Protocol of the Session on September 13, 2006

Die Linkspartei.PDS-Fraktion begehrt die Überweisung ihres Antrags - Drucksache 4/3353 - an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport - federführend - und an den Ausschuss für Haushalt und Finanzen. Wer diesem Überweisungsbegehren zustimmen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Ohne Stimmenthaltungen ist das mehrheitlich abgelehnt.

Wir stimmen über den Antrag in der Drucksache 4/3353 dann in der Sache ab. Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist ohne Enthaltungen mehrheitlich abgelehnt.

Damit schließe ich die Beratung des Tagesordnungspunktes 8 und rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:

Gesetz zur Ersetzung von § 16 des Versammlungsgesetzes

Gesetzentwurf der Landesregierung

Drucksache 4/3359

1. Lesung

Es spricht als erster Redner für die Landesregierung der Innenminister, Herr Schönbohm. Bitte sehr.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gräberstätten sind als Orte der stillen Erinnerung, der Einkehr und der geistigen Besinnung gekennzeichnet. Sie sollen gerade für künftige Generationen die Erinnerung daran bewahren, welche schrecklichen Folgen Krieg und Gewaltherrschaft haben. Daher sind sie ebenso wie Friedhöfe keine Orte für politische Demonstrationen. Gräberstätten dürfen erst recht nicht als Kulisse für die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner und die Mobilisierung eigener politischer Angehöriger missbraucht werden. Durch derartige Auftritte wird nämlich die Würde der in den Gräberstätten ruhenden Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft verletzt. Stellen Sie sich vor, was das für die Angehörigen dieser Opfer bedeutet! Die Opfer werden dann schlichtweg benutzt, um möglicherweise politische Vorteile daraus zu ziehen. Keines der rund 23 000 auf dem Waldfriedhof

Halbe ruhenden Opfer hat die Möglichkeit, sich gegen diese Instrumentalisierung zu wehren.

Daher wirken entsprechende Veranstaltungen auf weite Bevölkerungskreise nicht nur abstoßend, sondern sie beschädigen zugleich das Ansehen unseres Landes innerhalb der Bundesrepublik Deutschland und zerstören das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates. Die Würde der in Halbe ruhenden Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft zu bewahren ist darum unsere Pflicht und unsere Verantwortung. In diesem Sinne sollen durch den vorliegenden Gesetzentwurf der Landesregierung alle in den Gräberstätten unseres Landes Ruhenden vor politischer Instrumentalisierung geschützt werden.

Brandenburg nutzt damit als erstes Bundesland die am 1. September dieses Jahres im Zuge der Föderalismusreform neu gewonnene Gesetzgebungskompetenz im Versammlungsrecht. Der Entwurf sieht zunächst vor, dass Versammlungen an und auf Gräberstätten im Land Brandenburg künftig grundsätzlich verboten sind. Damit wird die Würde der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft durch das Gesetz gewährleistet. Das ist das Ziel unseres Gesetzentwurfes.

Die Verfassungsmäßigkeit einer solchen Regelung war Gegenstand intensiver juristischer Prüfungen und Beratungen in meinem Hause und auch im Justizressort. Die vorliegende Regelung ist wie jeder gesetzgeberische Vorstoß auf dem Gebiet des Versammlungsrechts nicht gänzlich frei von verfassungsrechtlichen Risiken. Wir glauben aber, dass wir mit diesem Gesetzentwurf den Risiken Rechnung tragen. Ich meine, dass unsere Chancen für einen dauerhaften Bestand des Gesetzes bei weitem überwiegen. Dies gilt gerade deshalb, weil es die vom Bundesverfassungsgericht anerkannte Werteentscheidung des Grundgesetzes und auch unserer Landesverfassung, gegen nationalsozialistische Bestrebungen und für eine wehrhafte Demokratie unmittelbar weiterverfolgt.

Zudem haben Gräberstätten eine gesetzlich verankerte Bildungs- und Erziehungsfunktion, und es darf auch als legitime Aufgabe des Staates verstanden werden, sie vor einer Beeinträchtigung dieser Funktion zu schützen.

Schließlich wird auf diese Weise die Chance eröffnet, dass die Rechtsprechung das Bestehen verfassungsrechtlicher Spielräume prüft und gegebenenfalls neu bewertet.

Ich füge gleich hinzu: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sind Demonstrationen in Halbe nicht verboten. Sie sind nur verboten unmittelbar an der Gräberstätte.

Die politische Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus muss weitergeführt werden, und zwar in aller Konsequenz und in aller Klarheit.

(Beifall bei CDU, SPD und Linkspartei.PDS)

Davon werden wir durch dieses Gesetz nicht entlastet.

Ich glaube, dass eine deutliche Positionierung der Legislative in dieser Auseinandersetzung wichtig ist.

Damit bitte ich Sie, den Gesetzentwurf an den Innenausschuss zu überweisen.

(Beifall bei CDU, SPD und Linkspartei.PDS)

Vielen Dank, Herr Innenminister. - Wir setzen die Debatte mit dem Redebeitrag der Fraktion der Linkspartei.PDS fort. Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Scharfenberg.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem das Gedenkstättenschutzgesetz vom Mai vergangenen Jahres nicht den erhofften Erfolg gebracht hat, legt die Landesregierung jetzt ein Gräberstättenversammlungsgesetz vor. Dieses Gesetz stützt sich auf die im Ergebnis der Föderalismusreform geschaffene Kompetenz der Länder auf dem Gebiet des Versammlungsrechts.

Wichtigstes Ziel dieses Gesetzes ist es, wie Herr Schönbohm bereits ausgeführt hat, die Menschenwürde der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gegen einen verleumderischen und heroisierenden Missbrauch zu schützen.

Das Land Brandenburg hat viele Orte, an denen das Grauen des Zweiten Weltkrieges nachvollziehbar ist. Als der verbrecherische Krieg an seinen Ausgangspunkt zurückkehrte, wurden noch in den letzten Wochen und Tagen viele Menschen sinnlos geopfert. Der Waldfriedhof von Halbe ist dabei eine Stätte von großer Symbolik, die an die Schrecken der Kesselschlacht erinnert. Aus diesem dunklen Kapitel unserer Vergangenheit die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen und alles zu tun, dass sich so etwas nicht wiederholt, ist unsere gemeinsame Verantwortung.

Dabei reicht es nicht, sich einfach nur dagegen auszusprechen, dass Halbe zu einer Wallfahrtstätte für Neonazis wird. Vielmehr ist jeder aufgefordert, auch in diesem Sinne aktiv zu werden.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Hierbei darf es nichts Missverständliches geben; vielmehr sind klare Signale gefragt. Das erwarten die Menschen in unserem Lande, und das wird umso wichtiger, je weiter wir uns zeitlich von diesem historischen Geschehen entfernen, je weniger Zeitzeugen aufgrund eigenen Erlebens berichten können.

Herr Schönbohm hat im Mai vergangenen Jahres hier im Landtag ausgeführt:

„Wir schulden den Opfern des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs unabhängig von ihrer Nation ein angemessenes Gedenken. Wer die Würde dieser Opfer, wer die Ruhe dieser Toten, wer unser aller Gedenken an das Geschehene entehrt, den müssen wir in die Schranken weisen.“

Herr Schönbohm, ich stimme nicht mit allen Ihren Auffassungen überein, aber dem kann ich uneingeschränkt zustimmen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Wir sind uns darüber im Klaren, dass die mit dem Gesetzentwurf verbundene Einschränkung des Versammlungsrechts sorgfältig abgewogen werden muss. Sie muss die Ultima Ratio

bleiben. Wie sich Einschränkungen des Versammlungsrechts auswirken können, haben nicht zuletzt die Gegendemonstranten in Halbe erfahren müssen. Letztlich geht es dabei um die Frage, ob wir angesichts des hohen Gutes der Versammlungsund Meinungsfreiheit auf eine Einschränkung des Grundrechts besser verzichten sollten. Wer jedoch die Aufmärsche der Neonazis gesehen und das breite Unverständnis zur Kenntnis genommen hat, mit dem die Bevölkerung auf diese düsteren Demonstrationen reagiert, der kann nach meiner Ansicht das Mittel einer rechtlichen Verhinderung nicht ausschließen. Allerdings muss dabei eine eindeutige Zielstellung gewährleistet sein, muss eine generelle Aushöhlung des Versammlungsrechts vermieden werden.

Der Gesetzentwurf begrenzt den zu schützenden Bereich auf die Gräberstätte in Halbe selbst und deren unmittelbares Umfeld, das genau bezeichnet wird.

Für das in § 1 Abs. 1 fixierte Verbot von öffentlichen Versammlungen und Aufzügen sollen Ausnahmen zugelassen werden können, das Verbot soll aber uneingeschränkt für die in § 1 Abs. 2 definierten Formen von Aufzügen und Versammlungen gelten. Inwieweit das tatsächlich tragen wird, bleibt noch offen.

Ich sage jedoch auch ganz deutlich, dass wir für Aktionismus nicht zu haben sind. Das Versammlungsrecht eignet sich nicht als Experimentierfeld. Wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass ein erneutes Versagen der Rechtsvorschrift genau die entgegengesetzte Wirkung haben kann. Deshalb ist es sehr wichtig, dass diese Rechtsvorschrift gründlich geprüft worden ist. Darüber werden wir aber auch noch im Innenausschuss zu reden haben und werden uns mit dem Gesetzentwurf auch im Rahmen einer Anhörung befassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, Sie stimmen mit mir darin überein, dass dem Problem des Rechtsextremismus mit Verboten, wenn überhaupt, nur peripher begegnet werden kann. Entscheidend ist vielmehr, dass unter heutigen Bedingungen, mehr als 60 Jahre nach Zerschlagung des HitlerFaschismus, in einer breiten Öffentlichkeit eine selbstbewusste und souveräne Auseinandersetzung mit allen Formen und Erscheinungen des Rechtsextremismus geführt werden muss. Was wir nicht zulassen dürfen, ist eine schleichende Gewöhnung an das freche Auftreten der Neonazis.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS und vereinzelt bei der SPD)

Das beginnt mit den so genannten Propagandadelikten, die in keiner Weise unterschätzt werden dürfen.

Wir brauchen ein möglichst enges Zusammenwirken aller demokratischen Kräfte. Alle Bemühungen um eine Verhinderung neonazistischer Aufmärsche - das sage ich in Richtung CDU sind letztlich unglaubwürdig, wenn sie nicht mit der Konsequenz eines gemeinsamen Vorgehens der demokratischen Parteien verbunden werden. Hier sollten parteitaktische Erwägungen hinter der gemeinsamen Verantwortung zurückgestellt werden. Es wäre ein wichtiges Signal, wenn die Landtagsfraktionen von SPD, CDU und Linkspartei in diesem Jahr gemeinsam zum Tag der Demokraten in Halbe aufrufen würden.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Was im CDU-regierten Sachsen nach meiner Kenntnis möglich ist, sollte in Brandenburg eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. - Danke schön.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS und vereinzelt bei der SPD)

Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Schippel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

„Es ist der Segen und das Kreuz des Rechtsstaates, dass er auch die rechtmäßig behandeln muss, die sich gegen das Gesetz vergangen, das Gesetz gebrochen haben, ob als Mörder oder Diebe, als Entführer oder Betrüger. Das Recht steht über Stimmungen, über Volksmeinung, Umfragen und Statistiken. Es steht über tagespolitischen Spekulationen.“

Dieses Zitat von Heinrich Böll aus den 70er Jahren zur Terrorismusbekämpfung zeigt eine gewisse, wenn nicht sogar die ganze Schwierigkeit eines demokratischen Staates im Umgang mit Extremisten, jenen Leuten, die am Ende den Staat zerstören wollen, auf dessen Schutz sie sich vorher berufen.

Dieses Zitat gilt auch im Zusammenhang mit dem Versammlungsgesetz des Landes Brandenburg, welches zur Debatte steht. Es soll das grundgesetzlich garantierte Recht auf Versammlungsfreiheit in Übereinstimmung mit dem notwendigen Schutz der Opfer eines verabscheuungswürdigen, verbrecherischen Krieges bringen, denn Opfer liegen in Halbe - nicht Helden, nicht ruhmreiche deutsche Frontsoldaten -, Familienväter und Söhne, die in einen Eroberungskrieg gingen oder geschickt wurden, der Leid und Elend nicht nur über Europa, sondern auch über die eigenen Familien brachte.