Protocol of the Session on March 7, 2002

Vielen Dank für Ihr Entgegenkommen, Herr Präsident.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich ist dieser Report für Brandenburg von ganz großem Interesse. Der Frauengesundheitsreport 2001 der Bundesregierung analysiert und bewertet eingehend die Zusammenhänge zwischen sozialer Lage, Gesundheit und Krankheiten von Frauen.

Wir haben die Veröffentlichung zum Anlass genommen, einen eigenen Bericht zur Gesundheit von Frauen und Männern in Brandenburg vorzubereiten. Er soll die geschlechtsspezifischen Unterschiede unter anderem in der Gesundheitsvorsorge, im Krankheitsgeschehen, in den Behandlungs- und Nachsorgeeinrichtungen herausarbeiten und dabei zum Beispiel auch die regionalen Besonderheiten berücksichtigen. Das geschieht auf der Grundlage verfügbarer landesbezogener Daten.

Dieser Report ist ein umfangreiches Vorhaben und erfordert einen erheblichen statistischen Aufwand. Dennoch, wir arbeiten daran und wollen den Report möglichst noch in diesem Jahr vorlegen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Ich danke auch. - Nun sind wir am Ende des Tagesordnungspunktes 1, der Fragestunde, den ich damit schließen kann.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Weniger Qual durch mehr Wahl? - Chancen und Risiken einer Reform der Arbeitsvermittlung für den Brandenburger Arbeitsmarkt

Antrag der Fraktion der PDS

Das Wort geht an die Vertreterin der PDS-Fraktion. Frau Dr. Schröder, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf welcher Seite eines Schreibtisches der Mensch in Amtsstuben sitzt, ist im Leben schon von Belang, umso mehr, wenn dieser Schreibtisch in einem Arbeitsamt steht, da es hier um Existenzfragen geht.

Der Gang zum Arbeitsamt ist kein leichter: eine Nummer ziehen, eine Nummer sein, Wartezeiten auf tristen Fluren, das Klicken der Nummernanzeigen im Ohr, Formblätter en masse, Arbeitsvermittler, zuständig für 500 bis 600 Arbeitslose, ein 10Minuten-Gespräch und wieder kein Jobangebot und das ungute Gefühl, nicht Mensch, sondern ein Verwaltungsakt unter vielen zu sein.

Sowohl die Hilflosigkeit aufseiten der Arbeitsvermittler als auch die Hoffnungslosigkeit aufseiten der Arbeitslosen sind im Grundsatz nicht individuell verschuldet. Beides ist durch Massenarbeitslosigkeit gesellschaftlich bedingt.

Der so genannte Vermittlungsskandal der Bundesanstalt für Arbeit soll vor allem von dieser grundlegenden Wahrheit ablenken. So haben wir ihn wieder, rechtzeitig vor der Bundestagswahl, den arbeitsmarktpolitischen Skandal um die gegenseitigen Vorwürfe über Tricksen, Fälschen und das Schönen von Bilanzen.

Konnte man 1998 wenigstens noch sagen, dass mit Kohls Wahlkampf-ABM einige Menschen zeitweilig in Beschäftigung gebracht wurden, so muss heute die Führung von Statistiken dazu herhalten, über den Erfolg oder Misserfolg der Beschäftigungspolitik der jeweiligen Regierung zu urteilen, und zwar ohne damit auch nur einem einzigen Arbeitslosen eine neue Stelle zu verschaffen.

Im Grunde ist es ganz einfach: Wir hatten am Ende der Ära Kohl 4,3 Millionen Arbeitslose und wir stehen heute an der gleichen Schwelle. 1998 ist die Vermittlungsstatistik der Arbeitsämter nicht anders geführt worden als heute. Wer aber die aktuelle Diskussion verfolgt, gewinnt manchmal den Eindruck, wir hätten ein schier unendliches Potenzial an Arbeitsplätzen und die Arbeitsämter sähen den Wald vor lauter Bäumen nicht. So sind die Verhältnisse nicht, schon gar nicht in Brandenburg.

Brandenburgs Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Finanzlage befindet sich heute auf einem Tiefpunkt, den Sie, meine Damen und Herren der Landesregierung, zu einem großen Teil mit zu verantworten haben. Die einzigen Statistiken, die in Brandenburg noch nach oben weisen, sind die der Arbeitslosenzahlen, der Insolvenzen und der Schwindel erregenden Schulden. Alles andere geht bergab, vor allem das Wirtschaftswachstum. Das sind die schlechten Rahmenbedingungen für Brandenburger Arbeitsvermittler, ob private oder öffentliche.

Sie, meine Damen und Herren von der Landesregierung, tragen die Verantwortung dafür, dass das Finanzvermögen nicht in Arbeitsvermögen des Landes umgewandelt wird. Das ist das eigentliche Problem! Ohne geordnete Finanzen, ohne gesunde Wirtschaft und ohne intakten Arbeitsmarkt kann es auch keine wirksame Arbeitsvermittlung geben. Wir brauchen keine politischen Prestigeprojekte, wir brauchen solide finanzierte Arbeitsplätze, die Zukunftsfähigkeit versprechen. Wir brauchen keine Vermittlungsoffensive, wir brauchen vordergründig bundesweit eine Beschäftigungsoffensive in folgenden Punkten: erstens die Reform der Unternehmensförderung mit dem Ziel einer Minimierung von Mitnahmeeffekten und einer Konzentration auf Beschäftigung schaffende Investitionen mit Priorität der Mittelstandsförderung; zweitens die gerechte Verteilung des vorhandenen Arbeitsvolumens durch allgemeine Arbeitszeitverkürzung und dazu als Sofortmaßnahme den radikalen Abbau von Überstunden, weil mit dem prognostizierten Wachstum von 0,6 %

die Beschäftigungsschwelle in diesem Jahr weit weg ist; drittens keine weiteren Kürzungen in der Arbeitsmarktpolitik, sondern eine Ausweitung der aktiven Arbeitsförderung auf qualitativ höherem Niveau.

Ich freue mich, dass die SPD auf ihrem Parteitag am Wochenende dies der CDU noch einmal ins Stammbuch schreiben will.

Viertens brauchen wir die Ausweitung der öffentlich geförderten Beschäftigung für am Arbeitsmarkt besonders benachteiligte Gruppen, vor allem für den hohen Anteil der älteren Arbeitslosen.

Fünftens halten wir an der Forderung der Auflage eines kommunalen Infrastrukturentwicklungsprogramms fest. Wir müssen sechstens - über eine Meldepflicht bezüglich offener Stellen nachdenken. Die Wirtschaft behauptet ja immer, es gebe bundesweit 1,5 Millionen Vakanzen. Hier gehören die Karten endlich auf den Tisch.

Der Blick auf eine alternative Beschäftigungspolitik wird jedoch mit der alleinigen Diskussion um die Vermittlungsstatistik bewusst verstellt. Und es geht auch schon nicht mehr um den vermeintlichen Skandal, sondern um einschneidende Eingriffe in den Sozialstaat.

Der neoliberale Zeitgeist schlägt und die Chance wird ergriffen, heiße Eisen in der Arbeitsmarktpolitik kräftig anzupacken, unter anderem die Ausweitung von Niedriglohnarbeit, die Zerschlagung der Flächentarifverträge, die Lockerung des Kündigungsschutzes, die Senkung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld, die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe oder die noch restriktivere Regelung von Verfügbarkeit und Zumutbarkeit in Richtung Zwang zur Aufnahme gesellschaftlicher Arbeit zu beschämender Entlohnung. All das steht zur Disposition - und inzwischen gar die Bundesanstalt für Arbeit als solche.

Vor allem von Unternehmerverbänden wird der schon bekannte Ruf nach vollständiger Privatisierung der Arbeitsvermittlung lauter. Die PDS-Fraktion spricht sich ganz entschieden dagegen aus, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Arbeitsämter zu Sündenböcken für eine verfehlte Politik zu machen.

(Beifall bei der PDS)

Das heißt nicht, dass wir der Meinung wären, dass in den Arbeitsämtern alles so bleiben kann, wie es ist. Vor allem brauchen wir dort mehr Transparenz, wir brauchen dringend mehr Service und mehr Kundenorientierung. Arbeitslose brauchen echte Partner an ihrer Seite, also keine Arbeitsberater, von denen sie wie Bittsteller behandelt werden.

Der Job eines Arbeitsvermittlers sollte nicht Beruf, sondern Berufung sein. Die Personalauswahl innerhalb der Bundesanstalt für Arbeit muss viel stärker nach Qualifikation, Motivation und sozialem Engagement erfolgen. So ist zum Beispiel nicht einzusehen, warum die Arbeitsämter vornehmlich Juristen neu anstellen und nicht vorrangig Soziologen, Psychologen oder Volkswirte als Nachwuchskräfte gewonnen werden.

Natürlich besteht ein Missverhältnis, wenn bundesweit nur knapp 10 % - in Brandenburg etwa 15 % - der Arbeitsamtsmitarbeiter als reine Arbeitsvermittler tätig sind. Darum lautet

unsere Forderung: Arbeitsämter müssen sich auf die Umsetzung von Arbeitsmarktpolitik konzentrieren und dazu von sachfremden Aufgaben entlastet werden.

Das Reformprojekt „Arbeitsamt 2000”, das sich mit den Ansätzen Kundenfreundlichkeit, passgenaue Arbeitsvermittlung und ganzheitliche Betreuung der Arbeit Suchenden gut anließ, bedarf einer gründlichen Auswertung und Entwicklung. Hierauf sollten sich politische Weichenstellungen richten, doch stattdessen ziehen immer mehr Politiker - von FDP und CDU sowieso, aber nun auch von SPD und Grünen - den vermeintlichen Joker Privatisierung aus dem Ärmel.

Meine Damen und Herren, ich erinnere mich noch gut an das Jahr 1994, als durch Gesetzesänderung das so genannte Vermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit mit der Erlaubnis privater Arbeitsvermittlung fiel. Zeitgleich wurde das Stelleninformationssystem in den Arbeitsämtern als neuer Service für Arbeitslose eingeführt, nicht zuletzt auch aus Angst vor der privaten Konkurrenz, die damals bei den Mitarbeitern der Arbeitsämter tatsächlich umging.

Die Angst damals war aus heutiger Sicht unbegründet. Die gewerbsmäßigen Arbeitsvermittler in der Region Berlin-Brandenburg sind lediglich zu 7 bis 8 % an Abschlüssen von vermittelten Arbeitsverhältnissen beteiligt. Zu 76 % vermitteln private Dienstleister in unserer Region Beschäftigungsverhältnisse mit einer Dauer von bis zu 7 Tagen - vorrangig Hilfsarbeiter und Künstler. Somit konzentriert sich das Vermittlungsgeschäft in erster Linie auf die auch schon vor 1994 lizenzierten Künstleragenturen und auf Zeitarbeitsfirmen, und das, obwohl die Voraussetzungen der Erlaubniserteilung für private Arbeitsvermittlung seit 1994 sehr locker geregelt sind. Notwendig sind lediglich der Nachweis der Eignung, geordnete Vermögensverhältnisse und angemessene Geschäftsräume.

Private Arbeitsvermittlung scheint kein sonderlich lukratives Geschäftsfeld im Osten und schon gar nicht in Brandenburg zu sein. Den Brandenburger Arbeitslosen jedenfalls bringt heute mehr Wahl auf dem Vermittlungsmarkt nicht weniger Qual bei der Arbeitsuche.

Die PDS ist für ein Nebeneinander bzw. Miteinander von öffentlichen, privaten und dritten Dienstleistern auf dem Vermittlungsmarkt. Wir sind jedoch gegen eine generelle Privatisierung der Arbeitsvermittlung. Wichtig ist, zu welchen Konditionen private Arbeitsvermittlung betrieben wird, und entscheidend ist die Frage: Wer bezahlt wann die Dienstleistung?

Nach unserer Auffassung muss die Finanzierung beauftragter Privater oder Dritter weiterhin entweder durch den Arbeitgeber oder durch die Bundesanstalt für Arbeit erfolgen. Eine Finanzierung durch Arbeitslose lehnen wir strikt ab.

Reformieren statt privatisieren - das, meine Damen und Herren, ist die Aufgabe, vor der wir in der Arbeitsvermittlung stehen. Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Dr. Schröder. - Das Wort geht an die Fraktion der SPD, an die Abgeordnete Konzack.

Ehe Frau Konzack hier vorn ist, begrüße ich wieder junge Gäste im Landtag, und zwar Schüler der Gesamtschule Storkow. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem sich Frau Dr. Schröder von der PDS redlich bemüht hat, schwärzeste Bilder heraufzubeschwören und fast alles, was in Bewegung gekommen ist...

(Zurufe von der PDS)

- Schwärzeste Bilder heraufzubeschwören, nicht schwarze! Sie hat fast alles, was jetzt in Bewegung gekommen ist, infrage gestellt.

Ich möchte gern sachlich auf unser eigentliches Thema zurückkommen: „Weniger Qual durch mehr Wahl?”

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

So haben Sie ja Ihre Aktuelle Stunde überschrieben.

(Zuruf der Abgeordneten Frau Dr. Schröder [PDS])

Natürlich stehen die Vermittlung und das Angebot von Arbeitsplätzen im Zusammenhang. Entscheidend für das Thema dieser Aktuellen Stunde ist jedoch die Wechselwirkung zwischen diesen beiden Komplexen und nicht der Gestaltungsspielraum, der der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesländer, einschließlich Brandenburgs, zur Verfügung steht, um die Rahmenbedingungen für die Schaffung von Arbeitsplätzen zu verbessern. Dann müssten wir an dieser Stelle hauptsächlich über Ansiedlung, Infrastruktur und Steuerpolitik reden

(Frau Kaiser-Nicht [PDS]: Ja, natürlich!)