Wir setzen die Debatte mit dem Redebeitrag der Koalitionsfraktionen fort. Herr Abgeordneter Schulze hat das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Wir haben uns schon in der Aktuellen Stunde über das Für und Wider und die einzelnen Positionen der Fraktionen zu Studiengebühren ausgetauscht. Der vorliegende Antrag lautet „Studiengebühren an Brandenburger Universitäten und Hochschulen“. Die Frage ist noch nicht geklärt, wann, ob und wie und unter welchen Rahmenbedingungen man sich dazu bundesweit im Vergleich zu den 15 anderen Bundesländern positionieren muss. Deswegen wäre ein entsprechender Beschluss voreilig und unausgegoren. Der Antrag hätte übrigens - wenn man das so will - „Keine Studiengebühren“ heißen müssen. Aber daran sieht man, dass der Antrag mit heißer Nadel gestrickt ist. Deswegen werden wir ihn ablehnen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag ist einmal wieder einer aus der Kategorie „Viel gewollt und nicht gekonnt“. Die DVU-Fraktion setzt sich mit diesem Antrag für ein studiengebührenfreies Erststudium ein. Uns als PDS-Fraktion geht das nicht weit genug. Wenn man sich nur ein bisschen in der Hochschulreform auskennt, weiß man, dass diese Forderung völlig sinnlos ist, weil mit der Umstellung der jetzigen Studiengänge auf Bachelor- und Masterabschlüsse nur das Bachelorstudium frei von Studiengebühren wäre, nicht aber das anschließende Masterstudium. Insofern ist der Antrag inhaltlich völlig daneben. Deshalb lehnen wir als PDS-Fraktion ihn ab.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Jürgens. - Das Wort erhält die Landesregierung, sofern Redebedarf besteht. - Das ist nicht der Fall. Damit erhält noch einmal Herr Abgeordneter Nonninger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog mahnte, in einem rohstoffarmen Land wie Deutschland sei Bildung das höchste Gut, in das es zu investieren gelte. All die Mahnungen und weisen Vorausschauen wurden von Bundes- und Landesregierung fatal missachtet. Damit nicht genug. Nun sollen auch noch Studiengebühren eingeführt werden. Darum heute früh und jetzt diese Debatte.
Lassen Sie uns heute das klare Signal setzen: Mit uns Brandenburgern nicht! Durch diese Pläne werden junge Menschen, die nicht über die entsprechenden Mittel verfügen, noch mehr als bisher vom Studium abgeschreckt. Die Belastungen der Studenten sind auch ohne Studiengebühren hoch genug. Schon die PISA-Studie brachte es an den Tag, dass unser Bildungssystem
sozial Schwache knallhart selektiert. Sollten sich junge Menschen noch zum Studium entschließen, wäre ein Ergebnis, dass die Studenten mehr arbeiten müssten, um sich das Studium finanziell überhaupt leisten zu können. Daraus ergibt sich unweigerlich eine längere Studienzeit oder sogar der Abbruch des Studiums. Insgesamt beendet bereits jetzt ein knappes Drittel der Studenten ihr Studium ohne Abschluss. Diese Zahlen sind heute schon erschreckend hoch.
Lassen Sie uns doch einmal einen Blick nach Österreich werfen. Dort sind seit dem Wintersemester 2001/02 Studiengebühren fällig. Sie sind niedriger als die Studiengebühren, welche die entsprechenden CDU-Länder hier fordern. Dort sind laut Gutachten der Max-Traeger-Stiftung die Studierendenzahlen durch Abwanderung massiv - nämlich um 20 % - zurückgegangen. Bei den Studienanfängern ergab sich ein Rückgang von 15 %. Das ist ein Effekt, den wir alle nicht wollen. Von den Studiengebühren in Österreich profitieren weder Universitäten noch Studenten, sondern vor allem der Finanzminister.
„Die österreichischen Universitäten stehen mit Sicherheit schlechter da als noch vor einigen Jahren“, erklärte der Rektor der Universität Innsbruck. So ist es eine Milchmädchenrechnung, dass Studiengebühren auf Dauer die Etats der Hochschulen erhöhen. Natürlich kann man ein Gesetz formulieren, nach dem die Einnahmen aus den Hochschulen diesen dauerhaft zur Verfügung stehen. Wer aber, meine Damen und Herren, hindert die Finanzminister daran, die Etats der Hochschulen zu kürzen?
Nach Ansicht der DVU-Fraktion löst die Einführung von Studiengebühren keine Probleme des Hochschulsektors. Es gibt Berechnungen, nach denen der Verwaltungsaufwand bereits knapp die Hälfte der Einnahmen wieder verbrauchen würde. Außerdem sollte Beachtung finden, dass die Studiengebühren von der Steuer abgesetzt werden können und auch eventuelle Stipendienprogramme zu weiteren Löchern in den Haushalten führen werden. Das wiederum lässt erwarten, dass die direkten Einnahmen der Hochschulen zu einem weiteren Rückzug des Staates bei der Hochschulfinanzierung führen werden.
Ein Argument der Befürworter lautet: Studiengebühren sollen eine Lenkungsfunktion haben. Allerdings ist es in Zeiten von rigorosem Sozialabbau auf allen Gebieten fraglich, ob die Hochschulwahl maßgerecht organisierbar ist. Nicht die Qualität einer Hochschule, sondern Kriterien wie billiger Wohnraum oder Verfügbarkeit von Studentenjobs werden an Priorität gewinnen. Gerade das würde qualitativ gute Hochschulen und Universitäten in dünn besiedelten Gebieten mit wenig Industrie in Brandenburg stark benachteiligen. Haben die Befürworter vielleicht schon daran gedacht, dass sich die Studienfachwahl noch mehr als bisher nicht an die individuellen Begabungen, sondern an den späteren Gehaltsaussichten orientieren wird?
Die Einführung von Studiengebühren passt in das gegenwärtige politische Klima. Solidarische und gemeinwohlorientierte Werte werden aufgegeben und durch neoliberale ersetzt. Die DVU-Fraktion sagt Nein zum Generalangriff auf unser Bildungssystem. Die DVU-Fraktion sagt Nein dazu, dass nach dem Recht auf Arbeit nun auch das Recht auf Bildung fallen soll. Wir fordern die anderen Fraktionen auf: Stimmen Sie unserem Antrag uneingeschränkt zu!
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt. Die DVU-Fraktion hat ihren Überweisungsantrag zurückgezogen und beantragt anstelle dessen namentliche Abstimmung.
Ich eröffne die Abstimmung und bitte die beiden Schriftführerinnen, mit dem Namensaufruf zu beginnen.
(Die Abgeordneten Frau Alter [SPD], Frau Blechinger [CDU], Frau Fischer [SPD], Görke [PDS], Frau Hartfel- der [CDU], Platzeck [SPD] und Frau Wehlan [PDS] ge- ben ihr Votum ab.)
Meine Damen und Herren, ich verkünde Ihnen das „überraschende“ Ergebnis dieser namentlichen Abstimmung. Für den Antrag haben sechs Abgeordnete gestimmt, mit Nein haben 65 gestimmt. Damit ist dieser Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt.
Genozid an Armeniern 1915/1916 als Thema des Geschichtsunterrichts im Rahmenlehrplan der Sekundarstufe I
Ich eröffne die Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt mit dem Beitrag der Abgeordneten Geywitz von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wo liegt Armenien? - Ich bin mir sicher, bei einem Spontantest im Geographieunterricht hätte so mancher seine Schwierigkeiten, dieses Land an der Ostgrenze der Türkei zu finden.
Muss man heute wissen, was 1915/1916 mit den Armeniern passierte? Ich meine, ja. Damals tobte nicht nur der Erste Weltkrieg, sondern es wurden auch Hunderttausende Armenier im Osmanischen Reich getötet. Die damaligen Verbrechen belasten, wie wir anschaulich erlebten, noch heute die Beziehungen zwischen der Türkei und Armenien.
Ich bin mir dessen bewusst, dass beide Seiten die damaligen Ereignisse höchst unterschiedlich darstellen; dennoch möchte ich mich hier nicht näher mit den Argumenten der türkischen Seite beschäftigen. Die Darstellung von historischen Ereignissen ist für mich kein Ergebnis, das unter Politikern ausgehandelt wird, sondern Angelegenheit der Geschichtsforscher. Gleiches gilt für den Geschichtsunterricht, dessen Inhalte sich nicht nach den Mehrheitsverhältnissen im Parlament richten,
sondern auf fachdidaktisch ausgearbeiteten Rahmenlehrplänen und historisch gesichertem Wissen beruhen.
Die Türkei hat angeboten, ihre Archive zu öffnen, und die armenische Seite zu einem Dialog eingeladen. Das begrüße ich. Der türkische Botschafter Mehmet Ali Irtemçelik hat zu dieser Frage erklärt:
Das Erinnern an Völkermord, die Aufarbeitung der Geschichte von Tätern und Opfern ist für uns Deutsche seit 1945 ein schmerzhafter Prozess. Er ist und bleibt notwendig, denn eine zivile Gesellschaft, eine Demokratie, lebt davon, dass ihre Bürger im Wissen um und in Verantwortung vor der Geschichte leben. Dieses Wissen um die Vergangenheit schützt uns ein Stück weit vor den Gefahren der Wiederholung. Darum müssen auch die Brandenburger Schülerinnen und Schüler im Unterricht ein gutes Rüstzeug vermittelt bekommen, ein festes inneres Fundament, auf dem sie ihre Persönlichkeit entfalten können. Dazu gehört ganz wesentlich die Auseinandersetzung mit dem, wozu Menschen in der Lage sind, eine Konfrontation damit, welche Grausamkeiten und Verbrechen Menschen im Namen des Staates begehen und begangen haben.
Zum schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte zählt der Genozid. Am 9. Dezember 1948 beschloss die Generalversammlung der UNO in der Resolution 260 die „Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide“, die am 12. Januar 1951 in Kraft trat. Die Konvention definiert Völkermord in Artikel 2 als eine der folgenden Handlungen, begangen in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören: das Töten von Angehörigen der Gruppe, das Zufügen von ernsthaften körperlichen oder geistigen Schäden bei Angehörigen der Gruppe, die absichtliche Auferlegung von Lebensbedingungen, die auf die völlige oder teilweise physische Zerstörung der Gruppe abzielen, die Anordnung von Maßnahmen zur Geburtenverhinderung und das gewaltsame Verbringen von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe.
Die Auseinandersetzung mit dem Thema Genozid an Brandenburger Schulen ist aus meiner Sicht unerlässlich. Die SPD spricht sich dafür aus, auch den Verbrechen an den Armeniern einen Platz im Unterricht einzuräumen, natürlich - das ist eigentlich für jeglichen Geschichtsunterricht selbstverständlich auf der Basis von fachwissenschaftlich erarbeiteten Handreichungen.
Die Menschheit war in der Vergangenheit zu mehreren Genoziden fähig. Dies muss seine Darstellung auch im Unterricht fin
den. Deswegen kann ich es auch nachvollziehen, dass man es im Rahmenlehrplan nicht bei der Benennung Armeniens als einziges Beispiel belässt.
Wir fordern daher die Landesregierung auf, bis zum Sommer 2005 eine neue Handreichung zum Thema Genozid im Geschichtsunterricht vorzulegen.
Um es klar zu sagen: Die Landesregierung hat zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt, das Thema Armenien aus den Brandenburger Schulen zu verbannen. Wir wollen, dass unsere Schülerinnen und Schüler dieses Thema in ihr Rüstzeug bekommen. Vielleicht ist es nicht notwendig, dass alle Schülerinnen und Schüler wie der Bildungsminister gerade die 1 000 Seiten des Buches von Franz Werfel „Die 40 Tage des Musa Dagh“ lesen. Aber das Ziel des Buches sollten sie erreichen, das Schicksal des armenischen Volkes durch unser Gedenken dem Totenreich allen Geschehenen zu entreißen.
Vielen Dank, Frau Geywitz. - Wir setzen mit dem Redebeitrag der PDS-Fraktion fort. Der Abgeordnete Gehrcke spricht zu uns.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die PDS-Fraktion ist erschüttert über das Vorgehen des Ministerpräsidenten Platzeck und des Bildungsministers Rupprecht in der Frage, ob und wie der Völkermord an Armeniern im Schulunterricht zu behandeln sei. Mit dem Antrag, den wir hier gestellt haben, das Verhalten beider zu missbilligen, wollen wir ein deutliches Zeichen setzen für historische Wahrhaftigkeit und demokratische Unbeirrbarkeit.