Protocol of the Session on September 4, 2002

(Beifall bei der PDS)

Der Mangel ist unübersehbar: 25 Arbeitslose kommen derzeit in Brandenburg auf eine offene Stelle.

Wie tauglich ist das Hartz-Papier angesichts dieser Rahmenbedingungen? Unsere Antwort lautet: Es taugt wohl zur Bereinigung der Arbeitslosenstatistik, aber es taugt nicht zur Halbierung der Arbeitslosenzahl, weder bundesweit bis 2005 noch landesweit bis 2008. Ja, es steht für eine Modernisierung der Arbeitsämter und damit für mehr Kundenorientierung, mehr Beratung und Betreuung, weniger Bürokratie, für ein Mehr an effizienter Arbeitsvermittlung. Wenn künftige Jobcenter auch für erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger zuständig sind, findet das unsere Zustimmung, weil die PDS stets gefordert hat, dass die Leistungen der Arbeitsförderung für alle Betroffenen zu öffnen sind, unabhängig vom Anspruch auf Lohnersatzleistungen. Auch den Umbau des Landesarbeitsamtes Berlin-Brandenburg zu einem steuerfinanzierten Kompetenzcenter unterstützen wir. Damit wächst das Gefühl für die Region und insbesondere die Wirtschafts- und Arbeitsverwaltungen beider Länder werden künftig noch mehr kompetente Partner der Bundesanstalt für Arbeit sein.

Künftig hat das jeweils andere Bundesland bei beschäftigungspolitischen Akzentsetzungen viel mehr mitzudenken, zum Beispiel über die Herbeiführung einer Harmonisierung der Arbeitsmarktprogramme von Berlin und Brandenburg.

Ja, Herr Baaske, viel mehr müssen wir dann in Regionen denken!

(Beifall bei der PDS)

So weit zur Tauglichkeit der Hartz-Vorschläge.

Untauglich scheint uns das Konzept hinsichtlich der Beseitigung von Schwarzarbeit in großem Stil, eher kommt es zur Ausweitung von prekärer Beschäftigung. Keine Berücksichtigung findet zudem eine, wie ich meine, dringend notwendige Modernisierung öffentlich geförderter Beschäftigung, und auch

Maßnahmen in Richtung einer gerechten Arbeitsumverteilung durch den Abbau von Überstunden oder durch Reduzierung von Wochen-, Jahres- oder Lebensarbeitszeit sind in den HartzVorschlägen kein Thema. Hier fehlen aus Sicht der PDS noch bedeutende Innovationsmodule.

Meine Damen und Herren, eines möchte ich hier für die PDS ganz deutlich sagen: Allen Bestrebungen und Anforderungen, die im Kern unterstellen, dass „Bewegung in die Arbeitslosen“ zu bringen ist, erteilen wir eine klare Absage. Effektivere Vermittlung: Ja; Abbau von Rechten und Leistungen: Nein! Denn Arbeitslosigkeit ist überhaupt kein „Randgruppenproblem“ passiver Menschen. So sind denn auch die Debatten um verschärfte Zumutbarkeitsregelungen eine Farce. Arbeitslosigkeit wirkt per se disziplinierend, weil Arbeit in dieser Gesellschaft zunehmend als Gnade vergeben wird.

Was nutzt es, wenn man sich im Jargon von Hartz funktional zwar in seiner „Job-Family“ befindet, sich geographisch aber von seiner Familie meilenweit entfernen muss - auch für geringfügige und befristete Jobs. Arbeitssuchende müssen jetzt beweisen, dass ein nicht gewollter Job unzumutbar ist; sonst drohen Leistungskürzungen.

Das Brandenburger Netzwerk für Erwerbslose und für sozial Schlechtergestellte - KESS - hat Stellenangebote im Informationssystem der Arbeitsämter auf ihre Annehmbarkeit hin untersucht und ist auf nicht wenige sittenwidrige Angebote gestoßen. Zwei Beispiele: Ein gesuchter Gartenbauhelfer, Vollzeit zum Stundenlohn von 3,32 Euro oder eine gesuchte Bedienungskraft in der Gastronomie zum Stundenlohn von 2 Euro einschließlich Nachtschicht ohne Zuschläge als ein offizielles Angebot eines Brandenburger Arbeitsamtes!

Wie oft hören wir: Arbeit muss sich wieder lohnen. Oder: Wer arbeitet, soll mehr in seiner Börse haben als jemand, der Lohnersatzleistungen bezieht. Ausgerechnet beim Herzstück der Reform verstößt Hartz gegen diese immer wieder betonten Grundsätze. So sollen Arbeitslose, die als Leiharbeitskräfte über Personal-Service-Agenturen beschäftigt werden, im Rahmen eines Probeverhältnisses sechs Monate zum Nettolohn in Höhe des Arbeitslosengeldes arbeiten. Meine Damen und Herren, das ist Lohndumping und ein unzulässiger Eingriff in die Tarifautonomie.

(Beifall bei der PDS)

Die Empfehlung im Juni-Zwischenbericht lautete noch: „Gleiche Entlohnung und vergleichbare Rechte für Leiharbeitnehmer von Anfang an.“

Die PDS fordert an dieser Stelle die Tarifverbindlichkeit in Orientierung an die Bedingungen des Entleihbetriebes. Der Integrationsgedanke, über Leiharbeit eine Brücke zum ersten Arbeitsmarkt zu bauen, ist durchaus praktikabel, wenn er so, wie beispielsweise bei der gemeinnützigen START-Zeitarbeit in Nordrhein-Westfalen organisiert wird.

Hier muss unbedingt nachgebessert werden. Ob „Ich-AG“ oder „Familien-AG“, „Bridge-System“ oder „Job-Floater“ die PDS wird alle Gesetzesvorhaben als Ausfluss der HartzVorschläge genauestens prüfen und diskutieren. Dies gilt selbstverständlich auch für all das, was uns die Landesregierung als ihren Weg zur Umsetzung im Land präsentieren

sollte. Nur muss dabei auch klar sein: Allein über die Absicht, die Arbeitslosigkeit zu halbieren, lohnt eine Debatte nicht. Es müssen schon plausible Konzepte auf den Tisch. Genauso wenig lassen wir uns weismachen, man könne das ganze Konzept nur 1 : 1 umsetzen.

Die PDS-Fraktion legt dem Parlament heute einen Antrag vor, der die Landesregierung auffordert klarzumachen, wo konkret der Handlungsspielraum von Landespolitik liegt. Hier wollen wir den breiten gesellschaftlichen Dialog. Wir wollen das Landesprogramm „Qualifizierung und Arbeit für Brandenburg“ reformieren, die Rolle der arbeitsmarktpolitischen Akteure genauer definieren und Haushaltsmittel beschäftigungswirksamer einsetzen.

Der effiziente Einsatz öffentlicher Gelder ist das alles entscheidende Maß für erfolgreiche Politik, und ich hoffe, Herr Baaske, Sie als neuer Arbeitsminister werden dem Wirtschaftsminister des Landes hier viel stärker als Ihr Vorgänger auf die Finger schauen

(Bartsch [CDU]: Oh! Unerhört!)

und die Beschäftigungswirksamkeit von Wirtschaftsförderung vehement einfordern.

(Beifall bei der PDS)

Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD, Sie können davon ausgehen, dass Ihnen CDU und CSU in den nächsten Monaten das Hartz-Konzept scheibchenweise wieder vorsetzen werden. Es genügt ein Blick in die Pläne der Herren Stoiber und Späth: Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen, massive Ausweitung des Niedriglohnsektors und völlige Deregulierung von Leiharbeit. Die Finanzierungsvorschläge heißen einfach Wachstum. Zu schlicht, zu durchsichtig verschläft die Union den Zeitgeist.

(Bartsch [CDU]: Haha!)

Wirtschaftswachstum allein kann Massenarbeitslosigkeit nicht beseitigen. Das ist doch wohl hinlänglich belegt. Darum sind die Vorschläge von der CDU/CSU lediglich der Versuch, die verstaubten, untauglichen Konzepte der Kohl-Ära wieder aus der Mottenkiste zu holen, ist das Startprogramm der Konservativen bereits heute der absolute Fehlstart. Darum sage ich: Wer zu Lothar Späth kommt, den bestraft das Leben. Die Menschen in unserem Land können dieser Strafe entgehen, ganz einfach durch die Wahl der PDS in den Deutschen Bundestag.

(Beifall bei der PDS - Buhrufe bei der CDU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Dr. Schröder. - Ich gebe das Wort an die Fraktion der SPD, an den Abgeordneten Fritsch. Ehe Herr Fritsch hier ist, möchte ich Gäste im Landtag begrüßen. Es sind junge Gäste. Sie kommen vom Gymnasium in Senftenberg. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Bitte schön, Herr Fritsch.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das war eben sehr beeindruckend. Ich habe jetzt eine richtige Vorstellung davon, wie es mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Berlin weitergeht. Ich vermute, es geht Ihnen ähnlich.

(Beifall und Heiterkeit bei SPD und CDU)

Wir können natürlich dieses Thema im Plenum behandeln, indem wir die Situation beklagen, Fragen stellen und keine Antworten und Lösungen anbieten. Ich glaube nur, das wird die Situation nicht verändern oder weiterbringen.

Wir haben dieses Thema hier im Landtag schon oft aufgerufen. Es gibt in der Tat keine einzelnen Patentlösungen für das Problem Arbeitslosigkeit. Die Zahlen, die regional verteilte Problematik im Land Brandenburg, ländliche Gebiete/Speckgürtel, kennen wir alle.

Die Arbeitslosenzahlen verharren auf einem hohen, zu hohen Niveau. Was wir vielleicht zu selten tun, ist, uns anzusehen, wie diese Zahlen sich im Laufe der letzten Jahre entwickelt haben. Ich darf das noch einmal in Erinnerung rufen: Nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes hatten wir 1991 2,6 Millionen Arbeitslose, 1997 4,4 Millionen. Für 1998, das ein sehr interessantes Jahr gewesen ist, habe ich leider keine Zahl. Aber die Zahlen von 1991 und 1997 beschreiben eine Entwicklung, die in der Fortschreibung ohne Änderung der äußeren Rahmenbedingungen im Jahr 2002 zu 5,9 Millionen Arbeitslosen geführt hätte. Wir haben gerade von Frau Dr. Schröder gehört, 4,04 Millionen sind es. Das ist doch eigentlich ein ganz schöner Erfolg. Da ist ein Trend umgekehrt worden und wir haben eine Zahl, die um fast 2 Millionen unter der liegt, die bei der alten Regierung eingetreten wäre.

(Zuruf von der PDS: Das ist schöngerechnet!)

Nun sagen Sie mit Recht: So kann man sich das schönrechnen. Richtig ist natürlich, dass es dafür viele Gründe gibt, dass die Zahlen heute so aussehen und nicht so eingetreten sind wie befürchtet. Daran kann man auch Kritik üben. Richtig ist aber, dass die Prognose von 3,5 Millionen eben nicht erreicht wurde. Trotzdem halte ich die Kurve - so wäre es weitergelaufen und der abknickende Ast ist die Wirklichkeit - für nicht schlecht. Nur gilt es diesen Trend jetzt zu unterstützen. Dem dienen die Vorschläge der Hartz-Kommission.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Wiebke [SPD])

Ich glaube, wir sollten uns genau ansehen, was das Ansinnen der Hartz-Kommission ist. Wenn ich an einer ganz konkreten Schnittstelle wirtschaftlicher Entwicklung im Land, Vermittlung und Qualifizierung von Arbeitslosen, eingreife und helfe, dann betrachte ich wirklich von der gesamtwirtschaftlichen Palette, von der Schulausbildung über die Unternehmensförderung bis hin zur Wissenschaft, die uns den Vorlauf für die Unternehmen bringen muss, nur einen kleinen Ausschnitt, der funktionieren muss, verzahnt mit allen benachbarten Gebieten. Deshalb glaube ich nicht, dass es erfolgreich ist, sich aus diesem Programm einzelne Maßnahmen herauszugreifen, die man gut oder nicht gut findet. Da besteht, wenn es denn etabliert ist und funktioniert, ein Gesamtwirkungszusammenhang, den man

nicht auseinander reißen kann. Daraus resultiert die Forderung, die Sie so klassisch mit „ganz oder gar nicht“ beschrieben haben. Wenn es funktionieren soll, dann muss es als System funktionieren und nicht als Einzelmaßnahme.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der PDS)

- Von der CDU, das wissen wir, werden wir etwas anderes zu hören bekommen; denn wir sind zwar hier in einem freundschaftlichen Verhältnis in der Koalition, aber auf Bundesebene gibt es im Augenblick einen Wahlkampf.

(Beifall bei CDU und PDS)

Es gibt aber noch eine sehr interessante Beobachtung, wenn wir uns die deutsche Situation ansehen. Es ist unbestritten und wird auch immer wieder so transportiert: Wachstum der Wirtschaft in Deutschland wirkt sich auf den Arbeitsmarkt erst bei 3, 4, 5 % aus. Ich frage mich, warum das eigentlich so ist, wenn ich höre, dass in Frankreich ein Wirtschaftswachstum von 2 bis 3 % bereits positive Wirkungen auf den Arbeitsmarkt hat. Darüber könnten wir jetzt lange theoretisieren und spekulieren. Möglicherweise hat das auch etwas mit Steuergesetzgebung zu tun. Das ist aber heute nicht unser Thema.

Richtig ist eines: Arbeitsmarktpolitische Instrumente allein schaffen keine Arbeitsplätze. Aber sie helfen den Arbeitslosen, über Qualifizierung und Beschäftigung auf einen Stand zu gelangen und auf diesem Stand zu bleiben, auf dem sie bei steigender Nachfrage nach Arbeitskräften gute Chancen zur Vermittlung haben. Aufgrund des massiven Stellendefizites auf dem ersten Arbeitsmarkt hat Brandenburg sich bereits seit 1990 an dem Leitgedanken „Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren“ orientiert, übrigens weit über Aktivitäten im ABM-Bereich hinaus.

Bis heute haben andere ostdeutsche Bundesländer im Verhältnis zur Arbeitslosenzahl deutlich mehr ABM durchgeführt als wir. Trotzdem sieht unsere Arbeitslosenstatistik nicht schlechter aus als die in anderen neuen Bundesländern. Auch das ist ein Erfolg der vergangenen Bemühungen. Die leeren öffentlichen Kassen verstärken den Druck, dass alle möglichen Synergie- und Verzahnungseffekte ausgenutzt werden müssen, um die Effizienz des Einsatzes öffentlicher Mittel zu erhöhen. An der Stelle sind wir uns völlig einig.

In gewisser Weise setzt der Abschlussbericht der Hartz-Kommission hier auch an, indem er Anreize für Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Arbeitslose und die Arbeitsvermittlung kostenneutral so miteinander kombiniert, dass sich eine Belebung des Angebots mit einem Motivationsschub für Arbeitslose verbindet, einen eigenen Beitrag für die Rückkehr ins Arbeitsleben zu leisten. Ich glaube, so formuliert ist das keine Diskriminierung der Arbeitslosen. Natürlich muss das Bemühen um Arbeit, um feste Stellen von allen Beteiligten getragen werden.

Wir wissen, dass Jugendarbeitslosigkeit ein besonderes Problem für uns in Brandenburg ist. Es soll mit Instrumenten wie dem Ausbildungszeitwertpapier fortgesetzt werden, dagegen vorzugehen.

In dem ersten Beschluss zur Umsetzung der Hartz-Vorschläge hat die Bundesregierung vor zwei Wochen bereits beschlossen,

das Bund-Länder-Ausbildungsplatz-Förderprogramm Ost fortzusetzen, übrigens eine Initiative der Brandenburger Jusos auf dem letzten Parteitag, und die erfolgreichen Bestandteile des JUMP-Programms nach der Fortführung im kommenden Jahr 2004 regulär ins SGB III zu übernehmen.

Älteren Arbeitslosen wird das Angebot gemacht, entweder eine Förderung zur Rückkehr ins Erwerbsleben zu nutzen oder auch sich vorzeitig vom Arbeitsmarkt zurückzuziehen, was immer ein Problem ist, wenn da die Altersschwelle schon bei 55 Jahren einsetzt. Das ist dann auch für die Wirtschaft im Lande ein Verlust. Denn gerade die älteren Arbeitnehmer haben eine lange berufliche Erfahrung. Es gibt inzwischen Unternehmen, die bei Einstellungen ganz gezielt auf diese Altersgruppe setzen. Man sollte sie vielleicht stärker publizieren und als Vorbild darstellen.