Wir reden hier über den Europäischen Verfassungsvertrag, gerade weil wir wissen, was in einer Verfassung nicht stehen soll, weil wir wissen, dass plebiszitäre Elemente für die Meinungsbildung wichtig sind. Weil wir das selbst erfahren haben, ver
teidigen wir es gerade am Europäischen Verfassungsvertrag, wenn er denn eine historische Bedeutung haben soll, was ja immer behauptet wird.
Herr Abgeordneter Gehrcke, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal von der Abgeordneten Enkelmann?
Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, dem Kollegen Niekisch mitzuteilen, dass es in der DDR im April 1968 einen Volksentscheid über die Abstimmung zur DDR-Verfassung gegeben hat?
Man muss immer mit den Fragen umgehen, die man gestellt bekommt. Haben Sie diese Belehrung zur Kenntnis genommen? Ob diese Abstimmung eine so große Bedeutung gehabt hat, kann natürlich historisch hinterfragt und bezweifelt werden. Aber ich würde Ihnen gern etwas mehr Background zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland geben, das aus meiner Sicht die beste deutsche Verfassung ist, die wir gehabt haben, und das sich in all seinen Teilen zu verteidigen und auszubauen lohnt. Das Grundgesetz ist eine antifaschistische Verfassung; das ist sein Grundgehalt. Das Grundgesetz bindet dieses Land nicht an eine bestimmte wirtschaftliche Ordnung, sondern lässt diese Frage offen. Warum müssen wir mit der Europäischen Verfassung einen anderen Weg gehen?
Weil ich beim Grundgesetz bin, muss ich auch darauf hinweisen, dass letztendlich zumindest das Verhältnis von Grundgesetz und Europäischer Verfassung umgekehrt ist. In Teil 3 Artikel 10 Satz 1 des Verfassungsvertrages heißt es, die Verfassung und das von den Organen der Union gesetzte Recht hätten Vorrang vor dem Recht der Mitgliedsstaaten. Mit anderen Worten: Der Verfassungsvertrag beansprucht Vorrang vor dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Artikel 79 Abs. 3 des Grundgesetzes schließt aber aus, dass dieses Grundgesetz in substanziellen Fragen geändert werden kann. Wir haben also eine Situation, die die Mütter und Väter des Grundgesetzes nicht voraussehen konnten. Um diesen Verfassungskonflikt zu lösen, gäbe es nur eine Möglichkeit: über die Europäische Verfassung in einer Volksabstimmung zu entscheiden.
Nur diese Möglichkeit gibt es; das sagen auch viele Völkerrechtler. Nimmt man all das zusammen, ergibt sich folgendes Bild: ein künstlich forciertes Tempo in der Ratifizierungsdiskussion, wenig öffentliche Aufklärung, ein Verfassungskonflikt - gute Gründe, der Verfassung nicht zuzustimmen. All das führt uns dazu, zu sagen: Man kann jetzt noch innehalten und der Brandenburger Landtag sollte dazu einen Beitrag leisten. Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen von der PDS, vieles von dem, was Sie vorschlagen und fordern, verstehe ich. Manches finde ich auch gut. Diesen Antrag jedoch verstehe ich nicht und finde ihn auch nicht gut. Er widerspricht im Kern auch Ihrer eigenen pazifistischen Position.
Wir als Deutsche haben seit 1989 aufgrund der Überwindung des Ost-West-Gegensatzes eine einzigartige Friedensdividende. Die Ausgaben für Verteidigung befinden sich auf einem historischen Tiefststand. Wir haben das Luxemburger Niveau erreicht und geben für unsere Verteidigung 1,5 % des Bruttosozialprodukts aus.
Im Vergleich zu den USA gibt die Europäische Union - Herr Sabathil hat uns das unlängst noch einmal bestätigt - nur 50 % dessen aus, was die USA für ihre Verteidigung zur Verfügung stellen, erreicht damit aber nur 10 % der Wirkung dessen, was die Vereinigten Staaten mit ihren Ausgaben erreichen. Das heißt, Herr Gehrcke, wir brauchen eine europäische Verteidigungsagentur. Wir brauchen mehr Sicherheit, mehr Krisenintervention zu gleichen oder gar niedrigeren Kosten. Wir werden - das ist ein erster Schritt - im Jahr 2007 Herrn Solana begrüßen dürfen. Das heißt, endlich gibt es eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.
In diesem Haus, in der Bundesrepublik und in vielen Staaten Europas ist man sich in der Kritik an der defizitären Demokratie der USA einig - aus guten Gründen. Wir wollen mehr soziale Demokratie im globalen Maßstab nach dem europäischen Erfolgsmodell. Wir wissen, dass wir eine singuläre Situation in der europäischen bzw. in der globalen Geschichte haben: Zum ersten Mal in der Geschichte gibt es eine Ausdehnung von Einflussgebieten bzw. Kultur-, Wirtschafts- oder Hegemonialräumen ohne Krieg! Selbst die USA haben für den Bestand der USA Krieg führen müssen, nämlich die Sezessionskriege.
Wir haben erstmals solch ein Modell entwickelt. Mit diesem wollen wir in der Welt punkten und deshalb brauchen wir als Europäer eine stärkere Position innerhalb der NATO, und zwar nach dem Modell, Rechtsstandards zu übernehmen und Sozialtransfers zu leisten.
Herr Gehrcke, Sie haben Recht, dass keine Verfassung der europäischen entspricht, denn in anderen Verfassungen steht viel mehr. Das haben Sie jedoch unterschlagen. Sie haben eben das Grundgesetz so gelobt. Ich kann Ihnen die entsprechenden Artikel nennen: Artikel 87 a und b, 65 a, 45 a und b. Darin sind alle Dinge zur Bundeswehr, zum Verteidigungszustand usw. geregelt. Ich wünschte mir, Sie forderten - und wenn Sie dies täten, dann müsste die CDU, würde ich sagen, mitziehen und der PDS zustimmen -, dass endlich Schritte zu einer europäischen Armee gegangen würden. Die leidige Wehrpflichtdebatte müssten wir dann nicht mehr führen; denn dann brauchten wir in Deutschland keine Wehrpflicht mehr. Das wäre ein sinnvoller Ausweg.
Ich denke, Schröder hat konsequent und mutig die neue Rolle und die neue Abstimmung der EU-Staaten im Rahmen der NATO über die EU hinaus gefordert. Bush hat ihm überraschenderweise, als er als erster amerikanischer Präsident die EU besuchte, sogar zugestimmt. Sie wissen - wir kritisieren es zuweilen, aber ich meine, es ist alternativlos -: Die USA sind die letzte Supermacht, die einzige Führungsnation, die es in der Welt gibt. Eine Führungsnation zu haben ist besser, als keine zu haben. Insofern könnte Europa seine Wert- und Weltvorstellungen stärker zum Ausdruck bringen. Indem sie diese klarer definiert, könnten wir die USA besser unterstützen und sie in vielen Fragen in kritischer Solidarität von unseren europäischen - besseren - Lösungen überzeugen. Ich nenne einige Stichpunkte: Kioto, Internationaler Strafgerichtshof, die UNO als der eigentliche Ort für good und global governance, die Irak-Frage oder der Umgang mit Syrien oder Nordkorea.
Beim zweiten Punkt, denke ich, haben Sie Recht. Es gilt, dass wir uns - sobald die Verfassung ratifiziert worden ist - gemeinsam dafür einsetzen, Ihren berechtigten zweiten Punkt in die Debatte einzubringen. Dies war bisher - trotz des Engagements von Frau Kaufmann - nicht möglich, ist aber perspektivisch gesehen eine Möglichkeit. Ein letzter Punkt.
Wir könnten ja, wenn die CDU so vernünftig wäre, Herrn Stoiber, Herrn Althaus, Herrn Müller, Herrn Beckstein und anderen zu folgen, ein Verfassungsreferendum durchführen. Solange wir im Parlament das Grundgesetz nicht dahin gehend ändern, dass wir zur Durchführung eines Referendums berechtigt sind, besteht diese Möglichkeit leider nicht.
- Es stand ja das Angebot, dass wir dies tun, aber selbst dafür gibt es keine Zustimmung vonseiten der CDU. Insofern haben wir derzeit leider nicht die notwendige Zweidrittelmehrheit für die entsprechende Verfassungsänderung.
Ich rate Ihnen: Überdenken Sie Ihren Antrag noch einmal. Er stimmt letztlich mit Ihrem - von mir gut gelesenen - Parteiprogramm nicht mehr überein. - Vielen Dank.
Vielen Dank. Wir setzen die Debatte mit dem Redebeitrag der DVU-Fraktion fort. Es spricht der Abgeordnete Nonninger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende PDS-Antrag befasst sich erneut mit der EU-Verfassung und deren Ratifizierung. Es sei zu diesem Thema zunächst einmal vorausgeschickt - wir hatten das ja bereits in der ersten Landtagssitzung der 4. Legislaturperiode eingehend erläutert -, dass es aus Sicht der DVU-Fraktion nach wie vor unverzichtbar ist,
das Volk zur EU-Verfassung zu befragen. Es ist der Souverän unseres Landes und damit zur Klärung von Verfassungsfragen der bevorstehenden Art berufen
und nicht die nur auf Zeit gewählten Abgeordneten. Mit anderen Worten: Dem deutschen Volk kann und darf nicht das verwehrt werden, was den meisten anderen europäischen Nationen ohne großes politisches Gezeter zugestanden wird: die Entscheidung über die Zukunft ihres Landes und dessen europäische Einbindung.
Nun soll das nicht heißen, dass wir als DVU-Fraktion prinzipiell gegen einen solchen Verfassungsvertrag sind. Es geht uns zunächst grundsätzlich um das Prinzip. Dieser EU-Verfassungsvertrag hat zumindest den Charakter eines verfassunggebenden Aktes. Das muss im Volk diskutiert und abgestimmt werden. Die heutige Situation ist anders als jene, die bei der Konzeption und dem In-Kraft-Treten des Grundgesetzes nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben war. Deshalb stünde aus unserer Sicht bei einem solchen Verfassungswerk, das ohne Volksabstimmung zustande gekommen ist, ganz unabhängig vom konkreten Inhalt von vornherein die Legitimation infrage. Das Volk selbst tritt insoweit an die Stelle einer gewählten verfassunggebenden Versammlung, die einen konkreten Auftrag zur Ausarbeitung und Ausgestaltung einer Verfassung vom Wähler, also vom Volk selbst, hat.
Schon aus diesen grundsätzlichen Erwägungen heraus stößt der vorliegende Antrag der PDS-Fraktion bei unserer DVUFraktion auf Unbehagen. Mit anderen Worten: Die DVU-Fraktion ist nicht dazu bereit, von der Forderung nach einer Volksabstimmung im Sinne dieses Antrags der PDS-Fraktion abzurücken und die Angelegenheit etwa nach der Art des kleineren Übels oder nach dem Prinzip des geringsten Widerstandes fortan aus Volkes Sicht ausschließlich hinter verschlossenen Türen in den parlamentarischen Gremien zu behandeln. Konkret: Diese Entscheidung der politischen Mehrheit auf Bundesebene gegen das Volk ist für unsere Demokratie fatal und sie bleibt für unsere Demokratie fatal. Daran ändert der Antrag der PDSFraktion auch nicht das Geringste.
Aber auch im Detail halten wir den PDS-Antrag, abgesehen vielleicht von der Ziffer 3, nicht für zustimmungsfähig. Die Ziffern 1 und 2 halten wir schlicht für ein durchsichtiges Propagandamanöver der PDS-Fraktion, um ihre verfehlte sozialistische Weltsicht nun auch noch in eine EU-Verfassung zu implantieren.
Das machen wir als DVU-Fraktion natürlich nicht mit. Das ist doch gar keine Frage, meine Damen und Herren von der PDSFraktion.
Worum geht es also? - Natürlich enthält der EU-Verfassungsvertrag diskussionswürdige Teile; wohlgemerkt: aus Sicht unserer Fraktion zur Vorbereitung einer Volksabstimmung und nicht einer Debatte hinter verschlossenen Türen.
Erstens: Die EU-Kompetenzen sind auf das Wesentliche und Notwendige zu beschränken. Zweitens darf das nicht zu einer
Auflösung der Nationalstaaten führen. Da halten wir als DVUFraktion es mit der alten Idee eines einigen Europa der Vaterländer. Das ist nichts anderes als die konkrete Ausgestaltung des Subsidiaritätsprinzips unter Einbeziehung der europäischen Ebene. Nur das wird nach Überzeugung unserer DVUFraktion den Bedürfnissen vor Ort, den Bürgern vor Ort, der Transparenz der Entscheidungen und der demokratischen Mitwirkung vor Ort am besten gerecht.
Positiv am Verfassungsvertrag sind der Grundrechtekatalog und die größere Transparenz der EU-Ebene durch die Bündelung der verschiedensten Vertragswerke.
Zu wenig ausgeprägt ist die Beschränkung der EU-Entscheidungskompetenzen auf das Wesentliche zugunsten der nationalen und regionalen Ebene.
Ein Satz noch. - Das aber ist auch nicht das Anliegen der PDSFraktion. Darum werden wir dem PDS-Antrag nicht zustimmen. Wir bleiben bei unserer Forderung nach einem Volksentscheid und bitten Sie daher, unserem Änderungsantrag zuzustimmen. Danke sehr.
Wir setzen die Debatte mit dem Redebeitrag der CDU-Fraktion fort. Es spricht der Abgeordnete Dombrowski.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich zu meinem vorbereiteten Redebeitrag komme, möchte ich spontan auf die Einlassungen von Frau Dr. Enkelmann reagieren, für die ich mich herzlich bedanke,
weil diese Einlassungen gezeigt haben, was sich hinter Ihnen und Ihrer Partei eigentlich verbirgt. Wir haben das auch schon bei der Diskussion „Brandenburg - 15 Jahre nach dem Fall der Mauer“ vernommen: In der DDR war alles easy, alles bestens, alles wohlbehütet, alles in Ordnung.
Frau Dr. Enkelmann, an die Verfassungsabstimmung von 1968 kann ich mich noch gut erinnern, weil ich damals bereits 17 Jahre alt war. Ich war also nicht 10 Jahre alt wie Ihre Kollegin Steinmetzer, die hier so „wohlige“ Worte gefunden hat