Protocol of the Session on June 26, 2003

Seit der Wiedervereinigung im Jahre 1990 war ich vor drei Wochen das erste Mal in Gryfino, einer polnischen Stadt in der

Nähe von Schwedt. Als Vorsitzender der Kreisverkehrswacht Barnim wurde ich mit mehreren Leuten eingeladen. Mit der dortigen Verkehrswacht, die den Namen „Liga für Landesverteidigung“ trägt, haben wir einen Kooperationsvertrag geschlossen und unterzeichnet. Wir wurden sehr gastfreundlich aufgenommen und hatten Gelegenheit zu vielen interessanten Gesprächen, die bis in die späten Nachtstunden dauerten. Warum erzähle ich das?

Ich erinnerte mich an die ersten Jahre nach der Wiedervereinigung und die vielen neuen Dinge, die wir in den neuen Bundesländern erlebt haben. Man konnte Hoffnungen und Erwartungen, aber auch Ängste und Vorurteile spüren. Den polnischen Freunden stand zum Zeitpunkt meines Besuchs das Votum zur EU gerade bevor. Wir alle wissen, dass die Menschen in unserem Nachbarland mit großer Mehrheit positiv votiert haben. Bei uns in Brandenburg habe ich leider manchmal den Eindruck, dass wir die Chancen, die sich für uns mit der EUErweiterung auftun, verkennen oder gar verschlafen.

(Vereinzelt Beifall bei CDU und SPD)

Mit dem Beitritt von zehn Staaten zur EU entsteht einer der größten einheitlichen Wirtschaftsräume der Welt, in der den Herausforderungen des globalen Wettbewerbs deshalb nur gemeinsam begegnet werden kann. Betrachtet man die Perspektiven für die Unternehmen, so lässt sich konstatieren, dass von den neuen Märkten in Polen bislang vor allem großräumig agierende Unternehmen profitiert haben. Sie konnten die Chancen der bereits weitgehend erfolgten Liberalisierung des Waren- und Dienstleistungsverkehrs schon vielfach nutzen.

Deutschland ist mit Abstand Polens wichtigster Handelspartner. Rund ein Drittel der polnischen Importe stammt aus Deutschland. Umgekehrt gehört Polen zu Deutschlands wichtigsten Handelspartnern in Mittel- und Osteuropa, an zweiter Stelle knapp hinter der Tschechischen Republik. Allein im Jahre 2001 erreichte der Umsatz im bilateralen Handel knapp 29 Milliarden Euro. Das deutsche Exportvolumen nach Polen betrug im Jahre 2001 über 15 Milliarden Euro, das polnische Exportvolumen nach Deutschland 13 Milliarden Euro. 1 Milliarde Euro Exportvolumen schaffen und sichern ca. 20 000 Arbeitsplätze, das heißt gegenseitiger Warenaustausch sichert in beiden Ländern Wohlstand und Beschäftigung.

Die Region Berlin-Brandenburg gehört zu einer der wichtigsten Handelsregionen mit unserem Nachbarland Polen. Andere Bundesländer haben aber noch viel intensivere Beziehungen. Es gilt, den Handelsaustausch mit Polen zu stärken. Mit der Unterstützung für unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen zur Erschließung neuer Märkte haben wir bei den Wirtschaftsförderinstrumenten einen richtigen und wichtigen Ansatz gewählt. Hierin liegt eine große Chance für unsere Unternehmen, vor allem aber für die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze in unserem Land.

Mit immer enger werdenden wirtschaftlichen Vernetzungen von Regionen werden sich die Möglichkeiten für grenzüberschreitend tätige kleine und mittelständische Unternehmen deutlich verbessern. Die Wirtschaftsstandorte und die Arbeitsmärkte in Berlin, in Brandenburg und in Westpolen werden enger aneinander rücken können. Bereits heute arbeiten wir an der Entwicklung des gemeinsamen Wirtschaftsstandortes Ostbrandenburg-Westpolen, um neben der Vernetzung der vorhan

denen Wirtschaftspotenziale der Regionen vor allem mit infrastrukturellen Schwerpunkten Anreize für neue Investitionen zu schaffen. „Two win - eine Region doppelter Vorteil“, heißt das Konzept der länderübergreifenden Wirtschaftskooperation. Zahlreiche Initiativen der Wirtschaftskooperation, zum Beispiel das Deutsch-Polnische Eurozentrum in Guben, der Gründerviadukt des BIC in Frankfurt (Oder) oder Kooperationen von ENERTRAG Nechlin, FINOW Rohrleitungssysteme, FÜRST Fensterbau Fürstenwalde, Kranbau Eberswalde und der Firma Stemme Flugzeugbau Strausberg, zeigen uns die bereits vorhandenen Möglichkeiten auf.

(Beifall bei CDU und SPD)

Von herausragender Bedeutung für die weitere Entwicklung, für die Entwicklung der wirtschaftlichen Kooperation, aber auch für die Stärkung des gemeinsamen Verständnisses zwischen polnischen und brandenburgischen Bürgerinnen und Bürgern sind unsere Verkehrswege. Es darf nicht sein, dass beiderseits der Oder Straßen enden. Nur die Vernetzung der Verkehrsinfrastruktur wird sicherstellen, dass die wirtschaftlichen Impulse, die wir uns in Brandenburg von der EU-Erweiterung erhoffen, zum Tragen kommen. Staus und stundenlange Wartezeiten beim Warenaustausch diesseits und jenseits der Oder behindern die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Die Oder muss mit ihren Häfen in Schwedt und Stettin durch den Bau eines Kanalnetzes mit den Wasserstraßen Europas verbunden werden.

Durch die Oder-Lausitz-Trasse wird eine der modernsten Straßenanbindungen von der Uckermark bis in die Lausitz geschaffen, von der die Wirtschaft in der deutsch-polnischen Grenzregion profitieren wird.

(Beifall bei CDU und SPD)

In der gestrigen Aktuellen Stunde haben sich die Redner der Koalitionsfraktionen bereits dafür ausgesprochen, dass in den neuen Bundesverkehrswegeplan zusätzliche Grenzübergänge sowie zusätzliche öffentliche Verkehrsverbindungen zu unserem Nachbarland Polen aufgenommen werden. Die CDU-Fraktion unterstützt die Bemühungen des Verkehrsministers hierzu ausdrücklich. Um es ganz deutlich zu sagen: Wir erwarten hier einen Erfolg.

Wir dürfen uns bei unseren Bemühungen zur Ertüchtigung der Verkehrsinfrastruktur jedoch nicht auf Forderungen gegenüber dem Bund beschränken. Unsere Landesstraßen übernehmen eine wichtige Verteil- und Erschließungsfunktion, die gerade im Zuge der Erweiterung an Bedeutung zunehmen wird. Erst 17 % unserer Landesstraßen können in die Kategorie „gut ausgebaut“ eingestuft werden. Diese Zahl macht deutlich, in welchem Bereich wir auch in Zukunft haushaltspolitische Priorität setzen müssen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, sicherlich könnten wir einen stundenlangen Austausch über die Chancen der EU-Osterweiterung, aber auch über die Notwendigkeiten von landes- und bundespolitischen Rahmensetzungen führen. Ich möchte aber zum Abschluss meines Redebeitrages noch etwas erwähnen, was die Scharnierfunktion für die vielen Aktivitäten, die gerade in Fahrt gekommen sind, das Europaparlament, die Bundesre

gierung, das Land, die Handwerkskammern, die IHK, die Bauverbände, die Vereine usw., übernehmen könnte. Alle, die ich genannt habe, und viele, die ich bei meiner Aufzählung übergangen habe, sind im Land Polen und einem anderen Beitrittsland aktiv. Unterschiedliche und gleiche Aktivitäten laufen gegenwärtig unkoordiniert und zum Teil unbekannt nebeneinander her. Synergieeffekte können nicht entstehen. Hier fehlt ein EU-Erweiterungsbeauftragter, der mit seinem Büro in Frankfurt (Oder) und Außenstellen in Schwedt und Guben das Angebot macht, alle Aktivitäten zu bündeln und zu koordinieren und den Informationsaustausch zu verbessern. Er sollte in der Wirtschaft und bei den Menschen in Brandenburg eine hohe Akzeptanz genießen, er sollte mit seinen Büros vermittelnd wirken und auch dazu beitragen, die vorhandenen Ängste abzubauen. Jeder von uns weiß doch: Nur durch den Austausch und das gemeinsame Erleben des vereinten Europas kann man Vorurteile abbauen, Sprachbarrieren beseitigen und gegenseitige Vorteile erwirken.

Meine Damen und Herren, wir hier in Brandenburg haben zwei der größten Chancen, um endlich die bedrückende Arbeitslosigkeit abzubauen. Die eine heißt Berlin und die andere heißt Polen. Lassen Sie uns diese Chancen nutzen! - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke dem Abgeordneten Bartsch. - Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aussprache zur Aktuellen Stunde. Ich schließe den Tagesordnungspunkt 2.

Bevor ich den Tagesordnungspunkt 3 aufrufe, möchte ich wieder junge Gäste hier im Landtag begrüßen. Es sind Schüler aus dem Gerberstadt-Gymnasium Doberlug-Kirchhain. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:

3. Lesung der Brandenburgischen Bauordnung (BbgBO)

Gesetzentwurf der Landesregierung

Drucksache 3/5160

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr zur 2. Lesung

Drucksache 3/5964

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr

Drucksache 3/6047

Ich eröffne die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt mit dem Beitrag der Fraktion der PDS. Herr Abgeordneter Warnick, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der 3. Lesung möchte ich mich auf drei Änderungsanträge der PDS konzentrieren, die wir aus Zeitgründen in der 2. Lesung nicht mehr vortragen konnten und die Regelungen der Novelle berühren, die aus unserer Sicht besonders kritikwürdig sind. Es handelt sich um behinderten- und kinderunfreundliche Regelungen und die Weigerung, eine mieterfreundliche Regelung in die Novelle aufzunehmen.

Da die Änderungsanträge gestern nach der 2. Lesung zwar im Ausschuss noch einmal beraten wurden, aber nach der 2. Lesung schon abgestimmt worden waren, können wir sie heute nicht mehr einbringen. Wir haben deswegen einen neuen Änderungsantrag vorgesehen, der Ihnen in Drucksache 3/6048 vorliegt und zu dem ich mich noch äußern werde.

Zum Ersten: Statt wie versprochen die Belange von Menschen mit Behinderungen besser zu berücksichtigen, sind neue Verschlechterungen hinzugekommen. So sah der Entwurf der Novelle vor, dass in Wohngebäuden mit mehr als zwei Wohnungen wenigstens die Wohnungen eines Geschosses barrierefrei sein sollten. Dies sollte ebenso für Gebäude mit Fahrstühlen und mit mehr als zwei Wohnungen gelten. Das ist übrigens ein Vorschlag, der nicht von uns, sondern von der Landesregierung kam. In beiden Normen ist die Zahl der Wohnungen durch Änderungsanträge völlig unverständlicherweise auf vier höher gesetzt worden. Das ist ein Rückschlag für die mehr als 10 % der Menschen mit Behinderungen in unserem Land.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass bei der Errichtung von Werbeanlagen zukünftig die Belange behinderter Menschen angemessen zu berücksichtigen sind. Nun frage ich: Was ist angemessen? Der Forderung der PDS, Warenautomaten so zu gestalten und anzubringen, dass sie barrierefrei und ohne fremde Hilfe für Menschen mit Behinderungen benutzbar sind, wurde nicht entsprochen.

(Klein [SPD]: Fällt Ihnen nicht die Diskrepanz auf zwi- schen 10 % und 50 %?)

Herr Abgeordneter Klein, ich möchte keinen Dialog zulassen.

10 % und 50 %? Nein, das stimmt ja nicht.

Ein Antrag, Fahrstühle so auszustatten, dass die Tastatur von Blinden ertastet werden kann und eine elektronische Etagenansage erfolgt, wurde genauso abgelehnt. Das wäre eine Vorschrift, die mit einem sehr geringen finanziellen Mehraufwand verbunden wäre. Die zusätzlichen Kosten beim Einbau von Fahrstühlen bewegten sich in einer Größenordnung von unter 0,1 % oder sogar 0,01 %, zumal ein elektronisch programmierbarer Sprachchip heute nur noch wenige Euro kostet.

Bei der Diskussion zum Landesgleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderungen wurde übrigens immer wieder vonseiten der Koalition darauf hingewiesen, dass die baurechtlichen Regelungen zur Verbesserung der Lage von Menschen mit Behinderungen in diesem Landesgleichstellungsgesetz

nichts zu suchen hätten. Es bestehe dort kein Regelungsbedarf, weil die Forderungen der Behindertenvertreter in der Novelle zur Bauordnung Berücksichtigung finden würden. Dazu kann ich Ihnen einmal etwas aus dem Protokoll der Sitzung des Ausschusses für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen vom 26.02.2003 vorlesen:

„Die Abgeordnete Frau Konzack (SPD) erklärt, den Ausschussmitgliedern aus ihrer Fraktion sei es ganz wichtig, im Bericht der Beschlussempfehlung zu der Drucksache zum Gleichstellungsgesetz darauf hinzuweisen, dass begrüßt wird, dass im Gesetzentwurf der Landesregierung zum Entwurf einer Brandenburgischen Bauordnung die Verpflichtung enthalten ist, in Wohngebäuden mit mehr als zwei Wohnungen die Wohnung eines Geschosses barrierefrei zu gestalten. Es werde allgemein als positiv empfunden, dass eine solche Regelung Eingang in die Bauordnung finden werde. Das wäre ein Hinweis darauf, dass der Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen auf eine solche Regelung sehr großen Wert legt, und der Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen hätte damit bereits allen Diskussionen, die darauf zielen, diese Regelung aus der Bauordnung herauszunehmen, entgegengewirkt.“

So weit aus dem Ausschussprotokoll, Frau Konzack von der SPD-Fraktion.

„Die Vorsitzende Abgeordnete Frau Birkholz (PDS) macht darauf aufmerksam, dass sich die Drucksache 3/5160, also die Bauordnung, noch im parlamentarischen Verfahren befindet und darauf geachtet werden müsse, dass diese Regelung erhalten bleibt.“

So weit aus der Ausschusssitzung.

Herr Abgeordneter Warnick, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Aber natürlich.

Bitte schön, Frau Konzack.

Herr Warnick, ist Ihnen bekannt, dass wir in einer Koalition sind und dass wir alle Ergebnisse mit unserem Koalitionspartner abstimmen müssen, und können Sie verstehen, dass das, was jetzt zustande gekommen ist, ein Kompromiss ist,

(Zurufe von der PDS)