Protocol of the Session on March 13, 2001

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die 60. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde, Ihre Zustimmung vorausgesetzt, erteilt.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich noch eine Reihe von Glückwünschen aussprechen. Runde Geburtstage feierten am 19. Februar Herr Kollege Bernd Sibler, am 24. Februar Herr Kollege Helmut Schreck, am 28. Februar Frau Kollegin Gudrun Peters sowie am 1. März Herr Kollege Markus Sackmann. Einen halbrunden Geburtstag konnte Herr Staatssekretär Karl Freller am 2. März begehen. Im Namen des Hohen Hauses und persönlich gratuliere ich der Kollegin und den Kollegen sehr herzlich und wünsche ihnen alles Gute, Gottes Segen sowie Kraft und Erfolg bei der Erfüllung ihrer parlamentarischen Aufgaben.

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 1

Aktuelle Stunde

Für die heutige Sitzung ist die Fraktion der SPD vorschlagsberechtigt. Sie hat eine Aktuelle Stunde zum Thema „Familien – Die vergessenen Leistungsträger in unserer Gesellschaft“ beantragt.

In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als 5 Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion kann einer ihrer Redner 10 Minuten sprechen. Dies wird auf die Gesamtredezeit der jeweiligen Fraktion angerechnet. Wenn ein Mitglied der Staatsregierung kraft seines Amtes das Wort nimmt, wird die Zeit seiner Rede nicht mitgerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als 10 Minuten, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder Gelegenheit, 5 Minuten ohne Anrechnung auf die Zeit der Dauer der Aussprache zu sprechen. Ich bitte Sie, auf mein Signal zu achten.

Die erste Rednerin ist Frau Kollegin Schmidt. Sie redet 10 Minuten. Bitte, Frau Kollegin Schmidt.

Sehr geehrter Herr Präsident, liege Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße die Bayerische Staatsregierung und die CSU-Fraktion in der familienpolitischen Gegenwart ganz herzlich.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben mindestens verbal den Anschluss an die Wirklichkeit gefunden.

(Frau Radermacher (SPD): Aber wirklich nur verbal!)

Zwischen dieser Erkenntnis und dem notwendigen Handeln scheint aber noch ein weiter und für die Familien leider steiniger Weg zu liegen. Dies zeigen Ihre heute nicht verkündeten Kreuther Beschlüsse; dies musste ich in meinem Konzept korrigieren. In Kreuth scheint eine echte Nulllösung stattgefunden zu haben: null für die Kinder und null für die Familien.

(Beifall bei der SPD)

Übrig geblieben sind Absichtserklärungen einiger Kabinettsmitglieder, die das Schaffen der richtigen Rahmenbedingungen für Familien in das nächste und übernächste Jahrzehnt verschieben. Das haben die jungen Menschen, die heute eine Familie gründen wollen, nicht verdient; denn die Familien sind herausragende Leistungsträger unserer Gesellschaft. Diese Leistungsfähigkeit besteht in ihrer an ihre Kinder weitergegebenen sozialen Kompetenz und darin, dass sie die meisten direkten und indirekten Steuern zahlen. Ihre Leistungsfähigkeit besteht auch darin, dass aus den Familien heraus die meiste ehrenamtliche Arbeit geleistet wird.

Keine Institution hatte in den letzten knapp 20 Jahren von 1980 bis 1998 eine solche Zunahme an Anerkennung zu verzeichnen wie die Familie; die Zustimmung zur Familie ist in diesem Zeitraum von 68% auf 80% angestiegen. Über 90% der jungen Menschen – Jungen und Mädchen gleichermaßen – wollen eine Familie haben. Die Jungen und Mädchen wollen gleichermaßen einen Beruf erlernen, in diesem Beruf Erfolg haben und Kinder bekommen. Die Betonung liegt dabei auf der Mehrzahl, nämlich mehrere Kinder. Wenn dann aus dem Kinderwunsch ein Kindwunsch wird und dieser Kindwunsch nicht einmal realisiert wird, liegt das daran, dass Deutschland in Europa bei allen Formen der Tagesbetreuung altmodisches Schlusslicht ist und Bayern innerhalb Deutschlands die rote Laterne hält.

(Beifall bei der SPD)

2,8 Prozent Krippenplätze gibt es in Deutschland und innerhalb Deutschlands ist Bayern Schlusslicht. Bayern ist mit Spanien Schlusslicht in Europa. Schlusslicht auch bei den Ganztagskindergärten und Schlusslicht bei den Tagesschulen. In Bayern gibt es – konzentriert auf den Großraum München – gerade einmal 24 Tagesschulen. Davon sind 22 in privater Trägerschaft.

Kein anderes europäisches Land leistet sich den Luxus der bestausgebildeten Frauengeneration, die es in Europa, in Deutschland und Bayern je gab, folgendes Lebensmodell anzubieten: Nach der Ausbildung und ein paar Jahren Erwerbstätigkeit tickt die „biologische“ Uhr und folgt für durchschnittlich fünf Jahre die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit wegen Kinderbetreuung. Eventuell können dann die Mütter während der Kindergartenzeit unter ihrer erworbenen Qualifikation teilzeitbeschäftigt tätig sein, müssen aber während der Schulzeit aus dem Beruf wieder ausscheiden, da sie vor allen Dingen in Bayern für ihre Kinder die Nachhilfelehrerinnen und Taxifahrerinnen zum Gitarren- und Sportunterricht sind. Warum dieser Unterricht nicht in der Schule stattfindet, muss man erst erklären.

Dann kommt die „Wiedereingliederung“. Allein wenn ich dieses Wort höre, wird mir schon halb schlecht. Wo waren wir denn in der Zeit, als wir Kinder hatten? Es kommt also die Wiedereingliederung und eine Tätigkeit erst wieder einmal unterhalb der ehemals erworbenen Qualifikation. Wenig später geht es dann wieder raus aus dem Beruf, um die alten Eltern und Schwiegereltern zu pflegen.

Das machen die Frauen nicht mehr mit, und das hat nichts, aber auch gar nichts mit der von Ihnen vor gar nicht allzu langer Zeit gescholtenen Selbstverwirklichung zu tun,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

die Männern übrigens immer zugestanden worden ist; sondern es hat mit Rationalität und dem Bedürfnis zu tun, eine Ausbildung, für die frau sich krummgelegt hat, auch zu nutzen. Die Folge: 41% der Akademikerinnen bleiben kinderlos – 41%! Bei den Hauptschulabgängerinnen sind es 21%. Von den heute 35jährigen Frauen sind 31% kinderlos.

Vereinbarkeit von Kindern und Beruf ist das Problem der Frauen. Ihre so genannte Wahlfreiheit besteht in Familie haben und Mutter sein und Verzicht auf Karriere oder Erfolg im Beruf und als Tante auf eigene Partnerschaft und Familie, damit – und das ist das Schlimmste – auf Liebe zu verzichten.

Sie, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen von der CSU, haben davor zehn, zwanzig Jahre die Augen verschlossen und die vermeintliche Familienidylle des vorletzten Jahrhunderts beschworen.

(Unruhe bei der CSU)

Sie haben zum Beispiel meinen Vorschlag, aus den Privatisierungserlösen zwei Milliarden DM für eine Zukunftsoffensive für Kinder und für ihre Tagesbetreuung zur Verfügung zu stellen, belächelt und heruntergebügelt.

(Zuruf des Abgeordneten Heike (CSU))

Sie versuchen auch jetzt wieder, es auf möglichst preiswerte Art allen recht zu machen. Denen, die – wie offensichtlich einige von Ihnen – Erwerbstätigkeit von Mütter nach wie vor für Teufelszeug halten, wird Rechnung getragen, indem Herr Stoiber am 2. Dezember 2000 die Schirmherrschaft über einen Kongress übernommen hat, in dessen Einladung es heißt:

Im Zuge der Emanzipation der Frau und ihrer Selbstverwirklichung in der außerhäuslichen Arbeitswelt wurden für Kinder „Erziehungseinrichtungen“ – Krippen, Tagesstätten und ähnliche Einrichtungen, meist sogar ganztägig – geschaffen. Diese Entwicklung der Kollektivierung der Kindererziehung entspricht, ohne dass man sich dessen bewusst ist, den Zielvorstellungen von Lenin, der mit solchen Masseninstitutionen die Frau von Herd und Kindern befreien wollte, damit sie ein vollwerti

ges Mitglied in der sozialistischen Gesellschaft werde.

Über einen solchen Kongress hat die Schirmherrschaft der bayerische Ministerpräsident nicht etwa im Jahr 1900, sondern im Jahr 2000 übernommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN – Maget (SPD): Das ist bezeichnend!)

Diejenigen aber, die die Modernisierung Bayerns durch mehr Ganztagsbetreuung fordern, speist man mit unverbindlichen Absichtserklärungen zu Tagesschulen in den nächsten zehn Jahren ab. Dabei, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, gibt es signifikante Zusammenhänge zwischen der Geburtenhäufigkeit und der Erwerbsbeteiligung von Frauen. In Norwegen gibt es pro Frau 1,86 Geburten. Dann folgt Finnland, dann Dänemark usw. Deutschland ist an viertletzter Stelle mit 1,37 Geburten pro Frau, gefolgt nur noch von Spanien, Italien und Griechenland.

Die Erwerbsbeteiligung liegt in Norwegen bei 75,4% aller Frauen. Das geht dann runter bis nach Deutschland mit 62%. Das ist übrigens der einzige Zusammenhang, den es wirklich zwischen Geburtenhäufigkeit und anderen Faktoren gibt. Dahin geht der Weg, und deshalb sage ich: Wir müssen uns beeilen, um endlich den Anschluss zu finden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb war Herr Stoiber auch auf dem Holzweg, als er im Januar dieses Jahres in einem Interview mit der „Welt“ behauptete, in Norwegen sei das 1999 eingeführte Erziehungsgehalt der Grund für die hohen Geburtenraten. Das ist ein Märchen, denn die Zahlen, die ich gerade zitiert habe, sind von 1997, und da gab es dieses Erziehungsgehalt noch nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb, meine sehr geehrten Herren, meine Damen, fordern wir von der Staatsregierung, alsbald einen Stufenplan vorzulegen und in einem Fünfjahreszeitraum ausreichende Tagesbetreuung für Kinder aller Altersgruppen zu schaffen. Begonnen werden könnte ähnlich wie in Rheinland-Pfalz mit jeweils zwei Tagesschulen jeder Schulart pro Landkreis.

Ich möchte mich aber noch kurz mit der materiellen Situation von Familien auseinander setzen. Die hauptsächliche Ursache von Familienarmut besteht in den unzureichenden oder nicht vorhandenen Möglichkeiten für Mütter, erwerbstätig zu sein und ihre Kinder gleichzeitig gut betreut zu wissen. Doch auch bei einer deutlichen Verbesserung der Vereinbarungsmöglichkeiten bleibt die Notwendigkeit eines verbesserten Familienleistungsausgleiches bestehen. Die Bundesregierung hat erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik die Echternach’sche Springprozession – zwei Schritte vor, einer zurück – beim Familienleistungsausgleich beendet und das Kindergeld bereits zweimal erhöht. Ein dritter Schritt ist für

das Jahr 2002 verbindlich geplant. Dies darf aber nicht der Endpunkt sein, sondern muss fortgesetzt werden.

Es gibt übrigens, meine sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Damen, aus den letzten 25 Jahren keinen einzigen Beleg dafür, dass irgendwo höhere materielle Leistungen auch zu höheren Geburtenraten geführt hätten. Deshalb bleibt die wichtigste Säule der Familienpolitik, endlich die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erreichen. Das gilt auch für Bayern, weil das den größten Nachholbedarf hat.

(Beifall bei der SPD)

Als Nächster spricht Herr Kollege Unterländer, und zwar ebenfalls zehn Minuten.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Politik darf aus Respekt vor der Autonomie der Familie deren Biografie, nämlich deren Wahlfreiheit, ob beide Elternteile trotz des Vorhandenseins von Kindern erwerbstätig sind oder nicht, nicht vorgeben wollen. Ob ein Elternteil sich ausschließlich der Familienarbeit widmet oder beide Elternteile erwerbstätig sind, ist vielmehr ausschließlich von den Eltern zu entscheiden.

Diese auch vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Wahlfreiheit für die Familie ist Maxime der CSUPolitik.

(Frau Radermacher (SPD): Wenn es nur so wäre! Aber wenn es keine Betreuungseinrichtungen gibt, kann man gar nicht wählen!)

Wenn ich mir aber Ihre Ausführungen, sehr geehrte Frau Kollegin Schmidt, in Erinnerung rufe und Ihre Entscheidungen, zum Beispiel hinsichtlich einer Budgetierung beim Bundeserziehungsgeld, dann bin ich der Auffassung, dass Sie diesem Auftrag nicht gerecht werden, weil Sie einen dieser Wege bevorzugen und die tatsächliche Wahlfreiheit zugunsten der Familie nicht sicherstellen wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU – Frau Renate Schmidt (SPD): Das ist die Diskussion von vorgestern!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie hier von der Bayerischen Staatsregierung und von der Mehrheitsfraktion im Bayerischen Landtag zusätzliche Haushaltsmittel fordern – die sind natürlich notwendig, und ich komme noch darauf zu sprechen –, dann fassen Sie sich bitte auch an Ihre eigene Nase, was die Verantwortlichkeit der rot-grünen Politik im Bund anlangt. Sie fordern vom Land Gelder, verhalten sich im Bund aber ganz anders.