Protocol of the Session on June 16, 2004

daher aus Sicht der Sparzwangfetischisten sicherlich geeignete Opfer. Doch die Maßnahmen zur Integration behinderter Menschen dürfen nicht zum Spielball der Haushaltsakrobaten werden. Hier heißt es, wachsam zu sein und zu bleiben. - Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Fechner, und gebe das Wort der Fraktion der CDU. Frau Abgeordnete Marquardt, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass wir dieses Thema immer wieder im Landtag haben, zeugt davon, dass es uns um die Behinderten geht und dass sie uns nicht gleichgültig sind. Jetzt war der Anlass dazu, dass die PDS-Fraktion eine Große Anfrage gestellt hat. Diese Anfrage impliziert, dass das Land Brandenburg zu wenig für Behinderte tue und dass permanent Standards zurückgefahren würden. Das kann man insbesondere ich - nicht so im Raum stehen lassen.

Aber lassen Sie mich einiges Grundsätzliche voranstellen. Wir haben im Land Brandenburg - das hatte ich bereits im vorhergehenden Beitrag gesagt - wirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Probleme, sodass auch aus haushalterischen Gesichtspunkten sozialpolitischen Forderungen Grenzen gesetzt sind. Es gefällt uns Sozialpolitikern sicherlich nicht immer, wenn wir Kürzungen hinnehmen müssen. Aber wir streiten in jedem Einzelfall und um jede Haushaltsposition. Trotzdem möchte ich anmerken, dass sich aus fachlicher Sicht mein Widerstand regt, wenn Sie sagen, das Land kümmere sich nur um die über 40-Jährigen.

(Frau Bednarsky [PDS]: Nein, das habe ich nicht gesagt!)

- Sie haben in Ihrem Beitrag gesagt, es habe den Anschein, dass wir uns verstärkt um die über 40-Jährigen kümmerten.

Ich denke, dass sie ein Recht darauf haben. Wir haben erst seit 1974 - das sollte allen, die in der DDR gelebt haben, bekannt sein - eine staatliche Behindertenpolitik betrieben. Bis 1974 oblag es ausschließlich den kirchlichen Trägern, sich um Behinderte, vor allen Dingen um die Schwerstbehinderten, zu kümmern. Davon sollte man ausgehen. Wer die Einrichtungen kennt, weiß, dass sie einfach unmenschlich waren.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Abgeordnete Marquardt?

Im Moment bitte nicht.

Danke.

Ich denke, in den letzten 14 Jahren ist viel geschehen. Schauen wir uns den Standard der Einrichtungen an. Schauen wir uns Einzelfälle an. Ich bin immer wieder beeindruckt und zutiefst

betroffen, wenn ich in das Haus "Martin" in Eisenhüttenstadt gehe und dort einen 50-jährigen Mann vorfinde, der 40 Jahre lang in Teupitz hospitalisiert war und nun nach zehn Jahren Förderpflege in der Lage ist, elementare Selbstbedienungstätigkeiten zu verrichten. Auch das ist Behindertenpolitik in Brandenburg. Diese kann man nicht mit einem Staubwedel wegwischen.

(Beifall bei CDU und SPD)

Frau Abgeordnete, ich werde schon wieder aufgefordert, Sie zu fragen, ob Sie eine Zwischenfrage beantworten.

Ich möchte das im Moment bitte nicht.

Gut, danke.

Übrigens gelten in der Bundesrepublik 15 bis 20 % der Bevölkerung im weiteren Sinne als Behinderte. Diese Menschen sind körperlich, geistig oder psychisch behindert oder mehrfach schwerstbehindert. Das ist keine Randgruppe, sondern eine Gruppe, die ständig unserer besonderen Fürsorge und unseres besonderen Augenmerks bedarf, weil es eben auch eine Querschnittsaufgabe ist, die sich durch alle Bereiche unserer Gesellschaft zieht.

Sie zielen in Ihrer Anfrage auf die nicht werkstattfähigen Behinderungen ab. Hinsichtlich der werkstattfähigen und der nicht werkstattfähigen Behinderten wurden in Brandenburg große Fortschritte erzielt. Deshalb ist der unterschwellige Vorwurf der PDS-Fraktion nicht nachvollziehbar. Bei der Beantwortung der Frage 5 wird beispielsweise deutlich, dass Brandenburg im Vergleich mit den neuen Bundesländern, aber auch im Vergleich mit den von Ihnen zitierten Ländern wie dem Saarland, Hamburg und Berlin, besonders viele Plätze - pro 1 000 Einwohner sind es 4,75 - zur Verfügung stellt. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 4,19 Plätzen.

Auch andere in der Großen Anfrage gestellte Fragen sind zum Teil nicht nachvollziehbar, so beispielsweise die Frage nach Einsparungen oder nach neu zu errichtenden Plätzen im Förder- und Beschäftigungsbereich. Die Anzahl der Plätze ist zurzeit ausreichend. Mir ist kein Fall bekannt, dass kein Platz zur Verfügung gestellt werden konnte. Wie die Landesregierung in ihrer Antwort mitteilt, ist die Anzahl der Plätze auch mittelfristig auskömmlich.

Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass die PDS mit ihrer Anfrage nachweisen will, dass es Behinderten in der heutigen Zeit schlechter geht als in der DDR.

(Frau Bednarsky [PDS]: Das ist ein Quatsch, Frau Mar- quardt; Sie glauben doch selber nicht, was Sie erzählen!)

Das ist für mich nicht nachvollziehbar, wenn ich mir anschaue, was wir in 14...

(Weitere Zurufe von der PDS)

- Ich bin vor Ort in unseren Werkstätten. Es gibt immer Probleme.

(Frau Bednarsky [PDS]: Nehmen Sie es auch einmal zur Kenntnis!)

- Ich nehme sie zur Kenntnis und wir sprechen sie aus, aber sie sind einfach kein gesamtgesellschaftliches Problem.

Wenn ich mir zum Beispiel den Qualitätsstandard des Personals anschaue, dann frage ich Sie: Wo gab es früher den Heilerziehungspfleger? Wo gab es den Heilerziehungspädagogen? Wir haben heute hoch qualifiziertes Personal, therapeutisches Personal, sodass sich mir nicht erschließt, wie man eine solche Negativbilanz aufmachen kann. Dem kann ich nicht zustimmen.

(Beifall bei der CDU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Marquardt.

(Zurufe)

- Meine Damen und Herren, Zwischenfragen gestatte ich, Nachfragen aber nicht. Da die Redezeit der Kollegin Marquardt schon überschritten war, erübrigt sich das jetzt.

Ich gebe das Wort der Landesregierung. Herr Minister Baaske, bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, Frau Bednarsky hat im letzten Teil ihrer Rede deutlich gemacht, worum es ihr geht. Sie macht sich Sorgen um den Förder- und Beschäftigungsbereich in Brandenburg. Das ist wohl der Kern, die anderen Fragen sind Schmuck- und Beiwerk. So würde ich es auch auffassen wollen.

Es geht dabei - das kam auch in dem Zwischenruf, den Sie gemacht haben, zum Ausdruck - um Sorgen, die der Landesverband, in dem Träger organisiert sind, äußert. Ein Landesverband, in dem Träger organisiert sind, hat natürlich auch Trägerinteressen. Das ist logisch und es liegt in der Natur der Sache, dass ein Träger bei der Vermutung, dass ihm ein Geschäftsfeld entzogen wird, aufmerkt und sagt: Wir müssen aufpassen, dass uns da nicht etwas wegbricht und wir nachher womöglich Probleme bekommen, weil wir das Personal nicht beschäftigen können. - Diese Diskussion, diese Ängste gibt es natürlich immer, wenn an irgendeiner Stelle gedreht wird.

Es gibt ein Rundschreiben des Landesamtes - das haben Sie angeführt -, in dem etwas klargestellt wird, was vorher vielleicht nicht so richtig klar war, obwohl es eigentlich in der BK 93 und anderen Gruppierungen und Gremien schon einmal deutlich besprochen wurde. Ich meine, die Anfrage und die Antwort darauf machen deutlich, dass die Sorgen, die die Träger hier haben, wirklich unberechtigt sind.

Der Abgeordnete Kuhnert hat darauf hingewiesen, dass Brandenburg bezüglich des Förder- und Beschäftigungsbereichs

Spitze in Deutschland ist. Was wir uns hier leisten, leisten wir uns nicht aus Kokolores, sondern weil wir dazu stehen und meinen, dass es wichtig ist, dass wir behinderten Menschen, wo es möglich und nötig ist, das Zwei-Milieu-Prinzip anbieten. Dazu wollen wir zweifelsohne auch in den nächsten Jahren stehen. Wir wollen die Menschen mit Behinderungen nicht aus der Arbeit drängen und von dem Zwei-Millieu-Prinzip weghalten, wollen sie nicht irgendwo in Wohnstätten wegschließen, sondern uns liegt nach wie vor die Beteiligung und die Integration der behinderten Menschen am Herzen.

Inzwischen ist wirklich ein umfassendes Netz entstanden. Dazu brauchen wir nur durch das Land zu fahren und uns die Einrichtungen anzuschauen. Das ist, denke ich, sehr offensichtlich.

Nun möchte ich noch einmal auf das Rundschreiben zu sprechen kommen. Darin sind drei Punkte aufgeführt, wie mit Menschen mit Behinderungen in dem WfbM-Bereich und erst recht im Förder- und Beschäftigungsbereich umgegangen werden soll.

Der erste Punkt ist, dass in den Einrichtungen vordringlich die Menschen untergebracht werden sollen, die aus der Häuslichkeit kommen. Dann sagen Sie - ganz zu Recht -: Das ist nicht durch das SGB IX und nicht durch das BSHG getragen. - Da sage ich wiederum: Aber durch gesunden Menschenverstand, weil die Menschen, die irgendwo in der Häuslichkeit sind, natürlich am wenigsten die Möglichkeit haben, beschäftigt zu werden - wahrscheinlich jedenfalls. Wenn die Eltern genug Zeit haben, sich darum zu kümmern, dann werden sie ihre Kinder nicht unbedingt in den WfbM- oder in den Förder- und Beschäftigungsbereich geben. Aber gerade zu Hause ist doch die Wahrscheinlichkeit am größten, dass man überlastet ist und dass man nicht in der Lage ist, zu fördern und zu beschäftigen. Darum haben wir gesagt: Dort liegt die oberste Priorität. Wenn Personen aus der Häuslichkeit kommen, dann sollen sie dort untergebracht werden.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Der nächste Punkt ist, dass auch Menschen aus Wohnstätten natürlich dort untergebracht werden können, wenn es nicht möglich ist, sie in der Wohnstätte zu fördern und zu beschäftigen. Das ist in dem Papier auch ganz klar geregelt.

Aber es ist eben auch möglich - das ist ein weiterer Punkt -, wenn Menschen aus Wohnstätten kommen, wenn sie in der WfbM gefördert werden können und wenn es wahrscheinlich ist, dass sie nachher auch einen Übergang in den Beschäftigungsbereich der Werkstatt finden. Das ist doch eigentlich eine logische Konsequenz und in sich schlüssig, wie ich meine.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Minister?

Ja, natürlich.

Bitte schön, Frau Bednarsky.

Herr Minister, wir sind uns völlig einig in dem, was Sie gesagt haben. Aber könnten Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass es mir nicht darum geht, die Umsetzung des Rundschreibens zu kritisieren oder zu sagen, dass das nicht die richtige Intention ist?

Mein Problem bei dieser ganzen Sache ist - ich bitte Sie, das zu verstehen oder nachzuvollziehen -, dass diejenigen, die jetzt im FB-Bereich sind, in einem zweijährigen Turnus überprüft werden. Wenn dann festgestellt wird, dass sie aus einer Wohnstätte kommen und in der Wohnstätte die Möglichkeit zur Förderung bestünde, müssen sie an die Wohnstätte zurück, weil es dort Verträge gibt. In den Wohnstätten - da können Sie nun wirklich selber aus der Praxis berichten: Sie wissen es selber - sind die sächlichen, personellen und räumlichen Voraussetzungen aber oft nicht vorhanden, um die Betroffenen dort wie im FB-Bereich zu fördern. Nehmen Sie das doch einfach einmal zur Kenntnis!

Ich muss das nicht zur Kenntnis nehmen; ich weiß das. Da muss man eben entsprechend nachverhandeln. Das ist doch völlig logisch. Aber ich werde doch hier keine Kostensatzverhandlungen führen