Protocol of the Session on March 6, 2002

Das Wort geht an die CDU-Fraktion. Für sie spricht die Abgeordnete Hartfelder.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesem Beitrag fällt es mir schwer, mit meiner Rede zu beginnen. Ich habe in den letzten zehn Minuten hin und her überlegt, was ich tun sollte: darauf reagieren oder nicht? Meine Damen und Herren, ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, dass ich nicht darauf reagiere.

(Beifall bei CDU, SPD und PDS)

Der Bericht der Landesregierung ist Anlass zur Hoffnung. Die meisten von uns haben in den letzten Jahren an unterschiedlichen Initiativen teilgenommen, um der Öffentlichkeit zu zeigen, dass wir uns ein gewaltfreies, tolerantes und weltoffenes Brandenburg nicht nur wünschen, sondern auch bereit sind, dafür einzutreten.

Allen Initiativen und Netzwerken, allen, die sich dieser Sache verschrieben haben, sei an dieser Stelle noch einmal doppelt gedankt.

(Beifall bei CDU, SPD und PDS)

Stellvertretend für viele könnte man einzelne Personen nennen, die uns allen eigentlich bekannt sind. Ich möchte das an der Stelle nicht tun, um die Leistungen derjenigen, der vielen Menschen vor Ort - in den Gemeinden, Kreisen und Städten - nicht zu schmälern, sondern besonders zu würdigen.

Die polizeiliche Kriminalstatistik, aber auch Studien - Herr Minister Reiche sprach von der Studie von Herrn Prof. Sturzbecher zur Jugenddelinquenz - zeigen, dass wir auf einem guten Weg sind. Die punktuellen Erfolge im Kampf gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit machen uns Mut, diesen Weg weiter zu beschreiten.

Bemerkenswert finde ich das Konzept, das auf zwei Säulen ruht: auf der Beratung durch mobile Teams und den Anregungen und Förderungen von verschiedenen Initiativen.

Richtig erscheint auch die Bildung von lokalen sowie überregionalen Netzwerken zur Koordinierung von Einzelinitiativen und Maßnahmen. Richtig ist nach meinem Verständnis auch ein permanenter Erfahrungsaustausch.

Dankbar habe ich dem Bericht entnehmen können und vor Ort erfahren, dass sich eine Vielzahl gesellschaftlicher Kräfte und Privatpersonen am Kampf gegen Extremismus und Fremdenfeindlichkeit beteiligt. Vor allen Dingen bringen sich immer mehr Jugendliche ein.

Natürlich, Frau Kaiser-Nicht, könnte man den Bericht anders schreiben; jeden Bericht kann man auf vielfältige Art und Weise schreiben. Aber mein Eindruck vor Ort ist, dass nicht Formalismus Aktionen und die Frage der Toleranz in Brandenburg prägen, sondern dass es eher Nachdenken und auch Spontaneität sind, die da eine Rolle spielen.

Gut ist, dass die Initiativen vor Ort immer weniger einem negativen Anlass folgen, also auf Fremdenfeindlichkeit reagieren, sondern dass es immer mehr offensive Initiativen gibt, die konkrete Prävention darstellen. Jede einzelne Initiative beweist wachsende Souveränität gegenüber den wachsenden Problemen und ist ein Zeichen für das Reifen von Zivilcourage.

Der Ausblick im Bericht ist mir allerdings zu kurz gegriffen. Beschreibt der Bericht, dass es noch nicht gelingt, die Bevölkerung in Größenordnungen einzubinden, so muss dies meines Erachtens als Ziel formuliert werden.

Als Ziel formuliert der Bericht die Notwendigkeit, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens noch mehr in den Kampf gegen Extremismus und Fremdenfeindlichkeit einzubinden. Natürlich ist dies vor Ort schon Realität.

Zukünftig wird es notwendig sein, nicht nur einen gesellschaftlichen Konsens gegen Rechtsextremismus zu finden, sondern jede Art von Extremismus, Terrorismus und Gewalt zu ächten.

Natürlich weiß ich, dass das Problem des Rechtsextremismus ein besonderes ist. Aber darüber darf keine andere Form des Extremismus oder Terrorismus unterschätzt oder gar vergessen werden. In der Folge besonderer Polarisierungen entwickeln sich schneller auch Gegenrichtungen oder andere Extreme von Gewalt, die unter solchen Umständen womöglich nicht die notwendige öffentliche Aufmerksamkeit erfahren. Diese erweiterte Sicht auf Gewalt wäre für mich auch ein Beweis von Glaubwürdigkeit.

Unsere Gesellschaft, unsere Demokratie muss jede Art von Gewalt ächten; denn der Grundsatz, die Würde des Menschen ist unantastbar, darf nicht relativiert werden. Dies gilt für alle in gleicher Weise. Das heißt natürlich im Umkehrschluss: Jede Form von Gewalt und Brutalität ist zu verurteilen und zu ahnden.

Jungen Menschen, die sich aus den verschiedensten Gründen verirrt haben, müssen wir die Chance zur Umkehr geben; wir müssen versuchen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Nichts ist schlimmer als Sprachlosigkeit. Es ist besser, im Dialog mittels Analyse der Ursachen zu Veränderungen zu kommen. Junge Menschen, deren Werte und Normen noch nicht stabil sind, sind leicht zu verführen, gehen Ideologien oder Idolen schnell auf den Leim, wenn ihnen Bindungen, die ihnen sonst im Leben fehlen, geboten werden. Wichtig ist also, junge Leute aus Bindungen herauszubrechen, die Gewaltbereitschaft, Intoleranz und Nichtachtung der Menschenwürde beinhalten oder gar zum Kult erheben.

Nicht nur die großen Aktionen sind es also, die Erfolge versprechen, sondern auch die Hinwendung zu jungen Menschen, ihren Problemen und Vorstellungen, ist nötig. - Danke.

(Beifall bei CDU und SPD sowie vereinzelt bei der PDS)

Damit sind wir am Ende der Rednerliste und ich schließe die Aussprache. Damit ist der Bericht der Landesregierung in der Drucksache 3/3779 zur Kenntnis genommen.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 8 und rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:

Marktchancen BBI

Große Anfrage 34 der Fraktion der PDS

Drucksache 3/3370

Antwort der Landesregierung

Drucksache 3/3786

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der die Frage stellenden Fraktion. Frau Abgeordnete Tack, bitte sehr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der Großen Anfrage der PDS-Fraktion “Marktchancen BBI” gibt es eigentlich nur ein Fazit und das heißt: Deutschland braucht kein drittes Luftdrehkreuz. Einige Punkte in Ergänzung dessen, was wir heute Morgen anlässlich der Aktuellen Stunde diskutiert haben, und hierbei ausdrücklich noch einmal schwerpunktmäßig auf Prognosen und Chancen zum Flughafen eingehend:

Erstens: Die in den Planfeststellungsunterlagen enthaltenen Bedarfsprognosen für das BBI-Projekt sind veraltet und überholt. Die Einwohnerzahl von etwa 6 Millionen Menschen in Berlin-Brandenburg und das seit Jahren extrem schlechte Wirtschaftswachstum in dieser Region führen auch unter Berücksichtigung der intensiven Bemühungen der BBF um die Erschließung eines Marktes in Osteuropa in absehbarer Zeit nicht zu dem erforderlichen Geschäftsreise- und Privatverkehr für ein drittes Luftdrehkreuz am Standort Schönefeld.

Die Aussage der Landesregierung, dass am Standort Schönefeld die Entwicklung eines Luftdrehkreuzes möglich sei,

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

ist daher unseres Erachtens schlichtweg falsch.

Zweitens: Die Tatsache, dass in Deutschland in diesem und im nächsten Jahrzehnt kein drittes Luftdrehkreuz benötigt wird, ist in den BBI-Prognosedaten bis zum Jahr 2020 nicht berücksichtigt. Keine seriöse Prognose kann vorhersehen, meine Damen und Herren, was in 10, 15 oder gar 20 Jahren sein wird; relativ verlässliche Daten lassen sich für die nächsten 5 Jahre ermitteln. Es liegen uns hierzu die neuesten Zahlen vom 28. Januar dieses Jahres vor.

Realistische Prognosen rechnen danach für die Region Brandenburg-Berlin bis zum Jahr 2007, das bisher immer der

anvisierte Eröffnungs- und Inbetriebnahmetermin für den Flughafen war, mit einem Passagieraufkommen zwischen 13,6 Millionen Passagieren pro Jahr - damit rechnet die Lufthansa Consulting - und 17,3 Millionen Passagieren pro Jahr - so rechnet die Deutsche Lufthansa. Dazwischen liegen die Zahlen der Bewerber IVG und Hochtief von 14,4 Millionen und der BBF selbst von 15,8 Millionen Passagieren pro Jahr. Das heißt, für das Jahr 2007 sind diese Zahlen - bei einem gegenwärtigen Aufkommen von circa 12,6 Millionen Passagieren pro Jahr an allen drei Flughäfen in Berlin und Schönefeld - prognostiziert. Wenn man sich diese Zahlen ansieht, heißt das: Auch die Prognosen der BBF und des Bewerberkonsortiums liegen deutlich unter den inzwischen hoffnungslos veralteten BBI-Prognosezahlen aus dem Antragsverfahren.

Drittens: Die im BBI-Planfeststellungsantrag enthaltenen Passagierzahlen müssen schon für dieses Jahrzehnt - und erst recht für die nächsten Jahrzehnte - kräftig nach unten korrigiert werden, einfach deshalb, weil sie überzogen sind. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die zwangsläufige Verlagerung von Kurzstreckenflugverkehr auf die Schiene durch verbesserte Bahnanbindungen für einen Bereich bis zu 400 km, insbesondere auch nach Fertigstellung/Inbetriebnahme des Lehrter Bahnhofs in Berlin.

Die Aussage der Landesregierung in der Antwort auf Frage 11, dass eine weitestgehende Substitution von Flugverkehr durch Schienenverkehr in den Verkehrsprognosen zum Planfeststellungsantrag bereits berücksichtigt sei, kann so nicht stimmen, sonst wären die Prognosezahlen für die Zeit nach 2007 deutlich niedriger ausgefallen.

Ein vierter Punkt:

“Voraussetzung für die Entwicklung eines Luftdrehkreuzes ist das Vorhandensein der erforderlichen Infrastruktur und der passenden Rahmenbedingungen”,

sagt uns die Landesregierung in der Antwort auf die Frage 12. Beide Voraussetzungen, meine Damen und Herren, fehlen in der Region Berlin-Brandenburg. Deshalb liegen der BBF, zum Beispiel vonseiten der Deutschen Lufthansa, auch keine Zusagen für eine Unterstützung des BBI-Projektes als drittem deutschen Luftdrehkreuz vor. In aktuell gültigen Eckpunkten der Deutschen Lufthansa zum Thema “Hauptstadtflughafen BBI” heißt es dazu ganz nüchtern und sachlich:

“Die Deutsche Lufthansa unterstützt den Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld zu einem leistungs- und wettbewerbsfähigen Hauptstadtflughafen.”

Ich denke, das ist ein Nenner, auf den man sich einigen kann.

Ein fünfter Punkt: Noch etwas ganz Entscheidendes ist in den BBI-Prognosen der Landesregierung nicht berücksichtigt, nämlich die Tatsache der Neustrukturierung des Luftverkehrsmarktes nach dem 11. September - und das international und auf die Situation in Europa bezogen.

An dieser Stelle will ich bemerken, weil diese Frage auch heute Morgen in der Debatte eine Rolle spielte: Es gibt nicht erst seit dem 11. September eine Krise in der internationalen Luftfahrt, sondern auch vor dem 11. September wurden bereits Kapazitä

ten und Personal mangels Nachfrage abgebaut. Natürlich gab es im Zusammenhang mit dem Terroranschlag vom 11. September einen gravierenden Einbruch der Prognosezahlen.

Die Neustrukturierung des Luftverkehrsmarktes nach dem 11. September bringt Folgendes mit sich: Alle neuen Analysen dazu gehen davon aus, dass es in Europa eine weitere Konzentration des Luftverkehrs auf drei Ebenen geben wird. Zum einen wird es große Netzwerke geben, die global operieren, zum Zweiten wird es regionale Anbieter geben, die Nischen und einzelne Märkte bedienen, und drittens wird es Airlines geben, die auf nachfragestarken Strecken zwischen sekundären Airports mit geringen Gebühren fliegen. Das zeichnet sich als Neustrukturierung des europäischen Luftverkehrsmarkts ab.

All das wird zu einer Effektivierung und Intensivierung der vorhandenen Standorte und Strecken führen, meine Damen und Herren, und nicht zu einer weiteren grenzenlosen Expansion des Luftverkehrs. Einen Trend zum extensiven Ausbau von HubSystemen in Deutschland, wie von der Landesregierung in der Antwort auf Frage 15 unterstellt, gibt es vor diesem Hintergrund nicht. Der Traum vom internationalen Luftdrehkreuz BerlinBrandenburg, meine Damen und Herren, ist im Zusammenhang mit der nüchternen Analyse der Fakten und den Prognosedaten wirklich ausgeträumt.

Ein sechster Punkt: Die Arbeitsplatzprognosen für den Flughafen Berlin Brandenburg International sind überzogen und ich verweise in diesem Zusammenhang auf unsere Debatte heute Morgen in der Aktuellen Stunde. Ich will mir das vorzutragen sparen, das kann jeder nachlesen. Zudem antwortet die Landesregierung auf unsere Fragen zu der Notwendigkeit eines Luftdrehkreuzes am Standort Schönefeld sehr widersprüchlich. Ich verweise auf Widersprüche in den Antworten auf die Fragen 3, 4, 12 und 16 und komme in diesem Zusammenhang zu dem Fazit, das lautet: Für ein drittes deutsches Luftdrehkreuz am Standort Schönefeld gibt es keinen Bedarf und ein drittes Luftdrehkreuz am Standort Schönefeld hat keine Marktchancen.

Die neuesten Passagierprognosen sind demzufolge sachlich und nüchtern und bieten erneut die Gelegenheit, zum BBI-Projekt zu fragen: Was für einen Flughafen brauchen wir eigentlich in der Region und was können wir uns überhaupt finanziell leisten? Die PDS fordert daher - ich wiederhole mich in diesem Zusammenhang bezüglich der Debatte von heute Morgen - eine Überarbeitung der Bedarfsbegründung für einen Single-Flughafen am Standort Schönefeld. Wir sind der Auffassung, dass das BBI-Flughafenprojekt jetzt endlich vor allem hinsichtlich der zumutbaren und vertretbaren Belastung für Menschen und Umwelt auf realistische Füße gestellt werden muss. Wir verlangen deshalb die Rückführung dieses Projektes auf das erforderliche Maß. In diesem Zusammenhang wiederhole ich unsere Forderung nach dem rechtssicheren Abbruch des laufenden BBI-Vergabeverfahrens. - Ich bedanke mich, meine Damen und Herren.