Protocol of the Session on May 12, 2004

Der Minister ist schon nach vorn gerannt.

(Heiterkeit)

Bitte, Herr Reiche, Sie haben das Wort.

„Gerannt“ ist leider übertrieben, aber ich hoffe, das wird wieder kommen. - Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Frau Kollegin Hesselbarth, die kommunale Selbstverwaltung, die in Brandenburg gilt, hat genau zu diesem Ergebnis geführt. Denn die Auseinandersetzungen darum, ob in Strausberg die Anne-Frank-Gesamtschule oder die Schiller-Realschule im Schuljahr 2004/2005 7. Klassen erhalten soll, sind Ihnen in Strausberg und in Märkisch-Oderland seit langer Zeit bekannt. Nach Vorliegen der Anmeldezahlen - im Grunde genommen könnte man sagen, seit 1992, also seit Vorliegen der Geburtenzahlen - war klar: In Strausberg können neben dem Gymnasium nur zwei weiterführende Schulen bestehen bleiben, wobei die Lise-Meitner-Gesamtschule von Anfang an unstrittig war.

Die Stadt Strausberg wollte zunächst diese Realität nicht anerkennen und alle Schulen bestehen lassen. Das ging natürlich nicht. Nachdem ich dem Staatlichen Schulamt Frankfurt (Oder) in einem Gespräch, an dem auch Parlamentarier teilnahmen, empfohlen habe, anders als zunächst vom Schulamt geplant, 7. Klassen an der Realschule einzurichten, hat die Stadtverordnetenversammlung in Strausberg dann auf einer Sondersitzung am 22. April mit großer Mehrheit, und zwar mit 19 Stimmen dafür, neun Stimmen dagegen und einer Enthaltung, den Beschluss gefasst, die Schiller-Realschule aufzulösen und die Anne-Frank-Gesamtschule fortzuführen. Das hängt wohl vor allem mit der Lage der Schulen in der Stadt zusammen.

Ich habe immer gesagt, dass ich es sehr begrüße, wenn der Schulträger in solchen Fällen eine eigene Entscheidung darüber trifft, welche Schulen bestehen bleiben sollen. Ich hätte mich noch mehr gefreut, wenn diese Entscheidungen früher getroffen worden wären. Das gilt auch in diesem Fall. Daran ändert auch nichts, dass der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung Strausberg zunächst von der Kommunalaufsicht außer Vollzug gesetzt wurde, weil eine Fraktion Widerspruch dagegen eingelegt hat.

Die Stadt Strausberg hat - und das sollte bindend sein - mit demokratischer deutlicher Mehrheit ihren Willen bekundet, der keiner schulgesetzlichen Regelung widerspricht. Dem wird also das Staatliche Schulamt folgen und damit im kommenden Schuljahr 7. Klassen an der Anne-Frank-Gesamtschule einrichten.

Nirgendwo in Brandenburg sind schulpolitische Entscheidungen so getroffen worden, dass wir einfach gegen eine Schulform entschieden haben, also weder gegen eine Gesamtschule noch gegen eine Realschule, noch gegen ein Gymnasium.

Ich habe den Innenminister immer bewundert, dass er in den dreieinhalb Jahren, in denen es um die Kommunalreform ging, die Kommunen mit dieser Intensität begleitet hat. Ich finde, ich hätte Ihre und auch seine Achtung verdient, weil ich in der gleichen Frage viereinhalb Jahre unterwegs bin und den Menschen

im Land diese schwierige Entscheidung immer erklärt habe. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herr Minister, bleiben Sie bitte am Pult, es sind von der Fragestellerin noch Nachfragen angemeldet. - Bitte schön, Frau Hesselbarth.

Herr Minister, Sie müssen noch etwas aushalten; ich habe noch drei Nachfragen.

Die erste Nachfrage: Wie verträgt sich aus Ihrer Sicht die beabsichtigte Schließung mit dem Umstand, dass dann in Strausberg das dreigliedrige Schulsystem nicht mehr präsent ist, also Schülerinnen und Schüler nicht mehr wählen können, ob sie eine Realschule besuchen möchten oder nicht?

Punkt zwei: Werden Sie angesichts einer in der Stadt Strausberg offenbar fehlenden einvernehmlichen Schulentwicklungsplanung von Ihren Möglichkeiten nach § 102 Abs. 5 Satz 5 des Brandenburgischen Schulgesetzes Gebrauch machen und im Einvernehmen mit der Kommunalaufsichtsbehörde eine bestimmte Schulentwicklungsplanung für die Stadt Strausberg feststellen, die im Sinne der Vielfalt der Bildungsgänge auch dort die Teilhabe am dreigliedrigen Schulsystem vollständig gewährleistet?

Frage drei: Wie verträgt sich aus Ihrer Sicht die beabsichtigte Schließung der einzigen Realschule in Strausberg angesichts zweier existierender Gesamtschulen gegenüber dem überwiegenden Elternwillen - erstens - mit dem in Artikel 30 Abs. 2 der Landesverfassung verbrieften Mitwirkungsrecht der Eltern bei der Gestaltung des Schulwesens und - zweitens - mit der Artikel 30 Abs. 3 zu entnehmenden Verpflichtung, die Vielfalt der Bildungsgänge zu gewährleisten?

(Klein [SPD]: Die Spontaneität der Fragestellung ist ein- malig!)

Bitte schön, Herr Minister.

Alle bildungspolitischen Diskussionen der letzten Jahre zeigen, dass das dreigliedrige Schulsystem zum einen nicht aufgegeben ist, sondern nur im deutschsprachigen Raum existiert - mit nicht zufrieden stellenden Ergebnissen -; zum anderen haben wir in Deutschland und in Brandenburg ja leider nicht einmal ein dreigliedriges Schulsystem, sondern im Grunde ein fünf- oder sechsgliedriges; denn Sie müssen neben Gesamtschule, Gymnasium, Realschule und Hauptschule immer auch noch die allgemeine Förderschule und die Förderschule für geistig Behinderte zählen, die auch noch einmal eine Aufteilung von Schülergruppen ermöglichen und organisieren sollen.

Die von Ihnen so geschätzte Dreigliedrigkeit allerdings ist in Strausberg natürlich gesichert, weil sich die Gliedrigkeit im

mer auf die Bildungsgänge bezieht. Diese drei Bildungsgänge werden in Strausberg natürlich an der Gesamtschule angeboten. Das ist ja der Hintergrund, weshalb wir überall im Land dafür eintreten, dass für alle Schüler die drei Bildungsgänge, die außerhalb der Förderschulen organisiert werden müssen, auch erreichbar sind.

Insofern ist, Frau Hesselbarth, die Vielfalt in Strausberg in einer Weise gesichert, wie wir sie in weiten Teilen des Oderlandes nicht sichern können, weil dort für viele Schüler eben nur eine einzige Schule, häufig nur eine Gesamtschule, erreichbar geblieben ist.

Der Elternwille ist für die Politik der Koalition immer eine ganz zentrale Frage gewesen und wird es auch in Zukunft bleiben. Allerdings kann der Elternwille nur gelten in Bezug auf die vom Schulträger getroffenen Entscheidungen. Und hier hat in der eben von mir dargestellten Weise der Schulträger nicht nur von seinem Recht, sondern vor allem auch von seiner Pflicht, eine Entscheidung zu treffen, Gebrauch gemacht.

Schönen Dank, Herr Minister Reiche. - Die Frage 2073 (Neue Berliner Regelung zum Drogenbesitz) wird der Abgeordnete Homeyer stellen.

Nach Presseberichten hat sich das Berliner Abgeordnetenhaus am 29. April 2004 für die begrenzte Freigabe von Cannabis ausgesprochen. Bisher war in Berlin nur der Besitz von bis zu sechs Gramm Cannabis von der Strafverfolgung ausgenommen. Nun wurde die Grenze nach oben verschoben. Wer bis zu 15 Gramm besitzt, soll ebenfalls straffrei bleiben. Bei einer Menge von bis zu 30 Gramm kann die Staatsanwaltschaft von der Strafverfolgung absehen, muss dies aber nicht tun. An den Berliner Senat erging damit die Aufforderung, die entsprechende Verordnung zu ändern. Berlin hätte damit bundesweit eine der liberalsten Regelungen.

Ich frage die Landesregierung: Welche Auswirkungen wird diese Regelung auf die Arbeit der Polizei des Landes Brandenburg haben? Wird es, da die Polizeibehörden bekanntermaßen eng kooperieren, Wechselwirkungen in der allgemeinen Sicherheitslage zwischen Berlin und Brandenburg geben?

Schönen Dank. - Für die Landesregierung wird der Innenminister antworten. Herr Schönbohm, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Homeyer, der Besitz von Drogen jeder Art ist verboten und stellt einen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz dar. Daher schreitet die Polizei des Landes Brandenburg bei allen Feststellungen dagegen ein und ahndet dieses. Ich als Innenminister werde bei diesem Kurs, wie wir ihn besprochen haben, bleiben.

Der § 31 a Betäubungsmittelgesetz ermöglicht es der Staatsanwaltschaft, ohne Zustimmung des Gerichts bei Vergehen im Betäubungsmittelrecht, zum Beispiel beim Besitz von geringen

Mengen Cannabis, von der Strafverfolgung abzusehen. Die Justizbehörden der Bundesländer haben zur praktischen Umsetzung dieses § 31 a Richtlinien geschaffen, die sich unter anderem in den Bestimmungen bezüglich geringer Mengen bei Cannabis-Produkten unterscheiden. So wird zum Beispiel in Schleswig-Holstein die geringe Menge von Cannabis-Besitz mit 30 Gramm, in Nordrhein-Westfalen mit 10 Gramm und in Bayern und Brandenburg mit 6 Gramm angesetzt. Daran können Sie erkennen, dass die Bundesländer je nach politischer Zusammensetzung diese Entscheidung treffen.

Die Entscheidung des Landes Berlin ist deswegen so unangenehm und für uns so schwierig, weil in dem gleichen regionalgeographischen Raum unterschiedliche Anwendungen vorgenommen werden, und dies aufgrund einer Entscheidung eines Parlaments. Das wird nicht dafür werben, dass Berlin und Brandenburg weiter zusammenrücken.

Die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz liegt allein in der Verantwortung der Justiz. Die Polizei hat hier keinen Ermessensspielraum. Grundsätzlich zielt die Strategie der Strafverfolgungsbehörden bei der Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität in erster Linie gegen den organisierten Drogenhandel, um auf diesem Wege die Verfügbarkeit illegaler Drogen einzudämmen und den Zugang zu erschweren. Die Zusammenarbeit mit den Berliner Kollegen ist weiterhin von dieser Entscheidung unberührt.

Dennoch kann die Heraufsetzung von Mindestmengen, die regelmäßig eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens bewirken, insbesondere für junge Menschen ein gefährliches Signal sein, und das ist die Schwierigkeit. Es kann dazu führen, dass dies bagatellisiert und damit eine so genannte Entkriminalisierung vorgenommen wird, mit dem Ergebnis, dass man in Berlin großzügiger ist als hier und das Strafmaß davon abhängt, ob jemand diesseits oder jenseits der Grenze zwischen Berlin und Brandenburg festgenommen wird.

Die möglichen Gefahren, bestehende Hemmschwellen im Umgang mit illegalen Drogen weiter abzumindern, haben wir in Brandenburg erkannt und uns unter anderem darauf ausgerichtet.

(Zuruf von der PDS: Der Kampf gegen den Alkoholmiss- brauch wäre viel wichtiger!)

- Da haben Sie Erfahrungen.

Die in Berlin beabsichtigte Vorgehensweise ist nach meiner Auffassung - ich spreche über rechtliche Sachverhalte, Frau Kaiser-Nicht - nicht förderlich und hilfreich für eine nachhaltige Ächtung von illegalen Drogen sowie für eine wirkungsvolle Bekämpfung des Straßen- und Kleinhandels. Ich sehe das mit Sorge, da wir an sich für beide Länder aufgrund der räumlichen Enge eine gemeinsame Vorgehensweise brauchten.

Darüber hinaus befürchte ich, dass damit eine zunehmende Orientierungslosigkeit der Jugendlichen einhergeht, die sagen: Warum darfst du das, was du in Berlin darfst, nicht auch in Brandenburg? Von daher gesehen halte ich diese Entscheidung für falsch, bezogen auf das Unrechtsbewusstsein und auf die Entwicklung der jungen Menschen.

(Beifall bei der CDU)

Ich danke Ihnen, Herr Minister Schönbohm. - Die Frage 2074 (Verweigerung von Antworten auf sachlich gestellte Fragen) wird von Prof. Dr. Bisky formuliert. Bitte schön.

Am 2. Februar 2004 wandte ich mich mit einem Brief an den Ministerpräsidenten, in dem ich meine Besorgnis über die sich zuspitzende Trennungsgeldaffäre äußerte und um eine größere Sorgfalt bei der Aufklärung sowie eine umfassende politische Auswertung ersuchte. Mit einer gründlichen Auswertung sollte aus Sicht der PDS-Fraktion auch eine Neuregelung der gesetzlichen Grundlagen in Angriff genommen werden, die der aktuellen verwaltungsorganisatorischen und sozialen Situation im Lande entspricht. Um das Nachdenken über diese Probleme zu befördern, hatte ich neun konkrete Fragen gestellt. Der Ministerpräsident hatte sich zwar im Hauptausschuss des Landtages am 19. Februar 2004 zur Trennungsgeldaffäre geäußert, aber wir konnten beide nicht davon ausgehen, dass damit dem Anliegen meines Briefes entsprochen worden wäre.

In einem zweiten Brief vom 4. April dieses Jahres habe ich deutlich gemacht, dass ich auch weiter eine schriftliche Antwort erwarte. Mir geht es dabei gar nicht um die Frage der zwischenmenschlichen Höflichkeit, sondern einzig und allein um die politische Dimension.

Ich frage deshalb die Landesregierung: Welche Gründe liegen vor, um einer Oppositionsfraktion Antworten auf ihre sachlich gestellten Fragen zur Trennungsgeldaffäre bisher zu verweigern?

Ich danke dem Fragesteller. Die Antwort wird der Chef der Staatskanzlei für die Landesregierung geben. Bitte schön, Herr Speer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Prof. Dr. Bisky, auf Ihre Frage antworte ich: Es liegen keine Gründe vor, um einer Oppositionsfraktion Antworten auf ihre sachlich gestellten Fragen zur Trennungsgeldaffäre zu verweigern. Die Landesregierung hat alle Antworten gegeben und wird auch in Zukunft alle Antworten in diesem Zusammenhang geben.

Ich habe in der letzten Woche im Hauptausschuss einen Disput mit Herrn Abgeordneten Vietze über den Charakter dieses Briefes vom 2. Februar, den Sie hier zitieren, geführt. Wir haben uns darüber gestritten, ob er vor Eingang in der Staatskanzlei schon im RBB und am nächsten Tag in der „Bild“-Zeitung zu sehen war. Wir haben recherchiert: Er war am Abend im RBB zu sehen und am nächsten Tag bereits in der „Bild“-Zeitung abgedruckt. Nach unserem Empfinden handelt es sich um einen offenen Brief. Der Ministerpräsident beantwortet grundsätzlich offene Briefe nicht, die diesen Charakter haben.

Trotzdem haben wir im Hauptausschuss, Sie haben es eben gesagt, alles referiert, was bis zu diesem Tage zu dem Thema bekannt war. Das war am 19. Februar. Der Ministerpräsident hat sehr deutlich gemacht, dass die Fälle, die Anlass gegeben haben, dies ausführlicher zu untersuchen, umfangreich untersucht

werden. Dazu ist die Prüfgruppe eingesetzt worden. Den Abschlussbericht haben Sie inzwischen bekommen. Wir haben im Hauptausschuss am 6. Mai ausführlich darüber gesprochen und die von Ihnen angeregten Aspekte ebenso aufgenommen wie Berichte, wie mit den Anregungen weiter verfahren werden soll.

Aus unserer Sicht ist in dem vom Ministerpräsidenten hier im Parlament angekündigten Umfang und mit der entsprechenden Gründlichkeit umfassend und zeitnah informiert worden.

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Der Fragesteller hat noch Zusatzfragen. Herr Abgeordneter Prof. Bisky, bitte.

Herr Staatssekretär, können Sie mir die Frage beantworten, wie Sie offene Briefe selbstherrlich definieren? Ist das eine Selbstdefinition des Ministerpräsidenten oder Ihres Amtes? Wer legt das fest?