Protocol of the Session on November 6, 2003

Antrag der Fraktion der PDS

Drucksache 3/6588

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der antragstellenden Fraktion. Herr Dr. Trunschke, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! 1985 oder kurz davor hatte die damalige griechische Kultusministerin Melina Mercouri die Idee der europäischen Kulturstädte. Seitdem gibt es eine große Zahl von Städten, die zeigen, dass die Vielfalt und die Einheit der europäischen Kultur durchaus attraktiv und darstellbar ist, angefangen mit Athen, das die erste europäische Kulturhauptstadt war, bis zu der, die es dieses Jahr ist, nämlich Graz.

Die Mitglieder unseres Kulturausschusses hatten ja im letzten Jahr Gelegenheit, sich in Brügge anzusehen, welche Attraktivität damit verbunden ist, und ich glaube, wenigstens uns wundert es nicht, dass es doch sehr viele Städte gibt, die sich um den Titel bewerben. Nun also auch die brandenburgische Landeshauptstadt, die 2010 europäische Kulturhauptstadt werden will, wenn deutsche Städte wieder am Zuge sind. Allerdings ist die Konkurrenz ziemlich groß, denn neben Potsdam bewerben sich 15 weitere Städte, darunter Augsburg, Bremen, Braunschweig, Görlitz - gemeinsam mit ihrer polnischen Schwester -, Dessau gemeinsam mit Wittenberg, Freiburg, Karlsruhe, Kassel, Köln, das Ruhrgebiet, Lübeck und Münster/Osnabrück.

Wir können also feststellen: Unsere Landeshauptstadt wird - ungeachtet ihrer reichen kulturellen Potenziale - jede denkbare Unterstützung brauchen können. Deshalb haben wir diesen Antrag eingebracht. Wir erwarten, dass der Landtag signalisiert, dass er hinter dieser Bewerbung steht. Wir erwarten natürlich auch das Engagement der Landesregierung.

Ich finde, Potsdam hat diese Unterstützung verdient. Ich brauche hier kaum zu erwähnen, wie reich Potsdam mit historischer Kultur gesegnet ist. Ich will deshalb mehr darauf hinweisen, dass Potsdam auch über ein aktuelles, gegenwärtiges kulturelles Potenzial verfügt. Dem folgen im Übrigen auch die Leitpro

jekte im Bewerberkonzept, also Schiffbauergasse, Alter Markt, Alltagskultur, Medien und Film sowie Kultur und Landschaft. Potsdams Architektur, aber auch seine Natur und Kultur ziehen Menschen an und bilden geradezu einen Kristallisationspunkt, der europäische Dimensionen hat - in der Vergangenheit, aber auch in der Gegenwart. Dies ist geeignet, Brücken von Ost nach West und umgekehrt zu schlagen.

Für Potsdam selbst ist diese Bewerbung nicht nur eine Chance, sondern auch ein Prozess mit größter Langzeitwirkung und von grundlegender Bedeutung für die künftige Entwicklung.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Stadt selbst gibt es inzwischen zahlreiche Aktivitäten und auch Gremien, die versuchen, diese Anliegen auf den Weg zu bringen. So hat sich die Stadt Potsdam sehr erfolgreich darum bemüht, bei den Landräten und den anderen Oberbürgermeistern Unterstützung zu finden. Sie hat es auch in Berlin versucht und immer diese Unterstützung gefunden, und das ist keineswegs, wie wir wissen, selbstverständlich.

Die Potsdamerinnen und Potsdamer selbst - jedenfalls ist das mein Eindruck - zeigen durchaus Aufgeschlossenheit gegenüber dem Projekt und identifizieren sich damit mit der Charakterisierung Potsdams als „Kulturstadt“. Ich weiß auch, dass Vertreter der Landesregierung längst in entsprechenden Gremien mitarbeiten, sodass auch von der Seite her ganz gute Voraussetzungen gegeben sind.

Dennoch ist bis zum Zeitpunkt der Bewerbung, nämlich im Jahre 2005, noch intensive Arbeit zu leisten. Diese Arbeit bedarf der aktiven Unterstützung durch die Landesebene. Es geht hier nicht nur um Potsdam, sondern diese Bewerbung soll ein positives Licht auf das ganze Land Brandenburg werfen. Es geht auch nicht darum, im Jahre 2010 irgendein Feuerwerk kultureller Höhepunkte abzufeuern, sondern darum, einen langfristigen, kontinuierlichen und in der Wirkung nachhaltigen Kulturentwicklungsprozess in Gang zu setzen, dessen Schwerpunkt die junge Generation sein soll.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Unter dem Arbeitsmotto „Europa bewegt Potsdam“ und der Grundphilosophie „Toleranz“ läuft die Bewerbung, die dann auf nationaler Ebene zu bewerten ist. Aus diesem Grunde ist es wichtig, dass diese Bewerbung im engen Kontakt auch mit der Bundesregierung und der Bundesebene erfolgt. Genau dafür wird die Unterstützung durch die Landesregierung gebraucht. Ich will es einmal positiv ausdrücken: Wir sehen die Landesregierung in dieser Hinsicht als ersten Botschafter Potsdams in Sachen Kulturhauptstadt 2010.

Eine entscheidende Voraussetzung, damit diese Bewerbung auch eine Chance hat, ist allerdings der Hauptstadtvertrag. Da irritiert es dann doch, dass ausgerechnet die Partei, die die Kulturministerin stellt, den Hauptstadtvertrag immer wieder infrage stellt. Ich kann nur sagen: Hören Sie damit auf!

Selbstverständlich kann nicht nur staatliches Geld eingeworben werden, sondern es ist auch privates Geld einzuwerben, damit das alles funktionieren kann.

Ich will auch darauf hinweisen, dass ein solches Projekt wie das einer europäischen Kulturhauptstadt ein Projekt von inter

nationaler Bedeutung ist und damit eher einem Marathonlauf als einem kurzen Sprint vergleichbar.

Der Zeitplan sieht Folgendes vor: Bis Ende März 2004 ist das Bewerberkonzept der Stadt an die Landesregierung einzureichen. Bis Ende Juni leiten dann die Landesregierungen ihre Vorschläge aus den eingereichten Bewerbungen an das Auswärtige Amt weiter. Von dort werden alle Vorschläge, die aus den Bundesländern kommen, dem Bundesrat übermittelt, der bis Ende 2005 eine Stellungnahme abgibt und eine oder mehrere Städte vorschlägt. Ende des III. Quartals 2005 werden den Gremien der EU der oder die deutschen Bewerber mit den zugehörigen Stellungnahmen benannt. Daraus erarbeitet eine Jury aus europäischen Gremien eine Empfehlung an den EU-Ministerrat und an die Kommission. Das Europäische Parlament hat dazu Stellung zu nehmen. Voraussichtlich Ende 2006/Anfang 2007 erfolgt dann die Nominierung durch den Europäischen Rat.

Die Stadt Potsdam muss also einen langen Atem haben, um all diese Hürden nehmen zu können. Damit ihr die Luft nicht ausgeht, bedarf es der Kraft des ganzen Landes.

Dass die Bewerbung nicht chancenlos ist, zeigt beispielsweise eine Umfrage im Internet, nach der Potsdam unter allen möglichen Bewerberstädten auf Platz 3 steht. Platz 3 heißt aber auch: Es ist noch eine ganze Menge zu tun, damit man auf Platz 1 kommt.

Ich finde, in schwierigen Zeiten muss man auch einmal ungewöhnliche und besondere Entscheidungen treffen. Die Landeshauptstadt Potsdam hat sich entschieden. Sie hat sich entschieden, sich als europäische Kulturhauptstadt 2010 zu bewerben. Ich bitte Sie: Entscheiden wir als Parlament uns dafür, sie zu unterstützen. Europäische Kulturhauptstadt Potsdam im Jahre 2010 bedeutet natürlich einen Imagegewinn für unsere Landeshauptstadt, aber auch einen Imagegewinn für das ganze Land Brandenburg.

Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort geht an die SPD-Fraktion. Für sie spricht die Abgeordnete Konzack.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Trunschke hat so viel erläutert, dass ich fast nichts mehr hinzuzufügen brauche. Aber ich möchte am Anfang doch noch einmal ganz klar und deutlich auch im Namen der SPD-Fraktion sagen: Mit seinem reichen kulturellen Erbe und seinem schon jetzt attraktiven Ambiente wäre Potsdam zweifelsohne eine würdige europäische Kulturhauptstadt und würde zu gegebener Zeit aller Unterstützung bedürfen. Alles, was Sie aufgezählt haben, unterschreibe ich an dieser Stelle.

Aber, Herr Trunschke, die Aussage, die ich jetzt gemacht habe, konterkariert keinesfalls - ich bitte Sie, das auch so wahrzunehmen -, dass ich gleichzeitig dafür plädiere, heute den Antrag der PDS abzulehnen. Dafür gibt es eine ganz nüchterne Be

gründung. Sie haben durch die Zeitschiene, die Sie genannt haben, auch schon auf diesen Grund hingewiesen. Erst bis zum Ende des I. Quartals 2004 muss die Bewerbung beim Kulturministerium vorliegen. Das bedeutet auch, dass wir Abgeordnete die Landesregierung erst dann bitten sollten, Potsdam bei der Bewerbung zu unterstützen, wenn alle wissen, wovon sie reden. Nebenbei bemerkt: Wir wollen nicht immer nach der Parole, die früher so galt, handeln: „Niemand weiß, was er soll, aber alle machen mit.“ Nach dieser Devise wollen wir nicht handeln. Ich will das nicht ins Lächerliche ziehen, aber das ist unsere Meinung.

Um Missverständnissen vorzubeugen, betone ich noch einmal: Potsdam hat zweifelsohne das Potenzial zur europäischen Kulturhauptstadt und selbstverständlich hat seine Bewerbung die politische Unterstützung verdient. Ich halte jedoch nichts davon, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun, und plädiere deshalb für die Ablehnung des PDS-Antrags. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Frau Abgeordnete, Herr Trunschke hat den Wunsch, noch eine Frage zu stellen.

Ja, stellen Sie Ihre Frage, Herr Trunschke.

Frau Konzack, könnten Sie sich vorstellen, dass wir den Antrag in den Kulturausschuss überweisen und dann zu dem von Ihnen genannten Zeitpunkt beschließen?

Das könnte ich mir vorstellen. Trotzdem plädiere ich heute für die Ablehnung; denn sonst gerieten wir wieder in die Bedrängnis, dass Sie sagten, wir ließen etwas im Ausschuss schmoren und holten es nicht an die Oberfläche. Das wäre eine zweischneidige Sache. Ich bin immer dafür, klar seine Meinung zu sagen. Deswegen sage ich: Heute lehnen wir diesen Antrag ab.

(Beifall bei der SPD)

Wir kommen zum Beitrag der DVU-Fraktion. Für sie spricht der Abgeordnete Nonninger.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das kulturelle Erbe Preußens in Potsdam kann geradezu eine Verpflichtung für unsere Landeshauptstadt sein, sich um den ehrenvollen Titel einer Kulturhauptstadt Europas zu bewerben. Diese Ehre wäre auch ein positives ideelles Ziel, auf das hinzuarbeiten sich lohnen würde, für das man Menschen mobilisieren könnte. Solche positiven Ziele sind dank der langjährigen SPD-Herrschaft in Brandenburg leider Mangelware.

Doch bevor man sich auf solch eine Aufgabe einlässt, muss geprüft werden, ob die Fundamente, auf die ein Erfolg gegründet werden kann, überhaupt tragfähig sind. Bevor Brandenburg solche Anstrengungen unternimmt, müsste mit einem umfassenden und ehrlichen Kassensturz festgestellt werden, welche Substanz überhaupt vorhanden ist, welche Finanzlöcher zu stopfen sind, ehe man sich solch ehrgeizigen Zielen widmet. Allerdings müsste die Landesregierung nach einer solchen ehrlichen Bestandsaufnahme vermutlich den Bankrott des Landes erklären. Sie drückt sich nicht umsonst davor.

Es ist für den Nachfolger der SED, die Potsdam mit ihren sozialistischen Hochhäusern verschandelt hat, leicht, das Land zur Unterstützung für die Landeshauptstadt aufzufordern.

(Beifall bei der DVU)

Wie üblich sparen Sie sich jeden Hinweis darauf, wie diese Unterstützung bezahlt werden soll. Herr Ministerpräsident Platzeck, der leider nicht anwesend ist, als ehemaliger Oberbürgermeister von Potsdam und derzeitiger Landesvater von Brandenburg wird sicherlich die Bewerbung Potsdams zur Kulturhauptstadt Europas 2010 unterstützen, soweit dies der Landeshaushalt zulässt. Für ein paar nette Briefe des Herrn Ministerpräsidenten und ein paar Aktivitäten der brandenburgischen Landesvertretung muss man nicht den Landtag bemühen. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der DVU)

Das Wort erhält der Abgeordnete Dr. Niekisch, der für die CDU-Fraktion spricht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kann gar kein Zweifel daran bestehen, dass die Koalition des Hauses, also auch die CDU im Land und in der Stadt, das Ansinnen unserer Landeshauptstadt Potsdam, im Jahr 2010 Kulturhauptstadt Europas zu werden, begrüßt und in vollem Umfang unterstützt.

Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der PDS, kommt jedoch leider zur Unzeit, weil die Potsdamer fleißig dabei sind, eine Konzeption zu erarbeiten. Sie ist aber noch nicht fertig. Sie haben dieses Ansinnen und dieses Anliegen noch nicht an den Landtag und die Landesregierung herangetragen. Sobald sie das tun, werden wir selbstverständlich darüber nachdenken, inwiefern wir geistig, logistisch und, wenn es irgendwie zu verantworten ist, auch finanziell der Landeshauptstadt Potsdam helfen.

Die Situation ist die: Im Jahr 2010 ist Deutschland an der Reihe, die Kulturhauptstadt Europas zu stellen. Bis zum Frühjahr 2004 müssen die Konzeptionen abgegeben werden. Sie werden dann auf nationaler Ebene geprüft. Der Europäische Rat ist derjenige, der im Jahr 2005 endgültig entscheidet, welche Stadt den Zuschlag erhält. Die Stadt Potsdam hat gute Chancen. Herr Trunschke hat darauf hingewiesen, dass Potsdam auf Platz 3 rangiert. Aber wir sind nicht konkurrenzlos. Es gibt gute Konzeptionen, die schon relativ weit entwickelt worden sind, im Rhein-Rhur-Raum, von Lübeck, von Braunschweig, aber auch von der Lutherstadt Wittenberg oder von Görlitz mit ihrer pol

nischen Partnerstadt auf der anderen Seite der Neiße. Wenn Sie einmal die Internet-Präsentationen durchblättern oder sich die Flyer ansehen, können Sie feststellen, dass sie relativ weit gehen und Potsdam bisher lediglich eine Präsentation mit einer Frage hat: Warum Kulturhauptstadt Europa 2010?

Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Frage von Herrn Trunschke zu?

Ich möchte erst einmal den Gedanken zu Ende bringen; danach vielleicht, wenn ich noch Zeit habe.

Ich nehme das der Stadt nicht übel. Der Herr Oberbürgermeister ist noch relativ jung im Amt. Es waren auch sehr viele Wahlkämpfe zu führen, sodass man noch nicht weit gekommen ist. Aber hier muss dringend nachgelegt werden, damit wir eine richtige Konkurrenzsituation haben und bestehen können. Denn allein deshalb, weil wir eine russische Kolonie, ein französisches Quartier, ein böhmisches Dorf und ein holländisches Viertel haben, sind wir noch nicht Kulturhauptstadt Europas. Die Konzeption muss verbessert werden und noch deutlich an Profil gewinnen.

Zum Schluss möchte ich gern eine Bemerkung an die Adresse der PDS-Fraktion richten. Die Stadt Potsdam gehört zum Weltkulturerbe. In den 90er Jahren hätte sie durch Ihren politischen Anteil beinahe den Status des größten Weltkulturerbedenkmals in Deutschland verloren. Bedenken Sie auch, was Ihre Vorgängerpartei in dieser Stadt alles vernichtet hat. Im alten Rathaus prangt ein Spruch von Hans Marchwitza: „Kultur ist jeder zweite Herzschlag unseres Lebens.“ Für Ihre Partei bzw. Vorgängerpartei war die Kultur in Potsdam jeder zweite Sprengsatz ihrer Existenz. Ich will gern noch einmal aufzählen, was hier alles vernichtet worden ist: Die Betlehem-Kirche, das historische Palasthotel, das historische Hotel „Stadt Königsberg“, das Palais Barbarini, das Stadtschloss, die Garnisonkirche mit Plantage, die Heiliggeistkirche, der Plögersche Gasthof, das große Säulenhaus, die alte Post und vieles andere mehr - Dinge, die heute auf der Liste des Weltkulturerbes stehen würden. Sie haben in der Stadt so einen kleinen kommunistischen Funktionär, der heute noch das Stadtschloss gegen Kinder und Neubaugebiete, gegen den Aufbau der Innenstadt ausspielt.