Protocol of the Session on July 11, 2000

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 43. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde, Ihre Zustimmung vorausgesetzt, erteilt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich zwei Glückwünsche aussprechen. Am 9. Juli konnte Herr Staatssekretär Hermann Regensburger einen runden Geburtstag begehen. Und heute feiert der Alterspräsident der 14. Legislaturperiode, Herr Kollege Dr. Herbert Kempfler, Geburtstag.

(Allgemeiner Beifall)

Ich gratuliere den Genannten im Namen des Hohen Hauses und persönlich sehr herzlich und wünsche ihnen für das neue Lebensjahr alles Gute, vor allem Gesundheit und viel Erfolg bei der Erfüllung ihrer parlamentarischen Aufgaben.

Meine Damen und Herren, aus aktuellem Anlass möchte ich noch einen weiteren Glückwunsch aussprechen. Die Fraktion der SPD hat heute Mittag Herrn Kollegen Franz Maget mit sehr breiter Mehrheit zu ihrem künftigen Vorsitzenden gewählt. Er wird sein neues Amt am 20. September von Frau Kollegin Renate Schmidt übernehmen.

Ich darf Ihnen, Herr Kollege Maget, zu Ihrer Wahl im Namen des Hohen Hauses herzlich gratulieren und Ihnen alles Gute wünschen.

(Allgemeiner Beifall – Frau Abgeordnete Paulig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) überreicht dem künftigen Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Abgeordneten Maget, und der amtierenden Vorsitzenden der SPDFraktion, Frau Abgeordneter Renate Schmidt, je einen Blumenstrauß)

Meine Damen und Herren, der Landeswahlleiter hat mir mitgeteilt, dass sich Herr Dieter Appelt als Nachfolger von Herrn Dr. Albert Schmid nach Artikel 48 des Landeswahlgesetzes am 1. Juli 2000 die Rechtsstellung eines Mitglieds des Bayerischen Landtags erworben hat. Mit anderen Worten: Herr Appelt ist neues Mitglied unseres Parlaments. Ich begrüße Herrn Kollegen Dieter Appelt sehr herzlich in diesem Hohen Haus und wünsche ihm Gottes Segen, Kraft und gutes Gelingen bei der Ausübung seines Mandats.

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 1

Aktuelle Stunde

Für die heutige Sitzung war die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN vorschlagsberechtigt. Sie hat eine Aktuelle Stunde beantragt zum Thema „Bayern

braucht Einwanderung – Eine Blue Card macht noch kein weltoffenes Bayern“.

In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion kann einer ihrer Redner zehn Minuten sprechen. Dies wird auf die Gesamtredezeit der jeweiligen Fraktion angerechnet. Wenn ein Mitglied der Staatsregierung kraft seines Amts das Wort nimmt, wird die Zeit seiner Rede nicht mitgerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort allerdings für mehr als zehn Minuten, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrechnung auf die Zeit der Aussprache zu sprechen. Ich bitte Sie, auf mein Signal zu achten.

Der erste Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Dürr. Er nimmt die zehn Minuten in Anspruch.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Der Bayerische Ministerpräsident hat gestern in Hannover gefordert, Deutschland sollte sich als weltoffenes, tolerantes Land präsentieren. Da können wir nur sagen: An uns soll es nicht scheitern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Aber Sie, meine Damen und Herren von der CSU, haben, so fürchte ich, einen weiten Weg vor sich.

Bayern braucht Einwanderung. In der Praxis gibt dies die Staatsregierung mit der Blue Card inzwischen zu. Wir müssen uns Menschen aus dem Ausland zu Hilfe holen. Allein werden wir mit unseren Aufgaben und Problemen nicht mehr fertig.

Auf einmal sagt die Staatsregierung, dass eine politisch verantwortete, maßvolle Zuwanderung aus wirtschaftsund arbeitsmarktpolitischen Gründen sinnvoll sowie aus humanitären Gründen unabweisbar sein kann. Also müssen wir uns eigentlich nur noch darüber unterhalten, wie viel Zuwanderung politisch verantwortet werden kann. Das heißt, wir müssten über das Einwanderungsgesetz sprechen.

Aber an dieser Stelle bekommt die Staatsregierung plötzlich Angst vor der eigenen Courage. Denn gleichzeitig will sie an ihrer bisherigen Politik der Abschottung fest- halten. Sie tut so, als wären Menschen aus anderen Ländern gefährlich, als müsste der Kontakt mit ihnen auf das Notwendigste beschränkt bleiben, damit unsere bayerische Leitkultur von den Einwanderern nicht befleckt oder verunreinigt wird.

Glauben Sie wirklich, dass Sie mit dieser Abwehrhaltung weltweit um die besten Köpfe werben können?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Würden Sie dorthin gehen wollen, wo Sie merken, dass man Sie eigentlich gar nicht haben will, dass man Sie nur ausnutzen will?

Über die Anhörung des Hochschulausschusses zur Lage der Forschung schrieb die „SZ“: „Wissenschaftler kritisieren ausländerfeindliches Klima.“ Es wurden im Ausschuss reihenweise Horrorgeschichten angeboten, Geschichten, wie bürokratisch und abweisend die Behörden mit ausländischen Gastwissenschaftlern umgehen.

Dieses Land

hieß es –

ist nicht dafür bekannt, dass es Ausländer freundlich aufnimmt.

Dieses Land ist das Bayern, wie Sie es geprägt haben.

(Glück (CSU): So ein Krampf!)

Wenn wir im Wettbewerb um die besten Köpfe aus anderen Ländern mithalten wollen, dann müssen Sie endlich aufhören, Einwanderer abzuschrecken und Stimmung gegen Ausländer zu machen, die uns angeblich ausnutzen wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es geht nicht nur um die besten Köpfe, es fehlen auch jede Menge eifriger Hände: Es fehlen Spargelstecher, es fehlt Personal für die Gurkenflieger, es fehlen Pflegekräfte und Facharbeiter. Die rumänischen Krankenschwestern, die zurück müssen, obwohl sie in der Herzchirurgie dringend gebraucht werden, sind ein besonders absurdes Beispiel. Kaum sind sie eingearbeitet, schickt man sie wieder heim. Ich glaube kaum, dass Sie, wenn Sie einmal operiert werden sollten, in einer solchen Lage froh wären, dass das Ausländerrecht in Bayern besonders genau ausgelegt wird.

Wir brauchen Hilfe von außen, und wir haben immer Hilfe gebraucht. Ohne die starke Zuwanderung der letzten Jahrzehnte würden weder unsere Wirtschaft noch unsere Gesellschaft, unser Gemeinwesen funktionieren. Selbst unsere Esskultur sähe völlig anders aus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie müssten dann immer Schweinebraten essen, und richtiges Gemüse gäbe es in Bayern auch nicht, nur verkochtes.

Dieser Wirklichkeit müssen Sie sich endlich stellen. Ihre Gesellschafts- und Kulturpolitik ist in diesem Punkt absolut weltfremd. Wer Arbeitskräfte holt, wird immer Menschen holen. Das Zauberwort der Ausländerpolitik muss Integration heißen, verlangt der Berliner Innensenator Werthebach.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Statt die Sprachprüfung schwieriger zu machen, wie es jetzt vorgesehen ist, sollten Sie lieber verpflichtende Sprachkurse und Gemeinschaftskunde anbieten, wie es in Holland gemacht wird. Sie sagen immer, dass wir die Integrationsfähigkeit unseres Landes nicht überfordern

dürfen. Aber diese Fähigkeit ist nicht naturgegeben; sie ist abhängig von der Politik. Gerade mit Ihren Sprüchen von der Überforderung verringern Sie diese Integrationsfähigkeit drastisch.

Herr Beckstein, Sie nennen als Beispiel für Überforderung Hauptschulen, in denen über 50% der Schüler keinen deutschen Pass haben.

(Frau Paulig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das kann man ändern!)

Das ist aber kein Zeichen unserer Überforderung. Das ist ein Armutszeugnis für die Integrationspolitik der Staatsregierung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist ein Armutszeugnis für die Schulpolitik, für die Vernachlässigung der Hauptschulen, da in den Städten alles, was laufen kann, auf weiterführende Schulen will und weil Bildungs- und Ausbildungsquoten der Kinder von Eingewanderten in Bayern erbärmlich niedrig sind. Dafür sind Sie verantwortlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen mehr Weltoffenheit. Wir brauchen ausländische Spitzenkräfte nicht nur in der Computerindustrie. Wir brauchen sie in allen Branchen und in der Wissenschaft. Zuwanderung ist eine wesentliche Ursache des wirtschaftlichen Booms in den USA. 80% der Firmen im Silicon Valley werden von Ausländern gegründet. So etwas verhindert Ihre Blue Card. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit agierender Konzerne brauchen interkulturelle Kompetenz. Diese interkulturelle Kompetenz könnten die Bayern schon im Kindergarten lernen, wenn Sie dafür sorgen würden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch die Entwicklung unserer Bevölkerung in den nächsten Jahrzehnten spricht für Zuwanderung. Minister Beckstein hat dies letzte Woche noch abgelehnt. Inzwischen hat Ministerpräsident Stoiber erklärt, dass wir Zuwanderung qualifizierter Menschen brauchen, damit wir unsere Leistungsfähigkeit aufrecht erhalten können. Wer spricht denn jetzt für die CSU? Beckstein oder Stoiber? Für wen spricht jetzt Beckstein? Unsere Probleme werden wir nur lösen können, wenn die Menschen, die wir holen, auch dauerhaft bei uns bleiben können und wenn Sie endlich akzeptieren, dass alle Menschen, die dauerhaft in Bayern wohnen, auch Bayern sind.

Deswegen begrüßen wir es, dass Sie nunmehr mit Ihrer Blue Card vorsichtig anfangen, sich der Wirklichkeit zu stellen. Das ist für uns eine wirtschaftspolitische Kehrtwendung. Jetzt sollten Sie versuchen, auch Ihre Gesellschafts- und Kulturpolitik auf die Höhe unserer Zeit zu bringen.