Protocol of the Session on April 13, 2005

Die Aussprache wird eröffnet mit dem Beitrag der PDS-Fraktion. Frau Große, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bezug dieses Antrages auf die Debatte der heutigen Aktuellen Stunde liegt nahe. Seriöse Untersuchungen haben gezeigt, dass jeder Schüler, der im Jahr 1994 geboren wurde, ein Hochschul

studium absolvieren müsste, um den Bedarf an Akademikern aus heutiger Sicht zu decken. Das kann man ernst nehmen oder auch nicht. Fakt ist, das Potenzial derer, die studieren, ist in Deutschland im internationalen Vergleich der OECD-Länder zu gering. Die Quote der Hochschulzugangsberechtigten liegt bei 33 %. Das macht den viertletzten Rang unter den 24 OECD-Ländern aus. Nach uns kommen nur noch die Schweiz, Mexiko und die Türkei. Der Ländermittelwert liegt bei 57 %. Auch wenn diese Quote bei uns in den letzten Jahren immer geringfügig gestiegen ist, kann das noch längst nicht befriedigen. Ob der in diesem Jahr in Brandenburg eingetretene verstärkte Zugang zu den Gymnasien und Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe auch zu einer erhöhten Studierendenzahl führen wird, muss sich erst noch zeigen.

Dennoch, Deutschland und auch Brandenburg müssen sich entscheiden, ob der Weg einer Qualitätssicherung durch Auslese weiter gegangen werden soll. Sind also mehr schulinterne Selektionen - das war die Debatte von heute Morgen -, das Ausbremsen des Zulaufs an den Gymnasien, der Rückbau der Durchlässigkeit zwischen den Bildungsgängen und der Einbau einer zusätzlichen Selektionsstufe an den Hochschulen der richtige Weg? Wir sagen klar: Nein.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Natürlich sagen wir das auch deshalb, weil die Verknappung hoher Bildung gerade auch in Deutschland immer ein soziales Problem, eben eines der Chancengleichheit ist. Selbst die Kultusministerkonferenz stellte im Rahmen der Bewertung der PISA-E-Studie fest:

„Die Chance eines Jugendlichen aus einer Facharbeiterfamilie, ein Gymnasium zu besuchen, ist selbst bei gleichen kognitiven Grundfähigkeiten und gleicher Lesekompetenz in allen Bundesländern geringer als die entsprechende Chance eines Jugendlichen aus einer Familie der oberen Dienstklasse.“

Wir nannten das einmal Bildungsprivileg. Es gilt noch immer. Dieses gehört abgeschafft.

Eine riesige Reserve zur Erhöhung der Studierendenquote liegt im Bereich der Zusammenarbeit zwischen Hochschule und Schule. Kinder-Uni, Tage der offenen Hochschultür, thematische Vorlesungsreihen, Ringvorlesungen für Studierende und Lehrer gemeinsam - so etwas macht die Humboldt-Universität -, Unterstützung bei „Jugend forscht“, das alles sind nur punktuelle Angebote.

Verzeihen Sie mir bitte, dass ich vor allem den aus 25 Jahren Lehrerinnendasein gespeisten Blick auf dieses Thema habe. Mein Kollege Jürgens bringt dann noch eine andere Erfahrung ein.

Lehrkräfte der gymnasialen Oberstufe sind derzeit kaum in der Lage, überhaupt zu erfassen, wohin sich die Hochschulen entwickeln. Fragen Sie Ihnen bekannte Gymnasialschullehrerinnen und -lehrer einmal nach Bachelor und Master, Sie werden kaum fündig werden. Gleiches gilt für Wissensrichtungen im Bereich der fachspezifischen Erfahrungen der Kolleginnen und Kollegen an den Gymnasien. Es ist dringend erforderlich, dass die Lehrerfortbildung durch die Universitäten unterstützt wird, damit wenigstens diese Anbindung noch vorhanden ist. Wich

tig wäre auch, Lehrkräften im Rahmen einer Fortbildungsoffensive Zusatzstudien an Hochschulen zu ermöglichen, und zwar nicht nur, um eine neue Qualifikation zu erwerben, sondern um im schon einmal studierten Fach fit zu werden oder den Bereich der Professionswissenschaften zu stärken.

(Beifall bei der PDS)

Nicht einmal bei der Lehrerbildung selbst sind die im System schon länger arbeitenden Lehrkräfte auf die durch sie in der zweiten Phase auszubildenden Lehramtsstudenten auch nur annähernd vorbereitet. Ich will hier keine Nostalgie betreiben; das wäre auch deshalb unangemessen - Herr Senftleben hat uns heute Morgen schon darauf hingewiesen -, weil in der DDR hohe Bildung ebenso verknappt wurde, mit anderen Auslesemechanismen, unter Rahmenbedingungen einer Planwirtschaft; aber sie wurde verknappt. Aber mathematische und physikalische Schülergesellschaften haben schon für alle Beteiligten Sinn gemacht. Ebenso war die Funktion des Beauftragten für Studienberatung ganz sinnvoll. In der gymnasialen Oberstufe Klasse 11/12 gab es das Fach WPA, Wissenschaftlich-Praktische Arbeit, bei dem es teilweise eine Betreuung sowohl durch die Wirtschaft als auch durch die Hochschule gab. Im Stahlwerk Hennigsdorf in meinem Wahlkreis haben zu grauen DDR-Zeiten Schüler am Elektronenemissionsmikroskop gearbeitet und geforscht und nicht selten auch etwas in dieser Richtung studiert.

Zurück ins Heute: Die Schule ist derzeit kaum in der Lage, das komplizierte Geflecht akademischer Bildung zu durchschauen. Das muss sie vielleicht auch gar nicht. Sie muss aber Schüler mit Kompetenzen ausstatten, die ein Studium ermöglichen. Dazu gehört neben wissenschaftlichen Arbeitstechniken und Methodenkompetenz eben auch die Fähigkeit, in hohem Maße selbstständig zu arbeiten, und natürlich Erkenntnislust. So wie die Sekundarstufe II vor allem aufgrund der Bedingungen, die die Kultusministerkonferenz festgelegt hat - ich nenne hier zum Beispiel die begrenzte Fächerauswahl, die fehlende Möglichkeit, fachübergreifend zu arbeiten, Prüfungen, Benotungen, Klausuren, Druck durch ebendieses, kaum Experimentiermöglichkeiten, kaum Praktika in der Sekundarstufe II -, gestrickt ist, wird sie auch künftig nicht den Anforderungen der Hochschulen und denen der sich rasant verändernden Arbeitswelt gerecht werden können. Auch in diesem Bereich muss über Schule neu nachgedacht werden. Der Antrag soll dies unterstützen.

(Beifall bei der PDS)

Ich erteile das Wort der Abgeordneten Geywitz. Sie spricht für die Koalitionsfraktionen. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein wichtiges Thema, aber erlauben Sie mir trotzdem eine Vorbemerkung. Frau Große, wenn Sie von der Steigerung der Studierendenquote reden und dann in den üblichen Nostalgieton bei der Beschreibung der ach so tollen Praxisorientierung des DDRSchulsystems verfallen, dann überbekommt mich zunächst einmal nur die Erinnerung an meinen eigenen PA-Unterricht, der sehr wenig mit der zukünftigen Ausrichtung auf die Praxis und natürlich auch auf die Innovation zu tun hatte. Aber ich finde,

dass es auch ein bisschen zynisch ist, wenn man bedenkt, dass damals nicht jeder, der studieren wollte, auch studieren konnte. Wenn uns dieses Schulsystem dann als Idealmodell dafür dargestellt wird, wie man die Studierendenquote in diesem Land nach oben zieht,

(Frau Große [PDS]: Das habe ich nicht gesagt!)

finde ich das schon ziemlich einseitig. Das kann eigentlich nur aus Ihrer Richtung kommen. Das finde ich unglaublich.

(Beifall bei SPD und CDU - Zurufe von der PDS)

Das Problem ist, dass wir gerade auch die Zwischentöne hören. Aber kommen wir zurück zu Ihrem Antrag.

Aber bitte keine Dialoge. Frau Geywitz, Sie haben das Wort.

Die strukturelle Entwicklung des Landes erfordert die Erhöhung der Bruttostudierendenquote, der Zahl der Studienberechtigten des Landes auf ein Niveau, das insbesondere dem der anderen neuen Bundesländer vergleichbar ist. Hierfür sind gemeinsame Anstrengungen der zuständigen Ressorts und aller am Bildungsprozess Beteiligten notwendig. Die Koalition wird die Ausbildungskapazität um 3 500 personalbezogene Studienplätze bis zum Jahr 2007 insbesondere in praxisorientierten Ausbildungsgängen erweitern. Entgegen der allgemeinen demographischen Entwicklung wird aufgrund der andauernden Zunahme der Bruttostudierendenquote und der beabsichtigten Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur der prognostizierte Rückgang der Studierendenzahlen nicht bereits 2009 eintreffen.

„Die Koalition setzt sich dafür ein, dass in der gymnasialen Oberstufe die Vorbereitung auf das Studium verbessert und eine strukturierte Studieneingangsphase mit Kontrolle des Leistungsvermögens eingerichtet wird.“

Das war ein wörtliches Zitat aus dem Koalitionsvertrag zwischen SPD- und CDU-Fraktion. Es zeigt ganz deutlich, meine Damen und Herren von der PDS, dass wir uns hier nicht durch einen Antrag von Ihnen zum Jagen tragen lassen müssen, sondern dass wir das Problem schon lange erkannt haben und auch dabei sind, es zu bearbeiten.

Ich möchte jetzt zu vorgerückter Stunde nicht alles beschreiben, was wir im Bereich der Qualitätsverbesserung des Bildungssystems unternommen haben und noch unternehmen werden, um die Studierfähigkeit unserer Absolventen zu verbessern. Ich will auch nicht weiter ausführen, was wir uns im Bereich der Finanzierung des Hochschulsystems vorgenommen haben, um einen Anreiz dafür zu schaffen, dass unsere Hochschulen die Studiengänge anbieten, die nachgefragt sind und die auch eine sinnvolle Studienkapazitätenauslastung garantieren. Ich nenne nur das Stichwort leistungsbezogene Mittelverteilung.

Der Antrag, den Sie uns vorgelegt haben, ist schön und gut und er ist noch nicht einmal extrem falsch, aber er ist extrem unnötig. Deswegen werden wir ihn ablehnen.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion der DVU spricht der Abgeordnete Nonninger.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer beim Zuknöpfen mit dem falschen Knopf beginnt, kommt nie zum richtigen Ende. In diesem Sinne ist auch der vorliegende PDS-Antrag zu sehen. Dass die Studienanfängerquote in Deutschland noch deutlich unter dem OECD-Durchschnitt liegt, kann nicht befriedigen. Dass Brandenburg wiederum nur zu den Schlusslichtern im Vergleich zu den anderen Bundesländern gehört, ist doch sehr kontraproduktiv. Es sollten die Ursachen ergründet werden, um endlich gegensteuern zu können.

Durch das Land sind vielfältige Anstrengungen erforderlich, um die Quote sinnvoll zu steigern. Es müssen Maßnahmen durchgeführt werden, um das Interesse an einem Studium zu erhöhen. Gleichzeitig ist eine Modernisierung der Studienangebote notwendig, um eine Entscheidung pro Studium zu erleichtern.

Gerade die mangelnde Qualität des Bildungssystems in Brandenburg ist zu einem Hemmschuh für Wirtschaft und Forschung geworden. Die diversen Schulversuche und Reförmchen müssen ein Ende haben. Das schlechte Abschneiden Brandenburgs in der PISA-Studie spricht Bände.

Es ist beschämend für die Bildungspolitik der Regierenden, wenn der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Herr Braun, in der vorigen Woche feststellte, dass 20 % aller Schulabgänger nur bedingt ausbildungsreif seien. 10 % schaffen gar keinen Schulabschluss. Das Gleiche trifft - um beim Thema zu bleiben - auf die mangelhafte Studienqualifikation zu, welche von den Hochschulen beklagt wird.

Die DVU-Fraktion lehnt es also klar ab, ganz nach dem Motto der frühen 70er Jahre „Jeder soll Abitur machen“ zu verfahren. Wir fordern: Mehr Klasse statt Masse. Die qualitative Ausbildung ist dringend deutlich zu verbessern. Dass dies notwendig ist, dürfte eigentlich unumstritten sein, denn damit wird auch eine Ursache für einen Studienabbruch beseitigt.

Insgesamt beendet ein knappes Drittel aller Studierenden das Studium ohne Abschluss. Das ist eine unglaublich hohe und nicht länger hinzunehmende Anzahl. Hier muss angesetzt werden, um Ursachenforschung zu betreiben.

Zum Punkt Studiengebührenfreiheit: Im vorliegenden Antrag fordert die PDS-Fraktion wieder einmal populistisch die Gewährleistung der Gebührenfreiheit an Brandenburger Hochschulen. Zur Erinnerung: Die DVU-Fraktion forderte bereits am 2. März dieses Jahres den Landtag auf, eine Erhebung von Studiengebühren auszuschließen, weil die Probleme der Hochschulen damit nicht gelöst werden, eine weitere soziale Auslese gefördert wird und finanziell Schwache noch mehr als bisher vom Studium abgeschreckt werden.

Es war schon sehr verwunderlich, wie schnell auch bei der PDS in der letzten Plenarsitzung die populistischen Parolen vergessen waren, als sie die DVU-Forderung nach Studiengebührenfreiheit ablehnte.

(Beifall bei der DVU)

Diesem Antrag der PDS-Fraktion können wir wegen seiner Scheinheiligkeit nicht zustimmen. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der DVU)

Das Wort hat jetzt die Landesregierung. Bitte, Frau Ministerin.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben im Herbst den Koalitionsvertrag unterschrieben. Ein solcher Vertrag legt fest, was man sich für die nächsten Jahre vorgenommen hat. Er ist eine Art Selbstverpflichtung. Da Sie diesen Koalitionsvertrag kennen, wissen Sie, dass ein wichtiger dort festgeschriebener Punkt die Aufgabe ist, in den nächsten Jahren die Studierendenquote zu erhöhen, und zwar sowohl insgesamt - wie viel junge Leute aus Brandenburg studieren, egal, ob in Sachsen oder Thüringen - als auch den Anteil der Studierenden, die an Brandenburger Hochschulen studieren.

Der Ministerpräsident hat es in seiner Regierungserklärung erwähnt. Ich habe vor dem Ausschuss für Wissenschaft, Forschung und Kultur im Januar längere Zeit darüber vorgetragen und konkrete Dinge benannt. Jetzt haben wir mit Ihrem Antrag im Prinzip den Auftrag, dieses zu tun. Dieser Aufgabe haben wir uns bereits gestellt.

Ich sehe in Ihrem Antrag, dass Sie nicht nur die Aufgabe, die wir uns gestellt haben, akzeptieren und als richtig einschätzen, sondern dass Sie eine ganze Reihe von Eckpunkten von uns übernommen bzw. genauso aufgeschrieben haben.

Besondere Freude hat mir gemacht, dass Sie sogar meinen Spezialwunsch, der sonst kaum irgendwo steht - die strukturierte Studieneingangsphase - übernommen haben. Das finde ich sehr gut. Wenn es einen Themenbereich gibt, bei dem sowohl die Aufgabe als auch der Weg von der Opposition vom Prinzip her mitgetragen werden, dann ist das nicht schlecht.

Ich habe natürlich auch einiges gehört, was mich skeptisch stimmt. Dazu werde ich noch etwas sagen. Wir fangen bei diesen Dingen natürlich nicht bei Null an; es wäre töricht, dies anzunehmen. Zum Beispiel bei der Studienwerbung für Jugendliche aus weiter entfernt liegenden Regionen passiert unwahrscheinlich viel. Es geht nicht nur um die Internetpräsentationen, sondern auch um die Tage der offenen Tür, um die Wochen, die wir für junge Mädchen, die studieren wollen, veranstalten und um vieles mehr.

Meine Damen und Herren von der PDS - das wurde im Redebeitrag von Frau Große eben deutlich -, die Vorgehens- bzw. Denkweise, dass die Landesregierung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt ein ressortübergreifendes Maßnahmenpaket erarbeitet, das dann von den Schulen und Hochschulen nur noch umgesetzt wird, kann ich nicht teilen. Die Hochschulen sind - da bin ich ganz konsequent und es wird nicht an jeder Ecke eine Ausnahme gemacht - autonom. Es geht um die Selbstverantwortung. Ich erteile auch nicht für alles, was mir passt und was ich aus Landessicht brauche, Auflagen.

Ich bin für die Stärkung der Eigenverantwortung der Schulen.

In dieser Hinsicht sind wir noch weiter zurück. Diesbezüglich gibt es keinen Vergleich zu den Hochschulen. Das, Frau Große, schließt auch die Verantwortung der Schulen ein. Die Schulen bzw. Lehrer sind insgesamt verantwortlich für die Schüler, nicht nur für das eigene Fach. Es besteht die Erwartungshaltung, dass die Lehrer diesbezüglich aktiv werden. Es gibt bereits jetzt Schulen, die Interesse an Studienwerbung zeigen. Dort passiert jede Menge. In anderen Schulen haben unsere Hochschulen Probleme, überhaupt einmal etwas anbieten zu können. Diese Verantwortung kann den Schulen und Hochschulen nicht abgenommen werden, sondern auf diesem Gebiet müssen sie Entsprechendes leisten.