Protocol of the Session on December 15, 2005

Ich begrüße als Gäste Schüler der 10. Klasse des Gymnasiums Michendorf. - Ihr erlebt heute die Aktuelle Stunde mit. Ich hoffe, dass es für euch spannend wird. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Bevor ihr aber die Aktuelle Stunde erlebt, nehme ich die Gelegenheit wahr, einer Abgeordneten ganz herzlich zum Geburtstag zu gratulieren. - Frau Wöllert, alles Gute! Schöner als im Plenarsaal kann man einen Geburtstag nicht feiern.

(Allgemeiner Beifall)

Ich habe Ihnen bekannt zu geben, dass mich der Vorsitzende des Petitionsausschusses, Herr Abgeordneter Domres, informiert hat, dass der Petitionsausschuss in seiner 18. Sitzung am 6. Dezember 2005 die Abgeordnete Prof. Dr. Heppener als stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses gewählt hat. Viel Erfolg bei der Arbeit, Frau Prof. Dr. Heppener!

(Beifall bei der SPD)

Sie haben die Tagesordnung vor sich liegen. Hierzu gibt es zu bemerken, dass ein Tagesordnungspunkt 10 zusätzlich aufgenommen werden soll. Der Antrag mit Wahlvorschlag der Landesregierung trägt den Titel: „Wahl eines stellvertretenden Mitglieds des Landes Brandenburg in den Ausschuss der Regionen für die 4. Mandatsperiode 2006 bis 2009“. Dazu liegt Ihnen die Drucksache 4/2287 vor. Es ist vereinbart worden, hierzu keine Debatte zu führen. Gibt es zu dieser so erweiterten Tagesordnung Bemerkungen? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich lasse über diese Tagesordnung abstimmen. Wer nach ihr verfahren möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Beides ist nicht der Fall.

Mir liegt eine Reihe von Abwesenheitserklärungen vor. Der Ministerpräsident ist ab 12.30 Uhr in Sachsenhausen zur Gedenkfeier der Sinti und Roma. Nachdem ich im Februar die Ehre hatte, dort zu sein, übernimmt er heute den Part, das Land zu vertreten. Frau Prof. Dr. Wanka ist ganztägig abwesend. Gleiches gilt für Minister Rupprecht. Einige weitere Abgeordnete fehlen zumindest zeitweise.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 1:

Aktuelle Stunde

Thema: Zukunft der ambulanten ärztlichen Versorgung im Land Brandenburg

Antrag der Fraktion der SPD

Ich eröffne die Debatte mit dem Beitrag der SPD-Fraktion. Frau Abgeordnete Dr. Münch spricht zu uns.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die hohe Qualität unseres medizinischen Versorgungssystems ist international anerkannt. Erst kürzlich bescheinigte uns das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, kurz IQWiG genannt, eine gute, rasche Versorgung der Patienten und eine im internationalen Vergleich bessere Chronikerbetreuung bei vergleichsweise moderaten Zuzahlungen. Die Patienten sind im Großen und Ganzen mit ihrer ärztlichen Betreuung sehr zufrieden.

Diesen hohen medizinischen Standard mit einer erreichbaren Versorgung für jedermann lässt sich unsere Gesellschaft sehr viel Geld kosten. Jährlich fließen etwa 240 Milliarden Euro in das Gesundheitswesen. Das entspricht ungefähr 11 % des Bruttoinlandsprodukts. Insgesamt arbeiten ca. 4,2 Millionen Menschen in der Gesundheitswirtschaft, die damit der größte Zweig ist, was die Zahl der Arbeitsplätze betrifft.

Dennoch klagen alle Beteiligten über zu wenig Geld im System. Wir haben heute Morgen die Demonstrationen der Ärzte erlebt. Die Situation der ambulanten ärztlichen Versorgung im Land Brandenburg ist auch der Anlass für unsere Aktuelle Stunde.

Wodurch ist die Situation in Brandenburg gekennzeichnet? Im deutschlandweiten Vergleich gibt es in Brandenburg die geringste Arztdichte. Das bedeutet für den einzelnen niedergelassenen Arzt eine Mehrarbeit von etwa 130 % bei einer vergleichsweise geringen Vergütung, die nur ungefähr 72 % des vergleichbaren Einkommens eines Westarztes beträgt.

Hinzu kommt die doppelte Wirkung des demografischen Faktors. Ich möchte das kurz erläutern. Wie wir alle wissen, sind besonders die ländlichen Regionen des Landes von einer Abwanderung junger und mobiler Menschen betroffen. Gleichzeitig gibt es durch den Geburtenknick und die geringe Kinderquote zu wenige Menschen, die in diesen Regionen leben. Das bedeutet, dass die Menschen, die dableiben, älter und im Durchschnitt öfter krank sind. Durch die großen Verteilungsprobleme, was die Arztpraxen betrifft, muss der einzelne Arzt sehr viel mehr kranke und eher alte Patienten versorgen. Gleichzeitig steht den kranken älteren Patienten eine relativ alte Ärzteschaft gegenüber. Das wird daran deutlich, dass in den nächsten zehn Jahren voraussichtlich 40 % der Hausärzte in den Ruhestand gehen werden. In einzelnen Bereichen der fachärztlichen Betreuung sieht es ähnlich aus. Dort herrscht bereits jetzt eine Unterversorgung.

Was hat zu der aktuellen Zuspitzung und dem heute erlebten Ärzteprotest geführt? Zusätzlich zu der Situation, die seit Jahren bekannt ist und bei der gemeinsam mit den Akteuren der Selbstverwaltung in jedem Jahr nachjustiert wird, gibt es seit April dieses Jahres einen neuen Bewertungsmaßstab, den EBM. Damit wurde - in Übereinstimmung auch mit den entsprechenden Standesvertretern auf Bundesebene - zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung und den Verbänden der Krankenkassen ein Bewertungsmaßstab ausgehandelt, der Ungleichgewichtungen bei der Honorarverteilung zwischen den einzelnen Facharztgruppen ausgleichen sollte. Beispielsweise sollten die Radiologen weniger Honorar bekommen im Vergleich zu den Ärzten, die tatsächlich mehr Leistungen am Patienten erbringen, was Prävention betrifft, aber auch Ge

sprächsleistungen. Dieser Honorarverteilungsmaßstab wurde allgemein begrüßt, führt aber natürlich zu Verschiebungen, was die Finanzierung einzelner Praxen angeht.

Auf Landesebene wurde zwischen den Organen der Selbstverwaltung der Honorarverteilungsvertrag ausgehandelt, der ebenfalls zu weiteren Verschiebungen und zu einem Ungleichgewicht in der Bezahlung der unterschiedlichen Facharztkollegen geführt hat.

Verschärfend kommt ein Faktor hinzu, für den die Ärzte und das Gesundheitswesen nicht verantwortlich sind: die Umsetzung der Arbeitsmarktreform Hartz IV. Diese hat dazu geführt, dass bei den Versicherten mehr Familienmitglieder mitversichert sind und dass nicht mehr für jedes Familienmitglied - wie zu Zeiten der Arbeitslosenhilfe -, sondern nur noch pro Versicherten eine Summe pauschal an die Krankenkassen gezahlt wird. Das wiederum führt zu Mindereinnahmen von etwa 3,9 Millionen Euro pro Quartal, was pro Arzt und Quartal etwa 1 000 Euro weniger Einnahmen entspricht.

Alles das, was ich jetzt beschrieben habe, betrifft alle Bundesländer. In Brandenburg speziell gibt es noch Streitigkeiten zwischen den einzelnen Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung. Es gibt verzögerte Abschlagszahlungen und es gibt Vorgänge, bei denen vor Gericht bestimmte Summen eingeklagt wurden, aber noch nicht ausgezahlt sind. Außerdem hat man sich bis jetzt nicht geeinigt, wie man die Beträge für die Ost-West-Angleichung, die über die Krankenkassen läuft, tatsächlich auch an die Kassen weitergibt.

Diese ganze schwierige Gemengelage, die teils im Selbstverwaltungssystem begründet ist, teils aber auch objektiven Kriterien geschuldet ist, die zu einer Minderfinanzierung der ambulanten Medizin geführt haben, hat zur Folge, dass die ambulant tätigen niedergelassenen Ärzte verständlicherweise wütend sind. Sie sind wütend, und sie geben dieser Wut auch lautstark Ausdruck. Sie beschweren sich bei dieser Gelegenheit - berechtigterweise - auch über vieles andere, was die Arbeit erschwert.

Viele Ärzte sind von früh bis spät mit der Patientenbetreuung ausgelastet. Sie bekommen vergleichsweise wenig Geld dafür und kämpfen mit immer höheren bürokratischen Forderungen. Diese bürokratischen Forderungen haben unterschiedliche Ursachen. Sie sind zum Teil berechtigt, zum Teil ist es aber auch an der Zeit, diese Bürokratie zu reduzieren, um den Ärzten Zeit zu geben für das, was sie eigentlich tun sollen, sich nämlich um die Patienten zu kümmern.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Der Prüfstein für das Funktionieren der Selbstverwaltung - wir schätzen die Selbstverwaltungsorgane, sprich: die Kassenärztliche Vereinigung und die Krankenkassen, sehr - besteht darin, dass es ihr letzten Endes gelingt, möglichst im Konsens eine Lösung zu finden, wie das zugegebenermaßen nicht üppige Honorar zwischen den verschiedenen Ärztegruppen verteilt wird.

Dies hat zu Verwerfungen dahin gehend geführt - Sie haben das alle der Presse entnommen -, dass einzelne Arztpraxen mehr als 10 %, bis zu 30 % weniger Einkommen haben als vorher. Auf der anderen Seite stehen aber auch Arztgruppen, die mehr

Geld eingenommen haben, 10 %, bis zu 30 % mehr. Diese Gruppen stehen sich gegenüber. Dazwischen gibt es eine große Gruppe mit relativ geringeren Mindereinnahmen und eine Gruppe, deren Einnahmen gleich geblieben sind. Einen Ausgleich zu finden zwischen diesen Gruppen wäre Aufgabe der Selbstverwaltung gewesen.

Dass das Ganze jetzt in diesen Protest umgeschlagen ist und dazu führt, dass man sich gegenseitig die Schuld zuweist, ist auch für die Patienten nicht erfreulich, und es ist auch nicht hinnehmbar, dass diese Proteste letzten Endes auf dem Rücken der Patienten ausgetragen werden, denn die Patienten können am allerwenigsten dafür.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Sosehr die Situation der Ärzte, die Wut und der Ärger verständlich sind, ist es trotzdem an der Zeit, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Ein Prüfstein für das Funktionieren der Selbstverwaltung ist es, inwieweit das Selbstverwaltungssystem in der Lage ist, diese Probleme im Dialog und im Konsens zu lösen. Wenn das nicht möglich ist, ist es tatsächlich an der Zeit, zu fragen, ob diese Form der Selbstverwaltung eine dauerhafte Zukunft hat oder ob es nicht notwendig ist, Strukturen tatsächlich anzupassen und zu verändern.

Was kann Politik tun? Politik muss natürlich moderieren, Politik muss auch führen, und Politik hat die Aufgabe, im Rahmen ihrer Fach- und Rechtsaufsicht die Beteiligten an einen Tisch zu holen und dafür zu sorgen, dass ein Ausgleich gefunden wird. Das hat die Ministerin bereits getan. Erste Ergebnisse liegen vor. Es ist natürlich zu wünschen, dass auf diesem Weg weiter vorangeschritten wird und dass man zu Lösungen findet.

Ebenso wichtig ist es, dass auch die Ärzteschaft - die Kassenärztliche Vereinigung sollte ihre Kollegen darin unterstützen nach Möglichkeiten sucht, das Einkommen auch außerhalb des Budgets zu erhöhen. Möglichkeiten dazu sind im Gesundheitsmodernisierungsgesetz vorgesehen, beispielsweise durch die integrierte Versorgung. Da wurde ja sowohl der ambulanten als auch der stationären Medizin jeweils 1 % abgezogen, um die Sektorentrennung zwischen ambulant und stationär aufzulösen. Das ist eine Möglichkeit, mehr Geld zu bekommen. Eine weitere Möglichkeit ist die Teilnahme an Hausarztmodellen, die auch außerhalb des Budgets von den Kassen bezahlt wird.

Was mir besonders am Herzen liegt, ist eine verstärkte Einschreibung in die Chronikerprogramme, die so genannten Disease-Management-Programme. Nach Auskünften des Ministeriums gehen durch die verzögerte Einschreibung der Brandenburger Patienten bzw. der Ärzte, die bereit sind, nach diesem Chronikermodell zu behandeln, jährlich 20 bis 30 Millionen Euro verloren. Das sind Gelder aus dem Risikostrukturausgleich, die von den Kassen an die östlichen Krankenkassen weitergeleitet werden und die dann natürlich letzten Endes auch der Ärzteschaft in einer entsprechenden Form zugute kommen sollen. Ich weiß, dass die Verzögerung vorbei ist, dass die Ärzte begonnen haben, dieses Instrument zu nutzen.

Politik muss aber natürlich auch dafür sorgen, dass die Dinge, die sie verursacht hat, beseitigt oder zumindest abgemildert werden, sprich: Wir fordern die Landesregierung auf, im Rahmen der Hartz-IV-Gesetzgebung für Kompensation zu sorgen

für die Ausfälle, die den Krankenkassen und damit den Ärzten entstanden sind.

Politik muss auch dafür sorgen, dass das drohende Problem des Ärztemangels angegangen wird. Die Beteiligten müssen an einen Tisch, und wir müssen nachhaltige Lösungen finden.

Es fragt sich natürlich, ob das jetzige System mit seiner strengen Sektorentrennung, mit seiner Zersplitterung in unterschiedliche Akteure und Interessengruppen in der Lage ist, künftig dieses Problem tatsächlich zu lösen. Hier ist auch die Bundespolitik gefragt. Im Koalitionsvertrag sind erfreuliche Ansätze dazu zu sehen dahin gehend, dass man das Problem andenkt und bereit ist, eine grundlegende Reform der Finanzierung und der Strukturen anzugehen.

Politik speziell im Land Brandenburg hat auch die Aufgabe, den Ärzten in Not zu helfen. Dazu gehört ein Sofortprogramm, das die Ministerin erfreulicherweise sehr tatkräftig und zügig angegangen ist. Wenig Verständnis habe ich dafür, dass die Kollegen von der CDU-Fraktion dieses Sofortprogramm in den ja noch zu beratenden Antrag nicht einbeziehen möchten.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Insofern hat Politik das getan, was Politik tun muss. Darüber hinaus muss Politik führen, muss den Diskussionsprozess anschieben und moderieren und muss dafür sorgen, dass die Reformen, die im Gesundheitssystem schon lange überfällig sind, im Interesse aller Beteiligten, nicht zuletzt, sondern vor allem im Interesse der Patienten angeschoben werden. Dazu sind wir bereit, das werden wir angehen. Verlassen Sie sich darauf!

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Dr. Münch. - Wir setzen mit dem Beitrag der Linkspartei.PDS-Fraktion fort. Es spricht die Abgeordnete Wöllert zu uns.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD-Fraktion hat der heutigen Debatte die Überschrift „Zukunft der ambulanten ärztlichen Versorgung im Land Brandenburg“ gegeben. Leider können wir heute aber nicht über die Zukunft reden, sondern müssen uns mit den bitteren Realitäten der Gegenwart befassen, die ihre Ursachen auch in Versäumnissen der Vergangenheit haben. Das ist bei der Demonstration der Ärztinnen und Ärzte heute vor dem Landtag noch einmal sehr deutlich geworden.

Wir debattieren über eine akute Krise in der ambulanten ärztlichen Versorgung. Wir reden über Ärztemangel, Praxisschließungen, massive Proteste von Ärztinnen und Ärzten, die für ihre Arbeit vernünftig und angemessen bezahlt werden wollen.

Diese Krise hat eine lange Vorgeschichte. Schon Ende der 90er Jahre wurde über einen drohenden Ärztemangel, über hohe Arbeitsbelastung und über eine vergleichsweise geringe Vergütung der ärztlichen Leistungen geredet. Minister Ziel, also der Vorvorgänger von Frau Ziegler, hatte - ich glaube, es war im Jahr 2000 - zwei Arbeitsgruppen eingesetzt, die die Ursachen

für diese Misere in der ambulanten sowie in der stationären Versorgung analysieren sollten. In der Zwischenzeit gab es die eine oder andere Gesundheitsreform, von den zuständigen Ministern oder Ministerinnen im Land jeweils freudig begrüßt. Bei der letzten Gesundheitsreform waren es die Medizinischen Versorgungszentren, die von Ihnen, Herr Baaske, als Sozialminister damals als neue Perspektiven für die Lösung der Versorgungsprobleme in den dünn besiedelten Regionen gefeiert wurden - ein Vorschlag, den auch ich und meine Fraktion sehr unterstützen.

Aber wie sieht die Realität heute aus? - Während es in Bayern mehr als 60 Medizinische Versorgungszentren gibt, sind wir in Brandenburg bei zwei. Wir sind das Bundesland mit den wenigsten Medizinischen Versorgungszentren.

(Baaske [SPD]: So ein Blödsinn!)

- Das ist kein Blödsinn. Informieren Sie sich darüber! - Angesichts der berechtigten Anerkennung, die Regine Hildebrandt für den Erhalt der poliklinischen Strukturen in Brandenburg erfahren hat, ist das geradezu ein Treppenwitz der Geschichte.