Protocol of the Session on May 12, 2004

das Empfinden, dass Kinder Mühe machen, Geld kosten, Zeit kosten, Nerven kosten. Das Empfinden, dass das alles eine Belastung sei, spiegelt sich dann wider in Formulierungen wie „... mit Fahrtkosten bestraft werden“.

(Zuruf von der SPD: Genau!)

Kinder haben immer Geld gekostet, ob es für Bekleidung, Essen oder sonst was ist. Und das haben die Familien früher mit Freude auf sich genommen, weil sie wussten: Unsere Kinder sind die Sicherheit unseres Alters! - Das gilt in manchen Ländern dieser Erde heute noch.

Wir haben diesen Zusammenhang, der nach wie vor unbestritten richtig ist, unerkennbar gemacht, indem wir die sozialen Sicherungssysteme dazwischengeschaltet haben. Der Generationenvertrag bedeutet ja nichts anderes als: Die, die arbeiten, zahlen ein, die Älteren profitieren davon. Aber dieser innerfamiliäre Zusammenhang - die eigenen Kinder sind die Sicherheit des eigenen Alters - ist verloren gegangen: Ich bin ja arbeitslosenversichert, ich bin ja sozialversichert, ich habe ja eine Rentenversicherung - mir kann nichts passieren! Eine solche Denkweise trägt mit Sicherheit dazu bei, dass das Empfinden, eigentlich müsste ich ja auch Kinder haben, weitgehend verloren gegangen ist.

Ich weiß nicht, wie sich das, wenn wir es nicht immer wieder erklären, dass dieser Zusammenhang nach wie vor zwingend besteht, ändern soll.

Es gibt andere Entwicklungen, auf die wir auch keinen Einfluss nehmen können und wollen, beispielsweise den medizinischen Fortschritt und die weitere Alterung unserer Bürger. Wir freuen uns ja, dass die Menschen älter werden, aber es gibt natürlich in der Demographie ein ganz anderes Bild.

Wir brauchen - es ist schon gesagt worden - ein Gesamtkonzept, wie darauf zu reagieren ist. Der Ministerpräsident hat dieses Leitbild angekündigt. Lassen Sie mich noch sagen: Weil eben alle Politikbereiche von diesen Entwicklungen betroffen sind, alle Ressorts davon betroffen sind, sind auch alle Ressorts gefordert, gemeinsam an den Gegenreaktionen, an diesem Leitbild zu arbeiten. Ich freue mich darauf, wenn wir möglichst bald zu Beginn der nächsten Legislaturperiode über dieses Leitbild dann wirklich inhaltlich diskutieren können.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Ich danke dem Abgeordneten Fritsch und gebe der Fraktion der DVU das Wort. Frau Abgeordnete Hesselbarth, bitte.

(Zuruf von der PDS: Ach nein! Wie lange dürfen die jetzt reden?)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vom Aussterben bedrohte Arten werden unter Naturschutz gestellt, zumindest soweit es Tiere und Pflanzen betrifft. Der „homo brandenburgensis“ ist ein aussterbendes Wesen, doch zu seinem Schutz wird weder seitens des Bundes noch dieser Landesregierung irgendetwas getan. Wozu also der vorliegende Bericht?

Dieser Bericht ist eine beängstigende Analyse einer unglaublichen negativen demographischen Entwicklung in unserem Land. Er zeugt von der völligen Hilflosigkeit dieser Landesregierung in der Frage eines möglichen Umsteuerns. Da wird festgestellt, dass bis 2050 in Deutschland insgesamt mit einem Rückgang der Bevölkerung von heute 82,5 Millionen auf 65

bis 75 Millionen Einwohner gerechnet werden muss und dass der derzeitige Sozialstaat daher auf ein Minimum zurückgefahren werden wird.

Es wird festgestellt, dass insbesondere gut und hoch Qualifizierte zunehmend kinderlos bleiben. Der äußere Entwicklungsraum Brandenburgs verlor seit der Wiedervereinigung allein bis 2001 rund 166 000 Einwohner. Die Zahl der Geburten verringerte sich von 33 000 auf heute gerade noch 18 000.

Gemäß der Prognose der Landesregierung wird Brandenburg im Jahr 2020 7 % seiner jetzt noch verbliebenen Einwohner verlieren, der äußere Entwicklungsraum sogar 15 %. Das Geburtendefizit wird von 2001 bis 2020 nach der genannten Prognose 270 000 Personen betragen, und es wird davon ausgegangen, dass im genannten Zeitraum sage und schreibe 43 % der Frauen im gebärfähigen Alter mangels Zukunftsperspektive das Land Brandenburg geradezu fluchtartig verlassen werden.

Andererseits wird das Verhältnis der über 65-Jährigen zu den Erwerbsfähigen im Jahre 2020 bei knapp 43 % liegen. Herr Fritsch, Sie sagten eben, dass das seit 1996 bekannt ist und durchaus auch absehbar war. Aber was haben Sie dagegen getan? Welche Strategien die Landesregierung in der Schublade hat, um die sinkende Geburtenzahl in Brandenburg zu stoppen und die Menschen zum Hierbleiben zu bewegen - darüber findet man in der ganzen tollen Studie kein einziges Wort, und auch heute Morgen haben wir kein Wort davon gehört, jetzt auch nicht - absolut Fehlanzeige.

Gute Nacht, Brandenburg! kann ich da nur sagen. Oder: Weiter so, Brandenburg, der Letzte knipst das Licht aus!

Was soll und wird denn nach Ihren Vorstellungen, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, hier in Brandenburg passieren, wenn die demographische Entwicklung so weiter geht?

Ich wiederhole aus unserer letzten Aktuellen Stunde: Brandenburg als Billiglohnland bei gleich bleibend hohen Abgaben und Lebenshaltungskosten? Die noch verbleibenden Leistungsfähigen wandern in den Westen ab, wo es mehr zu verdienen gibt? Die Älteren wandern nach Polen aus, wo das Leben billiger ist? Sie können sich die Lebenshaltungskosten hier nicht mehr leisten. Zurück bleiben weniger Qualifizierte sowie Familien mit Kindern, die von Sozialhilfe am Rande der Armutsgrenze leben. Hierher kommen stattdessen polnische Arbeitslose als billige Arbeiter und Tagelöhner.

Welchen Stellenwert Sie diesem Thema einräumen, sehen wir. Es steht heute als letzter Punkt auf der Tagesordnung. Wahlkampf ist wohl wichtiger. Sie haben das wohl auch bitter nötig.

(Beifall bei der DVU)

Mit langen Sonntagsreden werden Sie auch nichts an dieser Situation ändern. Sie haben es geschafft, seit Gründung des Landes im Jahre 1990 den Mittelstand fast restlos zu vernichten. Die Förderschwerpunkte wie Lausitzring, CargoLifter und Chipfabrik, nicht zu vergessen die LEG in Bauruinen, sind in einem wirtschaftlichen Desaster und mit Milliardensummen zulasten des Steuerzahlers versenkt worden.

Jetzt will man sich, wenn man diesem Bericht glauben darf, durch branchenmäßige und räumliche Konzentration auf eini

ge wenige Bereiche an Clusterstandorten aus der wirtschaftspolitischen Verantwortung stehlen. Der Rest des Landes soll wohl zum Naturschutzgebiet erklärt werden, in dem lediglich die wenigen noch verbliebenen Einwohner etwas stören.

Zitiert wird in dem vorliegenden Bericht das DIW Berlin, das feststellt, dass in den neuen Bundesländern die so genannten harten Standortfaktoren wie Kundennähe, Lohnkosten, Angebot an qualifizierten Arbeitskräften, Fördermittel in Verkehrsinfrastruktur, Energiekosten, Dienstleistungen der örtlichen Banken und Lieferantennähe unverändert als die wichtigsten Bedingungen für die Entwicklung und den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen angesehen werden.

Wenn man haarspalterisch wäre, könnte und müsste man bezogen auf Brandenburg Folgendes fragen: Warum sollte sich irgendein westdeutsches oder ausländisches Unternehmen hier ansiedeln angesichts der weniger verbliebenen Kunden und der zu hohen Lohnnebenkosten und des unzureichenden Angebots an qualifizierten Arbeitskräften - sie sind längst in den Westen abgewandert -, der herrschenden Fördermittelpleite und der überdurchschnittlich hohen Energiekosten sowie des geradezu miserablen Angebots an Bankdienstleistungen in diesem Land?

Die Landesregierung stellt dann auch noch allen Ernstes fest, dass bei anhaltendem Bevölkerungsrückgang die Kreditfinanzierungsquote bis 2020 auf 30 % ansteigen wird, sich der Schuldenstand je Einwohner auf rund 21 000 Euro erhöhen, der Anteil der Zinsverpflichtungen am Gesamthaushalt auf 40 % ansteigen und die Investitionsquote stattdessen auf 8 % sinken wird. Sie haben für diese Katastrophe auch nicht annähernd ein Lösungskonzept in Aussicht! Das haben wir heute Morgen und auch jetzt gehört. Sie verwenden nur Worthülsen, wie „werden“, „sein“, „müssen“, bringen aber nichts Konkretes.

So spreche ich hier heute die Hoffnung aus, dass die Brandenburgerinnen und Brandenburger spätestens bei der Landtagswahl 2009 die Nase so voll von ihrer wirtschaftsfeindlichen und unsozialen Politik haben werden, dass es einen Politikwechsel geben wird. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Hesselbarth. - Ich gebe der Fraktion der CDU das Wort. Frau Abgeordnete Blechinger, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bericht der Landesregierung stellt eine schonungslose Analyse der zu erwartenden Auswirkungen der demographischen Entwicklung dar. Dass es sich hierbei nicht nur um ein brandenburgisches Problem handelt, macht die seit Jahren rückläufige Bevölkerungsentwicklung in Deutschland und Europa deutlich.

Ich finde es schon abenteuerlich, Frau Abgeordnete Dr. Enkelmann, wenn Sie glauben, dass Sie die einfache Antwort auf eine Frage haben, mit der sich wissenschaftliche Institute seit Jahren beschäftigen, zum Beispiel mit den Gründen, warum Frauen weniger Kinder bekommen.

(Zuruf der Abgeordneten Dr. Enkelmann [PDS])

Wenn wir das weltweit vergleichen, kann man leicht feststellen, dass mit steigendem Lebensstandard die Geburtenrate rapide zurückgeht.

(Schippel [SPD]: So ist es! - Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Sie verwechseln da etwas!)

Wenn man Ihrem Ausblick folgen wollte - ich habe Ihrer Rede sehr aufmerksam zugehört -, könnte man erwarten: Wenn der Lebensstandard in Brandenburg rapide sinkt, steigt die Geburtenrate vielleicht wieder an. Vielleicht kommen die Menschen zu der Erkenntnis - Herr Abgeordneter Fritsch hat es bereits gesagt -: Wenn im Alter die Liebe und Zuwendung anderer Menschen und nicht nur das Sattwerden und Ein-Dach-über-demKopf-Haben eine Rolle spielen und der Staat dies nicht leisten kann, wird man wieder erkennen, dass Kinder nicht nur einen finanziellen, sondern auch einen anderen Wert haben, nämlich eine Bereicherung des Lebens darstellen.

(Beifall bei CDU und SPD)

Eines ist klar, Frau Abgeordnete Kaiser-Nicht: Es ist eine Frage der Einstellung zu Kindern, ob ich Kinder habe. Wenn ich mich daran erinnere, dass zu DDR-Zeiten allein erziehende Frauen 400 Mark bekommen haben, dann wissen Sie sehr wohl, dass man trotz subventionierter Kinderkleidung und Mieten nicht mit diesem Geld auskommen konnte.

Wenn Sie das mit dem vergleichen, was den Familien heute zur Verfügung steht - ich empfehle Ihnen einmal einen Gang in die Schulen, dann werden Sie erkennen, wie viel Taschengeld Schüler zur Verfügung haben, wie viel Spielzeug Kinder in den Kinderzimmern haben, wie viele Fernseher in den Kinderzimmern stehen -, stellen Sie fest, dass es nicht in erster Linie eine Frage des Geldes ist, ob ich mich für Kinder entscheide oder nicht.

(Beifall bei CDU und SPD)

In Deutschland wird es bis zum Jahr 2050 einen erheblichen Bevölkerungsrückgang geben. Meine Vorredner haben das angesprochen. Man hat sich bisher leider noch nicht ausreichend mit den Folgen des demographischen Wandels für das Wirtschaftswachstum, die Staatsfinanzen, die Arbeitsmärkte, die Infrastruktur sowie für Wissenschaft und Bildung auseinander gesetzt.

Deshalb soll die heutige Debatte dazu dienen, den demographischen Wandel und seine Folgen stärker in das gesamtgesellschaftliche Bewusstsein zu heben. Die neuen Bundesländer haben in den vergangenen 14 Jahren im Zeitraffertempo erlebt, wozu Geburtenrückgang, Strukturwandel und Abwanderung führen können. Ich will nicht die ewige Debatte darüber führen, wer dafür die Verantwortung trägt. Aber worin liegt denn der gravierende Unterschied zwischen den neuen und den alten Bundesländern? Doch nicht darin, dass wir hier 1989 blühende Landschaften hatten!

(Beifall bei CDU und SPD)

Der Osten Deutschlands hat seit der Wende rund 2 Millionen Menschen verloren, vor allem junge und qualifizierte Menschen. Sie wanderten in die Länder ab, die seit 1945 die Chance hatten, eine freiheitlich-demokratische Grundordnung aufzubauen.

(Beifall bei der CDU)

Dadurch standen und stehen die jeweiligen sozialen Systeme Kitas, Schulen und Ausbildungseinrichtungen - unter einem extremen Anpassungsdruck. Gerade im Schulbereich erleben wir derzeit die dramatischen Auswirkungen einer sich schlagartig verringernden Schülerzahl, während die beruflichen Ausbildungseinrichtungen den Druck der geburtenstarken Jahrgänge nicht auffangen können.

Dabei werden uns die Probleme im Spannungsfeld zwischen wohnortnaher Beschulung und qualitativ hochwertiger Bildung auch in den nächsten Jahren beschäftigen. Wir haben diesem Spannungsfeld Rechnung getragen durch die Errichtung kleiner Grundschulen mit jahrgangsübergreifenden Klassen, um gerade für die Kinder im Grundschulbereich eine möglichst wohnortnahe Beschulung zu ermöglichen. Auch im weiterführenden Schulbereich gibt es in Grundzentren unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, die Klassenfrequenzen auf 15 Schüler zu senken. Wer mehr fordert, muss sagen, woher die finanziellen Mittel dafür kommen sollen. Denn eine kleine Grundschule kostet pro Schüler allein den Schulträger doppelt so viel wie eine normale Grundschule.

Meine Damen und Herren! Die Bevölkerungsprognose im Jahr 2020 geht davon aus, dass unser Land 7 % weniger Einwohner haben wird. Dabei verliert der äußere Entwicklungsraum 14,9 %, während der engere Verflechtungsraum deutlich, nämlich um 6,6 %, wachsen wird. Natürlich handelt es sich immer um Prognosen mit Unsicherheitsfaktoren. Man erkennt aber aus diesen Zahlen, dass Brandenburg differenziert zu betrachten ist.

Die Region Berlin-Brandenburg vereint enorme demographische Gegensätze. Berlin mit den umliegenden Brandenburger Landkreisen ist mit heute 4,36 Millionen Menschen nach dem Ruhrgebiet das zweitgrößte Ballungszentrum Deutschlands. Doch nur 50 km vom Brandenburger Tor entfernt findet sich mit der Uckermark die am dünnsten besiedelte Region Deutschlands.

Die Entwicklung in Brandenburg verlief von der Peripherie ins Zentrum. Jene Städte und Regionen am Rande Brandenburgs, die lange von der Schwerindustrie profitiert haben, fielen mit dem Zusammenbruch der DDR geradezu ins Leere. Frankfurt (Oder) und Cottbus büßten seit 1990 fast ein Fünftel ihrer Bewohner ein. Die Stahlstadt Brandenburg an der Havel verlor 17 %, der Braunkohlekreis Oberspreewald-Lausitz 14 % seiner Bevölkerung. Die Einwohnerzahl der Uckermark, in der das frühere Petrolchemische Kombinat Schwedt der wichtigste Arbeitgeber war, schrumpfte um 12 %. Die ländliche Prignitz, der Westzipfel Brandenburgs, bietet heute 13,6 % weniger Menschen ein Zuhause. Doch das Zentrum Brandenburgs blüht und gedeiht.

Die Kreise Potsdam-Mittelmark und Teltow-Fläming, westlich von Berlin, haben seit 1995 kaum Arbeitsplätze verloren. Das ist im Osten das größte zusammenhängende Gebiet ohne nennenswerten Beschäftigungsrückgang während der letzten acht Jahre.