Protocol of the Session on May 16, 2001

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Abgeordnete aus Guben, einer Stadt, die heute schon als Problemstadt Erwähnung fand, bin ich meiner Fraktion sehr dankbar für die Initiati

ve, dieses Thema heute auf die Tagesordnung zu setzen. Ich schätze auch die Bemühungen von Minister Meyer, hierzu Unterstützung von Bund und Land zu organisieren.

Ich möchte mit einigen Zahlen aus Guben die Dringlichkeit eines Konzepts zur Beseitigung des Wohnungsleerstandes unterstreichen. In Guben leben gegenwärtig rund 25 000 Einwohner. 1989 waren es fast 34 000. Das heißt, 9 000 Menschen haben in der Zwischenzeit die Stadt verlassen. Der Grund dafür sind die weggebrochenen Arbeitsplätze in der Hut- und Textilindustrie. Die Chemieindustrie beschäftigt noch ein Zehntel der ursprünglichen Arbeitnehmer, nämlich 840. Der Hauptarbeitgeber im Wirtschaftssektor beschäftigt knapp 2 000 Gubener. Die Arbeitslosenquote in der Region liegt über 20 %. Was wunder, wenn hauptsächlich Menschen im Alter von 20 bis 40 Jahren die Stadt verlassen und mit ihren Familien dorthin gehen, wo ihre Qualifikation und Arbeitskraft am meisten gebraucht werden.

Sie alle ziehen Wohnungen leer, die besonders in den Plattenbauvierteln ein Bild der Trostlosigkeit bieten. Wo zu DDRZeiten unter Protest der Bevölkerung noch Wohnblöcke in die Lücken gezwängt wurden, starren jetzt blinde Fenstervierecke. Was ich damit andeuten will, ist, dass sich die verbleibende Bevölkerung in solchen Wohnvierteln nicht wohl fühlen kann. Damit ist die weitere Flucht aus unserer Stadt vorprogrammiert.

Im Jahr 2015 werden in Guben noch rund 20 000 Einwohner leben. Es ist mit 4 000 unbelegten Wohnungen zu rechnen. Die laufenden Kosten durch Wohnungsleerstand betragen rund 6 Millionen DM pro Jahr. Wir alle wissen, wie kommunale Haushalte gestrickt sind. 6 Millionen DM für die Verwaltung von Tristesse abzuzweigen, womit die Unzufriedenheit der Bürger noch angeheizt und dennoch die Verslumung nicht aufgehalten wird, das kann man wirklich nur als politisch unvernünftig bezeichnen. Denn dorthin, wo die Wohn- und Lebensqualität ein derart niedriges Niveau hat, wird sich kein Investor verirren, womit sich der Teufelskreis schließt.

Also muss wirklich umgesteuert werden. Neben der Gesundschrumpfung durch Rückbau und Abriss müssen Wohnqualität und Wohnumfeld in den so genannten Neubaugebieten gestaltet werden, damit Leben in der Stadt wieder attraktiv wird. Dass dies möglich ist, haben Gubener Wohnungsgesellschaften in einigen Wohnquartieren schon vorgemacht, natürlich mit Fördermitteln des Landes. Diese Wohnungen sind heute heiß begehrt.

Laut offizieller Statistik vom April dieses Jahres gibt es in Guben einen Leerstand von 2 120 Wohneinheiten, das sind über 15 %. Welche Kosten entstehen, wenn 40 % des Leerstandes, also etwa 850 Wohneinheiten, innerhalb von sechs Jahren abgerissen würden? Das wären jährlich 140 Wohneinheiten von rund 60 qm zu Abrisskosten von 150 DM/qm. Die Gesamtsumme beliefe sich im Jahr auf 1,26 Millionen DM. Auf sechs Jahre hochgerechnet, ergibt sich eine Gesamtsumme von 7,56 Millionen DM. Etwa die gleiche Summe würde noch einmal benötigt für die neue Wohnumfeldgestaltung und die Kappung der Medien. Das sind insgesamt 15 Millionen DM. Dem stünden allein für die Verwaltung des Leerstandes im gleichen Zeitraum 18 Millionen DM gegenüber. Der Abriss des Leerstands wäre trotzdem nicht aufzuhalten, sondern nur aufgeschoben. Dafür müssten die vorhin angeführten 15 Millionen DM später zusätzlich ausgegeben werden. Das ist mit politischer Verantwortung

nicht vereinbar und kann auch niemandem plausibel erklärt werden.

Was ich hier am Beispiel Gubens demonstriert habe, gilt für rund 30 Städte und Gemeinden in Brandenburg. Ich kann nur an unser aller Verantwortung appellieren, meine Damen und Herren. Wenn die Bundesregierung verstärkt den Problemen im Osten ihre Aufmerksamkeit widmet, sollten wir deutlich machen, dass wir Hilfe vom Bund gerade im Bereich Stadterneuerungspolitik und Stadtumbau erwarten und bereit sind, dafür in künftigen Haushalten Mittel zur Kofinanzierung einzustellen. Aus eigener Kraft schaffen es die Kommunen und Wohnungsgesellschaften nicht. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei SPD und CDU und vereinzelt bei der PDS)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Müller. Die Rednerliste ist erschöpft. Ich kann damit den Tagesordnungspunkt 2 schließen und rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:

Gesetz zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2000/2001 (Nachtragshaushaltsgesetz 2001)

Gesetzentwurf der Landesregierung

Drucksache 3/2511

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Haushalt und Finanzen

Drucksache 3/2740

2. Lesung

in Verbindung damit:

Finanzplan des Landes Brandenburg 2000 bis 2004

Unterrichtung durch die Landesregierung

Drucksache 3/2534

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Haushalt und Finanzen

Drucksache 3/2740

Ich eröffne die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Wir hören zuerst den Beitrag der SPD-Fraktion. Herr Abgeordneter Bischoff, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Leerstand Teil 2. Jetzt zur Landeskasse.

(Beifall bei der CDU)

Der alte Bismarck hat von Steuereinnahmen seines Landes immer behauptet, sie seien das Blut, der Schweiß und die Tränen des Volkes. Immerhin: Im Jahre 2001 wurden erstmals seit vielen Jahrzehnten die Steuern für Arbeiter, Angestellte, Familien und auch für Unternehmer gesenkt. Unsere Finanzämter knüpfen den Steuerzahlern im Jahre 2001 satte 250 Millionen Euro weniger - eine Viertelmilliarde weniger - ab. Hinzu kommen mehr Kindergeld, mehr Wohngeld für Familien und Alleinerziehende, mehr BAföG. Im Bundesrat war Brandenburg bei all diesen Entscheidungen sprichwörtlich das Zünglein an der Waage. Ich sage bewusst: Wir haben dieser Steuerreform aus vollem Herzen zugestimmt. Die Richtung der Politik der Bundesregierung hin zu weniger Steuerlast und zu einem Mehr an sozialer Gerechtigkeit stimmt.

(Zuruf von der CDU)

Aber: Die Steuern im Land um eine Viertelmilliarde Euro zu senken, ohne parallel die Ausgaben des Landes zurückzuführen, ist so, als ob ein Teilzeitbeschäftigter so täte, als könne er privat noch dieselben Ausgaben tätigen wie zuvor als Vollzeitbeschäftigter. Ohne grundlegenden Wandel seiner Lebensführung auch auf der Ausgabenseite verschuldet er sich und zahlt immer mehr Zinsen. Nach Abzug der Kreditrate wird dem Teilzeitarbeiter Jahr für Jahr weniger für die schönen Dinge des Lebens bleiben.

Das ist ein Problem, vor dem auch wir stünden, wenn wir die Steuern senkten, die Ausgaben gleichwohl stiegen.

Wir haushalten heute mit 20 % der jährlichen Kreditaufnahme, die noch vor einem halben Jahrzehnt notwendig erschien. Dennoch kostet uns dieser eine Kredit aus dem Haushaltsjahr 1994 im Haushaltsjahr 2001 Zinsen in Höhe von 100 Millionen Euro, und das Jahr für Jahr, ohne je einen Euro getilgt zu haben Geld, das den Bürgern fehlt und das die Banken nur noch fetter macht.

Der Nachtragshaushalt ermöglicht keine Grundsatzentscheidung. Allerdings werden wir in nur 13 Jahren die im Jahre 2001 aus Krediten finanzierte Steuersenkung zweimal an anderer Stelle einsparen müssen. Denn bis dahin werden ihn die Zinsen schlichtweg verdoppelt haben.

Deshalb zögern wir in der SPD-Fraktion mit der Vorbereitung des kommenden Doppelhaushaltes nicht und treffen grundlegende Entscheidungen.

Erstens: Prioritäten setzen. Arbeit in der freien Wirtschaft und Kampf gegen zu hohe Erwerbslosigkeit können keinem Rotstift zum Opfer fallen, meine Damen und Herren. Die Bildungsoffensive geht für uns weiter.

Zweitens: Evaluierung aller Förderprogramme. Wir prüfen alle Förderprogramme des Landes und stellen die Frage: Was von all dem kann nach zehn Jahren Aufbauarbeit unseren Kommunen direkt zugewiesen werden und - füge ich hinzu - in die überfällige Reform der Gemeindefinanzierung - dies ist heute schon einmal angeklungen - einfließen? Die Reform der Gemeindefinanzierung fordern wir als SPD-Fraktion für 2003.

Drittens: Boxenstopp für Landesanstalten. Wir stellen Landesanstalten auf den Prüfstand, die keine hoheitlichen Aufgaben

haben. Die Zweistufigkeit darf nicht nur Lippenbekenntnis sein, sondern muss effektiv umgesetzt werden.

Viertens: Konsequente Prüfung der Normen und Standards auf allen Verwaltungsebenen. Wir werden in einem Ausschuss „Normen und Standards” gemeinsam prüfen und dabei auch externen Sachverstand hinzuziehen.

Fünftens: Budgetieren statt Bürokratisieren. Wir werden mehr budgetieren und, statt zu gängeln, die Eigenverantwortung ausweiten. Ich füge hinzu: Es ist nicht Aufgabe einer Hochschule, den Verbrauch von Bleistiften abzurechnen. Da gibt es viel wichtigere Dinge, die Hochschulen zu erledigen haben.

Sechstens: Lean Management statt Wasserkopf. Die im Landtag beschlossene Personalreduzierung muss sozial verträglich umgesetzt und, wo immer möglich, beschleunigt werden.

Siebentens: LEG. Finanzpolitische Transparenz statt Selbstbedienung. Wir reduzieren auch die LEG-Risiken drastisch. Neue Projekte nur gegen Verrechnungsscheck des Bestellers. Keine Extratouren mehr.

Achtens: Drehkreuz des Ostens. Verehrte Frau Kollegin, wir unterstützen den Bau des Großflughafens BBI mit ganzer Kraft.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von der PDS: Zu teuer!)

Wir werden die Planungen nicht zerreden, sondern schlicht umsetzen.

Neuntens: Kurs halten. Wir werden die Ausgaben weiter zurückführen.

All das geschieht, während die PDS-Fraktion zum Nachtragshaushalt 2001 Änderungsanträge stellt, um Einnahmen zu erhöhen. Ich sage es einmal auf Deutsch: Einnahmen erhöhen heißt, mehr Steuern im Haushalt anzusetzen bzw. mehr Steuern zu planen.

(Prof. Dr. Bisky [PDS]: Sie haben aber wenig Phantasie!)

Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion orakelt nicht. Wir werden uns auf Fakten stützen, die uns die Steuerschätzung vorgibt. Wir verbinden finanzpolitisch das Wünschenswerte mit dem Machbaren, nicht mehr und nicht weniger. Das unterscheidet uns schon ein bisschen von der Opposition.

(Zurufe von der PDS)

Sie sind zu oft landauf, landab unterwegs und sind für jeden und gegen alles.

(Beifall bei SPD und CDU)