Protocol of the Session on October 19, 2000

Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie herzlich zur 23. Sitzung des Landtages Brandenburg in seiner 3. Wahlperiode. Mein Gruß gilt in gleicher Weise den Abgeordneten wie den Vertretern der Medien und unseren Gästen.

Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich Ihnen mitzuteilen. dass das Landesverfassungsgericht für Recht erkannt hat. dass die Berufung von Frau Angelika Thiel-Vigh als Ersatzperson für die aus dem Landtag ausgeschiedene Abgeordnete Dr. Regine Hildebrandt unwirksam ist. Ich habe Ihnen dies mit der Information 356 schriftlich mitgeteilt, aber laut ,:v; 20 unserer Geschäftsordnung habe ich diese Information vor Eintritt in die Tagesordnung noch einmal zu geben.

Gibt es Ihrerseits Bemerkungen zum vorliegenden Entwurf der Tagesordnung? - Dies scheint nicht der Fall zu sein. Dann darf ich anmerken, dass es - wie von der PDS-Fraktion vorgeschlagen - einen zusätzlichen Tagesordnungspunkt 3 gehen soll. Ich hatte gestern bereits darauf hingewiesen. Der Bericht der Landesregierung an den Landtag zur Neustrukturierung der Wirtschaftsförderung - Drucksache 3/1804 - wird heute als Tagesordnungspunkt 3 mit der Redezeit Variante 3 zu behandeln sein.

Die Wahl von einem Mitglied der Verwaltungsräte der Feuersozietät Berlin Brandenburg und der Öffentlichen Lebensversicherung Berlin Brandenburg - Drucksache 3u1860 - soll ohne Debatte unter Tagesordnungspunkt 11 erfolgen.

Zusätzlich geht es unter Tagesordnungspunkt 12 - auch ohne Debatte - uni das Verfassungsgerichtsverfahren VfG Bbg 46/00. uni den Antrag auf Durchführung eines Organstreitverfahrens der Fraktion der Deutschen Volksunion im Landtag Brandenburg und des Abgeordneten Sigmar-Peter Schuldt.

Haben Sie diesbezüglich noch weitere Anmerkungen? - Dann bitte ich um Ihr zustimmendes Handzeichen. die heutige Tagesordnung in ihrer erweiterten Form anzunehmen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Dann verfahren wir so.

Es gibt auch heute eine Reihe von Abwesenheitserklärungen parzieller und absoluter Art, die im Einzelnen mitzuteilen ich mir wie gehabt spare.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Fragestunde

Drucksache 3/1787 (einschließlich Korrekturblatt

Das Wort gellt an den Abgeordneten Dr. Ehler zur Formulierung der Frage 428 (Minderheitenschutz in der EU-Grundrechteeharta).

Der Minister der Justiz und für Europaan gelegenheiten des Landes Brandenburg forderte in mehreren Pressemitteilungen. den Schutz von Minderheiten in der künftigen europäischen Grundrechtechtnla zu verankern.

Ich frage die Landesregierung: Welche Initiativen hat sie ergriffen. uni dieses Anlie gen durchzusetzen?

Herr Minister Sehelter. Sie haben das Wort.

Minister der.1 ustiz und für Europaangelegenheiten Prof. Dr. Schelter:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Ehler, die Landesregierung hat sich im Rahmen der Erarbeitung einer europäischen Grundrechtechana nachdrücklich für die Verankerung eines Minderheitenschutzes eingesetzt. Bei der Beratung einer Entschließun g des Bundesrates am 14. Juli 2000 zu diesem Thema habe ich auf dieses Anliegen hingewiesen und den Vertreter der Länder im Konvent zur Ausarbeitung der Charta. Herrn Minister Jürgen Gnauck aus Thüringen. gebeten. sich in der verbleibenden Beratungszeit für die Aufnahme eines Artikels zum Schutz von Minderheilen einzusetzen.

Dieses Anliegen hat auch auf europäischer Ebene viele Befürworter gefunden. Mitglieder des Konvents aus verschiedenen Ländern haben in der Gruppe der nationalen Parlamentarier Juli eine gleich lautende Forderung erhoben. Auf meine ausdrückliche Bitte hin hat Minister Gnatiek, der Mitglied dieser Untergruppe des Konvents ist. in dankenswerter Weise auch in diesem Rahmen für eine Verankerung des Minderheitenschutzes M der künftigen Grundrechteeharnt geworben.

Eine weitere Initiative habe ich als Mitglied der Kommission für institutionelle Fragen des Ausschusses der Regionen gestartet. Ich habe mich dafür eingesetzt. dass eine Stellungnahme des Ausschusses um die Empfehlung ergänzt wird: den Minderheitenschutz ausdrücklich als eigenes Recht in der Charta zu verankern und damit ein grundlegendes Prinzip für die Behandlung insbesondere ethnischer Vielfalt in der Europäischen Union festzuschreiben.

Die Stellungnahme ist im Plenum des Ausschusses der Regionen am 20. September 2000 behandelt und mit kleineren Ergänzungen fast einstimmig verabschiedet worden. Im Ergebnis haben sich die Anstrengungen der Landesregierung gelohnt. Sie haben dazu beigetragen. dass die Bedeutung des Minderheitenschutzes für unsere europäische Werteordnung aufbreiter Ebene anerkannt worden ist.

Der Europäische Rat von Biarritz hat die vom Konvent vorgelegte Charta der Grundrechte der Europäischen Union ohne Änderungswünsche akzeptiert.

Im Chartaentwurf ist der Minderheitenschutz nun in doppelter Weise berücksichtigt: Artikel 21 der Charta verbietet jede Diskriminierung wegen der Zunchörigkeit zu einer nationalen Minderheit. Artikel 22 le gt fest. dass die Europäische Union die Vielfalt der KuIturen. Religionen und Sprachen achtet.

Diese Regelungen bleiben zwar hinter meinen Vorstellungen zurück, stellen aber einen beachtlichen Erfolg dar, der für die Menschen, die als Minderheiten in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union leben. von großer Bedeutung sein vv,

Landtag Brandeeurg - 3. Waleerkk.le - I'lenarprotokoll 3 - 19. Oktober 1355

Ich werde alle Möglichkeiten ausschöpfen, in der bis zur Aufnahme der Charta in die Europäischen Verträge verbleibenden Zeit eine weitere Verbesserung dieser Regelun gen zu erreichen. - Vielen Dank.

(Beifall hei CDU und SPD)

Da es zu dieser Antwort keine weiteren Fragen gibt, nutze ich die Gelegenheit. unsere Gäste zu be grüßen. Es handelt sich um Langzeitarbeitslose der 1FU Dr. Niemeyer GmbH. Herzlich willkommen im Landtag Brandenburg!

(Allgemeiner Beifall)

Das Wort geht an die Abgeordnete Frau Dr. Enkelmann zur Formulierung der Frage 436 (Novellierung Kita-Gesetz). welche gestern mit der Frage 429 getauscht worden ist.

Für diesen Tausch danke ich meiner Kolle gin Frau Kaiser-Nicht und auch dem Minister, weil er extra für diese Frage heute ins Plenum gekommen ist.

Zahlreiche Städte und Gemeinden des Landes, so auch die Stadt Bernau. leiten Veränderungen in den Kita-Gebührensatzungen mit zum Teil drastisch steigenden Elternbeiträgen - mit Steigerungen bis zu 45 - aus der Novellierung des Landes-KitaGesetzes her. Mehrfach hat die Landesregierung erklärt. dass es im Zusammenhang mit der Novellierung zu keinen finanziellen Auswirkungen auf die Kommunen kommen würde.

Ich frage die Landesregierung: Welche Position hat sie dazu heute?

Diese kommunale Selbstverwaltung sieht das Gesetz ausdrücklich vor. Sie entspricht auch den Intentionen des Städte- und Gemeindebundes. den Sie häufig zu Recht zitieren und der immer wieder betont, dass er Vorgaben. ja selbst Empfehlungen des Landes nicht für wünschenswert hält.

In der Tat ist es nach Kenntnis des MBJS so. dass derzeit viele Satzungen zur Erhebung der Elternbeiträge überarbeitet bzw. neu gestaltet werden. und es sieht leider auch so aus. als ob zumindest partiell die Überarbeitung der Satzung auch zu einer Erhöhung der Elternbeiträge genutzt würde.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Das ist eine Ignoranz hoch drei! - Vietze [PDS]: Höchstens partiell!)

- Ja. partiell. Ich habe da, glaube ich. einen besseren Überblick. weil ich mich nicht nur um Bernau gekümmert habe. sondern wirklich im Gespräch mit sehr vielen versuche. das Gesamtgeschehen im Auge zu behalten.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Sie sollten sich daran orien- tieren, wie es konkret aussieht!)

Soweit die Novellierung des Kita-Gesetzes zur Begründung für diese Erhöhungen herangezogen wird, ist es an gebracht, diese Aussage kritisch zu hinterfragen. Insgesamt aber sind die der Presse zu entnehmenden Vermutungen über die durch die Novellierung zu verzeichnenden Defizite auf der Gemeindeseite als in der Summe übertrieben zu bezeichnen.

Das Land wird im Jahr 2001 54 Millionen DM einsparen. Das sind nicht einmal 7 % der Gesamtkosten der Kindertagesbetreuung. Ziel ist, diese Einsparung an möglichst vielen Stellen eben nicht über Kündigung von Arbeitsverträgen oder Betreuun gsverträgen. sondern über eine Angebotsreduzierun g und über Angebotsänderungen auszugleichen.

(Zuruf von der PDS) Präsident Dr. Knithlich: Herr Minister Reiche. Sie haben das Wort. Minister für Bildung, Jugend und Sport Reiche: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Frau Dr. Enkel mann. die Position der Landesre gierung zu dieser Frage hat sich nicht geändert. Die Festlegung der Höhe und Staffelung der Elternbeiträge erfolgt in eigener Verantwortung der Träger der Einrichtungen. Das heißt. dass das Land keinen Einfluss darauf hat und sieh auch weiterhin auch in dieser Frage der kommunalen Selbstverwaltung zurückhalten wird. Als Fußnote möchte ich hinzufügen: Man kann zur PDS stehen. wie man will - eines. was sie mir immer ein Stück weit symphatisch gemacht hat. ist ihr Engagement für die Eigenverantwortlichkeit der Kommunen. (Vereinzelt Gelächter bei der SPD - Zum f von der PDS)

Dann kann man allerdings nur hei Strafe des Verlustes seiner Glaubwürdigkeit an allen möglichen und unmöglichen Stellen in die kommunale Selbstständi gkeit eingreifen.

Nach den Pressemeldungen könnte der Eindruck entstehen. dass sowohl die Bctreungsangebote reduziert als auch die Elternbeiträge erhöht würden und damit auf der Gemeindeseite ein doppelter Einspareffekt eintreten könnte.

Der Realität kommen wir nur näher. wenn die Situation genauer und differenzierter betrachtet wird. denn dann zei gt sich. dass weder die schlichte Aussage. die Einsparungen von Landesmitteln wären für alles Übel verantwortlich. noch die gegenteilige Vermutung, die Gesetzesänderung werde als Vorwand genutzt, die gemeindliche Einkommenssituation zu verbessern. stimmt.

(Frau Dcttmann [SPD]: Genau so ist es!)

Ich sehe an den Reaktionen anderer Abgeordneter. dass sie solche Erfahrungen und Beobachtungen sehr wohl vor Ort in ihren Wahlkreisen ebenfalls machen.

Es gibt aus der Sicht der Landesregierung gegenwärtig drei Gründe für die Erhöhung der Elternbeiträge.

Der erste Grund: Die Elternbeiträge sind über einen längeren (Beifall bei SPD und CDU} Zeitraum nicht mehr angepasst worden. Das heißt, wir haben

1356 1..andiag Brandenburg - 3. '0, ah - Plenarprotokoll 3 23 - Oktober 24011

nicht nur den höchsten Betreuungssatz und die höchste Umsetzung des Rechtsanspruches gehabt, sondern auch die im bundesweiten Vergleich geringsten Elternbeiträge. Neben den im Zuge der Anpassun g der Elternbeitragsstaffelung veränderten Betreuungszeiten werden auch die Einnahmen der Kosten- und Finanzsituation angepasst.

(Zuruf von der PDS: Ah ja!)

Der zweite Grund: Nicht wenige Kommunen haben noch erhebliche Unsicherheiten über die zukünftige Kostensituation im Kita-Bereich. Sie sind noch unsicher. inwieweit das Angebot tatsächlich reduziert werden kann. Nicht alle Kommunen haben schon präzise Vorstellungen über neue und auch Kosten sparende Angebotsformen. Die Umstellung vorn Platzzuschuss auf die Kinderkostenpauschale bereitet noch Schwierigkeiten, Insbesondere herrscht Unklarheit. wie viele eigene Kinder in anderen Gemeinden betreut und wie viele Kinder aus anderen Gemeinden in der eigenen Einrichtung betreut werden.

Der dritte wichtige Grund: Einige Kommunen haben höhere Einnahmeverluste als die Reduzierung der Landeszuschüsse von durchschnittlich 7 u.'4. Das betrifft die Einrichtungen mit den überdurchschnittlichen Versorgungsquoten und den überdurchschnittlichen Betreuungszeiten. Durch die Kinderkostenpauschale haben sie einen schwierigeren Anpassungsprozess zu bestehen als diejenigen Gemeinden mit unterdurchschnittlicher Versorgung. die - gemessen an den bisheri gen Einnahmen - ein geringeres oder kein Defizit haben. Solche Kreise bzw. Gemeinden, Frau Kaiser-Nicht, insbesondere auch in Ihrem Wahlkreis, ganz in der Nähe Ihres Heimatortes. sind Ihnen. denke ich. gut bekannt.