Protocol of the Session on May 30, 2002

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Hesselbarth.

Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Die einreichende Fraktion hat ihren Überweisungsantrag zurückgezogen, dafür aber beantragt, dass wir eine namentliche Abstimmung zu dem Antrag in Drucksache 3/4325 durchführen.

Ich eröffne die Abstimmung und bitte um das Verlesen der Namen.

(Namentliche Abstimmung)

Hatten alle Abgeordneten Gelegenheit, ihre Stimme abzugeben?

(Die Abgeordneten Helm und Lunacek (CDU) geben ihr Votum ab.)

Damit schließe ich die Abstimmung und bitte Sie um ein wenig Geduld für die Auszählung.

Meine Damen und Herren, ich gebe Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu dem Antrag der Fraktion der DVU in der Drucksache 3/4325 bekannt: Für diesen Antrag stimmten fünf Abgeordnete, dagegen 53 Abgeordnete. Damit ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt worden.

(Abstimmungslisten siehe Anlage S. 3856)

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 7 und rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Bundesratsinitiative zur Aufnahme des Natur-, Umwelt-, Tier- und Artenschutzes in das Grundgesetz

Antrag der Fraktion der DVU

Drucksache 3/4326

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der einreichenden Fraktion. Herr Abgeordneter Claus, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen, sind wir alle für den Tierschutz? Ich glaube, ja.

Bekanntlich hat am Freitag, dem 18. Mai 2002, also in der vorletzten Woche, der Deutsche Bundestag mit Zweidrittelmehrheit beschlossen, Artikel 20 a Grundgesetz durch die Worte “und die Tiere” zu ergänzen. Manch einer wird sich deshalb in der Tat fragen, warum unsere DVU-Fraktion einen Antrag zur Aufnahme des Umwelt- und Tierschutzes in das Grundgesetz stellt, ob die Vorgabe der Bundesregierung etwa nicht ausreichend ist. Wir meinen, nein.

Ich möchte diesem Hause, auch Ihnen, Herr Abgeordneter Klein von der SPD-Fraktion, und insbesondere den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Lande diese Frage in den nächsten Minuten näher beantworten. Bei Ihnen, Frau Dr. Enkelmann von der PDS-Fraktion, setze ich angesichts Ihres gestrigen Beitrags in diesem Hause und angesichts Ihres politischen Starrsinns Ihrer SED-Vergangenheit hierbei nur auf Restbestände verbliebener Einsichtigkeit.

Nach dem Beschluss des Deutschen Bundestages sollen in Artikel 20 a Grundgesetz an die Worte “Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen” die Worte “und die Tiere” angefügt werden. Dadurch sollen künftig die Tiere ebenso wie die natürlichen Lebensgrundlagen geschützt werden, aber lediglich als reines Staatsziel und unter Beibehaltung der Zusätze “im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung” und “nach Maßgabe von Gesetz und Recht”. So bleiben die Formulierungen wenig konkret.

Die in dem ersten Entwurf der Bundestagsfraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN noch enthaltene Formulierung “Tiere werden als Mitgeschöpfe geachtet, sie werden vor nicht artgemäßer Haltung, vermeidbaren Leiden und in ihren Lebensgrundlagen geschützt” taucht nicht mehr auf. Im Übrigen geht auch eine Anzahl von Landesverfassungen weiter als die jetzt beschlossene Änderung.

“Konsenspolitik des kleinsten gemeinsamen Nenners” nennt man so etwas. Diese aktuelle Entwicklung haben Sie, Herr Abgeordneter Klein von der SPD-Fraktion, was Sie auch betonten, offensichtlich nicht richtig verfolgt.

Was wird die Praxis sein? Der Bund macht die Umweltgesetze. Er bestimmt, was Umwelt-, Natur- und Tierschutz sein soll, erfahrungsgemäß nach entsprechender Einflussnahme einschlägiger Verbände auf die Gesetzgebung, versteht sich, weichgespült, also sozusagen Umweltschutz light.

Unsere Fraktion ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das nicht alles sein kann, und zwar aus folgenden Erwägungen:

Erstens: Im Vordergrund steht die Frage nach dem Stellenwert des Umwelt-, Natur-, Arten- und Tierschutzes. Ein Blick auf andere Staatsziele unseres Grundgesetzes führt unweigerlich zu Artikel 20. Hier sind grundlegende Verfassungsgüter festgeschrieben, die für das Funktionieren unseres demokratischen Staatswesens unabdingbar sind: Freiheit, Demokratie, Rechtsund Sozialstaat sowie die Bindung der staatlichen Gewalt an Recht und Gesetz. Irgendwelche relativierenden Zusätze sucht man hier vergebens und schon vom Umfang her entspricht dieser Grundgesetzartikel in etwa unserem hier vorgelegten Entwurf.

Im Anschluss daran fragt man sich: Wie verhält es sich denn mit dem Umwelt-, Natur-, Arten- und Tierschutz? Ist er in ver

gleichbarer Weise unabdingbar? Unsere DVU-Fraktion bejaht diese Frage. Umwelt-, Natur-, Arten- und Tierschutz ist in vergleichbarer Weise unabdingbar und verdient in Artikel 20 a unseres Grundgesetzes nach Art und Umfang eine mit Artikel 20 vergleichbare Ausgestaltung.

Zweitens: Die Diskussion hierüber dauert schon einige Jahre. Das zeigt uns ein Blick in die Geschichte, die Sie, Herr Abgeordneter Klein, ebenfalls verschlafen haben müssen.

Schon zur Zeit der sozial-liberalen Koalition unter Willy Brandt wurde in den 70er Jahren die Schaffung eines Umweltgrundrechts als Individualrecht gefordert. Ein so wichtiges Umweltgrundrecht hat sich schon damals nicht durchsetzen können.

Unter der Regierung Kohl wurde 1983 von der eingesetzten Sachverständigenkommission des Deutschen Bundestages dann Umweltschutz als Staatsziel vorgeschlagen. Auch dagegen wurde eine Zeit lang von Interessenverbänden sozusagen Sturm gelaufen, sprich: Das Vorhaben war jahrelang blockiert.

Erst infolge der Wiedervereinigung Deutschlands gelangte dann der Umweltschutz in Artikel 20 a als Staatsziel ins Grundgesetz, allerdings mit den bereits erwähnten relativierenden Zusätzen “im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung” und “nach Maßgabe von Gesetz und Recht”, mit Zusätzen also, die in juristischen Kreisen als so genannte Angstklauseln bezeichnet werden.

So weit also zur Entwicklung des kleinsten gemeinsamen Nenners, Herr Klein.

Diesen Weg kann und will die DVU-Fraktion nicht mitgehen. Warum, wird deutlich, wenn man zwischen den zwei Grundsätzen entscheiden muss: erstens Umweltschutz um der Aussage selbst willen oder zweitens Schutz der Umwelt mit all ihren Bestandteilen als natürliche und existenzielle Lebensgrundlage der Menschen schlechthin. Um die Antwort gleich vorwegzunehmen: Richtig ist aus der Sicht meiner Fraktion natürlich der zweite Ansatz. Schutz der Umwelt um ihrer selbst willen kann nicht alles sein.

Die menschliche Existenz und die Qualität des menschlichen Lebens hängen bei ständig wachsender Erdbevölkerung zunehmend vom Erhalt der Umwelt, der Natur, der Arten und dem Tierschutz ab. In diesem Sinne ist deren Schutz sozusagen allen anderen Verfassungsgütern vorgelagert, den Elementargrundrechten in Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 - Leben und Gesundheit - und Artikel 1 - Menschenwürde - ebenso wie den Prinzipien von Demokratie, Rechts- und Sozialstaatlichkeit in Artikel 20 GG. Mit anderen Worten: Menschenwürde, Leben und Gesundheit sind unter völlig ruinierten Umweltbedingungen ebenso wenig denkbar wie ein funktionierender freiheitlich-demokratischer und sozialer Rechtsstaat.

An dieser Erkenntnis richtet die DVU-Fraktion ihr politisches Handeln aus, was zu unserem heute vorgelegten Entwurf zur Neugestaltung des Artikels 20 a GG führt.

Erstens: Die Einleitung der Bundesratsinitiative ist für uns die einzig verbleibende Möglichkeit, über den Bundesrat anstelle des aus der Sicht unserer Fraktion nicht ausreichenden Schutzes nach Artikel 20 a gemäß der vom Deutschen Bundestag be

schlossenen Änderung einen angemessenen Schutz von Umwelt, Natur, Arten und Tieren zu erreichen.

Zweitens: Dabei ist, wie Sie unserem Entwurf entnehmen können, auf die so genannten Angstklauseln, die ich vorhin kurz erklärt habe, zu verzichten. Menschen in unserem Land haben nicht Angst vor der Umwelt oder deren Schutz, sondern davor, was mit Umwelt, Natur, Arten und Tieren hierzulande und anderswo geschieht.

So ist die Streichung selbstverständlich, es sei denn, man hat Angst vor irgendeiner Lobby, oder - besser gesagt -: Lobbyismuspolitik macht unsere Fraktion bekanntlich nicht.

Der Ihnen vorliegende Entwurf zu Artikel 20 a GG regelt Folgendes:

Absatz 1 umschreibt als Staatsziel die Schutzgüter Natur und Umwelt in all ihren Bestandteilen mit dem Ziel ihres Erhalts als Lebensgrundlage für die Zukunft.

Absatz 2 stellt besonders auf Tiere und Pflanzen ab, und zwar an jedermann gerichtet. Er bezieht Haltung und Behandlung von Tieren ebenso ein wie den Artenschutz und Züchtungen. Hierdurch soll klar und eindeutig schon aus der Verfassung selbst heraus zukunftsgefährdendem Treiben Einhalt geboten werden.

Schließlich werden in Absatz 3 der sparsame Gebrauch und der schonende Umgang mit der Natur angesichts ihres oben erörterten Stellenwerts in die Verantwortung der gesamten staatlichen Gemeinschaft gestellt. Adressat sind alle staatlichen Stellen und nicht nur der Bundesgesetzgeber.

Wir als DVU-Fraktion halten die Aufnahme unseres Entwurfs in das Grundgesetz in vollem Umfang für dringlich und notwendig. Das erschließt sich insbesondere aus der bereits jetzt veröffentlichten Diskussion um die Auswirkungen der vom Deutschen Bundestag am 18. Mai beschlossenen Änderung.

Ich verweise hierzu auf die Antworten des Rechtsprofessors Wolfgang Löwer in der “TAZ” vom 17. Mai 2002:

“Forschungsfreiheit besteht weiter als Grundrecht, während Tierschutz nur ein Staatsziel ist.”

Bezogen auf das Schächten von Tieren:

“Auch wenn der Tierschutz im Grundgesetz steht, kann er die Religionsfreiheit nicht aushebeln.”

Ich denke, diese Aussage belegt, wie wichtig es ist, für den Umwelt-, Natur-, Arten- und Tierschutz in Artikel 20 a GG eine Verfassungsnorm zu schaffen.

Noch ein kurzer Hinweis - Herr Präsident, ich sehe schon die rote Lampe - für die Rechtskundigen unter uns, voran Herr Homeyer und Herr Klein von der CDU- bzw. SPD-Fraktion: “Praktische Konkordanz” nennt man das im Anschluss an den Rechtsgelehrten Konrad Hesse. Das Bundesverfassungsgericht folgt bekanntlich seit langem dieser Lehre. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Herr Abgeordneter Claus. - Ich gebe das Wort für die Koalitionsfraktionen an Herrn Abgeordneten Homeyer.