Protocol of the Session on November 5, 2003

Insofern müssen gerade die Jugendlichen, damit sie die von uns auf die Zukunft aufgenommenen Lasten und Hypotheken zurückzahlen können, besonders gut ausgebildet werden.

Frau Faderl lässt kein Fädchen Gutes an dem, was die Koalition macht, doch das geht, Frau Faderl, auch ein wenig zulasten der Wahrheit. Denn Wahrheit ist, dass wir - erst recht mit den von der SPD auf ihrer Fraktionssitzung beschlossenen Mitteln für die Ausfinanzierung, die Herr Senftleben dankenswerterweise mit großem Nachdruck bestätigt hat - im bundesweiten Vergleich wieder mehr machen als viele andere Länder. Die Sachsen zum Beispiel haben sich von mir den Haushalt zeigen lassen, ehe sie geglaubt haben, dass wir als Land in dieser Weise in die Verantwortung mit und für unsere Kommunen gehen.

Herr Senftleben, Sie haben völlig Recht, ich will das ausdrücklich bestätigen: Das ist ein Programm für die Finanzierung des Ehrenamtes; denn an jeder der von uns mitfinanzierten Stellen im 610-Stellen-Programm hängen drei, vier, an vielen Stellen sogar fünf und mehr Jugendliche, die durch diese Organisation ehrenamtlich tätig werden können.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD - Zurufe von der PDS)

Die Abwanderung der Jugend, besonders von Jugendlichen aus dem ländlichen Raum, kann von uns nicht genug beobachtet werden;

(Zurufe von der PDS)

denn es ist die zentrale Herausforderung für unsere Politik und unsere Gesellschaft, den jungen Menschen hier Perspektiven zu bieten.

Sie alle kennen die Fülle von Aufgaben und Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. Es muss deutlich gesagt werden: Die Abwanderung der Jugend beginnt früh, und zwar im Kopf. Denn was soll ein Jugendlicher in den dünn besiedelten Regionen unseres Landes denken,

(Anhaltende Unruhe)

wenn die ohnehin dürftigen Freizeitangebote in seinem Wohnumfeld reduziert werden? Natürlich denkt er: Die haben uns schon abgeschrieben! - Denn Jugendliche haben feine Antennen für die Signale, die von Kürzungen in der Jugendarbeit ausgehen, und Jugendliche stellen hohe Ansprüche an ihre Freizeitmöglichkeiten.

Dennoch, nein: gerade deswegen werden wir in der Jugendarbeit umsteuern müssen. Wir werden Strukturen verändern müssen, weil aufgrund des Geburtenrückgangs nach der Wende die Herausforderung an ein finanzierbares Angebot für die Jugend als drängendes Problem auf der Hand liegt. Es ist notwendig, dies als Prozess und vor allen Dingen mit den Jugendlichen zu gestalten.

Der Grundansatz bei der Einführung des 610-Stellen-Programms war, dass wir die Kommunen, indem wir ein Drittel der Stellen mitfinanzieren, in die Lage versetzen, dauerhaft Stellen besetzen zu können. Das war im Jahr 1996, zu dem Zeitpunkt, als wir die größte Zahl von Jugendlichen im Land Brandenburg hatten. Bei den Jugendlichen im Alter von 14 bis 21 Jahren ist diese Zahl seitdem sogar gewachsen und erreicht gerade jetzt den Höhepunkt. Deshalb bin ich dankbar, dass die Kürzung nicht jetzt vorgenommen wird, sondern erst zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die Zahl der Jugendlichen sich auf die Hälfte bzw. auf weit weniger reduziert.

(Frau Faderl [PDS]: Aber die Probleme sind doch trotz- dem da!)

Wir werden in Brandenburg deshalb dieses 610-Stellen-Programm brauchen, um die Qualität des Ehrenamtes gerade jetzt, zu dem Zeitpunkt, zu dem wir mit dem Ganztagsschulprogramm den Kommunen und den Schulen mehr Möglichkeiten bieten, Jugendliche auch am Nachmittag zu betreuen, zu erhöhen. Die Herausforderungen sieht man am deutlichsten zum Beispiel in der Prignitz. Wir haben dort zurzeit acht weiterführende Schulstandorte. Wir werden dort perspektivisch fünf, vielleicht nur vier, vielleicht sogar nur drei weiterführende Schulstandorte haben.

Gerade dann wird es notwendig sein, in der Prignitz an diesen Standorten mit der Sportjugend, mit der Jugendhilfe neue und bessere Bildungs- und Betreuungsangebote zu organisieren, und zwar nicht als Ersatz für das, was Eltern machen. Die Eltern haben nach Artikel 6 des Grundgesetzes die herausragende und vornehme Pflicht und das Recht - mit diesem Recht kor

respondiert eben die Pflicht -, ihre Kinder, die heranwachsende Generation, zu betreuen. Aber das ist das Problem von heute und betrifft nicht die Jugend, sondern die Eltern, auch und insbesondere meine Generation, die dazu in Ost und West weniger in der Lage sind, als die Generationen vor ihnen.

(Frau Kaiser-Nicht [PDS]: Wie aber kommt das?)

Im Westen hängt das mit der 68er Generation zusammen, bei uns im Osten damit, dass diese Generation vor allem auf Selbstverwirklichung orientiert worden ist. Junge Menschen in meinem Alter - wenn ich das einmal so sagen darf, obwohl meine Frau mir da nicht ganz zustimmen würde - haben eben, wenn sie Selbstverwirklichung als ihr zentrales Ziel ansehen, nicht mehr so viel Zeit für die heranwachsende Generation wie die Generationen davor. Deshalb müssen wir dem Staat, der Jugendhilfe die Möglichkeit geben, diesen Eltern, die ihre Pflicht nicht mehr in der Weise erfüllen wie andere vor ihnen, an dieser Stelle zu helfen, damit Jugendliche Perspektiven bekommen.

Wir werden in den nächsten Jahren auch eine Vielzahl von Jugendlichen haben, die an unseren Oberstufenzentren ausgebildet worden sind, die diese Angebote aus dem 610-Stellen-Programm, aber eben auch die von den Kommunen in Alleinverantwortung zur Verfügung gestellten Stellen besetzen können.

Ein Hauptaugenmerk der fachlichen Diskussion im Land Brandenburg lag in den letzten Jahren auf der Entwicklung im ländlichen Raum, denn dort vollzieht sich der überwiegende Teil der Jugendarbeit in den Einrichtungen, die von Jugendlichen selbst gegründet worden sind und auch von ihnen betrieben werden. Diese Form der Selbsthilfe und das dadurch geweckte ehrenamtliche Potenzial bedürfen der fachlichen Anleitung und Begleitung. In einem langen Arbeitsprozess ist durch und für die aus dem 610-Stellen-Programm finanzierten Jugendkoordinatoren im ländlichen Raum ein Leitbild für die Arbeit und eine fachliche Grundlage für das System der Jugendkoordinatoren entwickelt worden, das heute angesichts der demographischen Entwicklung eine herausragende Bedeutung annimmt. Wir werden uns angesichts des Rückgangs der Zahl der Jugendlichen leider damit abfinden müssen, dass wir uns hauptamtliche Angebote der Jugendarbeit im ländlichen Raum am Ende dieses Jahrzehnts kaum noch werden leisten können. Umso mehr müssen wir darauf achten, dass mit gut angeleiteten, selbstverantworteten Jugendklubs eine gute Arbeit auch in Zukunft möglich sein wird.

Eine weitere Wirkung möchte ich an dieser Stelle zusätzlich hervorheben: Das 610-Stellen-Programm hat zur langfristigen Absicherung und Qualitätssteigerung der Sozialarbeit an den Schulen geführt. Wir haben mittlerweile auf diese Weise mehr als 120 Stellen für Sozialarbeiter an den Schulen finanziell abgesichert. Denn gerade jetzt, wo wir die Ganztagsangebote ausweiten, können wir durch die Schulsozialarbeiter eine Vielzahl von Jugendfreizeitangeboten in die Schulen holen. Jugendfreizeitangebote haben nicht nur einen Betreuungsauftrag, sondern auch einen gleichberechtigten Bildungsauftrag. Jugendhilfe ist in gleicher Weise auch immer Bildungsarbeit; denn - das hat die Streitschrift des Bundesjugendkuratoriums deutlich nachgewiesen - Jugendarbeit hat einen formalen, einen informellen und einen nonformellen Bildungsauftrag, den sie gerade hier in Brandenburg auch im nachmittäglichen Bereich in hoher Qualität wahrnimmt.

Wir werden deshalb die guten Beispiele von den Grundschulen in Jüterbog und Eichwalde, aber auch von den beiden Ganz

tagsschulen hier in Potsdam, der Voltaire- und der Lenné-Schule, anderen Schulen zur Nachahmung empfehlen. Ich habe darauf gedrungen, dass wir unser Ganztagsstellenprogramm nur den Stellen und nur den Schulen zur Verfügung stellen, die im Bereich der Jugendhilfe Kooperationen mit mindestens drei Partnern auf den Weg gebracht haben. In Zukunft werden es sogar mehr Kooperationen sein müssen, um die Zuwendungen für die Investitionen zu bekommen.

Wir werden auch im Zusammenhang der von mir mit dem Landesjugendhilfering geschlossenen Vereinbarung den Rahmen finden, in dem diese Organisation der Kooperation von Schule und Jugendhilfe gut ausgeweitet werden kann.

(Zuruf von der PDS: Das wird noch schlimmer werden!)

Wir haben eine weitere Herausforderung, die an dieser Stelle deutlich benannt werden muss, weil wir nämlich zwischen 1996 und 2001 den Anteil von Minderjährigen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, von 4 % auf über 10 % haben anwachsen lassen müssen. Folgender Herausforderung müssen wir uns - neben der demographischen Entwicklung - stellen: Wenn Jugendliche gerade in ihrer sensibelsten Zeit die Erfahrung machen, zum Beispiel im Südosten unseres Bundeslandes, wo das zurzeit jeder zehnte junge Mensch erlebt, dass das, was seine Eltern mit ihren Händen erarbeiten, nicht mehr für das Existenzminimum der Familie ausreicht, wenn das eine prägende Erfahrung für Jugendliche ist, dann müssen wir ihnen gerade im Rahmen der Jugendhilfe eine Möglichkeit schaffen, damit sie trotz dieser für sie prägenden Erfahrung Lust und Bereitschaft bekommen, einen Beruf zu ergreifen und in diesem Beruf für ihre eigene Existenz Verantwortung zu tragen, damit wir nicht mithelfen, dass diese kurzzeitige Krisenerfahrung für Einzelne das ganze Leben prägt. Noch kann niemand sagen, wie sich das auf diese Jugendlichen auswirken wird. Aber eines lässt sich schon jetzt auf jeden Fall sagen: dass hierbei die Instanzen öffentlicher Bildung und Erziehung, das heißt die Kindertagesstätten, die Schulen, die Jugendarbeit und die Jugendsozialarbeit, gefordert sind, die jungen Menschen bei der Entwicklung eigener Perspektiven mit aller Kraft zu unterstützen.

Wir müssen in der Bildungspolitik - das wissen wir seit PISA und IGLU, aber auch schon seit der TIMS-Studie - deutlich bessere Ergebnisse haben. Deshalb brauchen wir diese engere Kooperation von Schule und Elternhaus. Deshalb habe ich mit dem Landeselternrat die Vereinbarung geschlossen, die wir umsetzen und mit deren Hilfe wir mehr Eltern für die Erziehungs-, Betreuungs- und Bildungsarbeit in den Schulen gewinnen und zugleich - mithilfe der langfristigen Sicherstellung des 610-Stellen-Programms - auch die Verantwortung dafür übernehmen, dass Schule und Jugendhilfe besser zusammenarbeiten und zusammenkommen - auch in den Zeiten des demographischen Rückgangs, in denen wir in vielen Teilen des Landes perspektivisch nur noch die Hälfte, in manchen Teilen sogar nur noch ein Viertel der Jugendlichen haben und in denen wir ihnen in diesen Regionen attraktive Angebote zur Verfügung stellen müssen.

Insofern sind wir auch und gerade wegen knapper Kassen in der Verantwortung, die Jugendarbeit fortzuführen und ihre Qualität, wo es irgend geht, zu steigern. Die Jugend Brandenburgs ist unsere Zukunft. Deshalb bleibt die Koalition - aber nicht nur die Koalition, sondern das ganze Parlament - hierfür in der Verantwortung und ich bin Ihnen dankbar, wenn wir in den nächsten Wochen die Voraussetzungen dafür schaffen, für 2004 und 2005

den Kommunen und damit der Jugend in unserem Land das 610-Stellen-Programm in ungekürzter Form zur Verfügung zu stellen. Dafür von meiner Seite, aber auch namens des Landesjugendhilferings herzlichen Dank. - Vielen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke Herrn Minister Reiche. Ich gebe das Wort noch einmal an die Fraktion der PDS, an den Abgeordneten Hammer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Siebke, wir haben gerade erfahren, dass Sie sich noch in der Koalitionsabstimmung befinden, das heißt, wir dürfen gespannt sein, ob alles so eintrifft, wie Sie, Herr Reiche, es gesagt haben.

Um seine Gottesfürchtigkeit zu beweisen, hatte Abraham seinen Sohn Isaak zu opfern. Als er loszieht gen Morija weiß er noch nicht, dass Gott ihn entlasten wird. Will sagen: Wer ein Opfer zum Brandplatz bringt, muss damit rechnen, dass es geopfert wird. Dass es seit Jahren SPD-Regierungsstil ist, Haushaltstitel zur Disposition zu stellen, um sie dann als vermeintliches Wahlgeschenk wieder in den Haushalt aufzunehmen, hat sich im Land längst herumgesprochen.

(Beifall bei der PDS)

Die Wählerinnen und Wähler haben es Ihnen quittiert. Es zeugt weder von Größe noch von Geschick, geschweige denn von politischer Weitsicht, wenn das 610-Stellen-Programm auf dem politischen Altar zum Schlachten angeboten wird in der Hoffnung, dass es ein größerer Geist retten möge. Sie wollen das Programm fortsetzen; doch den größeren Geist bewies wieder einmal die Basis. Der Protest der Vereine, Träger und Verbände, der Jugendämter, des Landesjugendrings und nicht zuletzt des Städte- und Gemeindebundes haben ihren Schwenk erwirkt.

(Beifall bei der PDS)

Die Aussicht auf den Erfolg einer Klage, die Zusagen bis 2005 betreffend, haben uns das Programm erst einmal erhalten. Es hat also nichts mit Einsicht zu tun. Der Protest hat gestoppt, was schon mit dem Doppelhaushalt 2001/2002 begann. Schon damals wurde die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Summe von 26 Millionen DM auf 23 Millionen DM reduziert. Wir sind gespannt, welche Löcher die avisierten 1,1 Millionen Euro, die durch die Einsparung von 100 Stellen erreicht werden sollten, reißen werden.

Die engagierten Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter vor Ort wissen: Eine verlässliche sozialraumorientierte Jugendarbeit hat immer auch eine innenpolitische Dimension. Vielleicht, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, müssen Sie sich einmal den Vorwurf gefallen lassen, dass in Zeiten der Koalition jugendpolitisch abgerüstet und innenpolitisch aufgerüstet wurde.

(Beifall bei der PDS)

Während die Mittel im Landesjugendplan trotz Festschreibung im Koalitionsvertrag ständig reduziert worden sind - ich nenne

die Stichworte Jugendbegegnung, Jugendbildung und Investitionen -, stehen dem Innenminister immer mehr Mittel zur Verfügung. Das Spektrum reicht von der Erhöhung von Beamtenbesoldungen über überdimensionierten Technikbedarf bis hin zur ständigen Erhöhung der Mittel für den Verfassungsschutz. Begleitet wird das durch ein Klima verbaler Aufrüstung. Heute haben wir nur die Jugendpolitiker gehört. Höhere Strafen, polizeiliche Zuführung von Schulverweigerern, elektronische Fußfesseln - wollen Sie sich durch Funküberwachung bestätigen lassen, dass die Schulwege im Land Brandenburg immer länger und teurer werden?

(Beifall bei der PDS)

Für den Jugendsozialbereich hatte der Innenminister während seines Wahlkampfauftritts in Frankfurt (Oder) nur eine einzige Empfehlung: das Ehrenamt. Heute haben wir, unter anderem von Frau Redepenning, viel von Querschnittsaufgaben, Inhalten und anderen Ansprüchen gehört. Das alles kann nicht ehrenamtlich geregelt werden. Es scheint aber auf alle Fälle Programm der CDU zu sein. Herr Schönbohm, ein großer Teil der Restjugend unseres Landes ist ohnehin an das Ende der Nahrungskette geraten. Erinnert sei an den Kinder- und Jugendbericht und daran, dass immer mehr junge Menschen von der Sozialhilfe leben müssen; Herr Reiche hat es gesagt.

Erinnert sei auch an die Ausbildungs- und Arbeitsmarktsituation. Die Gestaltung von Jugendfreizeit kompensiert nur teilweise, was seine Ursache in Perspektivlosigkeit hat. Nein, der Erhalt des 610-Stellen-Programms - das war übrigens heute das Thema; wir haben viel über Schule und anderes gehört - ist das Mindeste, was Sie der Jugend im Land Brandenburg schuldig sind.

(Beifall bei der PDS)

Herr Ministerpräsident Platzeck, Sie haben gesagt:

„Die SPD muss sich stärker von der CDU abgrenzen.“

Das stimmt! Brandenburgs Jugend hat genau das bitter nötig. Sonst bleibt von der vom Vorgänger Manfred Stolpe postulierten brandenburgischen Toleranz nur eines übrig: pantoffeltierische Gesichtslosigkeit.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke dem Abgeordneten Hammer und gebe das Wort noch einmal an die Fraktion der SPD. Für sie spricht Herr Abgeordneter Zimmermann.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Oder soll ich lieber sagen: Liebe Sportlerinnen und Sportler?