Protocol of the Session on April 4, 2001

Wie sich zeigt, sieht das die Landesregierung ganz anders.

Hier setzt die Verantwortung des Landtages ein. Wir können nicht so lange warten, bis das Innenministerium und die Landräte die Kommunen in ein Korsett gepresst haben, in das diese so nicht wollen, aber aus dem sie auch nicht mehr herauskommen.

Ich wiederhole es gern: Die Gemeindegebietsreform wird nur dann von dauerhaftem Erfolg gekrönt sein, wenn sie auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruht. Darauf müssen wir als Parlament jetzt achten, im nächsten Jahr kann es schon zu spät sein. Ich bedanke mich.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke Ihnen, Herr Abgeordneter Sarrach. - Das Wort geht jetzt an die Fraktion der SPD, an Herrn Abgeordneten Bochow.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf seiner 31. Sitzung am 28. Februar hat der Landtag das Gesetz zur Reform der Gemeindestruktur und zur Stärkung der Verwaltungskraft der Gemeinden verabschiedet. Dieses Gesetz dient der Umsetzung der Leitlinien. Herr Sarrach, Sie haben das richtig festgestellt. Auf jener Sitzung fasste der Landtag einen Beschluss, in dem es heißt:

„Der Landtag fordert die Landesregierung auf, mit ausreichendem zeitlichen Abstand vor Ablauf der Freiwilligkeitsphase über den Stand der Umsetzung der Leitlinien in den Kommunen zu unterrichten. Hierbei ist in besonderem Maße darauf einzugehen, in welchem Umfang die Umsetzung auf freiwilliger Basis erfolgt bzw. zu erwarten ist und ob bzw. in welchem Umfang sich die Notwendigkeit gesetzgeberischer Akte zur Durchsetzung der Leitlinien abzeichnet.”

Genau das, Kollege Sarrach, wird passieren.

Ich denke, der Innenminister wird uns heute sagen, wann der Bericht so weit fertig gestellt sein wird, dass wir ihn im Landtag ordentlich beraten und in der zweiten Phase darüber nachdenken können, was der Gesetzgeber noch zu tun hat.

Auch wenn der zitierte Beschluss in zeitlicher Hinsicht etwas mehr Kulanz an den Tag legt, als Sie jetzt einfordern, so glaube ich, dass mit diesem Beschluss dennoch dem Ziel des heute vorliegenden PDS-Antrages nach Information durch die Landesregierung über den Stand der Umsetzung der Gemeindegebietsreform Genüge getan wird.

Wichtiger ist meines Erachtens ein anderer Punkt. Die PDS spricht in ihrem Antrag von auftretenden Problemen, die sich bei der Umsetzung der Gemeindegebietsreform ergeben könnten. Diese Probleme lassen sich meiner Ansicht nach minimieren, wenn wir alle ein entsprechendes Engagement an den Tag legen; denn über die Notwendigkeit einer Reform der Gemein

destruktur besteht weitgehend Einigkeit. Über das Wie und Wann der Reform bestand und besteht offensichtlich Uneinigkeit. Bei einem Reformvorhaben dieser Größe wäre eine andere Konstellation auch sehr verwunderlich. Manche favorisieren die Ergebnisse der Enquetekommission, manche sprechen sich für flächendeckende Einheitsgemeinden aus, manchen passt der anvisierte Zeitplan nicht, sie wollen das Prinzip der Freiwilligkeit bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag aufrecht erhalten, wohl wissend, dass bereits seit 1996 um Lösungen gerungen wird. So könnte man noch eine ganze Weile fortfahren. Ich erspare mir das. Die Argumente haben wir in mehreren Aussprachen schon ausgetauscht.

Die Leitlinien sind ein Kompromiss dieser unterschiedlichen Vorstellungen. Ich erinnere daran, dass ihre Verabschiedung nach umfangreichen Diskussionen erfolgte.

Meine Damen und Herren! Wir Abgeordnete sind nicht einem Dorf oder einer Stadt, nicht einer Region und schon gar nicht einer Interessengruppe verpflichtet. Wir tragen Verantwortung für alle Menschen in Brandenburg, ob sie uns gewählt haben oder nicht, ob sie gar nicht wählen können oder nicht wollen. All das darf bei unseren Entscheidungen keine Rolle spielen. Wir müssen das Wohl und Wehe der Entwicklung unseres Landes berücksichtigen. Es ist das Ganze, was wir im Auge haben müssen.

Die Grundlagen der Gemeindegebietsreform haben wir angepackt. Entsprechend den demokratischen Mehrheitsverhältnissen haben wir erste Reformschritte auf den Weg gebracht und ich denke, wir alle sind so viel Demokrat, das auch zu akzeptieren.

Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns gemeinsam im Land um die Schaffung leitbildgerechter Strukturen bemühen, und zwar vor Ablauf der Freiwilligkeitsphase.

In seiner Rede „Politik als Beruf” machte sich Max Weber 1919 grundlegende Gedanken über die Entscheidung zwischen Verantwortung und Gesinnung. Ein Politiker agiert als Verantwortungsethiker im Sinne Max Webers, wenn er für die voraussehbaren Folgen seines Handelns auch geradesteht und die Folgen des eigenen Tuns nicht auf andere abwälzt.

(Zuruf des Abgeordneten Vietze [PDS])

Ein Gesinnungsethiker dagegen beharrt selbst dann auf seiner Position, wenn er sich über die negativen Folgen, die seine Entscheidung hervorrufen könnten, im Klaren ist. Er macht dafür dann andere verantwortlich. Nichts liegt ihm ferner, als Kompromisse zu schließen, stur beharrt er auf seiner Position. Sie wissen, welcher Typus nach Ansicht des größten deutschen Soziologen die Politik zum Beruf machen sollte.

Wendet man diese Erkenntnis auf unsere Probleme an, so bedeutet das eingedenk des Reformbedarfes und eingedenk des gefundenen Kompromisses, den die Leitlinien darstellen, für uns, in den Wahlkreisen Überzeugungsarbeit zu leisten, Kompromisse auszuloten, für die Reform zu werben. Verantwortungsethisch zu handeln heißt dabei, die Entwicklung des ganzen Landes im Blick zu haben und sich Rechenschaft darüber abzulegen, was es bedeutet, wenn der eigene Reformweg scheitert. Gesinnungsethisch zu handeln heißt demgegenüber, dem

Scheitern leitbildgerechter Strukturen das Wort zu reden und dafür dann andere verantwortlich zu machen,

(Zuruf des Abgeordneten Homeyer [CDU])

kühl kalkulierend, dass eventuelle Zwangszusammenschlüsse das Klima im Land vergiften werden. Aus der Perspektive eines 200-Seelen-Dorfes mögen sich durchaus Argumente finden, den Status quo zu erhalten. Ich gestehe auch ohne Weiteres ein, dass es für manche sehr schwierig sein wird, die Notwendigkeit einer Gebietsstruktur nachzuvollziehen.

Ich bitte Sie, verantwortungsethisch im Sinne der Entwicklung unseres Landes zu handeln und für die Reform zu werben. Die SPD- Fraktion wird den Antrag ablehnen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke dem Abgeordneten Bochow und gebe das Wort an die Fraktion der DVU, an Herrn Abgeordneten Claus.

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Wir stimmen dem Antrag der PDS-Fraktion zu. Die Begründung ist einfach. Es ist - im Interesse nicht nur unseres Landtages, sondern auch des Friedens in unserem Land insgesamt - einsichtig, dass dem Landtag regelmäßig seitens der Landesregierung, und zwar möglichst bald beginnend und in möglichst kurzen Abständen, Bericht zum Stand der Umsetzung der Gemeindegebietsreform erstattet wird.

Dieses fundierte Interesse ergibt sich schon daraus, dass Ihr Innenminister Schönbohm nach der letzten Sitzung im März 2001 mit seinem nunmehr beschlossenen Reformwerk auf geradezu „überwältigende Zustimmung und überragende Akzeptanz” unserer Bürgerinnen und Bürger gestoßen ist. Es ist Ihnen, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, klar und deutlich zu sagen: Wir konnten in der Gesamtschau aller Äußerungen von Bürgerinnen und Bürgern sowie von anderen Betroffenen - Bürgermeistern und ehrenamtlich Tätigen - nur feststellen, dass exakt das eingetreten ist, was wir von der DVUFraktion Ihnen schon gesagt haben und was die Grundlage unserer Änderungsanträge in den letzten Plenarsitzungen war, die von Ihnen aber mehrheitlich abgelehnt worden sind.

Ihr Reformwerk, Herr Minister Schönbohm, wird in der Bevölkerung nicht akzeptiert. Die Bürgerinnen und Bürger in den betroffenen Gemeinden und Dörfern fühlen sich bevormundet, sie sehen durch das Reformwerk ihren ortsspezifischen Lebensbereich durch „Über-einen-Kamm-Scheren” gefährdet und äußern sich vielfach, wie in unseligen diktatorischen Zeiten schon gehört, etwa in folgendem Sinne: Die da oben machen sowieso, was sie wollen, der kleine Mann wird über den Löffel balbiert!

Herr Minister Schönbohm, dafür sind die Menschen unseres Landes 1989 nicht mit Kerzen auf die Straße gegangen.

(Frau Schildhauer-Gaffrey [SPD]: Au!)

Das können wir uns nicht leisten. Das fördert nicht nur Politikverdrossenheit, es ist obendrein auch noch der Demokratie an sich abträglich. Das sage nicht nur ich Ihnen, sondern das sagen - wie ich vorhin schon sagte - auch einige Ihrer Parteifreunde. Ihre Parteifreundin Heidi Freistedt erklärte im „Neuen Deutschland” vom 27. März 2001:

„Da frage ich mich: Sind die denn in Potsdam noch normal? Beim Kita-Gesetz im vorigen Jahr wurde das Ergebnis mitgeteilt und dann musste man den Prozess so gestalten, dass man genau zu dieser Vorgabe kommt.”

(Zuruf des Abgeordneten Petke [CDU])

„Auch bei der Polizeireform war das Resultat von Anfang an bekannt. Wieder das gleiche Prozedere - schließlich deutet sich bei der Gemeindereform die gleiche Machart an. Es steht fest, was herauskommen muss. Das ist für mich nicht Demokratie.”

Herr Petke, das ist ein Zitat von Ihrer CDU-Kollegin.

Letzterem kann ich nur hinzufügen: Nicht nur die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes werden vor den Kopf gestoßen, sondern auch alle Experten, die sich bei der öffentlichen Anhörung am 15. Februar 2001 zu Ihrem Reformwerk äußerten, sowie die Oppositionsfraktionen unseres Hauses - wobei ich Sie, meine Damen und Herren von der PDS-Fraktion, ausdrücklich einbeziehe -, dank der unsystematischen Vorgehensweise nach dem Motto „Zack, zack! und hau ruck!”

Ich fasse zusammen: Mit solchen Vorgehensweisen, Herr Minister Schönbohm - das sollte inzwischen jedem einleuchten -, fügen Sie der Demokratie in unserem Lande Schaden zu. Es ist die verfassungsmäßige Aufgabe unseres Landtages, Schaden vom Lande abzuwenden oder zumindest gering zu halten. In diesem Sinne begrüßen wir Ihren Antrag ausdrücklich, meine Damen und Herren von der PDS-Fraktion.

Dass ein besonders dringendes Informationsinteresse unseres Landtages im Sinne des hier zur Entscheidung anstehenden Antrages vorliegt, wurde aus Folgendem im Übrigen überaus deutlich: Was geschah nach der Verabschiedung des Reformwerkes bei der letzten Landtagssitzung? Kollege Sarrach sagte es schon: Es fand eine Livesendung des ORB statt. Wen sahen wir dort? Innenminister Schönbohm? - Nein, den Abgeordneten Sven Petke von der CDU-Fraktion. Was mussten wir erleben? Der Abgeordnete Petke - inmitten des aufwallenden Bürgerzorns - gab sich redliche Mühe, das nicht meisterliche Reformwerk seines Innenministers zu verteidigen. Allein, es nutzte nichts. Das soll heißen: Das redliche Mühewalten des Abgeordneten Petke war vergeblich; denn was in der Sache nicht gut ist, kann man vielleicht gut verteidigen, es wird dadurch aber in der Sache nicht besser.

(Homeyer [CDU]: Das passt jetzt wieder nicht zusammen! - Zuruf: Noch einmal bitte! Das kann man anders formu- lieren!)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Auch das ist ein nachhaltiger Beleg für die Berechtigung des Antrages der PDSFraktion, in dem zum Ausdruck kommt: Es werden Dinge ver

teidigt, die nicht zu verteidigen sind. - In diesem Sinne bedanke ich mich.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke dem Abgeordneten Claus und gebe das Wort der Fraktion der CDU, dem Abgeordneten Petke.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich auf den Antrag der Fraktion der PDS - Bericht zur Gemeindegebietsreform - eingehe, möchte ich mich kurz damit auseinander setzen, welche Position oder - besser gesagt - Nichtposition die PDS zu dem Reformvorhaben Gemeindegebietsreform eigentlich hat.

Als ich vor wenigen Tagen die Gänge der PDS-Fraktion betrat, fand ich dort einen Standpunkt zu den Leitlinien der Landesregierung zur Gemeindegebietsreform. Dieser Standpunkt hat einen Redaktionsschluss vom 30. Januar dieses Jahres; er soll sozusagen, wie die PDS selbst erklärt, eine Diskussionsgrundlage sein. Daran, meine Damen und Herren von der PDS, kranken Sie zurzeit, was das Thema Gemeindegebietsreform betrifft. Während wir in der Koalition uns bemühen, zusammen mit den Kommunen, zusammen mit den Verantwortungsträgern vor Ort Lösungen für Brandenburg, für die Zukunft unseres Landes zu suchen,

(Beifall bei CDU und PDS)

diskutieren Sie. Sie diskutieren ohne Richtung. Sie machen sich auf der einen Seite Gedanken: Was wird aus der großen Region Brandenburg-Berlin, nachdem - mit Ihrer Hilfe sicherlich - der damalige Volksentscheid über ein gemeinsames Bundesland nicht zustande gekommen ist?

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Auf der anderen Seite verweigern Sie sich allen Reformvorhaben. Sie erklären selbst, dass dies eines der wichtigsten Vorhaben der Landesregierung ist, verweigern aber Ihre Mitarbeit.

(Sarrach [PDS]: Weil es in die falsche Richtung geht!)