Protocol of the Session on January 23, 2002

Gefordert sind in erster Linie die Tarifpartner. Dort müsste es Ansätze geben. Aber dort passiert natürlich zurzeit noch zu wenig. Kollege Freese könnte dazu etwas sagen. Mir ist nur ein Beispiel aus der Chemieindustrie bekannt, wo es tariflich so geregelt ist, dass Überstunden spätestens nach vier Wochen in Freizeit abgegolten werden müssen, wenn sie nicht vorher abgebaut worden sind. Das könnte Vorbild sein für eine Regelung überhaupt; denn nur die Tarifpartner können wirklich entscheiden, wo Überstunden aus Gründen des Wirtschaftsablaufs, der Innerbetrieblichkeit notwendig sind oder toleriert werden müssen oder wo sie wirklich abgebaut und in zusätzliche Arbeitsplätze umgemünzt werden könnten. Übrigens hat sich der Vorsitzende des DGB Schulte sehr skeptisch dazu geäußert, ob ein Gesetz Chancen hätte, dies wirklich zu regeln.

Was tut nun die Landesregierung, die mit dem Antrag aufgefordert wird? Erstens haben wir das erste Projekt bei INNOPUNKT „Moderne Arbeitszeiten für Brandenburg” auf den Weg gebracht. Dort geht es um flexible Arbeitszeiten und den Abbau von Überstunden. Es sollen also Modelle entwickelt werden, die dann eventuell für andere übernehmbar sind und gegebenenfalls modifiziert werden können.

Zweitens: Es liegt eine Studie vom Dezember 2000 vor - „Modelle zur Arbeitszeitgestaltung und Arbeitszeitumverteilung”. Darin wird noch einmal theoretisch das unterlegt, was in diesem Bereich möglich ist.

Drittens: Es wird schon seit längerem in der Regierung an einem Konzept zu der Frage gearbeitet, wie man Anreize schaffen könnte, Überstunden abzubauen. Nach Vorlage dieses Konzeptes müssen dann in den Bundesländern Verbündete gesucht werden, damit es im Bundesrat eine Chance hat.

Allerdings ist der Ansatz, den wir befürworten, gegensätzlich zu dem, was Sie in Ihrem Antrag fordern. Es ist weniger sinnvoll, durch Reglementierungen und Sanktionierungen das regeln zu wollen, sondern es müssen Anreize geschaffen werden, sodass es sich für das Unternehmen lohnt, Überstunden abzubauen.

Wir können uns vor der Sommerpause im Ausschuss von der Regierung über den Stand der Beratungen zu diesen Themen und der Erarbeitung des Konzeptes berichten lassen. Aus unserer Sicht ist der PDS-Antrag nicht nötig und vom Inhalt her auch wenig hilfreich. Deshalb plädieren wir für dessen Ablehnung. - Vielen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU)

Das Wort geht an die DVU-Fraktion. Für sie spricht der Abgeordnete Schuldt.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dicht daneben ist auch vorbei. Die PDS hat sich um 115 Millionen verschätzt. Statt des von den Gewerkschaften vorausgesagten Anstiegs der Zahl der Überstunden von 65 Millionen ist ihre Zahl weiter gesunken, und zwar nach den letzten Hochrechnungen um 50 Millionen Stunden. Der Grund dafür ist aber nicht, dass sich die Unternehmer die Forderungen des DGB zu Herzen genommen haben, vielmehr hat die schwache Konjunktur die meisten dieser Überstunden schlicht überflüssig gemacht. Neue Arbeitszeitregelungen, beispielsweise Arbeitszeitkonten, taten ein Übriges.

Die voreilige Verwendung der vom DGB veröffentlichten Schätzzahlen in der Antragsbegründung ist symptomatisch für den vorliegenden Antrag der PDS. Auch die von der PDS beantragten Maßnahmen zeugen mehr von blindem Aktionismus, von hilflosem Herumstochern als von sorgfältigen und zielgerichteten Überlegungen, und zwar besonders deshalb, weil Sie sich der pauschalen Unterstellung anschließen, die Unternehmen verweigerten sich einer Reduzierung der Zahl der Überstunden. In Wirklichkeit sind die Unternehmen selbst an einer Reduktion der Zahl der Überstunden interessiert, weil diese wegen der zu zahlenden Zuschläge verdammt teuer sind. Auf der Pressekonferenz des Bundesverbandes der Deutschen Arbeitgeberverbände zur Tarifrunde 2002 vor wenigen Tagen in Berlin sagte deren Präsident Dieter Hundt:

„Die Kritik der Gewerkschaften an Überstunden ist unehrlich. Die Gewerkschaften selbst verhindern zumindest zum Teil den Abbau von Überstunden, indem sie eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit und Langzeitkonten blockieren. Wir haben bisher lediglich in der Stahlindustrie und im privaten Bankengewerbe Branchentarifverträge über Langzeitkonten. In anderen Branchen, wie etwa der Metall- und Elektroindustrie, sind zwar betriebliche Regelungen auf der Basis der bestehenden Tarifverträge möglich, doch hängt die Umsetzung im Einzelfall zumindest teilweise von der Zustimmung der Tarifvertragsparteien ab. Bei den Versicherungen haben sich die Gewerkschaften einer tariflichen Regelung von Langzeitarbeitszeitkonten sogar ausdrücklich verweigert. Das ist nicht Wortbruch der Arbeitgeber, sondern Blockade der Gewerkschaften gegen die Umsetzung von Bündnisvereinbarungen.”

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt in der Praxis sehr viele gute Beispiele von Unternehmen, in denen sich die Einrichtung von Langzeitkonten bewährt hat, zum Beispiel VW, BMW, Bosch und seit kurzem auch Daimler-Chrysler. In all diesen Unternehmen werden Überstunden durch Langzeitkonten erfolgreich reduziert bzw. sogar vermieden.

Außerdem ist die Rechtslage in Deutschland immer noch so, dass sich die meisten Unternehmer davor hüten müssen, in Zeiten kurzfristig vorhandener Mehraufträge neue Mitarbeiter einzustellen. Wenn nämlich einige Zeit danach nicht mehr genügend Arbeit für alle Mitarbeiter vorhanden ist, wird es verflixt

schwierig, die überschüssigen Arbeitskräfte auf saubere und sozialverträgliche Art wieder zu entlassen.

Nein, ich werde hier nicht dem US-amerikanischen Prinzip des „hire and fire” das Wort reden. Die sozialen Errungenschaften in Deutschland, zu denen auch Kündigungsschutz, Sozialpläne usw. gehören, sind für das Funktionieren unserer Gesellschaft wichtig. Doch bei voraussichtlich über 4 Millionen Arbeitslosen und 1,735 Milliarden Überstunden im Jahr muss ernsthaft über eine Reform nachgedacht werden.

Eine sinnvolle und zielgerichtete Arbeitsmarktpolitik muss auch die langfristige Wirkung berücksichtigen, muss etliche aufeinander abgestimmte Maßnahmen umfassen und darf auch vor grundlegenden strukturellen Änderungen nicht zurückschrecken. Der PDS-Antrag ist das genaue Gegenteil davon. Daher lehnen wir ihn ab. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Das Wort geht an die CDU-Fraktion. Für sie spricht der Abgeordnete Homeyer.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob der Antrag ein vermeintlicher Beitrag von Herrn Christoffers ist, um die regionalen Wirtschaftsketten zu stärken, oder der erneute Versuch eines Angriffs auf den ersten Arbeitsmarkt von Frau Dr. Schröder. Wer auch der Initiator sein mag, welche Überlegungen hinter Ihrer parlamentarischen Initiative auch stecken mögen, die CDU-Fraktion hält Ihren Ansatz nicht nur für falsch, sondern sogar für kontraproduktiv. Mit dem Ansatz, den Sie in Ihrem Antrag formuliert haben, werden keine zusätzlichen Arbeitsplätze geschaffen, sondern Arbeitsplätze vernichtet.

Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der PDS-Fraktion, steht im Übrigen exemplarisch für Ihr Politikverständnis. Er steht für Ihre ökonomische Kompetenz - besser: Inkompetenz und ist ein Beleg Ihrer Realitätsferne.

Als Erstes zu Ihrem Politikverständnis: Sie wollen eine ultimative Festschreibung der Wochenarbeitszeit auf höchstens 40 Stunden. Jeder, der zusätzlich arbeiten will, soll es künftig nicht mehr dürfen. Jeder, der einen zusätzlichen Auftrag akquirieren will, soll es nicht mehr dürfen. Wer nur eine Überstunde leistet oder eine verrichten lässt, soll durch höhere Sozialabgaben bestraft werden.

Mit diesen Forderungen Ihres Antrages wollen Sie nicht nur unsere Wirtschaftsordnung, die soziale Marktwirtschaft, zu einer Worthülse verkommen lassen, sondern bemühen Sie sich auch, jeden Leistungsanreiz, sei es für die Arbeitnehmer oder für die Arbeitgeber, zu rauben. Das passt selbstverständlich zu Ihren Bemühungen, den Reichtum des Einzelnen zu begrenzen, aber es passt weder in die heutige Zeit noch zu unserer Wirtschaftsordnung.

Regulieren, Strangulieren, Einschränken und Behindern der Märkte und jedes Einzelnen sind die Rezepte, mit denen Sie

sich der Zukunft stellen wollen. Sie, meine Damen und Herren von der PDS, hatten bereits Ihre politische Zukunft als Partei neuen Typus.

Kommen wir als Zweites zu Ihrer ökonomischen Kompetenz. Die Erkenntnis, dass wir eine Flexibilisierung und Deregulierung der Märkte brauchen, damit Deutschland und Brandenburg im Wettbewerb der Nationen um Investitionen, Arbeitsplätze und Wohlstand bestehen, scheint nicht zum Grundkonsens der PDS zu gehören.

(Vereinzelt Beifall bei CDU und SPD)

Dass aber Ihre Fraktion, Herr Prof. Dr. Bisky, davon ausgeht, dass Arbeit unendlich teilbar und eine umfassende Mobilität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt gegeben sei, ist mir völlig neu. So geht die PDS in ihrem Antrag davon aus, dass der Abbau fast jeder bisher geleisteten Überstunde dazu beiträgt, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Sie ignoriert somit völlig, dass wir bei Umsetzung ihrer Initiative vor dem Problem stünden, dass die Nachfrage nach Arbeitsleistung sänke. Denn warum werden nicht neue Arbeitsplätze geschaffen, wenn es das Arbeitsvolumen und der Umsatz zuließen? Weil die hohen Nebenkosten und die starren Kündigungsregeln es offenbar nicht zulassen.

(Freese [SPD]: Das ist nicht mehr auszuhalten!)

Infolge der von der PDS-Fraktion vorgeschlagenen Veränderungen würde sich Arbeit in Deutschland weiter verteuern. Hinzu kommt - ich zitiere aus dem Wochenbericht des DIW -:

„Gut 10 % aller Erwerbstätigen mit Überstunden in der Haupterwerbstätigkeit verrichten zusätzlich eine Nebenerwerbstätigkeit. Dies deutet darauf hin, dass im Falle eines gesetzlich induzierten Überstundenabbaus Arbeitnehmer mit bezahlten Überstunden versuchen werden, die Einkommensausfälle durch eine Ausweitung ihrer Nebenerwerbstätigkeit zu kompensieren.”

Kurz gesagt: Sie erreichen gar nichts.

Meine Damen und Herren, die Qualifikationsanforderungen werden im Antrag der PDS vollständig vernachlässigt.

(Zuruf des Abgeordneten Freese [SPD])

Des Weiteren vernachlässigt der Antrag, dass Überstunden nicht allerorts in gleichem Umfang geleistet werden. Geht man davon aus, dass die Überstunden in Arbeitsplätze umgewandelt werden, muss man auch eine entsprechend hohe Mobilität auf dem Arbeitsmarkt unterstellen. Dass es diese weder im Land Brandenburg noch in Deutschland gibt, belegen die stark differierenden Arbeitslosenquoten.

Meine Damen und Herren, wie sieht es mit der Wahrnehmung der Realität durch die PDS aus? In der Begründung des PDSAntrages wird auf die steigende Überstundenzahl im Jahr 2001 verwiesen. Wahr ist allerdings, dass es eine - konjunkturell bedingte - Absenkung gegeben hat.

(Gelächter und Beifall bei der PDS)

Des Weiteren machen Sie für das Land Brandenburg im Jahr 2001 das geringste Wirtschaftswachstum aller Bundesländer aus. Woher haben Sie diese Zahl, anhand derer Sie, Herr Prof. Dr. Bisky, auch in Ihrer Jahresabschlussbilanz unterstellt haben, dass Brandenburg hier das Schlusslicht sei?

(Zuruf von der PDS: Von der Bundesregierung!)

Die amtlichen Zahlen sagen doch aus, dass Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt Schlusslicht sind.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend feststellen: Wollen wir, dass Überstunden verstärkt in Arbeitsplätze umgewandelt werden, müssen wir positive Anreize schaffen.

Herr Abgeordneter, bitte kommen Sie zum Schluss Ihrer Rede.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Dazu gehört eine deutliche Reduzierung der Lohnnebenkosten, eine Modernisierung der Sozialsysteme und eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, durch die auch die starren Kündigungsschutzregeln zeitgemäß ausgestaltet werden. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU)

Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, noch eine Frage zu beantworten? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann fahren wir mit dem Beitrag der Landesregierung fort. Herr Minister Ziel, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer Einschätzung sind sich die demokratischen Parteien dieses Hohen Hauses wohl einig: Die Zahl der geleisteten Überstunden ist viel zu hoch und wir müssen sie verringern. - Doch die Wege und die Instrumente dafür sehen wir unterschiedlich.

(Homeyer [CDU]: Allerdings!)

Ihre Vorschläge, meine Damen und Herren von der PDS-Fraktion, orientieren sich meiner Meinung nach zu einseitig auf Verbot und Strafe. Auch aus ökonomischer Sicht halte ich sie für kontraproduktiv.

In der Tat werden in Deutschland jährlich bis zu 1,9 Milliarden Überstunden geleistet. Herr Homeyer hat aber Recht, wenn er sagt, dass die Zahl, die Sie für das abgelaufene Jahr genannt haben, nicht ganz stimmt. Das Forschungsinstitut der Bundesanstalt für Arbeit nennt für das Vorjahr eine andere Zahl, nämlich 1,73 Milliarden. Dennoch ist sie ungeheuer hoch. Ich streite mich nicht über diese Zahlen. Allein für Brandenburg sind es zig Millionen Überstunden, geschätzt rund 30 Millionen.

Vor allem aus arbeitsmarktpolitischen Gründen ist es notwendig, die Zahl der Überstunden deutlich und rasch abzubauen.

Das ist aber auch eine wichtige Herausforderung für das Bündnis für Arbeit.

Meine Damen und Herren, das System der freien Marktwirtschaft funktioniert nicht nach dem Prinzip „Befehl und Gehorsam”. Deshalb sage ich: Wir brauchen keine zusätzlichen Regulierungen, die auf ein Verbot von Überstunden hinauslaufen.