Protocol of the Session on May 30, 2002

Wir müssen deshalb mit den uns allen zur Verfügung und zu Gebote stehenden Mitteln versuchen, verlorenen Boden zurückzu

gewinnen und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Bundesländern, Bund und EU wieder herzustellen. Dabei sollten die allgemeine Regelungswut abgebaut und der Grundsatz der Subsidiarität wieder in den Vordergrund gerückt werden.

Doch das ist viel leichter gesagt als getan. Ich erinnere nur an die große Grundgesetznovellierung des Jahres 1994, als die deutsche Einheit und der europäische Gedanke verfassungsrechtlich verankert wurden. Damals haben sich die Länder trotz paritätischer Besetzung der Verfassungskommission aus Bundestag und Bundesrat nur in sehr bescheidenem Maße - im Grunde unzureichend - durchsetzen können.

Meine Damen und Herren, das soll natürlich nicht heißen, dass wir resignieren, im Gegenteil: Es gibt inzwischen zahlreiche hervorragende Initiativen und Vorschläge zur Reform des Föderalismus von Parlamenten und Fraktionen, von Ministerpräsidenten und Landesregierungen, von Sachverständigen, Hochschulen und Stiftungen. Enquetekommissionen haben getagt und Berichte vorgelegt. Es kommt nach meiner Auffassung jetzt darauf an, dies alles zu bündeln und ein möglichst einheitliches Reformpaket zu schnüren.

Die in dem Antrag der PDS genannte Forderung, wonach die Landesparlamente als eigenständige Verfassungsorgane an den Diskussionen um die Zukunft des Föderalismus in Deutschland beteiligt werden müssen und der Landtagspräsident dies in geeigneter Weise umsetzen soll, ist meines Erachtens Theorie und so nicht praktibel. Wer soll die Landesparlamente wie beteiligen? Letztlich können Sie sich doch nur selbst aktiv in diesen Diskussionsprozess einbringen oder sich gemeinsam über das Verfassungsorgan Bundesrat zu Wort melden.

Realistischer und Erfolg versprechender erscheint mir die kürzlich eingebrachte Initiative der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzendenkonferenz. Sie schlägt einen Konvent der Landesparlamente vor, der die Diskussion über die Reform des Föderalismus begleitet und Empfehlungen für eine gemeinsame Position erarbeitet. Wir würden uns wünschen, dass der Landtag Brandenburg in diesem Sinne mit aktiv wird.

Eine der Voraussetzungen für konkrete Schritte ist die umfassende Unterrichtung durch die Landesregierung über den Stand der Föderalismusdiskussion und über den Meinungsbildungsprozess innerhalb der Ressorts zu fachbezogenen Einzelfragen. Dies darf nicht auf die lange Bank geschoben werden. Wir sollten deshalb eine entsprechende Vorlage bis spätestens zur Plenarsitzung im September dieses Jahres verlangen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen der SPD und CDU haben ihre gemeinsamen Vorstellungen und Ansichten zu diesem bedeutsamen Thema in dem Ihnen vorliegenden Entschließungsantrag zusammengefasst. Wir empfehlen, diese Entschließung anzunehmen. Den Antrag der PDSFraktion lehnen wir aus den genannten Gründen ab. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei CDU und SPD)

Das Wort geht an die Landesregierung. - Herr Minister Schelter, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Diskussion über den Föderalismus in Deutschland sprechen wir über die Zukunft Deutschlands und seiner Länder. Ich finde es sehr gut, dass diese Debatte viele junge Leute hören. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass sie einiges nicht hätten mit anhören müssen.

Ich finde es unerträglich, aus welchem Blickwinkel heraus sich die DVU-Fraktion mit dem Strafvollzug in Brandenburg befasst, und ich hoffe, dass wir das in Zukunft nicht mehr erleben müssen.

(Beifall bei CDU, SPD und PDS)

Ich finde es auch unerträglich - ich mache mich damit nicht zum Anwalt der PDS; denn das hat sie nicht nötig -, im Zusammenhang mit der Vertretung der PDS in den Landtagen von maroden Staaten zu sprechen. Ich weise im Namen dieses Landes diesen ungeheuren Vorwurf zurück.

(Beifall bei CDU, SPD und PDS)

Meine Damen und Herren, das Grundgesetz hat die Bundesrepublik Deutschland als Bundesstaat konstituiert, in dem die Staatsfunktionen und die damit verbundenen Kompetenzen auf Gesamtstaat und Länder verteilt sind.

Der Bund hat seit In-Kraft-Treten des Grundgesetzes wesentliche Gesetzgebungsbefugnisse an sich gezogen. Das Hauptaktionsfeld ist dabei die konkurrierende Gesetzgebung. Hier hat das Grundgesetz eine ganz einfache Regelung aufgestellt. Die Länder haben danach die Befugnis zur Gesetzgebung, soweit dieses Grundgesetz nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verleiht.

In der Verfassungswirklichkeit hat sich inzwischen das Verhältnis von konkurrierender Bundes- und Landesgesetzgebung grundlegend verändert. Während es früher als ausgewogen angesehen werden konnte, ist dieses Verhältnis inzwischen aus der Balance geraten. Es besteht auch aus diesem Grund dringender Reformbedarf in unserer bundesstaatlichen Ordnung.

Das ist nicht neu: Die gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat hat bereits in den Jahren 1992/1993 mit Erfolg versucht, die Balance durch zwei Vorschläge wiederherzustellen.

Zum Ersten wurden die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen durch den Bund verschärft. Der Bund hat in diesem Bereich die Gesetzgebungskompetenz unter anderem nur noch dann, wenn eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich ist.

Zum Zweiten wurden Öffnungsklauseln eingeführt, die es möglich machen, dass der Bund durch Gesetz einzelne Zuständigkeiten wieder an die Länder zurückgibt, wenn die erwähnte Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung nicht mehr besteht.

Meine Damen und Herren, diese beiden Verfassungsänderungen haben allerdings bei weitem nicht die beabsichtigte Wirkung

erzielt. Deshalb haben die Regierungschefs von Bund und Ländern im Dezember 2001 völlig zu Recht die Überprüfung der bundesstaatlichen Ordnung im Hinblick auf die Zweckmäßigkeit und Effizienz der Aufgabenerfüllung und die Zuordnung der politischen Verantwortlichkeiten beschlossen.

Sie haben zu diesem Zweck die Festlegungen zur Aufbau- und Ablauforganisation der Bund-Länder-Verhandlungen getroffen. Danach wird es verschiedene jeweils bundes- und länderseitig besetzte Gremien geben. Die Arbeitsgruppen Finanzen und innerstaatliche Kompetenzordnung haben zum Beispiel jeweils Unterarbeitsgruppen gebildet. Die Aufgabe der Unterarbeitsgruppen und Arbeitsgruppen wird es sein, konkrete Vorschläge für eine Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung zu erarbeiten.

Die Tätigkeit dieser Arbeitsgruppen soll von einem Lenkungsausschuss gebündelt und koordiniert werden, der auch den Beratungsprozess zwischen Bund und Ländern steuern soll.

Die Verhandlungskommission soll, wenn ich es so sagen darf, die “eigentlichen” Verhandlungen zwischen dem Bund und den Ländern führen und die Entscheidungen der Regierungschefs vorbereiten.

Meine Damen und Herren, Sie können sich vorstellen, dass eine Diskussion über eine Neuordnung der Kompetenzen des Bundes und der Länder nur mit Blick auf das Grundgesetz weniger Erfolg versprechend wäre.

Wie wir wissen, ist im Lauf der Jahrzehnte eine dritte Ebene hinzugekommen, die ihrerseits immer mehr Kompetenzen beansprucht. Die Europäische Union muss beim Prozess der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung mit in den Blick genommen werden.

Der Konvent, der die nächste Regierungskonferenz vorbereiten soll, muss vor allem die Frage beantworten, wie die Kompetenzen zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedsstaaten verteilt werden sollen.

Eine heikle Frage wird in diesem Zusammenhang auch sein, wie in Zukunft das Recht der Europäischen Union in nationales Recht der Bundesrepublik Deutschland umgesetzt werden soll. Herr Abgeordneter Klein hat darauf verwiesen, dass zu Recht die Frage gestellt werden kann, ob in jedem Umfang der Bund beteiligt werden muss, wenn es um ausschließliche Kompetenzen der Länder geht.

Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund werden bei der Arbeit der mit dem Reformprozess befassten Gremien vor allem folgende Themen eine zentrale Rolle spielen: Mischfinanzierung, Gesetzgebungskompetenzen, Europatauglichkeit des Grundgesetzes, Umsetzung von EU-Recht in nationales Recht, Kompetenzen in EU-Angelegenheiten und grenzüberschreitende Kompetenzen.

Meine Damen und Herren, es geht Ihnen um die Frage, in welcher Form die Länder beteiligt werden. Wir versprechen Ihnen, dass die Landesparlamente und ihre Mitglieder angemessen, rechtzeitig und auf geeignete Weise beteiligt werden.

Über die Ergebnisse der Verhandlungen in der Sache gibt es

heute noch nichts zu berichten und auch im September wird es voraussichtlich noch um den Verfahrensstand gehen; denn bisher haben lediglich die konstituierenden Sitzungen der genannten Gremien stattgefunden.

Ich gehe davon aus, dass frühestens Anfang des Jahres 2003 über die Sachthemen inhaltlich zu sprechen und damit auch in unserem Land Abstimmungsbedarf vorhanden sein wird. - Vielen Dank.

(Beifall bei CDU und SPD)

Wir sind am Ende der Rednerliste. Ich schließe die Aussprache und rufe zur Abstimmung über den Antrag der PDS-Fraktion Drucksache 3/4144 - auf. Wer diesem Antrag folgen möchte, möge die Hand aufheben. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt.

Als Zweites lasse ich über den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen in der Drucksache 3/4390 abstimmen. Wer diesem Entschließungsantrag folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? Damit ist der Entschließungsantrag mehrheitlich angenommen worden.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 4, um Tagesordnungspunkt 5 aufzurufen:

Tariftreuegesetz - Abstimmung im Bundesrat

Antrag der Fraktion der DVU

Drucksache 3/4276

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der antragstellenden Fraktion. Frau Abgeordnete Hesselbarth, Sie haben das Wort. Teilen Sie bitte die Redezeit für die Begründung und den Debattenbeitrag! Dann folgt jetzt die Begründung.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! “Tariftreue” ist ein mittelstandsfeindlicher Euphemismus. Der Deutsche Bundestag hat am 26. April 2002 dem rot-grünen Entwurf eines Gesetzes zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen und zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen beschlossen. Mit diesem Gesetz sollen öffentliche Auftraggeber verpflichtet werden, Aufträge im Baubereich und im öffentlichen Personennahverkehr an eine Verpflichtung der Unternehmen zu binden, ihren Arbeitnehmern die am Ort der Leistungsausführung einschlägigen Lohn- und Gehaltstarife zu zahlen. Ziel soll es sein, Wettbewerbsverzerrungen entgegenzuwirken, die durch den massiven Einsatz von Niedriglohnkräften entstehen, und die Belastungen für die sozialen Sicherungssysteme zu mildern.

Zusammen mit dem Tariftreuegesetz sollen auch die gesetzlichen Grundlagen für ein Register unzuverlässiger Unternehmen geschaffen werden. In diesem Register sollen Unternehmen geführt werden, die wegen angeblich schwerer Verfehlungen

von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen worden sind.

Die Folge für die ostdeutsche Bauwirtschaft wird - das ist nicht nur Auffassung der DVU-Fraktion, sondern auch Erkenntnis namhafter Betriebe aus dem Baugewerbe - eine Vielzahl weiterer Insolvenzen und Unternehmenspleiten sein.

Das Gesetzesansinnen der Bundesregierung stellt einen deutlichen Eingriff in den ohnhin schon stagnierenden Markt dar, den gerade die Bauunternehmen aus den jungen Ländern nicht auch noch verkraften können. Ebenso wie das vor zwei Jahren in Kraft getretene Gesetz zur Zahlungsbeschleunigung wird sich das so genannte Tariftreuegesetz als nicht wirksam erweisen. Ebenso wie das Gesetz zur Bauabzugssteuer, das seit Januar dieses Jahres in Kraft ist, wird das Tariftreuegesetz ein Rohrkrepierer sein, denn nicht eine einzige Stunde Schwarzarbeit kann dadurch verhindert werden. Lediglich der Verwaltungsaufwand wird für die betroffenen Unternehmen weiter gesteigert und weitere Ordner werden gefüllt.

Nach Auffassung des Deutschen Städte- und Gemeindetages führt das von der Bundesregierung beabsichtigte Tariftreuegesetz zu einer Existenzgefährdung der Mehrzahl der Unternehmen in den neuen Ländern. Der derzeit vorliegende Gesetzentwurf hätte zur Konsequenz, dass unsere Bauunternehmer, die sich um einen Auftrag in Westdeutschland bewerben, gezwungen wären, ihre Arbeitnehmer zu den in Westdeutschland geltenden, wesentlich höheren Tarifen zu entlohnen. Die zwischen Ost- und Westlöhnen bestehende Tarifdifferenz kann indes von Bauunternehmen in den neuen Ländern nicht aufgefangen werden. Die Folge ist, dass den Unternehmen aus den neuen Ländern der gesamte Auftragsmarkt der alten Bundesländer weitgehend verschlossen bleibt.

Für den öffentlichen Nahverkehr indes besteht kein Bedarf für eine Tariftreueverpflichtung, da es - anders als im Bausektor derzeit keine Wettbewerbsverzerrungen durch den Einsatz von Niedriglohnkräften gibt.

Die Verpflichtung zur Tariftreue würde die Beschaffung öffentlicher Auftraggeber verteuern und stünde einer wirtschaftlichen Auftragsvergabe diametral entgegen. Der Bundesverband der Deuschen Industrie hält den Entwurf daher mit Recht für verfassungswidrig und für unvereinbar mit dem Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit des EG-Vertrages.