Protocol of the Session on April 4, 2001

Die in der Großen Anfrage gestellten Fragen stimmen aus meiner Sicht mit der Überschrift nicht in jedem Fall überein; denn sie zielen weniger auf das Land ab als vielmehr auf die Aktivitäten der Arbeitsverwaltung und auf die künftige bzw. schon eingerichtete Hauptfürsorgestelle, die sich künftig der Probleme der Behinderten annehmen wird und das zum Teil schon tut.

Dennoch wollen wir die heutige Gelegenheit nutzen, uns mit der für die Betroffenen problematischen Situation auseinander zu setzen. Die hohen Arbeitslosenzahlen im Lande lassen nach wie vor keine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt erkennen. So lag die Arbeitslosenrate im Februar 2001 bei 20 %. Von den 247 068 Arbeitslosen waren 2,5 % Schwerbehinderte; das waren rund 339 mehr als im Dezember 2000.

Frau Schildhauer-Gaffrey hatte in ihrem Beitrag auf die Senkung seit Februar 2000 Bezug genommen. Wir merken: Sobald wir mit Zahlen operieren, haben wir ein Auf und Ab und auch keine befriedigende Situation.

In den alten Bundesländern liegt der Anteil der Schwerbehinderten bei 15,9 %, in den neuen Bundesländern bei 23,7 % und damit noch einmal höher gegenüber der allgemeinen Arbeitslosenquote.

Das allgemeine weitere Wegbrechen von Arbeitsplätzen und die damit angespannte Lage des Arbeitsmarktes wirkt sich natürlich besonders auf die Situation der Schwerbehinderten aus.

Erschwerend bei der Vermittlung von Schwerbehinderten auf dem Arbeitsmarkt kommt noch hinzu, dass es sich besonders um die Älteren handelt. 65 % der Schwerbehinderungen treten erst ab dem 55. Lebensjahr auf. Mehr als die Hälfte der Schwerbehinderten sind über 65 Jahre alt.

Ein weiteres Problem der Doppelbenachteiligung betrifft die Frauen, die behindert und ohne Arbeit sind. Bezüglich der betroffenen Frauen liegt eine Studie vor, die aussagt, dass gerade in diesem Bereich Frauen besonders motiviert und leistungsbereit sind.

Das sind die Fakten und Zahlen, doch Probleme lösen sich nicht durch Fakten und Zahlen. Sie bringen vielmehr zum Ausdruck, wie viel es noch zu tun gibt. Das ist primär nicht nur durch Gesetze und Anordnungen zu bewältigen.

Was wissen wir über Sorgen, Probleme und Bedürfnisse Schwerstbehinderter? Drei Viertel aller Arbeitgeber genügen ihrer Beschäftigungspflicht nicht oder nur ungenügend. Selbst die Behörden des Landes, der Kreise, der Kommunen als öffentliche Arbeitgeber kommen ihrer Vorbildwirkung trotz politischer Forderungen nicht in vollem Umfang nach. Das kann und darf uns nicht ruhig werden lassen.

Liegt die Beschäftigungsquote Schwerbehinderter auf Bundesebene bei 6,7 %, so liegt sie in den Kommunalverwaltungen bei 5,2 % und bei den obersten Landesbehörden bei nur rund 4,6 %. Das ist sicher ein Grund dafür, dass auch in der privaten Wirtschaft das Negativbild mit einer Quote von nur 3,5 % sichtbar wird. Drei Viertel aller Firmen erfüllten 1999 die Pflichtquote nicht. Das kann und darf von uns so nicht hingenommen werden.

Arbeit und Leistung erbringen heißt Verwirklichung von Selbstwertgefühl und Teilhaben am gesellschaftlichen Leben für jeden von uns. Erst recht für einen behinderten Menschen ist ein Arbeitsplatz ein entscheidender Faktor für seine gesellschaftliche Integration, ja, die entscheidende Tatsache der Integration. Integration bezieht sich auf ein Konzept der Eingliederung, ohne Selbstaufgabe, ohne bedingungslose Anpassung an die Nicht

behinderten. Integration ist immer ein Prozess der Fortschreibung und Entwicklung.

Das am 1. Oktober 2000 in Kraft getretene Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter soll durch spezifische Instrumente die Eingliederung Schwerbehinderter in das Arbeitsleben verbessern.

Beschäftigungsquote und Ausgleichsabgaben stellen dabei wichtige Steuerungsinstrumente dar, aber auch wohl durchdachte Qualifizierungsmaßnahmen für Behinderte und der weitere behindertengerechte Ausbau von Arbeitsplätzen, deren Wohnstätten und Zufahrtswegen.

Barrierefreie Lebensbedingungen beziehen sich aber nicht nur und ausschließlich auf die materiell-technischen Voraussetzungen, mit dieser Behinderung gut umgehen zu können. Das kann immer nur die Basis, die selbstverständliche Basis sein.

Viel wichtiger ist es, durch Informationen, Wissen und vielfältige Kommunikationsebenen Vorurteile in den Köpfen Nichtbehinderter abzubauen. Dabei kann sich jeder Einzelne von uns einbringen. Hier wird immer wieder allzu gern ein amerikanischer Präsident zitiert, der sinngemäß sagte: Frage nicht zuerst nach der Gesellschaft, frage, was du selbst tun kannst.

Ich denke, jeder von uns - wir sind hier etliche Abgeordnete im Saal - kann die Behindertenverbände und Selbsthilfeorganisationen unterstützen, denn diese leisten eine wichtige Arbeit für die Behinderten.

Ich bin seit Jahren Mitglied eines Behindertenvereins und bemühe mich selbst aktiv um das Abschmelzen der Barrieren in den Köpfen. Sie werden es mir nicht glauben: Ich profitiere davon.

Wir alle können von Menschen mit Handicaps lernen, wie man die Probleme des Alltags nicht zuerst durch den Gedanken, was alles nicht geht, bewältigt. Alltagsproblembewältigung bedeutet für einen Behinderten in erster Linie, zu schauen, was geht. Dankbarkeit für viele Selbstverständlichkeiten des Lebens, emotionale Erlebnistiefe, die von uns schon allzu stark von der Vernunft beherrscht wird, sollten uns zumindest zum Nachdenken über die Sicht auf das Leben anregen. Das schafft zwingend eigene und neue Positionen zur Akzeptanz der Behinderten und führt zu der Erkenntnis, wie man Probleme des Alltags dadurch löst, dass man zuerst fragt, wie es gehen kann, und nicht, warum ein Problem überhaupt nicht gelöst werden kann.

Sorgen wir dafür, dass das Gesetz umgesetzt wird, so wie anlässlich des Internationalen Tages der Behinderten am 3. Dezember 2000 gefordert: Die gewählten Volksvertreter sollen vor Ort in ihren Wahlkreisen bei Unternehmen, Arbeitsämtern, Hauptfürsorgestellen für die Umsetzung des Programms werben. In diesem Sinne lassen Sie mich mit einem Zitat aus der Bibel enden, und zwar aus dem Römer-Brief Kapitel 15 Vers 1:

„Wir aber, die wir stark sind, sollen der Schwächeren Unvermögen tragen und nicht uns selber zu Gefallen leben.”

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Marquardt. - Ich gebe das Wort an die Landesregierung, Herrn Minister Ziel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen, dass behinderte Menschen gleichberechtigt und chancengleich teilhaben am gesellschaftlichen Leben. Das ist zwar gesetzlich verbürgt, braucht aber vor allem den tatsächlichen Halt im Alltag.

Ich sage einmal etwas zugespitzt: Was nützen rollstuhlgerechte Theaterlogen, wenn behinderte Menschen kein eigenes Geld verdienen können, um sich Kultur und Theater auch leisten zu können? Deshalb ist die Integration in Ausbildung und Arbeit die entscheidende Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe.

Ich glaube, unsere ausführlichen Antworten auf die Große Anfrage unterstreichen deutlich, wie ernst der Landesregierung dieses Anliegen ist. Das seit Januar geltende Bundesgesetz - das möchte ich der PDS-Fraktion auch einmal sagen: Seit Januar gilt dieses Bundesgesetz; Sie wollen von uns umfassende Antworten haben, wir haben sie Ihnen gern gegeben - zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter wird auch helfen, derzeitige Situationen abzuändern. Es wird helfen, die Chancen Schwerbehinderter am Arbeitsmarkt zu verbessern und ihre Arbeitslosigkeit nachhaltig abzubauen. Nur der Zeitrahmen, der dafür gesetzt ist, scheint mir ein erhebliches Problem zu sein.

Wir haben gehört, dass bis zum Oktober 2002 bundesweit rund 50 000, im Land Brandenburg 1 300, arbeitslose Schwerbehinderte wieder einen Beruf ausüben können sollen - ein sehr ehrgeiziges Ziel.

Wir werden alle Anstrengungen unternehmen und es gibt auch Instrumente, es zu erreichen. Zu den wichtigsten Inhalten des Bundesgesetzes gehört die Neugestaltung des Systems von Beschäftigungspflicht und Ausgleichsabgabe. Ausgleichsabgabe ist der Tribut, den man als Betrieb leisten muss, wenn man keine oder zu wenig Schwerbehinderte beschäftigt. Die Ausgleichsabgabe ist gestaffelt zwischen 200 und 500 DM, je nachdem, inwieweit Arbeitgeber ihrer Beschäftigungspflicht nachkommen.

Das Gesetz stärkt die Rechte der Schwerbehinderten. Zum Beispiel verpflichtet es die Arbeitsämter zu frühzeitiger betriebsnaher Qualifizierung arbeitsloser Schwerbehinderter und zur Einrichtung besonderer Vermittlungsstellen in den Ämtern.

Das alles geht einher mit dem Auf- und Ausbau eines flächendeckenden Netzes von Integrationsfachdiensten und mit der Schaffung spezieller Integrationsunternehmen. Wir versprechen uns davon eine deutliche Verbesserung der Vermittlungschancen und die dauerhafte Eingliederung in den Arbeitsprozess. Es gibt durchaus gute Beispiele in unserem Lande. Ich kann nur wenige nennen, aber es gibt viele Betriebe, die hier vorbildlich sind. Einige davon habe ich genau in diesem Zusammenhang besucht: ZF Getriebewerk GmbH Brandenburg; beschäftigt sind dort 828 Arbeitnehmer, darunter 23 zum Teil besonders betroffene Schwerbehinderte. Das Besondere in diesem Betrieb ist: Acht Gehörlose sind mit Dolmetscherhilfe der Kolleginnen und Kollegen, die sich dafür haben ausbilden lassen, voll in den

normalen Arbeitsprozess integriert. Oder: Falken Office Products GmbH Peitz. Hier arbeiten neun Schwerbehinderte in einer so genannten Integrationsabteilung - das ist vorbildlich auch für andere - als gleichberechtigte Arbeitnehmer. Oder: Auch der öffentliche Dienst kann es; die Stadtverwaltung in Eberswalde hat beispielsweise eine Beschäftigungsquote bei Schwerbehinderten von etwa 7 %.

Ich setze ganz besonders auf die mittelständischen und auf die kleinen Betriebe, auch auf solche Betriebe, die nicht offiziell verpflichtet sind, Schwerbehinderte zu beschäftigen, sich hier mit einzusetzen und den Appellen zu folgen, die wir immer wieder an sie richten.

Wir wollen erfolgreicher auf diesem Gebiet werden, meine Damen und Herren. Hier müssen alle gesellschaftlichen Kräfte an einem Strang ziehen. Es geht um die Beseitigung von Vorurteilen. Es geht um Vorbildwirkung. Nach wie vor gibt es die Tendenz, dass sich viele Unternehmen lieber über die Ausgleichsabgabe freikaufen als Schwerbehinderte einzustellen.

Dies gilt weitgehend auch für die Landesregierung. Wie Sie der Großen Anfrage entnehmen können, will das Ministerium der Finanzen mit dem Haushalt 2002/2003 die Mittel für die Zahlung der Ausgleichsabgabe direkt in den Einzelplänen der einzelnen Ministerien veranschlagen. Das geschieht mit der ganz konkreten Absicht, durch größere Transparenz die Verantwortung der Ressorts für die Einstellung von Schwerbehinderten zu stärken. Ich appelliere und appelliere und meine Vorgängerin, Regine Hildebrandt, hat das auch getan, und wir sind so nicht weitergekommen; deshalb dieses Instrument. Bei uns selbst fängt es an.

Bereits im jetzigen Haushalt ist vorgesehen, dass die Landesregierung Stellen mit kw-Vermerk mit geeigneten Schwerbehinderten wieder besetzen kann. Diesen Weg setzen wir fort.

Meine Damen und Herren, ich sagte es: Ein halbes Jahre ist es her, dass dieses Gesetz rechtswirksam geworden ist. Inzwischen sind alle fünf Integrationsfachdienste im Land eingerichtet und es liegen auch die ersten Anträge für den Aufbau von Integrationsprojekten vor. Ich sage hier noch einmal: Ich setze vor allem auf die Betriebe. Ich setze nicht allein auf den Staat. Das kann man auch nicht immer nur von oben dirigieren wollen. Deshalb noch einmal mein Appell an alle Arbeitgeber im Lande, in der privaten Wirtschaft, im kommunalen Bereich, sich energisch dafür einzusetzen, dass Schwerbehinderte in den Arbeitsprozess integriert werden können. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten. - Vielen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke Herrn Minister Ziel und gebe das Wort noch einmal an die Fraktion der PDS. Frau Abgeordnete Bednarsky, bitte!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Schildhauer-Gaffrey, lieber Herr Minister Ziel, wenn Sie darauf abzielen und uns sozusagen vorhalten, dass wir vielleicht mit der Nachfrage noch hätten warten müssen und dass der Zeitraum zu gering ist, um genaue Ergebnisse zu vermitteln,

sage ich Ihnen ganz konkret: Das ist falsch; denn wir alle wissen, dass die Landesregierung schon im Vorfeld an der Erarbeitung der Novelle aktiv mitgewirkt hat, dass bekannt war, in welchem Zeitraum dieses Gesetz wirkt und in welchem Zeitraum 50 000 Arbeitsplätze für Schwerbehinderte geschaffen werden sollen.

Sie selbst, Herr Minister, sagten vorhin auch, dass der Zeitraum sehr kurz ist. Deshalb sage ich, ein halbes Jahr ist schon eine relativ lange Zeit, zumal bekannt war, was uns bevorsteht, und zumal wir alle, wie wir hier im Haus sitzen, wussten, dass dieses ehrgeizige Ziel der Bundesregierung umgesetzt wird. Das zu dem einen Thema.

Das andere: Es ist alles gut und schön, Appelle, appellieren, das machen wir alle tagaus, tagein. Auch das, was Sie vorhin sagten, Herr Minister, dieses Instrument der Transparenz, dass in jedem Ministerium die Ausgleichsabgaben integriert werden sollen, ist eine Form. Aber es steht doch nach wie vor im Raum: Appelle nutzen nichts. Wir müssen in dieser Richtung - und das fordere ich auch von der Landesregierung - ein Beschäftigungsprogramm entwickeln. Wir wollen doch diese Mittel, die in den Ministerien vorhanden sind, nicht nur als Appelle lassen, als kw-Vermerk, sondern es muss aktiv dazu beigetragen werden, dass Schwerbehinderte die Möglichkeit haben, im Ministerium eine Beschäftigung zu finden. Ich denke, da sind wir wirklich alle noch gefordert. Da müssen sowohl Parlament als auch Landesregierung die Schularbeiten machen.

Ein kurzes Wort an Frau Marquardt: Frau Marquardt, wenn Sie sagen, dass unsere Fragestellungen nicht ganz so getroffen haben, wie Sie sich das vorgestellt haben, möchte ich nur ein Beispiel dazu nennen. Wenn Sie die Hauptfürsorgestellen erwähnen, dann gehen wir davon aus, dass die Hauptfürsorgestellen Bestandteil des Landesamtes für Soziales und Versorgung sind und die Dienstaufsicht sozusagen beim Land, also bei der Landesregierung, liegt. Das ist schon ein wichtiger Schwerpunkt, wo wir sagen, die Landesregierung hat die Pflicht, in Umsetzung des Gesetzes ihre Schularbeiten zu machen. Das fordere ich nach wie vor von der Landesregierung, aber auch von den Koalitionsfraktionen ein.

Vielleicht noch einmal zum Schluss: Auf jeden Fall - das verspreche ich Ihnen - werden wir nach einem weiteren halben Jahr bzw. nach einem entsprechenden Zeitraum wieder konkret nachfragen.

Sie werden mir sicherlich abnehmen, dass ich mich nicht hier hingestellt habe, um die Große Anfrage aus dem hohlen Bauch heraus zu beantworten, sondern ich war in der Hauptfürsorgestelle. Ich war in vielen Integrationsfachdiensten, in Werkstätten für Behinderte und habe mit den Leuten gesprochen. Die Probleme, die hier aufgezeigt wurden, entsprechen den Tatsachen. Ich möchte Sie ganz einfach auffordern, im Interesse der Menschen mit Behinderungen, im Interesse der Schaffung von Arbeitsplätzen alles zu tun, dass wir dieses gemeinsame Ziel erreichen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Bednarsky. - Die Redner

liste ist erschöpft. Ich beende die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt und stelle fest, dass Sie die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage 18, die Ihnen in Drucksache 3/2512 vorliegt, zur Kenntnis genommen haben.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 7. Ehe ich den Tagesordnungspunkt 8 aufrufe, möchte ich wieder Gäste im Landtag begrüßen, und zwar Schüler des Echtermeyer-Gymnasiums aus Bad Liebenwerda. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)