Protocol of the Session on April 4, 2001

sollten wir dieses Wort dennoch verstehen.

(Beifall bei SPD und PDS)

Denn eines muss uns allen klar sein, und ich hoffe, es ist auch allen klar: Seit dem 3. Oktober 1990 sitzen wir alle in einem Boot und ein Scheitern des Aufbaus Ost würde auch für diejenigen teuer werden, die heute vielleicht meinen, an der gesamtdeutschen Solidarität sparen zu können.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der PDS)

Das ist eine Tatsache, die von niemandem ernsthaft bezweifelt werden kann. Der Streit tobt über die Frage Ausgestaltung und Ausstattung des Aufbaus Ost. Wie dem auch sei, klar dürfte sein: Fortgeführt werden müssen die Aufbauprogramme. Werden sie so fortgeführt wie bisher, müssen weiter - über Jahrzehnte - Milliarden in den Osten fließen. Ist der Osten ein Fass ohne Boden, in dem die Gelder wirkungslos versickern? Ich glaube, nein. Diese Vorwürfe machen es trotzdem schwierig, in den Verhandlungen über den Solidarpakt II und den Länderfinanzausgleich unsere Forderungen durchzusetzen.

Staatsminister Schwanitz hat - trotz mangelhafter Dynamik, Herr Christoffers - immerhin Recht, wenn er sagt:

„Die Aufgaben in den neuen Ländern lassen sich ohne mehr Geld nicht schultern.”

Er sagt aber gleichzeitig:

„Bei den Ländern muss die Bereitschaft zu erkennen sein, dass sie selbst etwas in diesen Prozess einbringen.”

(Beifall bei der SPD)

Es ist ja in der Tat von der Zuständigkeitsverteilung her auch so geregelt, dass es Sache der Länder ist, wie die Mittel der Gemeinschaftsaufgabe und des Investitionsfördergesetzes verwendet werden. Das ist auch richtig so; denn nur vor Ort ist die Situation sachlich genügend einschätzbar, nur vor Ort kann entschieden werden, wo und wie die einzelne Fördermark den größten Nutzen bringt.

Die Debatte, wie das zu geschehen hat, ist auch heute noch sehr breitbandig. „Heute noch” heißt, dass sie wiederholt breitbandig geführt wird. Sie geht von Speckgürtel-Konzentrationsstrategien bis zur Perleberger Erklärung, also wieder mehr zum „Gießkannenprinzip”. Eigentlich müssten wir sie nicht führen; denn die Antwort auf diese Frage ist gegeben und man kann sie im Koalitionsvertrag nachlesen. Die Antwort heißt schlichtweg - ein schwieriges und vielleicht kein schönes, sachlich aber treffendes Wort -: dezentrale Konzentration.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Noch niemand hat einen besser funktionierenden Vorschlag gemacht als diesen.

(Zuruf von der PDS: „Vorschlag” ist gut! - Homeyer [CDU]: Es darf aber nicht beim Vorschlag bleiben!)

Wir haben allerdings, auch wenn wir an dieser Strategie festhalten wollen, ein anderes Problem. Wir müssen deutlich machen, dass die Verwaltungen im Osten inzwischen zehn, elf Jahre lang Zeit hatten zu lernen und auch gelernt haben, die Mittel zielgerichtet und rechtssicher auszugeben. Nur dann haben wir die Chance, unsere Forderungen auch gegenüber den Geberländern durchzusetzen.

Die Zeichen stehen dafür zurzeit gar nicht so schlecht. Der Bund hat nach den Thierse-Thesen Gespräche geführt, die Ministerpräsidenten haben zusammengesessen, Ministerpräsident Vogel hat gleich mit einer konkreten Zahl 40 Millionen DM gefordert.

(Zuruf von der SPD: Milliarden!)

- Natürlich Milliarden, Entschuldigung! Die drei Nullen wollen wir uns noch gönnen.

Das stößt nicht immer auf Gegenliebe. Ich glaube, die Strategie, die Finanzierung gut begründeter und sachlich durchdachter Programme einzufordern, ist der bessere Weg, die Verhandlungen zu führen.

Die Überlegungen, wie wir im Städtebau vorankommen, zielen ja genau in diese Richtung. Ob man das jetzt Abriss-Programm oder Stadtumbau nennt, ist mir gar nicht so wichtig. Die Frage ist: Was wollen wir damit erreichen, wie können wir das untersetzen und wie können wir die Leute im Land motivieren, da mitzumachen? Da sind natürlich Vokabeln wie Abriss-Programm nicht so hilfreich. Darin sind wir uns sicherlich auch einig.

Kommissar Verheugen hat angekündigt, dass die Generaldirektion Osterweiterung der Kommission bis zum 12. April einen Entwurf für ein Grenzlandförderprogramm vorlegen wird, das den Bedingungen an der EU-Ostgrenze Rechnung trägt. Ich denke, auch hier werden wir wieder Regelungen für den weiteren Ausbau der Infrastruktur erwarten können.

In diesem Zusammenhang halte ich auch die von unserem MASGF vorgelegten zehn Thesen zum Arbeitsmarkt für nachdenkenswert. Sie beinhalten eine ganze Reihe von Punkten, die uns auch unter Berücksichtigung der erkennbaren Entwicklungen demoskopischer sowie arbeitsmarktpolitischer Art und auch angesichts der Wanderungsbewegungen, die wir beobachten, voranbringen könnten. Es geht dabei darum, aus den erwarteten Programmen eine zusätzliche Vergabe von Aufträgen im Rahmen der kommunalen Infrastruktur zu organisieren, dies aber nicht nur zentral von der Landesebene aus zu steuern, sondern die Kommunen vor Ort in die Steuerung einzubeziehen.

Damit das aber im Lande nicht auseinander läuft, ist die verbindliche Vorgabe globaler Ziele der Infrastrukturentwicklung erforderlich. Diese Ziele müssen vom Land formuliert werden. Die Beschäftigungswirkung kann durchaus erreicht werden, wenn über eine mehrjährige Laufzeit und durch die Verknüpfung mit den Instrumenten der Arbeitsförderung, also in Zusammenarbeit mit den Arbeitsämtern, Programme wie „Arbeit statt Sozialhilfe” und ähnliche modifiziert, ausgeweitet und fortgeführt werden.

Eine unterstützende Wirkung können und müssen auch Initiativen der Landtagsabgeordneten bringen. Wir haben neulich über das Thema „Reduzierung von Normen und Standards in Leistungsgesetzen” gesprochen und heute in der Fragestunde kam schon das Thema „Novellierung der Bauordnung” vor. Die Überarbeitungen des Denkmalschutzgesetzes und des Naturschutzgesetzes stehen an.

Wir wissen aus den Berichten aus den Kreisen und Kommunen, dass die Handhabung dieser Instrumente teilweise außerordentlich restriktiv ist und eher eine Bremse als eine Hilfe darstellt.

Ich sage das hier in aller Öffentlichkeit noch einmal ganz deutlich: Es darf in Zukunft nicht mehr sein, dass Ministerien Fachamtsleiter aus den Kreisen zu Dienstberatungen einladen. - Informationsgespräche gern, aber Dienstberatungen führt der Landrat mit seinen Leuten; denn der bezahlt auch deren Gehälter.

Hier ist also die Indoktrination der kommunalen Ebene abzubauen, die teilweise außerordentlich massiv ist. Hausgemachte Hemmnisse dürfen unsere Entwicklung nicht verzögern. Auch hier gilt nämlich: Zeit ist Geld.

Zügige Verwaltungs- und Genehmigungsabläufe entfalten eine enorme Anziehungskraft auf eine Region. Dazu müssen Politik und Ministerien die Behörden im Lande motivieren.

Stellen Sie sich vor: Die gleiche Entwicklung, die wir in zwei, drei Jahren durchlaufen, könnten wir in der halben Zeit durchlaufen! Das würde nicht eine müde Mark mehr kosten, aber doppelten Gewinn für die Region bringen.

(Beifall bei der SPD)

Ein weiterer Beitrag, den das Land leisten muss, ist natürlich die konsequente Haushaltkonsolidierung, die wir angefasst haben. Die Sprüche, die teilweise laut werden, Brandenburg hätte den Sparkurs verlassen, möchte ich hier ganz deutlich zurückweisen. Ich weiß, dass die Finanzministerin das ähnlich sieht.

Dass sich die Einnahmesituation des Haushaltes aus Gründen, die Brandenburg nicht zu vertreten hat, verschlechtert hat, ist jedem bekannt. Der Sparwille zeigt sich aber auf der Ausgabenseite und die - so weh es tut - muss kleiner werden und sie wird auch kleiner werden.

Lassen Sie mich einen letzten Gedanken anfügen, der die Entwicklung des Ostens stark beflügeln könnte, auch wenn er immer wieder von einigen Kollegen infrage gestellt wird. Wir haben in dem Territorium Berlin-Brandenburg immer noch zwei große Landesregierungen, die einen Haufen Geld kosten und nicht an allen Stellen miteinander arbeiten. Lassen Sie uns für die Länderfusion werben und diese Region gemeinsam mit Berlin und nicht gegen Berlin entwickeln! Wir werden dann schnell und zügig vorankommen.

(Beifall bei der SPD)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Fritsch. - Ich gebe das Wort an die Fraktion der DVU. Frau Abgeordnete Hesselbarth, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Brandenburg steht ökonomisch, sozial auf der Kippe.” Ich benutze diesen Ausdruck in Abwandlung des bekannten Satzes des Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse, dass der Osten auf der Kippe stehe, bewusst; denn Herr Thierse hat hier substanziell völlig Recht.

Sehen wir uns einmal die aktuellen Wirtschaftszahlen im Land Brandenburg an! Die brandenburgische Wirtschaft ist im vergangenen Jahr in eine tiefe Krise geschlingert. Die aktuellen Berechnungen der Statistiker bestätigen, dass die schlechte Stimmung in der Wirtschaft und der dramatische Einbruch bei der Wirtschaftsdynamik mehr als nur vorübergehende Störungen waren.

Mit einem Wachstum von nur noch 0,3 % ist das Land Branden

burg im Jahr 2000 meilenweit hinter die anderen Bundesländer zurückgefallen. Bundesweit stieg das Bruttoinlandsprodukt immerhin um 3,1 %.

Selbst Konjunkturforscher wie der Leiter des Berliner Büros des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Herr Hans-Joachim Beyer, zeigten sich entsetzt. Beyer sagte wörtlich:

„Es ist noch schlimmer gekommen als erwartet.”

Der Konjunktureinbruch in Brandenburg ist vor allem auf die krisengeschüttelte Bauwirtschaft zurückzuführen. Als langjährige Mitinhaberin einer mittelständischen Baufirma weiß ich ein Lied davon zu singen. Die erhoffte Stabilisierung im Baubereich blieb aus. Stattdessen sackten die Umsätze des brandenburgischen Bauhauptgewerbes um 12 % und die des Ausbaugewerbes um 18 % in den Keller.

Selbst der Landesbetrieb für Datenverarbeitung und Statistik erwartet einen weiteren Kapazitätsabbau. Aber auch im Handel und im Gastgewerbe sieht es nicht viel besser aus. Der Kraftfahrzeughandel - um ein Beispiel zu nennen - schrumpfte sogar um 9 %.

Und wie ist die Lage am Arbeitsmarkt? Insgesamt zählten die Arbeitsämter am Ende des Monats Februar 247 100 Arbeitslose, also 4 700 mehr als im Januar. Die Arbeitslosenquote in Brandenburg betrug zum 28.02. sage und schreibe 20 %. In manchen Arbeitsamtsbezirken, z. B. Eberswalde, Cottbus oder Neuruppin, lag sie noch deutlich darüber.

Diese Zahlen, meine Damen und Herren, sollten genügen, um die Brisanz der Lage zu verdeutlichen.

Wir verstehen Sie, Frau Ministerin Ziegler, sehr gut, wenn Sie anlässlich der Konferenz der haushalts- und finanzpolitischen Sprecher der SPD-Fraktionen eine rasche Einigung zwischen Bund und Ländern zum neuen Finanzausgleichsgesetz ebenso forderten wie eine langfristige Finanzausstattung für den Aufbau Ost. Sie brauchen, Herr Ministerpräsident Dr. Stolpe, jetzt nicht gleich wieder ans Rednerpult zu gehen wie bei einer der letzten Plenarsitzungen, um uns vorzuwerfen, wir redeten die Lage in Brandenburg schlecht. Sie ist schlecht.

(Beifall bei der DVU)

Edgar Most, Präsident des Ostdeutschen Bankenverbandes, stellte dies erst kürzlich ebenfalls fest. Er erklärte, er sehe für die Mehrheit der mittelständischen Betriebe in den neuen Bundesländern kaum Chancen, sich gegenüber den Konkurrenten aus dem Westen zu behaupten; rund 80 bis 90 % der 520 000 kleinen und mittleren Unternehmen wurstelten sich seit Jahren nur so durch. Sie sind ganz eindeutig dem direkten und globalen Wettbewerb nicht gewachsen. Most wörtlich:

„Da steht auch die Bank vor der Frage: Stecke ich da noch einmal rein oder nicht?”

Die Bundesländer sind über die Reform der föderalen Finanzbeziehungen weiter tief zerstritten. Die Sonderkonferenz der Länderfinanzminister Ende März in Berlin ging ohne jeden Fortschritt zu Ende.