geschäftsführer gesprochen, dessen Unternehmen viel investiert und viele Arbeitsplätze geschaffen hat. Die BImSch-Gebühren für dieses Unternehmen betragen in Brandenburg nahezu eine Dreiviertelmillion Euro. In Thüringen machen die BImSch-Gebühren für die gleiche Investition in etwa nur ein Zehntel dessen aus. Dieses Problem ist bis heute nicht gelöst.

Deutschlandweit verzeichnen wir in diesem Bereich die höchsten Genehmigungsgebühren. Auch hier muss sich etwas ändern, und das muss schneller gehen.

Ich nenne den Bürokratieabbau. Wir haben hierzu einen Ausschuss eingerichtet und treiben die Dinge voran. Jedoch müssen wir rascher vorankommen. Wir haben einiges erreicht, aber Weiteres muss folgen. Es muss rasch erfolgen, damit wir die Potenziale nutzen können. Unser Land besitzt das Potenzial, einen großen Sprung nach vorn zu machen; davon bin ich fest überzeugt. Im Land bewegt sich viel. Unsere Aufgabe ist es, Initiative zu unterstützen und Mut für neue Initiative zu machen.

Die Brandenburgerinnen und Brandenburger sind selbstbewusst und bereit, Verantwortung zu übernehmen. Dies verdeutlicht zum Beispiel die Selbstständigenquote. In Brandenburg herrscht unter den neuen Ländern mit 11,8 % die höchste Selbstständigenquote. Also wollen unsere Bürger etwas bewegen. Unsere Aufgabe dabei ist, dies zu befördern, Steine aus dem Weg zu räumen und zu helfen, damit sich etwas nach vorn bewegt.

(Beifall bei der CDU)

In der letzten Woche hat das Bundesverfassungsgericht ein klares Signal gegeben und Berlin den alten Grundsatz „Wer bestellt, der bezahlt auch!“ ins Stammbuch geschrieben.

Wiederum eine Woche zuvor wurden zwei Münchner Hochschulen sowie die Universität Karlsruhe zu so genannten EliteUnis gekürt. Sie werden in den nächsten fünf Jahren mit insgesamt jeweils 21 Millionen Euro pro Jahr gefördert.

Ich weiß, dass das Auswahlverfahren sehr kritisch unter die Lupe genommen werden muss. Ich meine aber auch, dass die Region Berlin-Brandenburg auch eine Elite-Universität braucht,

weil sie ein wichtiger Baustein dafür ist, Innovation in der Wirtschaft voranzutreiben und kluge Köpfe in die Region zu holen. Das brauchen wir. Deshalb sollten wir das gemeinsam mit Berlin mit aller Kraft anstreben und erreichen.

Um voranzukommen, muss man sich Ziele setzen. Wir müssen gemeinsam alles daran setzen, den Aufschwung, die zu verzeichnende wirtschaftliche Entwicklung zu verstetigen, um so eine gute Zukunft für Berlin und Brandenburg zu schaffen. Das ist unsere Aufgabe. Lassen Sie uns gemeinsam konsequent an diesem Ziel arbeiten. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Herzlichen Dank. - Für die Fraktion der Linkspartei.PDS erhält der Abgeordnete Christoffers das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Lunacek, Sie fordern es direkt heraus: Wie Sie dazu kommen, die bundespolitische Rahmensetzung durch die Große Koalition in Berlin als wachstumsfördernd zu bezeichnen, erschließt sich mir nicht ganz.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Wie Sie gegenwärtig einer Reihe von Studien von Wirtschaftsforschungsinstituten entnehmen können, ist die Geldpolitik der Bundesregierung - sprich die Anhebung der Mehrwertsteuer die Ursache dafür, dass es flächendeckend die Einschätzung gibt, dass sich der gegenwärtig zu verzeichnende konjunkturelle Aufschwung nächstes Jahr nicht nur abschwächt, sondern mit weitreichenden Wirkungen bis ins Jahr 2008 hinein einbricht. Zudem glaube ich nicht, dass die Gesundheitsreform unbedingt das Glanzstück ordnungspolitischen Handelns in der Bundesrepublik Deutschland ist, um nur zwei Beispiele zu nennen. Insofern glaube ich, dass die Ordnungspolitik der gegenwärtigen Bundesregierung möglicherweise am unschuldigsten daran ist, dass hier eine konjunkturelle Entwicklung in einer Reihe von Branchen und Bundesländern zu verzeichnen ist.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Des Weiteren ist es gegenwärtig eine Konjunktur auf sehr instabiler Grundlage. Das ist die übereinstimmende Einschätzung fast aller Forschungsinstitute. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, weil die strukturellen Schwächen, die strukturellen Risiken weder in der Bundesrepublik noch im Land Brandenburg überwunden sind und eine Reihe von ordnungspolitischen Entscheidungen vor ihrer Umsetzung stehen, sprich Mehrwertsteuererhöhung.

Das beinhaltet selbstverständlich, dass sich auch meine Fraktion über jeden existenzsichernden Arbeitsplatz und jedes Unternehmen, das erfolgreich auf dem Markt agiert, freut. Das haben wir in der Vergangenheit mehrfach verdeutlicht und mit eigenen Vorschlägen zu untersetzen versucht.

Das derzeitige Problem, Herr Lunacek, liegt ausweislich des Betriebspanels des Landes Brandenburgs darin, dass wir im

Land Brandenburg erneut ein Absinken sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse zu verzeichnen haben. Es gibt eine Zunahme von prekären Midi- und Mini-Jobs in der Größenordnung von 50 000. Zwar erhöhten sich die Beschäftigungsvolumina, jedoch ist die sozialversicherungspflichtige Absicherung - ausweislich der von der Landesregierung veröffentlichten Statistiken - nicht gestiegen. Das ist eines der Risiken, die wir hier zu verzeichnen haben.

Zudem gibt es eine übereinstimmende dritte Aussage aller Institute. Der private Konsum wird nächstes Jahr zurückgehen und bis auf - 0,3 % einbrechen. Das ist die untere Schätzung. Das heißt, die Binnenkonjunktur - durch die Binnenkonjunktur werden 60 % des Bruttoinlandsproduktes in Deutschland bestimmt - wird nicht weiter steigen. Das ist ein strukturelles Risiko. Derzeit erleben wir ein Vorziehen von Investitionen und Anschaffungskosten durch den Verbraucher, die mit Blick auf die für das nächste Jahr angekündigte Mehrwertsteuererhöhung verständlich sind.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Das zeigt, diese strukturellen Risiken sind nicht überwunden, sondern bleiben bestehen. Unsere Aufgabe wird sein - darin stimme ich mit Ihnen überein -, ordnungspolitisch und strukturpolitisch gegenzusteuern, so gut wir es im Land Brandenburg können.

Diesbezüglich, Herr Lunacek, möchte ich zunächst auf eine Reihe von Risiken verweisen, um danach zu Vorschlägen zu kommen, wie diese Risiken im Rahmen auch der Haushaltsdebatte 2007 ff. ordnungspolitisch beseitigt werden könnten bzw. die Lage verbessert werden kann.

Erstens gibt es ausweislich des vom Wirtschaftsminister vorgelegten Jahreswirtschaftsberichts 2006 einen zu geringen Industriebesatz. Darüber sind wir uns alle einig.

Zweitens herrscht das strukturelle Problem, dass so gut wie alle hier definierten Wachstumsbranchen fast nur aus Betrieben des KMU-Bereichs - bis maximal 250 Beschäftigte, wobei 250 Beschäftigte schon der Ausnahmefall sind - bestehen. Aus der Größenordnung der Unternehmen und ihrer schwächeren Eigenkapitalsituation resultieren logischerweise Markteintrittsbarrieren. Zudem wird dadurch nach wie vor der Zugang zum privaten und öffentlichen Kapitalmarkt erschwert. Es ist - dies belegen auch Untersuchungen - übereinstimmende Aussage der Bürgschaftsbanken der Bundesrepublik Deutschland, dass dieses Problem nach wie vor existent ist.

Drittens besteht in der Ausbildung von Fachkräften ein Problem. Diesbezüglich muss ich nicht an die Fachkräftestudien der eigenen Landesregierung - meine Herren von der SPD und CDU - erinnern. Wird das Problem nicht gelöst, verschärft und vertieft sich die Wachstumsschwäche durch den Fachkräftemangel weiter. Eine solche Situation ist nicht hinnehmbar.