Protocol of the Session on November 5, 2003

Das, Frau Redepenning, wäre eigentlich Ihr Auftrag gewesen.

(Widerspruch bei der SPD)

Am 28. September lautete die Schlagzeile: „Landjugend mit Minister Reiche einig - Abgeordnete hoffentlich klüger als das Kabinett!“ Was war passiert? Im Zuge der weiteren Konsolidierung des Landeshaushalts hatte das Kabinett am 26.08.2003 die Einsparung von insgesamt 1,1 Millionen Euro im Landesjugendplan und damit die Reduzierung der Zuschüsse für über 100 Sozialarbeiterstellen beschlossen.

Somit hält sich die Regierung aus SPD und CDU des Landes Brandenburg zum wiederholten Male nicht an ihre Koalitionsvereinbarung - Punkt 3.5.1: Verstetigung des Landesjugendplanes für die gesamte Legislaturperiode.

Die Fraktionen von SPD und CDU schauten zwei Monate lang zu, wie die Kommunen und die freien Träger wohl mit dieser Botschaft umgehen würden. Unverantwortlich angesichts fehlender Ausbildungs- und Arbeitsplätze für junge Menschen, der Flucht Jugendlicher und junger Erwachsener aus dem ländlichen Raum, der steigenden Bedarfe im Bereich Hilfe zur Erziehung und der Diskussion um PISA! Unverantwortlich, wenn man weiß, dass stabile und vertrauensvolle Kommunikation in Erziehung, Betreuung und Bildung verlässliche und motivierte Partner braucht.

(Beifall bei der PDS)

Unverantwortlich angesichts schon getätigter Investitionen in Modellprojekte, deren Umsetzung jetzt anstünde. Investitionen zum Beispiel in das Modellprojekt „Primäre Prävention durch Familienbildung, -förderung und -beratung im Land Brandenburg“ bedeuten Aufbau und Festigung von Strukturen, Vernetzung freier und staatlicher Träger des sozialen, gesundheitlichen, schulischen und des Jugendhilfebereichs. Was aber tut die Landesregierung? Sie stellt ihre eigenen Bemühungen, nämlich die Erhöhung der Personalkontinuität und des Qualifikationsstandes der beschäftigten Fachkräfte in der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit, infrage.

Die im Landesjugendplan beabsichtigten Kürzungen bedeuten konkret für den freien Träger im Jugendklub weniger oder keine Zeit für die Zusammenarbeit mit Schulen und Sportvereinen, bedeuten fehlende Sozialarbeiter für die Ferienfreizeit und den erlebnispädagogischen Bereich, die Verkürzung der Öffnungszeiten zulasten der „Lücke-Kinder“, weniger Gremienarbeit in den Arbeitsgemeinschaften der Jugendhilfe nach KJHG. Für die Jugendarbeit im Sport bedeutet dies eine geringere Koordinierung mit Sportvereinen, Kitas und Schulen, fehlende Verantwortlichkeit für die Auslastung der Sportmobile der Stadt- und Kreissportbünde, die Reduzierung der Fort- und Weiterbildung der Sportjugend, bedeuten für die Jugendkultur weniger Kultur

pädagogen für Schul- und Klassenprojekte, Wegfall von Kursen für Kinder und Jugendliche am Nachmittag.

(Klein [SPD]: All diese Gräueltaten werden durch unsere Beschlüsse verhindert. Dies hier aufzuführen ist völlig ir- relevant!)

Für die Schulsozialarbeit bedeuten die beabsichtigten Kürzungen die Beeinträchtigung der Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen Schülern, Sozialarbeitern, Lehrern und Eltern, bedeuten vor allem für den ländlichen Raum fehlende Jugendkoordinatoren als Ansprechpartner und Berater, fehlende Verantwortlichkeit für das Spielmobil. Das Ehrenamt ist ohne fachliche Begleitung. Projekte brechen weg. Einrichtungen sind ohne fachliche Verantwortung. Schon jetzt betreuen Sozialarbeiter und Sozialpädagogen im ländlichen Raum bis zu 20 Jugendeinrichtungen und Ortsteile über ihre Arbeitszeit hinaus, zum Teil ohne Fahrtkostenerstattung.

Das Land Brandenburg belegt in Deutschland den vorletzten Platz auf dem Attraktivitätsindex der Studie „Standortqualität Unternehmerfreundlichkeit der Bundesländer im Vergleich“. Unternehmen investieren nämlich nur dann in Regionen, wenn dort ein stabiles soziales Klima herrscht. Die Schlussfolgerung kann deshalb nur sein: Rücknahme der kurzsichtigen, volkswirtschaftlich unsinnigen Kürzungen im Landesjugendplan, die völlig an der Realität und an den Erfordernissen vorbeigehen.

(Beifall bei der PDS - Klein [SPD]: Dem haben wir statt- gegeben! Sie hätten sich die letzten fünf Minuten sparen können!)

Verlässliche Kofinanzierung im 610-Stellen-Programm als Anerkennung der engagierten Sozialarbeit vor Ort! - Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Faderl. - Ich gebe der Fraktion der CDU das Wort. Herr Abgeordneter Senftleben, bitte sehr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

(Zuruf von der CDU: Der erste Jugendliche!)

Vor wenigen Monaten haben wir im Brandenburger Landtag sehr intensiv über den 3. Kinder- und Jugendbericht unter dem Titel „Aufwachsen im Land Brandenburg“ diskutiert. Es liegt in der Natur der Sache, dass die einzelnen Fraktionen verschiedene Schlussfolgerungen aus dem Bericht gezogen haben. Es gibt aber auch Punkte, in denen sich die Fachpolitiker einig waren. Erstens: Wir brauchen qualifizierte Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit. Zweitens: Wir brauchen politische Entscheidungen für die Jugendverbände. Drittens: Wir brauchen eine angemessene Finanzausstattung. Viertens: Wir setzen auf die Jugend.

(Beifall bei der CDU - Frau Kaiser-Nicht [PDS]: Dann machen Sie mal!)

- Ich komme noch darauf zu sprechen.

Jugendarbeit ist vielfältig in ihren Erscheinungsformen, lebt von der Verbindung hauptamtlicher und ehrenamtlicher Tätigkeit, bietet den jungen Menschen Möglichkeiten sinnvoller Freizeitgestaltung und leistet damit einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft. Leider ist - das betone ich nicht zum ersten Mal - das Gesamtvolumen des Landesjugendplans in den zurückliegenden Jahren um fast 25 % geschrumpft.

(Frau Kaiser-Nicht [PDS]: Wer war denn das?)

Diese Reduzierung müssen sowohl die Träger, die Einrichtungen als auch die Jugendverbände verkraften. Darauf sind wir nicht stolz, sondern bedauern dies. Wir müssen uns aber auch den finanziellen Realitäten stellen.

Meine Damen und Herren! Im September haben die Fachkollegen im gemeinsamen Arbeitskreis der Koalition einen Änderungsantrag zum Landesjugendplan und damit zum 610-Stellen-Programm beschlossen. Diesen Änderungsantrag gilt es jetzt sachlich und fachlich qualifiziert zu beraten und seine Umsetzung zu unterstützen. Dazu wünsche ich uns in der Koalition eine lebhafte und vernünftige Diskussion.

(Beifall bei der CDU - Zuruf der Abgeordneten Kaiser- Nicht [PDS])

Meine Damen und Herren! Frau Kaiser-Nicht, seit 1996 hat das Land Brandenburg ca. 40 Millionen Euro für das 610-StellenProgramm bereitgestellt. Nach aktuellen Planungen soll die Förderrichtlinie bis Ende 2005 in Kraft bleiben, da sie - ich habe dies schon betont - große Bedeutung für die Jugendarbeit hat. Zum Beispiel konnten mit ihrer Hilfe die Trägerlandschaft stabilisiert sowie die Vernetzung und Kooperation von Trägern und Fachkräften positiv beeinflusst werden.

Eine im Jahre 1999 durchgeführte Untersuchung zeigt, dass wir das 610-Stellen-Programm brauchen, da es eine wirkungsvolle Methode ist, die Grundausstattung der Jugend- und Jugendsozialarbeit zu sichern. Die Untersuchung hat jedoch auch gezeigt, dass es auch in diesem Programm Veränderungen gibt. Zum Beispiel wurden in den Landkreisen kaum Diskussionen geführt, um regional Stellenkontingente über dieses Landesprogramm hinaus zu erschließen. Zudem führte das 610-Stellen-Programm mancherorts trotz klarer Grundlagen zu einer starken Personalfluktuation.

Der Landesjugendring beklagte auf einer Tagung vor wenigen Wochen, dass ca. 20 % der Mittel des Programms für Schulsozialarbeit aufgewendet werden, und schlug eine Entkoppelung vor - ein Hinweis, den wir prüfen sollten.

Meine Damen und Herren, in den nächsten 12 Jahren wird die Zahl der Jugendlichen im Land Brandenburg im Alter zwischen 14 bis 18 Jahren von heute ca. 150 000 auf knapp 90 000 sinken. Dies verdeutlicht, vor welch großen Herausforderungen wir in der Jugendarbeit stehen. Die Trägerlandschaft wird sich verändern. Die Jugendverbände werden ihre Mitgliederzahlen von derzeit über 300 000 nicht halten können. Die Finanzierung der allgemeinen Infrastruktur für unsere Jugendlichen wird schwieriger.

Was verlangt die CDU von einer zukunftsfähigen Jugendarbeit? Erstens: Es muss stärker auf die regionalen Bedingungen geachtet werden. Mittelfristig ist eine Verlagerung auf die kom

munale Ebene notwendig, die natürlich mit finanziellen Ressourcen des Landes Brandenburg unterstützt wird.

Unser Ziel, ein flächendeckendes Angebot an so genannten Amtsjugendpflegerstellen zu schaffen, geben wir nicht auf.

Zweitens: Wir haben eine wachsende Zahl von Jugendeinrichtungen im Land. Ein sehr großer Teil von ihnen wird von jungen Menschen ehrenamtlich betreut. Dieses Ehrenamt muss auch im Hinblick auf die Entwicklung in der ganzen Republik eigenverantwortlich gestärkt werden. Die Kommunen können die ehrenamtlichen Tätigkeiten durch Anreize unterstützen.

Drittens: Ehrenamt braucht auch professionelle und qualifizierte Partner. Das 610-Stellen-Programm muss deshalb im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten fortbestehen.

Viertens: Kinder und Jugendliche müssen stärker an Planungsund Entscheidungsprozessen in den Kommunen und im Land Brandenburg beteiligt werden. Es gibt sehr viele gute Beispiele, zum Beispiel Kinder- und Jugendparlamente.

Fünftens: Bei näherer Betrachtung sind sehr viele Angebote im Land dem toleranten, gewaltfreien Gedanken verpflichtet, obwohl Jugendliche im täglichen Leben ganz andere Sorgen und Nöte haben. Aus meiner Sicht ist angesichts der Kassenlage eine Bündelung und Konzentration der Maßnahmen notwendig. Hierbei schließe ich auch die Integrationsbemühungen bezüglich junger Aussiedler ein.

Sechstens: In der fachlichen Entwicklung der Jugendarbeit und Jugendhilfe muss die Qualität der öffentlichen und freien Träger zunehmend Bedeutung erhalten. Dazu gehört auch eine Qualitätskontrolle.

Siebentens und damit letztens: Wir unterstützen die Jugendverbände, denn diese sind letztendlich genau die Stelle, wo Jugendliche Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung finden können.

(Zuruf von der PDS: Schöne Wahlkampfrede, aber nichts Wirkliches!)

Meine Damen und Herren, die brandenburgischen Jugendlichen sind leistungsbereiter geworden. Unsere Jugendlichen verkörpern steigenden Zukunftsoptimismus, das heißt, das Selbstwertgefühl der Jugendlichen steigt.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Eine wachsende Gruppe junger Menschen lehnt Gewalt ab. Diese Entwicklung in diesem Land müssen wir positiv betrachten und auch einmal lobend und freudig erwähnen.

(Beifall bei der CDU)

Es gibt aber auch die Gewissheit, meine Damen und Herren, dass es eine gewalttätige Risikogruppe von ca. 10 bis 15 % der Jugendlichen gibt. Also können wir auch von einer Spaltung unserer Jugend sprechen, einer Spaltung, die wir missachten und die wir durch Entscheidungen verhindern müssen, die sicherlich auch in Zukunft zur Veränderung der Jugendarbeit führen werden.

Deshalb sage ich mit klarer Betonung: Die CDU möchte nicht

einseitig auf Jugendarbeit abheben und nicht einseitig von Jugendarbeit sprechen, sondern auch Fragen von Elternkompetenz, von Erziehungsdefiziten und Erziehungsberatungen betrachten. Der Jugendklub, der Jugendverband und all die anderen Möglichkeiten ersetzen kein Elternhaus.

(Beifall bei der CDU)

Sie ersetzen keine Erziehung und Wertevermittlung in den Familien. Das heißt, der Schaden, der in einer Familie verursacht wird, läßt sich nicht durch staatliche Möglichkeiten reparieren.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Kinder und Jugendliche, die zu wenig Zuwendung erfahren, die das Gefühl haben, dass Eltern keine Zeit für sie haben, suchen Familienersatz, aber nicht immer den richtigen. Auch die engagierteste Erzieherin, der beste Pädagoge und der Sozialarbeiter können die intakte Familie als soziale und emotionale Basis einer gesunden Entwicklung von jungen Menschen nicht ersetzen.