Protocol of the Session on August 28, 2003

Bundesratsinitative zur Änderung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl. I S. 1) - BGBl. III/FNA 100-1, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 96) vom 26.07.2002 (BGBl. I S. 2863) - GG

Antrag der Fraktion der DVU

Drucksache 3/6262

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der beantragenden Fraktion. Herr Abgeordneter Schuldt, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Durch den Konvent für die Zukunft Europas soll die Erarbeitung einer zukünftigen EU-Verfassung demokratisch legitimiert werden. Demokratische Legitimation heißt, so ist zumindest das Demokratieverständnis unseres Grundgesetzes, eine ununterbrochene Legitimationskette staatlicher Entscheidungen und Normen vom Bürger bis hinauf zu den Verfassungsorganen.

Wie sieht es jedoch mit der demokratischen Legitimation einer EU-Verfassung nach den jetzigen rechtlichen Bedingungen aus? Schließlich geht es hier um nichts anderes als um eine Verfassung, das heißt um den ethischen Grundkonsens eines EU-weiten Gemeinwesens einerseits und um eine supranationale Definition und Verteilung von Kompetenzen mit Eingriffscharakter in die Verfassungsordnung der Nationalstaaten andererseits. Das ist kein Pappenstiel, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Nachdem den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes, ohne sie in irgendeiner Weise in den Entscheidungsprozess mit einzubeziehen, schon die gemeinsame EU-Währung aufoktroyiert worden ist, stellt sich mithin die Frage, ob nicht auch die EU-verfassungsrechtlich begründete Übertragung staatlicher Hoheitsrechte, insbesondere von Kompetenzen nach unserem Grundgesetz, auf überstaatliche Organisationsstrukturen oder gar die Anerkennung eines Grundrechts- und Wertekatalogs von Verfassungsrang neben oder mit vorrangiger Geltung vor dem deutschen Grundgesetz quasi wieder per Federstrich der Bundesregierung und damit wieder an den Bürgerinnen und Bürgern vorbei entschieden werden soll.

Wir als DVU-Fraktion sehen spätestens hier verfassungsrechtlichen Nachbesserungsbedarf; denn es geht um nichts anderes als um Entscheidungen, die das Staatsorganisationsrecht des Grundgesetzes unmittelbar beeinflussen. Nach einer von „Democracy International“ durchgeführten Untersuchung droht Deutschland in der Frage einer Volksabstimmung über die

EU-Verfassung den Anschluss an den europäischen Standard zu verlieren. Sowohl hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen als auch hinsichtlich des Standes der politischen Debatte liegt Deutschland hinter den meisten Beitrittsund Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zurück. Außer Deutschland, den Niederlanden und Zypern haben 25 Mitglieds- und Beitrittsstaaten das Referendum in der Verfassung geregelt oder auch ohne verfassungsrechtliche Grundlage nationale Volksentscheide in der Praxis erprobt.

Wie sieht es mit dem Volksentscheid über die EU-Verfassung aus, meine Damen und Herren? In sechs der 15 EU-Staaten, sprich: Frankreich, Spanien, Portugal, Irland, Dänemark und Luxemburg, steht heute schon fest, dass ein Referendum durchgeführt wird. In den zehn Beitrittsländern wird ein Verfassungsreferendum derzeit geplant oder in Erwägung gezogen. Dass wir als DVU-Fraktion dem Volk sozusagen aufs Maul schauen, beweist eine Emnid-Umfrage vom April 2002. Danach sind 82,7 % der Deutschen für Volksentscheide. Die Deutschen wünschen sich mehr Mitbestimmung, insbesondere wenn es um Entscheidungen der Politik auf der Ebene des Bundes und der EU geht.

Dass die Einführung der europäischen Verfassung dadurch nicht gefährdet ist, zeigt eine Erhebung von „Eurobarometer“ vom Juni dieses Jahres. Demnach begrüßen 62 % der Deutschen die EU-Verfassung bei einem EU-Durchschnitt von 63 %. Wir als DVU-Fraktion sind der Auffassung, dass die Akzeptanz einer europäischen Verfassung größer ausfiele, wenn die Bürger über ihre Inhalte besser als bisher informiert würden. Ein Volksentscheid wäre sicherlich die größtmögliche Bildungsveranstaltung in dieser Richtung. Kein anderes Verfahren würde die Bürger so intensiv über die Verfassung informieren und gleichzeitig eine ausreichende Legitimation der Verfassung gewährleisten.

Deswegen bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. - Ich bedanke mich zunächst einmal für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Das Wort geht an die Koalitionsfraktionen. Für sie spricht der Abgeordnete Klein.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nicht zum ersten Mal behandeln wir in diesem hohen Hause einen Antrag zum Thema „Volksbegehren und Volksentscheid“. Gegen die Forderung nach einer direkten Beteiligung der Bürger an der Politik ist wahrlich nichts einzuwenden. Verwunderlich ist allerdings, wer der Urheber dieses Antrags ist, weil man natürlich sofort denkt, es ist eine Partei, die der Bürgerrechtsbewegung nahe steht. Aber weit gefehlt. Dieser Antrag zur Volksbeteiligung kommt von der DVU und ihr Vorgehen ist an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten.

Sehr geehrte Abgeordnete der DVU-Fraktion, wenn Ihr Antrag zu diesem Thema wenigstens ehrlich gemeint wäre, würden wir Ihr Vorbringen sogar begrüßen. Dies ist aber nicht der Fall. Ihr wahres Ziel ist leicht zu durchschauen. Ihnen geht es doch gar nicht um eine direkte Beteiligung von Bürgerinnen und

Bürgern an der Politik. Mit dem uns hier vorliegenden Antrag hoffen Sie vielmehr, die zum Teil vorhandenen Ängste der Bevölkerung vor der Europäischen Gemeinschaft zu schüren und auszunutzen.

Sie wollen verhindern, dass die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mitwirkt, um ein vereintes Europa zu schaffen. Ich sage Ihnen aber, dass dies der antragstellenden Fraktion nicht viel einbringen wird. Dieses scheinheilige Verhalten der DVU, die sich schon des Öfteren zum angeblichen Wahrer der Bürgerrechte aufschwingen wollte, haben die Brandenburgerinnen und Brandenburger längst durchschaut.

Von dieser Scheinheiligkeit abgesehen ist der vorliegende Antrag der DVU-Fraktion leider, wie so oft, nicht zu Ende gedacht bzw. in seiner Umsetzung fehlerhaft.

Sie, meine Damen und Herren von der DVU-Fraktion, fordern eine Bundesratsinitiative der Landesregierung zur Einführung eines Artikels 29 a Grundgesetz. Hiernach sollen sinngemäß über die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Gemeinschaft und die Anerkennung von Verfassungsvorschriften neben oder über dem Grundgesetz jeweils Volksabstimmungen entscheiden. Alles Weitere soll durch ein Bundesgesetz geregelt werden. Hierbei übersehen Sie allerdings, dass nicht nur ein Artikel ins Grundgesetz eingefügt werden müsste, sondern auch der komplette Artikel 23 geändert werden müsste. Dieser regelt nämlich die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Gemeinschaft.

Wenn man das von Ihnen angesprochene Thema schon in der Verfassung regeln will, dann wohl durch Neufassung des Artikels 23 und nicht durch Einfügung eines Artikels 29 a ins Grundgesetz. Der Artikel 29 hat nämlich die Neugliederung des Bundesgebietes zum Gegenstand und nichts, aber auch gar nichts mit der Übertragung von Hoheitsrechten zu tun. Die Eingliederung des von Ihnen geforderten Artikels 29 a Grundgesetz nach Artikel 29 Grundgesetz wäre damit systematisch völlig falsch. Deshalb lehnen wir das ab. - Vielen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU)

Das Wort geht an die PDS-Fraktion. Für sie spricht der Abgeordnete Vietze.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erstens: Das Grundgesetz soll geändert bzw. ergänzt werden. Der Veränderungsbedarf besteht in der Sache tatsächlich.

Zweitens: Es bedarf einer Initiative der DVU und der Landesregierung nicht, weil im Deutschen Bundestag mit Drucksache 15/1112 vom Juni dieses Jahres der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzartikels 23 - Herr Klein hat richtigerweise darauf verwiesen - zur Einführung eines Volksentscheids über eine europäische Verfassung vorliegt.

Der Gesetzentwurf ist durch die FDP eingebracht worden. Es hat eine Diskussion gegeben und es besteht die reale Möglichkeit, dass im Ergebnis der Diskussion der Deutsche Bundestag

mit zwei Dritteln der Stimmen dem Entwurf zustimmt, damit die Verfassung ändert und damit über die europäische Verfassung ein Volksentscheid stattfindet.

Unter diesen Gesichtspunkten bedarf es keiner weiteren Initiative, weil die Verantwortung von denen, die sie dafür tragen, bereits wahrgenommen wird. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)

Die Landesregierung? - Die Landesregierung verzichtet. Wir sind damit am Ende der Rednerliste. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung.

Die Fraktion der DVU hat die Überweisung ihres Antrags 3/6262 an den Hauptausschuss beantragt.

(Zuruf des Abgeordneten Schuldt [DVU])

- Es tut mir Leid, aber wir hatten fünf Minuten als Minimalbeitrag und Sie haben von den fünf Minuten schon einige Zeit in Anspruch genommen.

(Schuldt [DVU]: Habe ich nicht!)

- Natürlich haben Sie das!

(Zuruf des Abgeordneten Schuldt [DVU])

- Ich bitte Sie...

(Zuruf des Abgeordneten Schuldt [DVU])

- Dazu haben wir...

(Zuruf des Abgeordneten Schuldt [DVU])

- Wenn ich rede...

(Zuruf des Abgeordneten Schuldt [DVU])

- Hören Sie bitte zu! Dann erkläre ich Ihnen auch, warum nicht.

(Zuruf des Abgeordneten Schuldt [DVU])

- Es tut mir Leid.

(Zuruf des Abgeordneten Schuldt [DVU])

Wir haben uns im Präsidium dazu verständigt:

(Schuldt [DVU]: Dann müssen Sie das aber auch ma- chen!)

Weniger als fünf Minuten gibt es nicht.

(Zuruf des Abgeordneten Schuldt [DVU])