Protocol of the Session on December 15, 2005

- Das ist kein Blödsinn. Informieren Sie sich darüber! - Angesichts der berechtigten Anerkennung, die Regine Hildebrandt für den Erhalt der poliklinischen Strukturen in Brandenburg erfahren hat, ist das geradezu ein Treppenwitz der Geschichte.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Heute ist objektiv nicht mehr die Zeit, von irgendeiner wieder einmal grundsätzlichen Reform Hilfe zu erwarten. Das zwingt uns zu einer Beschränkung auf Lösungsansätze, die kurzfristig helfen sollen. Wir sprechen von einem Zeithorizont von etwa vier Wochen. Im Januar werden Brandenburgs Kassenärzte die Honorarbescheide für das III. Quartal erhalten. Wie diese aussehen werden, kann sich heute jeder ausrechnen.

Trotz mehrerer Gespräche bzw. Krisengipfel haben sich die Grundlagen nicht geändert. Die ersten Protestaktionen von Ärztinnen und Ärzten haben vor sechs Wochen stattgefunden. In meinem Heimatkreis, in der Stadt Forst, hatten sie ihren Ausgangspunkt. Geschehen ist seitdem denkbar wenig, jedenfalls was konkrete Ergebnisse angeht.

(Vereinzelt Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Entgegen dem, was heute gesagt wurde, dass diese Proteste sehr einseitig angelegt gewesen seien, möchte ich noch einmal an Folgendes erinnern: An den Türen der Forster Ärztinnen und Ärzte stand: „Gegen Willkür der Kassenärztlichen Vereinigung und Krankenkassen.“ Es gab also gar keine einseitigen Schuldzuweisungen.

Meine Damen und Herren von der Koalition! Frau Ministerin! Herr Ministerpräsident! Es reicht jetzt nicht mehr, nur den Mund zu spitzen - und zu reden -, sondern jetzt muss auch einmal gepfiffen werden. Gesundheitspolitische Grundsatzentscheidungen können wir nicht abwarten und wir können auch nicht noch weitere Prüfaufträge sozusagen als Placebo verabreichen. Auch weitere Gespräche werden nicht ausreichend sein.

Insofern sage ich schon an dieser Stelle, dass der Koalitionsantrag, der heute noch behandelt wird, zwar einige Probleme richtig benennt, aber leider keinerlei konkrete Vorschläge enthält.

(Schippel [SPD]: Quatsch!)

Die Prämissen der Fraktion der Linkspartei.PDS sind:

Erstens: Politisch verursachte Probleme kann nicht die Selbstverwaltung lösen. Mit Hartz IV wurden dem Gesundheitssystem Mittel entzogen. Das steht außer Zweifel und Frau Dr. Münch hat das genauso gesagt. Das heißt auch - diesen Ausführungen schließe ich mich durchaus an -, es ist ein Gebot des politischen Anstands, dass dieser Verlust auch von der Politik ausgeglichen wird.

(Ministerin Ziegler: Von wem?)

Zweitens: Es darf keine Umverteilung zulasten der stationären Versorgung geben. Einen solchen Umverteilungsvorschlag, der von der KVBB auch ins Gespräch gebracht worden ist, halten wir für nicht verantwortbar, denn auch die Kliniken sind nicht so ausgestattet, dass man dort folgenlos kürzen könnte. Ein solcher Vorschlag wird im Übrigen auch von vielen ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzten abgelehnt.

Die konkreten Vorschläge der Fraktion der Linkspartei.PDS liegen Ihnen in einem Sechspunkteprogramm vor. Sie gehen in zwei Richtungen. Zum einen sollte die Landesregierung auf Bundesebene dafür aktiv werden, dass zusätzliche Mittel für die ambulante Versorgung nach Brandenburg fließen. Dazu gehören ein direkter Zuschuss, der die Hartz-IV-Folgen ausgleicht, ein Beitrag der Pharmaindustrie und die zügige Einführung des so genannten Morbi-RSA. Zum anderen muss, wie heute auch gefordert, die Rechtsaufsicht im Land ihren Beitrag leisten, damit endlich transparent wird, wie die Mittel verteilt werden und was bei der Verteilung korrigiert werden muss.

Das sind konkrete Aufgaben, die Politik etwas angehen und etwas angehen müssen, bei aller gerechtfertigten Kritik, die sich auch die Selbstverwaltung gefallen lassen muss. Hier kann sich die Politik auch nicht nur auf die Führung von Gesprächen, wie in der Antwort auf die Kleine Anfrage von Frau Schier in der Drucksache 4/2278 ausgeführt, zurückziehen. So sieht die Übernahme von Verantwortung eben nicht aus.

Wenn man auch in den entfernten Regionen Ärzte haben will, dann muss die Bezahlung stimmen. Bei aller Sympathie für die Uckermark, die Prignitz oder die Lausitz ist es eben auch für Ärzte nicht einsehbar, dass sie für längere Schulwege ihrer Kinder, für Fahrwege zu Kunst und Kultur mehr Geld aufwenden sollen, wenn man zu besseren Bedingungen in anderen Teilen Deutschlands wesentlich mehr Geld verdienen kann. Das heißt also, das Problem ist anzugehen.

Noch etwas; das passt auch zur gestrigen Regierungserklärung. Sie haben so viel vom bewegten Land gesprochen und haben gesagt: Wir müssen Brandenburg in Bewegung setzten. - Da haben Sie Recht. Aber es kommt auch auf die Art der Bewegung an. Man kann mit den Füßen trampeln und man kann auch für sich selbst in die Hände klatschen. Dann hat man warme Füße und warme Hände und es ist für jeden selbst ein angenehmes Gefühl. Aber wegbewegt haben wir uns noch kein Stück.

In diesem Sinne hoffe ich, dass wir gemeinsam heute ein bisschen Bewegung erreichen, dass Sie über Ihren Schatten springen und unserem konkreten Sechspunkteprogramm heute noch zustimmen können.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Vielen Dank. - Wir setzen mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fort. Die Abgeordnete Schier spricht.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die ambulante medizinische Versorgung in unserem Flächenland Brandenburg beschäftigt uns aktuell, die Probleme sind aber keineswegs neu. Sie wurden von vielen unterschätzt, weil sie aufgrund der Berufseinstellung der überwiegenden Anzahl der Ärzte immer noch kompensiert wurden. Viele Ärzte haben mir bestätigt, dass sie pro Quartal 500 bis 700 Behandlungen durchgeführt haben, für die sie kein Geld bekommen haben.

Schon seit einigen Jahren weist die Kassenärztliche Vereinigung auf die Altersstruktur der niedergelassenen Ärzte und vor allem auf die Schwierigkeiten bei der Nachbesetzung der Praxen hin. Seit etwa sechs Wochen sehen wir uns mit den Protesten der Ärzte konfrontiert, die wegen Honorarausfällen ihre Praxen schließen müssen. Das ist problematisch für die betroffenen Ärzte, die ihre Existenzgrundlage verlieren, aber vor allem für die zu betreuenden Patienten.

Das Problem ist vielschichtig. Wir sollten es von unterschiedlichen Seiten betrachten:

Erstens: die Einführung des SGB II zum 01.01. dieses Jahres. Hierdurch fehlen den Krankenkassen rund 12 Millionen Euro im Jahr 2005. Der Bundesgesetzgeber hat die Folgen, die sich aus der Versorgung der vielen Familienversicherten ergeben, nicht bedacht, vor allem nicht vor dem Hintergrund der Bundesländer mit hoher Arbeitslosigkeit. So stehen in Brandenburg knapp 703 800 Erwerbstätigen 220 500 Arbeitslose gegenüber. Tatsache ist, dass die Kopfpauschale auf immer mehr Versicherte verteilt werden muss.

Zweitens: die Honorarverteilung. Mit der Einführung des EBM 2000 plus im II. Quartal 2005 sollte die Grundlage für eine gerechte Honorarverteilung geschaffen werden. EBM heißt ja Einheitlicher Bewertungsmaßstab und sieht die Führung einer Praxis aus betriebswirtschaftlicher Sicht vor. Durch das Schiedsamt wurde ein Vergleich geschlossen, der 4,01 bzw. 4,1 Cent statt 5,11 Cent als Berechnungsgrundlage für die Abrechnung der Ärzte vorsieht. Damit ist die betriebswirtschaftliche Führung der Praxen nicht mehr möglich.

Was heißt das nun für die Zukunft der ambulanten ärztlichen Versorgung in Brandenburg? - Wir brauchen mehr Geld. Doch das ist leichter gesagt als getan. Grundsätzlich ist die Finanzierung unserer Sozialsysteme insgesamt unter anderem aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit gefährdet. Gäbe es mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, hätten wir mehr Geld in den Kassen. Zurzeit versuchen wir, umzuschichten, lösen das Problem im Kern aber nicht.

Deshalb brauchen wir grundlegende Veränderungen bei der Versicherung jedes Einzelnen und auch eine Korrektur bei Hartz IV.

Ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung wäre die Reduzierung der Zahl der Krankenkassen. Ich meine damit nicht die Abschaffung der privaten Krankenversicherung und bin

auch nicht für eine Einheitskasse. Die zurzeit vorhandenen 262 gesetzlichen Krankenkassen sind allerdings nicht notwendig.

Die schnelle Umsetzung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs ist ein weiterer Schritt. Dazu kommt eine Änderung der Abrechnung im SGB V, nämlich die Kostenrechnung. Nach jeder Behandlung muss doch ein Arzt wissen, was er damit verdient. Mehr Transparenz in diesem Bereich zeigt auch dem Patienten, was seine Behandlung gekostet hat.

(Beifall bei der CDU)

Diese grundlegenden Veränderungen sind zwar nur auf Bundesebene zu erreichen, würden sich aber sofort auch auf Brandenburg auswirken.

In Brandenburg sind die Lösungen teilweise noch schwieriger als in anderen Bundesländern. Viele Patienten warten vier bis acht Wochen auf einen Termin bei einem Facharzt und müssen bereits jetzt weite Wege zurücklegen. Die Kommunen haben zum Teil gegenzusteuern versucht. So wurden Arztpraxen und Häuser zur Verfügung gestellt, um junge Ärzte in die Region zu holen. Das Sicherstellungsstatut der Kassenärztlichen Vereinigung greift nicht. Alle Zugeständnisse seitens der KV haben nicht den erhofften Erfolg gebracht.

Die Bevölkerung Brandenburgs ist in den einzelnen Regionen sehr unterschiedlich strukturiert. Die Uckermark ist nur sehr dünn besiedelt. Dort leben rund 30 Menschen auf einem Quadratkilometer. In der Lausitz leben im Durchschnitt ältere und damit zwangsweise kränkere Menschen. Im so genannten Speckgürtel hingegen halten sich junge und ältere Menschen die Waage. Die Folgen sind in der ambulanten medizinischen Versorgung deutlich zu spüren. Natürlich sehen jüngere Mediziner im Speckgürtel ihre Vorteile: kurze Wege zu den Patienten, gute weiche Standortfaktoren, die ihnen zusagen, Kita-Betreuung, gute Qualität der Schulen, kulturelle Angebote usw.

Um den jungen Medizinern den Weg in die ländliche Region zu erleichtern, bedarf es vielleicht auch unkonventioneller Schritte. Das hat auch eine Beratung ergeben, die wir gemeinsam mit der Kommunalpolitischen Vereinigung im August für die Nordkreise in Perleberg durchgeführt haben. Wenn sich zum Beispiel aus einer Kommune jemand für ein Medizinstudium entscheidet, könnte ihn die Kommune durch ein Stipendium begleiten mit der Option, dass er sich später in seiner alten Heimat niederlässt.

Ein weiterer Punkt ist die bessere Vernetzung und Auslastung der Fahrdienste. Die medizinisch notwendigen Untersuchungen dürfen nicht an der Frage: „Wie komme ich dahin?“ scheitern.

Ein besonders wichtiger Punkt scheint mir der Ausbau der medizinischen Zentren zu sein, egal, ob man dort als angestellter oder niedergelassener Arzt tätig wird. Die bessere Auslastung der teuren medizinischen Technik und kurze Wege für die Patienten sprechen für sich.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir über ambulante medizinische Betreuung sprechen, reden wir über hoch technisierte, fortschrittliche Diagnostik und Therapie. Jedem

Menschen, der sie braucht, muss sie zur Verfügung stehen. Reden wir über die Finanzierung, so sprechen wir über Mitgliedsgelder, die die Krankenkassen und die Kassenärztliche Vereinigung verwalten und sinnvoll - eben für alle Patienten - einsetzen müssen. Angesichts der aktuellen Situation hat sich Ministerin Ziegler zu vielen Krisengesprächen mit Krankenkassen und mit der Kassenärztlichen Vereinigung getroffen.

Dass seitens der KV nochmals analysiert wird, weshalb es zu den zum Teil doch sehr unterschiedlichen Vergütungen gekommen ist, halte ich für selbstverständlich. Das liegt auch im ureigenen Interesse der KV.

Über die noch ausstehenden Verbindlichkeiten der Kassen gibt es offensichtlich divergierende Auffassungen. Die Kassen stellen den Sachverhalt ihrerseits anders dar als die Kassenärztliche Vereinigung. Wichtig ist, dass endlich Transparenz im Gesamtsystem hergestellt wird.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ich bedauere sehr, dass es bei einem lange bekannten Problem erst zu einer Eskalation kommen musste, ehe reagiert wird. Trotzdem oder gerade deshalb dürfen wir auf Landes- und Bundesebene nichts unversucht lassen, den Ärzten eine Perspektive zu geben und damit die ambulante medizinische Versorgung für die Menschen in unserem Land sicherzustellen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Vielen Dank. - Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der DVU-Fraktion fort. Es spricht die Abgeordnete Fechner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema der heutigen Aktuellen Stunde lautet: „Die Zukunft der ambulanten ärztlichen Versorgung im Land Brandenburg“. Wir sollen also über die Zukunft und nicht über die Gegenwart sprechen. Doch wenn ich mir die gegenwärtige Situation ansehe und bedenke, dass etliche Probleme schon seit Jahren bekannt sind und bisher nichts Wirksames dagegen unternommen wurde, dann kommen mir gewisse Zweifel, ob es überhaupt in Zukunft noch eine ausreichende ärztliche Versorgung im Land Brandenburg geben wird. Denn Brandenburg hat gegenwärtig mit drei großen Problemen im Gesundheitswesen zu kämpfen.

Das erste Problem: Viele Ärzte bemängeln das neue Honorarverteilungssystem. Dieses hat nämlich dazu geführt, dass etlichen Ärzten wesentlich weniger Geld ausgezahlt wurde, als dies noch bei der letzten Abrechnung der Fall war. Einige Ärzte werden sogar ihre Praxen schließen müssen, weil eine wirtschaftliche Betreibung nicht mehr möglich ist. Doch welche Möglichkeiten hat die Landesregierung, hier wirksam gegenzusteuern? Um ehrlich zu sein: Die Möglichkeiten dieser Landesregierung sind sehr begrenzt; denn letztendlich hat das Land nur eine Rechtsaufsicht und auf die unmittelbare Vertragsgestaltung der KV mit den Krankenkassen so gut wie keinen Einfluss.

Während der letzten Sitzung des Ausschusses für Arbeit, Sozi

ales, Gesundheit und Familie hat man sich sehr ausführlich mit dieser Problematik beschäftigt. Der Vertreter des Ministeriums berichtete uns, welche Aktivitäten seitens des Landes laufen bzw. geplant sind. Ich muss zugeben - wozu man als Oppositionspolitikerin leider nicht allzu oft Anlass hat -, dass die Landesregierung, insbesondere die Gesundheitsministerin, diesbezüglich schon sehr aktiv war. Doch, wie bereits gesagt, die Möglichkeiten, bei dieser Problematik helfend tätig zu werden, halten sich in Grenzen.

Brandenburg hat nicht nur mit diesem Problem zu kämpfen. Ein weiteres Problem bringt das neue Arbeitszeitgesetz mit sich. Nach europäischem Recht muss grundsätzlich auch in Deutschland ab 1. Januar 2006 die Bereitschaftszeit der Ärzte als volle Arbeitszeit angerechnet werden und nicht wie bisher als Ruhezeit. Nun wurde auf Bundesebene beschlossen, dieses Gesetz erst zu einem späteren Zeitpunkt umzusetzen. Dagegen wehren sich viele Klinikärzte und drohen sogar mit Streik.