Protocol of the Session on March 4, 2004

regierung auf, im Interesse Brandenburgs diese im Berliner Senat vertretene Position aktiv zu unterstützen.

Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke dem Abgeordneten Thiel und gebe das Wort der Fraktion der SPD. Bitte, Herr Abgeordneter Lenz.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die PDS-Fraktion hat den Antrag auf eine Bundesratsinitiative zur Einführung einer Öffnungsklausel für die Arbeitnehmerfreizügigkeit gestellt. Um darauf einzugehen, muss man schon den Begriff der Arbeitnehmerfreizügigkeit definieren. Im EU-Vertrag, der nach dem 1. Mai für alle neuen Mitgliedsländer verbindlich ist, ist in § 39 klar definiert:

„Innerhalb der Gemeinschaft ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet. Sie gibt vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen den Arbeitnehmern das Recht, sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben, sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen, sich in einem Mitgliedsstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben, nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates unter Bedingungen zu verbleiben, welche die Kommission in Durchführungsverordnungen festlegt.“

So weit zu der Begriffsbestimmung Arbeitnehmerfreizügigkeit.

Waren es nicht gerade die neuen Bundesländer, also wir Brandenburger und die Grenzlandkammern von IHK und Handwerk, die im Vorfeld der EU-Osterweiterung eine Einschränkung dieser Arbeitnehmerfreizügigkeit gefordert haben? Waren Sie, meine Damen und Herren von der PDS, nicht diejenigen, die wie wir in vorübergehenden Einschränkungen auch unsere Forderungen aufgemacht haben? Wollten wir dies nicht, um unseren Arbeitsmarkt und unsere Arbeitnehmer zu schützen? Das Lohnniveau in Polen beträgt derzeit rund ein Viertel der in Deutschland gezahlten Löhne. Nun, da die Bürgermeister einiger Grenzstädte die Aufhebung der Einschränkung fordern, machen Sie, meine Damen und Herren der PDS, sich diese Meinung zu Eigen. Sie fordern hier eine punktuelle Aufhebung der geplanten Einschränkung, die aus Sicht meiner Fraktion nicht machbar ist. Sie können nicht den Arbeitsmarkt für Polen in den Grenzstädten öffnen und die Bürger der anderen sieben neuen Mitgliedsländer, da für Malta und Zypern die Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt, weiter ausschließen. Deutschland hat als Mitgliedsland der EU die eingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit gefordert, das heißt nicht einzelne Bundesländer, sondern der gesamte Bund. Für den punktuellen und begründeten Ausnahmefall gibt es die derzeitigen Regelungen.

Trotz der eingeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit haben Bürger aus dem Beitrittsgebiet, so wie es die Bürgermeister der

Grenzstädte fordern, eine Arbeitsmöglichkeit in Deutschland. Für die Zulassung der Staatsangehörigen aus den Beitrittsländern zur Ausübung von Beschäftigung in Deutschland gelten die einschlägigen nationalen Vorschriften und die mit den Beitrittsländern bestehenden bilateralen Vereinbarungen während der Übergangszeit weiterhin.

Nach dem geltenden Arbeitsgenehmigungsrecht bedürfen Staatsangehörige aus den Beitrittsländern in der Übergangszeit deshalb für die Ausübung einer Beschäftigung in Deutschland weiterhin grundsätzlich einer Arbeitsgenehmigung, die vor Aufnahme der Beschäftigung einzuholen ist. Die Notwendigkeit der Einschränkung ist nach zwei und erneut nach drei Jahren zu überprüfen. Zumindest für die beiden ersten Jahre wird Deutschland die Übergangsfrist in Anspruch nehmen. Andere Staaten, zum Beispiel Großbritannien und Dänemark, haben angekündigt, ihre Arbeitsmärkte ab dem 1. Mai zu öffnen und keine Übergangsfristen für die Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Anspruch zu nehmen.

Für die Staatsangehörigen aus den Beitrittsländern, die bereits seit mindestens zwölf Monaten bei einem Arbeitgeber in Deutschland beschäftigt sind, sieht der Beitrittsvertrag vor, dass sie ein uneingeschränktes Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Das gilt auch für die Familienangehörigen dieser Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt des Beitritts bei ihnen wohnen oder sich bei einer späteren Einreise mindestens 18 Monate in Deutschland aufhalten. Darüber hinaus sieht der Beitrittsvertrag für die Arbeitnehmer aus den Beitrittsländern vor, dass Ihnen bei der Neuzulassung zu Beschäftigung in Deutschland Vorrang vor der Zulassung von Arbeitnehmern aus Drittstaaten zu gewähren ist; die so genannte Gemeinschaftspräferenz.

Im Rahmen bilateraler Absprachen und Vereinbarungen bestehen für einen Teil der Staatsangehörigen aus den Beitrittsländern außerdem Zugangsmöglichkeiten zur Beschäftigung als Saisonkräfte und zur beruflichen Weiterbildung. Studenten aus den Beitrittsländern, die während eines Studiums in Deutschland arbeiten möchten, dürfen einer Beschäftigung bis zu längstens drei Monaten im Jahr nachgehen. Eine Arbeitsgenehmigung ist hierfür nicht erforderlich.

Die Aussetzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit sollte nach zwei Jahren intensiv geprüft und nicht verlängert werden. Ihrem heutigen Antrag wird meine Fraktion nicht zustimmen. Auch dem Entschließungsantrag der DVU werden wir nicht zustimmen, da das Land und der Bund im Bereich der Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen schon einiges tun. Ich nenne hier nur das „Kurssystem contra Langzeitarbeitslosigkeit“. Es wäre noch um andere Dinge zu erweitern. Darüber hinaus sollten sich Unternehmen auch auf ihre Verantwortung besinnen und die Qualifikation von benötigten Potenzialen selbst übernehmen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke Ihnen, Herr Abgeordneter Lenz. - Das Wort geht an die Fraktion der DVU. Frau Abgeordnete Fechner, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es vorweg zu

sagen: Wir werden diesen skandalösen PDS-Antrag selbstverständlich ablehnen.

(Beifall bei der DVU)

Er ist ein Faustschlag in das Gesicht eines jeden Arbeitslosen, insbesondere des Langzeitarbeitslosen.

Worum geht es? Die PDS-Fraktion fordert allen Ernstes - Karneval ist ja nun vorbei -, den deutschen Arbeitsmarkt ab 1. Mai dieses Jahres für polnische Arbeitnehmer zu öffnen - ohne jede Einschränkung. So steht es in der Antragsbegründung. Geschehen soll das wohlgemerkt bei über 260 000 offiziell registrierten Arbeitslosen hier im Land Brandenburg und bei über viereinhalb Millionen statistisch ausgewiesenen Arbeitslosen im gesamten Bundesgebiet. Dann heißt es allen Ernstes in der PDS-Begründung, die Qualifikation unserer deutschen Langzeitarbeitslosen entspreche den Anforderungen der verbliebenen restlichen Betriebe nicht mehr. Werte Genossen der PDS, nehmen Sie in Ihrem sozialistischen Multikulti-Wahn eigentlich die Wirklichkeit noch wahr? Einem normal Begabten sollte so etwas eigentlich nicht passieren.

(Zuruf von der PDS)

Daraus folgere ich: Ihnen geht es wieder einmal um etwas ganz anderes. Sie handeln einmal mehr nach dem alten leninschen Motto „In der Krise liegt die Chance“ bewusst gegen die Interessen unseres Landes. Zu offensichtlich hilft Ihr Antrag allenfalls der PDS-Suppenküchenideologie und Arbeitsuchenden aus Polen, jedoch weder unseren Arbeitslosen in Deutschland noch der in der Tat notwendigen Verbesserung der Rahmenbedingungen für unsere einheimische Wirtschaft. Für Letzteres müssten Sie sich nämlich nicht von den deutschen Arbeitslosen, sondern von Ihrer sozialistischen Abgabenideologie verabschieden. Die ist nämlich mit ursächlich für die Massenarbeitslosigkeit.

(Unruhe bei der PDS)

Deshalb kann ich nur vorschlagen, werte Genossen der PDS: Geben Sie Ihre deutsche Staatsangehörigkeit ab, nehmen Sie die polnische an und kandidieren Sie dort für das Parlament!

(Zurufe von der PDS)

Für unser Land und unsere Leute wäre das nur segensreich. Es kann mir niemand erzählen, dass sich unter den vielen Arbeitslosen, die wir haben, keiner finden lässt,

(Zurufe von der PDS)

der entweder genügend qualifiziert ist oder den man für die jeweiligen Einsatzgebiete qualifizieren kann. Das gilt für alle Branchen und alle Berufsgruppen.

Zugegeben, polnische Arbeitskräfte sind zurzeit noch wesentlich billiger als deutsche und bei vielen Unternehmen werden auch finanzielle Überlegungen eine Rolle spielen. Aber das ist Folge der quasi-sozialistischen Abgabenbürokratie hier in unserem Land. Daran sind nicht die deutschen Arbeitslosen schuld, diese sind nur Opfer dieser Entwicklung. Es mag durchaus sein, dass in einigen Branchen Fachkräfte gesucht werden. Dann aber ist es die verdammte Pflicht dieses Staates,

dafür zu sorgen, dass seine eigenen Staatsbürger qualifiziert genug sind, um wieder in Lohn und Brot zu kommen.

(Beifall bei der DVU)

Wenn es nach der PDS geht, werden diese Menschen von polnischen Arbeitnehmern ersetzt. Aber nicht mit uns, meine Damen und Herren der PDS! Wir haben deshalb einen Entschließungsantrag verfasst, der die Landesregierung auffordert, alles dafür zu tun, vorrangig unsere deutschen Langzeitarbeitslosen wieder in Lohn und Brot zu bringen. Erst dann, wenn alle Deutschen, die arbeiten wollen und auch können, einen Arbeitsplatz gefunden haben, sollte es Bürgern anderer Staaten gestattet werden, hier zu arbeiten. Das ist von jeher das Prinzip unserer DVU-Fraktion und dabei soll es auch bleiben.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Fechner. - Das Wort erhält die Fraktion der CDU. Bitte, Frau Abgeordnete Schulz.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist immer wieder schwierig, nach einem solchen Beitrag überhaupt noch einen sachlichen Redebeitrag abzuliefern.

(Beifall bei SPD und PDS)

Der Kollege Lenz hat hier schon die ausgehandelten Bedingungen des EU-Beitritts Polens zum 1. Mai vorgetragen, auch bezüglich der konkreten Punkte zur Arbeitnehmerfreizügigkeit bzw. deren Einschränkung in den bekannten Zeiträumen, nämlich nach dem Prinzip „zwei plus drei plus zwei“, was heißt, dass wir die Erfahrungen, die wir mit den bestehenden Bedingungen gemacht haben, nach zwei Jahren intensiv prüfen. Da dies schon vorgetragen wurde, brauche ich auf diese Bedingungen nicht mehr im Einzelnen einzugehen, sondern mache dazu nur noch einige Bemerkungen.

Erstens muss ich meinem Erstaunen über diesen Antrag ausgerechnet von der PDS Ausdruck verleihen, und zwar gerade angesichts der heute bekannt gegebenen Arbeitsmarktzahlen. Die Brandenburger Erwerbslosenquote ist von 19,4 % auf 19,9 % gestiegen; 40,2 % der Arbeitslosen sind Langzeitarbeitslose. Guben hat übrigens nicht, wie es in Ihrem Antrag steht, 20 %, sondern exakt 25 % Arbeitslosigkeit zu verzeichnen. Das sind deutliche Zahlen.

Zweitens: Es war das Interesse des Landes und das Interesse insbesondere der Regionen, die die Einschränkungen vehement gefordert haben, um Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt vor dem Hintergrund der hohen Arbeitslosigkeit und der Zahlen, die ich gerade vorgetragen habe, zu verhindern.

Drittens: Den durchaus unterschiedlichen Interessen der Wirtschaft kann nach den heute gegebenen Regelungen, wie ich zugebe, in eingeschränktem Rahmen durchaus bereits Rechnung getragen werden. Herr Lenz hat auch dazu einiges vorgetragen. Dabei besteht allerdings die Notwendigkeit - dafür möchte ich vehement plädieren -, dass durch die entsprechenden Institutionen im Interesse der Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplät

zen unbürokratisch und schnell gehandelt wird. Die Entscheidungsfreude der Bundesagentur für Arbeit möchte ich an dieser Stelle eher kritisch bewerten, wenn ich aus meinen Erfahrungen in der Region schöpfen darf.

Viertens glaube ich, dass Ihr Antrag in der Region sehr wenig Akzeptanz finden wird und dass er auch sehr wenig vermittelbar ist, auch eingedenk dessen, dass es eine sehr schwierige Abwägung der unterschiedlichen Interessenlagen insgesamt gegeben hat.

Fünftens: Nach den mir vorliegenden Informationen sind die Aussagen und Forderungen der Bürgermeister durch diesen Antrag nicht gedeckt, insbesondere nicht durch den ersten Satz der Begründung in Ihrem Antrag, in dem Sie schreiben:

„Brandenburger Grenzstädte wünschen sich ab 1. Mai volle Freizügigkeit für polnische Arbeitskräfte.“

Das dürfte so nicht zutreffend sein, jedenfalls nach den Rücksprachen, die ich geführt habe.

Meine letzte Bemerkung zum Entschließungsantrag der DVU: Meine sehr verehrten Damen und Herren von der DVU, wie lange sind Sie jetzt im Landtag? Im fünften Jahr. Wir reden nicht erst seit fünf Jahren - wir als CDU sowieso schon viel länger - über die Qualifizierung von Arbeitskräften, insbesondere der Langzeitarbeitslosen. Es gibt dazu Programme. Es gab Evaluierungen, es gab Berichte im Ausschuss. Ich weiß also nicht, ob Sie an dieser Stelle fünf Jahre lang geschlafen haben und nicht mitbekommen haben, dass wir gerade in den letzten fünf Jahren in gemeinsamer Anstrengung in der Koalition intensivst versucht haben, auf diesem Wege voranzukommen, um die Langzeitarbeitslosigkeit gemeinsam zu bekämpfen. Ich muss sagen: Das enttäuscht mich doch recht heftig.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, natürlich.

Bitte schön, Frau Fechner.