Protocol of the Session on May 17, 2006

Erstes Gesetz zum Abbau bürokratischer Hemmnisse im Land Brandenburg

Gesetzentwurf der Landesregierung

Drucksache 4/2735

1. Lesung

Ich gebe der Landesregierung, Herrn Staatssekretär Appel, das Wort. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Normen und Standards haben zurzeit ein schweres Leben. Sie sollen reduziert und abgebaut werden. Bürokratie wird geradezu gegeißelt; denn sie be- und verhindert nur.

In diesem Kontext erinnere ich daran, dass Normen und Standards in grauer Vorzeit als Errungenschaft des Industriezeitalters gefeiert wurden. Sie gaben Sicherheit und Verlässlichkeit in staatlichem und privatem Handeln.

Jede rechtliche Regelung hat immer auch einen Schutzzweck zugunsten des Einzelnen oder von Gütern jeglicher Art. Ähnliches gilt für die Bürokratie. Bürokratisches Handeln soll den Bürgern wie den Unternehmen Planbarkeit bieten, das heißt, willkürliches Vorgehen der Behörden verhindern.

Warum sage ich das ausgerechnet aus Anlass der Einbringung eines Gesetzentwurfs zum Bürokratieabbau? - Meine Botschaft lautet: Lassen Sie uns das Kind nicht mit dem Bade ausschütten; denn Gesetze wurden nach langen Erörterungsprozessen unter anderem von diesem hohen Hause oder gar vom Bundestag beschlossen.

Sicher: Unser Normengeflecht wurde zwar immer ziselierter ausgestattet, und die Bürokratie gelangte zu einer Perfektion, die die individuelle Problemlage mitunter aus den Augen verlor; dennoch sollten wir nicht blind nach Abbau schreien, sondern zunächst schauen, welches Regelwerk inhaltlich noch Sinn macht und welches wirklich verzichtbar ist.

Gemessen an den von mir beschriebenen Maßstäben ist die Dachbodenentrümpelung recht gut gelungen. Als wir uns auf den langen Weg begaben, waren die Inhalte des Bürokratieabbaugesetzes noch nicht klar erkennbar. Die Vielzahl an Vorschlägen, die uns insbesondere aus den Modellregionen erreichte, verlangte ein differenziertes Schritttempo. Da es einerseits relativ einfache und schnell gestaltbare, andererseits aber auch komplexe und umfangreich abzustimmende Vorhaben gibt, entschieden wir uns für ein mehrstufiges Verfahren.

Heute stelle ich Ihnen das erste Bürokratieabbaugesetz vor. Nach Abschluss der laufenden Prüfungen werden weitere ge

setzgeberische Aktivitäten folgen. Zudem werden unter anderem vom Sonderausschuss ausgelöste Prüfaufträge sukzessive von den Ressorts abgearbeitet.

Erlauben Sie mir, die wesentlichen Inhalte des Gesetzentwurfs zu erläutern. Der Gesetzentwurf besteht aus drei Säulen. Zum Ersten sind Erprobungen beabsichtigt. Im Land gibt es viele kreative Ideen für bessere und einfachere Regelungen, denen leider oft detaillierte Vorschriften entgegenstehen. Deshalb sollten wir diesen Ideen eine Chance geben, sich zu bewähren, nach dem Motto: Mut zum Experiment!

Eine sehr wichtige Erprobung erfolgte im Bereich der Schulverwaltung. Die bisherige Trennung der Zuständigkeitsbereiche für die Ausstattung der Schulen wird dadurch aufgehoben, dass das Land und der kommunale Schulträger ihre Mittelansätze in einem Gesamtbudget der Schule zur Verfügung stellen.

Daneben sind Regelungen zur Verlagerung der Zuständigkeiten für den Ladenschluss und den Arbeitsschutz zur Erprobung in den Modellregionen vorgesehen.

Darüber hinaus schlagen wir - das ist das Herzstück des Gesetzentwurfs - eine allgemeine Experimentierklausel vor. Diese erlaubt die Befreiung von den engen Vorgaben des Landesrechts, wenn das gesetzgeberische Ziel auch auf andere Weise - unter anderem mit einer Zielvereinbarung zwischen der Modellregion und der Fachaufsicht - erreicht werden kann.

Zum Zweiten sieht der Entwurf eine Reihe von Vorschriften vor im Hinblick auf den Abbau von Belastungen für Bürger und Wirtschaft landesweit. Den Schwerpunkt bilden dabei das Bau- und das Umweltrecht. Ich möchte hier nur einige wenige Punkte herausgreifen.

Im Baurecht sollen unter anderem der Wegfall der Pflicht zum Einbau von Wasserzählern, ein erleichterter Nachweis der Bauvorlageberechtigung sowie eine Erleichterung der Prüfung der bautechnischen Nachweise geregelt werden. Zudem sollen Warenautomaten künftig nicht mehr unter die Bauordnung fallen. Die Gebühr für die Bauschlussabnahme soll entfallen. Des Weiteren soll das Prüfintervall für sicherheitstechnische Gebäudeausrüstungen von zwei auf drei Jahre verlängert werden. Die bisher getrennten bauordnungs- und katasterrechtlichen Gebäudeeinmessungen werden künftig in einer einmalig ausgeführten Tätigkeit zur Beschleunigung der Bauvorhaben und Reduzierung der anfallenden Gebühren und Kosten für den Bauherrn gebündelt.

Einige bereits ausgiebig diskutierte Erleichterungen betreffen das Fischereirecht. Die bisherige Genehmigungspflicht von Fischereipachtverträgen wird in eine Anzeigepflicht umgewandelt. Zudem sollen die bisher notwendigen Betriebsgenehmigungen für Anlagen zur Vermehrung und Haltung von Fischen entfallen. Für die Ausübung der Fischerei mit der Friedfischangel wird kein Fischereischein mehr erforderlich sein, was dem Wassertourismus im Land Brandenburg sicherlich zugute kommt.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Unternehmen mit einem zertifizierten Ökoaudit sollen bei bestimmten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen in der Regel eine 20%ige Gebührenentlastung erhalten.

Im Naturschutzrecht ist unter anderem der Wegfall der Verbandsbeteiligung bei der Erteilung von Ausnahmegenehmigungen von den Verboten des Horstschutzes und den Vorschriften zum Schutz von Nist-, Brut- und Lebensstätten vorgesehen.

Mit der Einführung von Flächenpools soll die Eingriffsregelung vereinfacht werden. Damit erhalten wir in Brandenburg die hohen materiellen Standards im Naturschutz. Das sei in Richtung der Vorwürfe des NABU aus den letzten Tagen geäußert.

Bei gleichzeitiger Modernisierung und Vereinfachung der Verfahren wird damit im Übrigen einem Beschluss des Landtages zur möglichen Beschränkung von Landesrecht auf bundes- und europarechtliche Regelungen gefolgt.

(Zustimmung des Abgeordneten Dombrowski [CDU])

Die Nachtruheregelung im Landesimmissionsschutzgesetz darüber wurde in letzter Zeit auch anlässlich der Fußballweltmeisterschaft viel gesprochen - soll zur Ermöglichung längerer Öffnungszeiten in der Außengastronomie modifiziert werden. Damit sollen die Kommunen mehr Eigenverantwortlichkeit und Spielraum erhalten.

Zum Dritten sieht der Gesetzentwurf die Aufhebung von sieben Gesetzen und fünf Rechtsverordnungen - unter anderem das Vergnügungssteuergesetz, das Sammlungsgesetz und die Gebrauchtwarenverordnung - vor.

Meine Damen und Herren, ich bin der festen Überzeugung, dass der Gesetzentwurf im Vergleich zu anderen Bundesländern sehr gut ist. Sicherlich enthält der Entwurf - das wurde oft vorgeworfen - auch bloße Rechtsbereinigung, jedoch trägt auch diese dazu bei, den Normenbestand des Landes zu reduzieren und damit übersichtlicher zu gestalten.

Der Entwurf ist in eine Vielzahl von Aktivitäten, für die die Landesregierung an verschiedenen Stellen breite Zustimmung erfuhr, eingebettet. Neben der Unterstützung durch die Modellregionen erhält die Landesregierung große Unterstützung durch den vom Landtag im Sommer 2005 einberufenen Sonderausschuss zur Überprüfung von Normen und Standards, für dessen engagierte Arbeit ich mich stellvertretend bedanke.

In seiner umfangreichen Schwerpunktliste hat der Sonderausschuss weitere Handlungsfelder für Bürokratieabbau identifiziert und Vorschläge unterbreitet. Diese müssen durch verwaltungsinterne Maßnahmen und gesetzgeberische Aktivitäten der Landesregierung aufgegriffen werden.

Entbürokratisierung erfordert - wie es sich im Rahmen der Arbeit an dem Gesetzentwurf zeigte - oft eine Umstrukturierung mehrerer aufeinander abgestimmter Rechtsgebiete, die nicht von heute auf morgen seriös zu bewältigen ist.

Immer wieder hörte ich von einigen Seiten den Vorwurf, dass der Gesetzentwurf nicht weit genug gehe. Das träfe sicherlich zu, wollte man diesen Entwurf als einzigen Beitrag zum Abbau von Überreglementierung und Bürokratie sehen. Jedoch ist er nur ein Bestandteil all dieser Bemühungen.

Ich rufe alle auf, die Bemühungen gemeinsam fortzuführen, und bitte um ein wohlwollendes Begleiten des Gesetzentwurfes. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Herzlichen Dank. - Für die Linkspartei.PDS-Fraktion erhält die Abgeordnete Mächtig das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Der deutsche Politiker Hans Engelhard sagte einst:

„Die Gesetzesproduktion muss ähnlich wie die Industrieproduktion noch stärker als bisher einer Qualitäts-, Erforderlichkeits- und Erfolgskontrolle unterworfen werden.“

Lassen Sie uns dies mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gemeinsam durchführen.

Meinen Anspruch an ein Gesetz befriedigt dieser Entwurf nicht, nachdem ich mich beinahe ein Jahr mit Problemen von Gesetzesanspruch und Gesetzesrealität beschäftigen durfte. Möglicherweise war das aber auch nicht das Ziel der Autoren. Jedoch wird der Gesetzentwurf auch den Forderungen der Bürgerinnen und Bürger, der Landkreise und Kommunen, der Unternehmen sowie - dies unterstelle ich jetzt einmal - meiner Kolleginnen und Kollegen der Koalition nicht gerecht.

Das Gesetz ist sowohl von seinem Inhalt als auch von seiner Systematik her unbefriedigend und sogar - ich sage es so - enttäuschend.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Die Tatsache, dass alle - ich meine wirklich: alle - Verbände, Kammern und auch Medien lange vor uns, den Abgeordneten, den Entwurf des Gesetzes kannten - Herr Appel, Sie haben gesagt, dies entspreche den Grundsätzen der Geschäftsordnung der Landesregierung -, hat uns ebenso wenig wie die verfristete Einreichung veranlasst, die Beratung des Gesetzentwurfs im April aus formalen Gründen abzulehnen. Aber wir haben auf den Gesetzentwurf fast ein halbes Jahr gewartet. Gemäß der Erfahrung, dass das, was lange währt, endlich gut wird, haben wir uns natürlich auf Bestleistungen vorbereitet. Nun schauen Sie sich dieses Papier an! Es wird nicht einmal dem Namen gerecht, welches es trägt.

Zur Erstellung des Entwurfs hat die Landesregierung neben einigen wenigen tatsächlichen Entbürokratisierungsvorschlägen auch die Jäger und Sammler ihrer Häuser in die Tiefen der Gesetzesareale geschickt und sammeln lassen, frei nach dem Motto: Was wir schon immer einmal ändern wollten.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Gehen wir nun also gemeinsam an die Arbeit und trennen die Spreu vom Weizen; denn nur ein Bruchteil der Regelungen in dem Gesetzentwurf ist tatsächlich geeignet, als Bürokratieabbau bezeichnet zu werden. Auch nur dieser Teil darf Inhalt des wirklichen Bürokratieabbaugesetzes bleiben.

Betrachten wir es genauer und beginnen mit Artikel 1. Dort finden wir das Gesetz für die Modellregionen des Landes Brandenburg. Dass dieses äußerst mager ist, hat die Landesre

gierung bereits selbst erkannt. Wer dem Chef der Staatskanzlei eben gut zugehört hat, der hat diese Erfahrung auch schon aus seinem Munde vernommen. Dass von 200 eingebrachten Vorschlägen tatsächlich nur drei der Modellregionen Berücksichtigung fanden, ist nicht nur mehr als dürftig, sondern stößt vor allem auch auf die Kritik der beteiligten Modellregionen und meiner Fraktion. Dass es sich tatsächlich um ein gemeinsames Anliegen der Landesregierung und aller Beteiligten handelt, muss ich vor diesem Hintergrund leider infrage stellen.

Das Gesetz über die Modellregionen beinhaltet eine so genannte Experimentierklausel, welche weitgehend unserem Entwurf für ein Standardöffnungsgesetz aus der 3. Legislaturperiode entspricht und deshalb von uns grundsätzlich begrüßt wird. Mithilfe von Standardöffnungen sollen den Adressaten weitgehende Möglichkeiten gegeben werden, von vorgegebenen Standards der Aufgabenerfüllung abzuweichen. Wir - der Gesetzgeber - sollten nicht nur die Absicht verfolgen, im Wege des Experiments verbesserte Normen zu finden, sondern auch eine Antwort auf die weit verbreiteten Klagen der Kommunen über die Fülle reglementierender und kostentreibender Auflagen bei der Aufgabenerfüllung geben können. Allerdings werden im Vergleich zu unserer damaligen Forderung einer Standardöffnung die Erprobungsmöglichkeiten im vorliegenden Gesetz nur auf die beteiligten Modellregionen beschränkt.

Die in Absatz 3 enthaltene Ausnahmeregelung hat wohl leider nur eine Alibifunktion; denn in der Umsetzung dürfte der zuvor notwendige Erlass einer Verordnung über die Landesregierung wenig praktikabel sein. Auch die Erfahrungen aus Mecklenburg-Vorpommern zeigen: Je breiter die Anwendungsmöglichkeiten, je einfacher der Zugang zum Experiment, umso aktiver werden alle Beteiligten sein. Wenn aber die bürokratischen Hürden zum Entbürokratisierungsexperiment zu hoch werden, dann werden die meisten gar nicht erst loslaufen. Das ist nicht unser Ziel.

In Artikel 2 des Gesetzes werden Vorschriften der Landesbauordnung geändert. Jedoch hat uns das Ministerium für Infrastruktur und Raumordnung gerade erst ausführlich darüber berichtet, dass an einer grundsätzlichen Novellierung der Bauordnung bis zum Jahre 2007 gearbeitet werde.