Protocol of the Session on June 8, 2000

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 11. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und die Zuhörer und Zuschauer recht herzlich.

Bevor wir mit unseren Beratungen beginnen, bitte ich Sie, sich von Ihren Plätzen zu erheben.

[Die Anwesenden erheben sich.]

Wir gedenken heute eines Mannes, der sich um die Menschen in unserer Stadt und um unser Parlament verdient gemacht hat.

Im Alter von 71 Jahren ist am 30. Mai der f r ü h e r e S t e l l v e r t r e t e n d e P r ä s i d e n t d e s A b g e o r d n e t e n h a u s e s v o n B e r l i n , K a r l H e i n z B a e t g e , g e s t o r b e n. Er gehörte von 1971 bis 1989 der damaligen FDP-Fraktion des Abgeordnetenhauses an und war von 1975 bis 1981 Stellvertretender Präsident unseres Parlaments.

Mit Karl-Heinz Baetge hat Berlin einen ehemaligen Parlamentarier verloren, der sich durch beharrliches Engagement, durch Bürgernähe aus Überzeugung und durch große menschliche Ausstrahlung auszeichnete.

Karl-Heinz Baetge gehörte zu denen, die ein Parlament braucht, um volksnah zu bleiben: Er war ein Mann, der als Bauschlosser gearbeitet hatte und wusste, was man auf einer Baustelle denkt und sagt. Er war ein Mann, der von 1956 bis 1966 bei der BVG Busschaffner und Busfahrer war, der den Großen Gelben durch Berlin gesteuert hatte und wusste, welche Probleme und Sorgen die Berliner in jenen Jahren vor und nach dem Mauerbau von 1961 bewegten. Anschließend hatte er fünf Jahre als hauptamtlicher Geschäftsführer des Komba Berlin, der Beamtengewerkschaft, gearbeitet, bevor er 1971 in das Abgeordnetenhaus von Berlin gewählt wurde. Ein so erfahrener und bürgernaher Mann konnte nur ein Gewinn für unser Parlament sein.

Vier Jahre später wurde Karl-Heinz Baetge zum Stellvertretenden Präsidenten gewählt. Von 1985 bis 1989 war er dann Vorsitzender des Petitionsausschusses. Auch dieses Gremium und die Bürger, die bei ihm Hilfe suchten, profitierten von seinen langjährigen Erfahrungen, seinem praktischen Menschenverstand und seinem Engagement.

Immer wenn Politik im Parlament zu theoretisch oder akademisch wurde, griff Karl-Heinz Baetge als Mann der Praxis in die Debatte ein und holte so manchen auf den Boden der Realität zurück. Er tat dies oft mit deutlichen Worten, humorvoll, schlagfertig und energisch, doch ohne jemanden zu kränken. Seine eigene Position vertrat er nachdrücklich, aber nicht verbissen. Für ihn gab es neben der politischen immer die menschliche Seite.

Wie kaum ein anderer verstand er es, im persönlichen Gespräch oder bei einem Bier und einer guten Zigarre Differenzen und Probleme zu entschärfen und auszuräumen. Er hat immer wieder dazu beigetragen, dass politische Gegnerschaft nicht zur Feindschaft wurde. Das hat ihm hohes Ansehen, Beliebtheit und Freunde bei allen Fraktionen eingebracht.

Hier, meine Damen und Herren, sei mir ein persönlicher Dank gestattet: Ich werde mich immer daran erinnern, wie kollegial und menschlich-fair Karl-Heinz Baetge vor 25 Jahren mir, dem jungen Abgeordneten, über die Parteigrenzen hinweg den Einstieg in das Miteinander bei der Parlamentsarbeit erleichtert hat. Dies hat mich damals stark beeindruckt, ermutigt und sicher auch geprägt.

Wir haben Karl-Heinz Baetge zu danken: für seine erfolgreiche Arbeit als Parlamentarier und für das große Maß an Menschlichkeit, das er in die Politik eingebracht hat.

Wir gedenken seiner mit Trauer und Hochachtung.

Ich danke Ihnen, dass Sie sich zu Ehren des Verstorbenen erhoben haben.

Wir gehen nun in der Tagesordnung weiter. – Am Montag gingen zum gleichen Zeitpunkt drei Anträge auf Durchführung einer A k t u e l l e n S t u n d e e i n , und zwar

1. Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der SPD zum Thema: „Kürzungen bei der Deutschen Bahn – Berlin auf dem Abstellgleis?“, 2. Antrag der Fraktion der PDS zum Thema: „Tarifrunde im öffentlichen Dienst – auch die Arbeitgeber sind gefordert“, 4. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Wunderbare Freundschaft schon am Ende? Berliner CDU belastet Verhältnis zum Bund!“

Im Ältestenrat konnten wir uns am Dienstag nicht auf ein gemeinsames Thema verständigen, so dass ich zur mündlichen Begründung der Aktualität aufrufe. – Für die Fraktion der PDS hat nun Herr Krüger das Wort. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der heutigen Urabstimmung bei der ÖTV und der DAG und des damit wahrscheinlichen Streiks sollte das Abgeordnetenhaus mit einer Aktuellen Stunde das Zeichen setzen, das es nach Auffassung der PDS-Fraktion den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes schuldig ist. Das Land Berlin steht als Arbeitsgeber in der Verantwortung, politische Initiativen zur Auflösung des Tarifdilemmas im öffentlichen Dienst zu ergreifen, da die Arbeitgeberseite durch ihre sture Politik maßgeblich zum Scheitern der Verhandlungen beigetragen hat. Es verwundert uns auch, dass der Senat, der sonst nicht müde wird, zur Lösung Berliner Probleme den Bund heranzuziehen, angesichts des Tarifkonflikts im öffentlichen Dienst in verstocktes Schweigen verfällt. Wir hingegen würden gern mit Ihnen heute über anstehende Probleme sprechen – zum Beispiel ob Ihnen noch etwas einfällt, wie Sie Ihr in der Beschäftigungssicherungsvereinbarung mit den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes eingegangenes Versprechen einlösen, die Angleichung der Bezüge der Ostbeamten zu vollziehen.

Aber es geht uns um den öffentlichen Dienst als Ganzes. Wer gute Arbeit leistet – ob nun als Krankenpfleger, Lehrer oder Polizist – und wer die steigenden Arbeitsbelastungen und die Leistungsverdichtungen – namentlich gerade in den Bezirksämtern – zu bewältigen hat, darf nicht einseitig für die klammen öffentlichen Kassen in Haftung genommen werden.

[Beifall bei der PDS]

Alle Fraktionen des Palaments stehen somit in der Verantwortung, gegenüber den Beschäftigen des öffentlichen Dienstes klarzumachen, wie sie zu der Logik des Schlichtungsspruchs, der die Tarife des öffentlichen Dienstes langfristig von der Einkommensentwicklung in anderen Branchen abkoppeln will, stehen.

Aber wir plädieren auch für eine Aktuelle Stunde, weil es jetzt darum geht, umfassende Lehren aus dem Scheitern der Verhandlungen zu ziehen. Den Widerspruch zwischen den knappen Personaletats und den berechtigten Forderungen der Beschäftigten wird nur auflösen können, wer alternative Wege geht. In diesem Sinne wollen wir heute konkret darüber sprechen, wie die Ost/West-Angleichung im öffentlichen Dienst im Rahmen der Verhandlungen um den Solidarpakt II auf eine solide finanzielle Grundlage gestellt werden kann, das heißt, wie die finanzschwachen Ostländer einen entsprechenden Ausgleich erhalten, wie durch eine Umverteilung von Arbeit und Einkommen neue Spielräume im Personaletat erreicht und langfristig neue Arbeitsplätze geschaffen werden können.

Tarifpolitik ist auch Sache des Parlaments und nicht nur eine sogenannte Chefsache in den zweifelhaften Händen von Herrn Werthebach und Herrn Diepgen.

[Beifall bei der PDS – Niedergesäß (CDU): Was heißt hier „zweifelhaft“?]

In diesem Sinne empfehle ich Ihnen, unserem Antrag auf eine Aktuelle Stunde zum Thema „Tarifrunde im öffentlichen Dienst – auch die Arbeitgeber sind gefordert“ – zuzustimmen.

[Beifall bei der PDS]

(A) (C)

(B) (D)

Die Begründung für den Antrag der Fraktion der Grünen: Frau Künast, Sie haben das Wort, bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fast alle in diesem Haus werden sicher die Schlusssequenz des Films „Casablanca“ kennen – –

[Niedergesäß (CDU): Nee!]

Da haben Sie jetzt eine Bildungslücke.

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Wenn Sie mal einen Abend bei Ihrer aufopferungswürdigen Tätigkeit frei haben, empfehle ich Ihnen, Herr Niedergesäß, gucken Sie ihn sich an. – Die Schlusssequenz auf dem Flughafen lautet – da sprechen Rick und der Colonel miteinander –: „Dies könnte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein!“ Und genau das haben wir zum Titel gemacht, weil wir uns Sorge machen. Wir wissen nämlich eines: Auch Berlin hat eigentlich die Chance für eine ganz wunderbare Freundschaft, für ein ganz besonderes freundschaftliches Verhältnis zwischen der Bundesebene und seiner Rolle als Bundeshauptstadt. Das könnte eine wunderbare Freundschaft sein. Unsere Sorge ist aber – und die Zeitungen sind ja davon voll –, dass Herr Diepgen und Herr Landowsky hier so langsam dem Zerrüttungsprinzip folgen und die Beziehungen, die eigentlich entstehen könnten, tatsächlich in den Sand setzen – zum Schaden Berlins.

Um was geht es? – Es geht darum, dass Berlin als Hauptstadt seine Rolle findet, finden muss.

[Kittelmann (CDU): Damit sollten Sie mal anfangen!]

Es geht darum, dass 1994 – kritisiert zumindest von unserer Fraktion – ein Hauptstadtvertrag ausgehandelt wurde, der unseres Erachtens schon damals mehr als unzulänglich war. Damals haben Herr Diepgen und andere alle Kritiker kritisiert und gesagt: Dieses uns von Kohls Gnaden gegebene Werk von Hauptstadtvertrag ist bestens. Nun sehen wir, dass selbst Herr Diepgen nichts als kritische Worte findet und ständig finanziell nachbessern muss.

Um was geht es? – Es geht um die Finanzierung von Sicherheit, von Mehrkosten, die dem Land Berlin entstehen, und es geht um die Finanzierung von Kulturpolitik in dieser Stadt.

Und bei dem Wort Kultur ist man eigentlich schon an der allerbesten Stelle. Dieses Wort „Kultur“ zergeht einem fast auf der Zunge wie die Torte, die Eberhard Diepgen im letzten Jahr im August, an einem warmen Augusttag, dem Bundeskanzler Schröder überreichte. Herr Diepgen, das reicht aber nicht an Kultur. Kultur heißt auch mittelenglische Umgangsformen. Und Kulturpolitik in der Bundeshauptstadt sollte da anfangen, wo man einen kulturvollen mittelenglischen Umgang mit der Bundesregierung – und im Übrigen auch mit Herrn Naumann – pflegt.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Kittelmann (CDU): Da können wir ja von den Grünen lernen!]

Ja, bei mittelenglischen Umgangsformen allemal – auch Sie, Herr Kittelmann! – Dieser Begriff von Herrn Landowsky an Herrn Naumann zu sagen, er sei der „Bundesoberschlaumeier“, ist ja etwas unter Niveau. Zum Glück lässt sich Herr Naumann auch nicht von jedermann beleidigen. Das kann die Stadt ja noch beruhigen. Aber unsere Sorge ist, dass alles das, was hier verzweifelt aufzubauen versucht wird, eben gerade Herr Diepgen und Herr Landowsky auch zu Lasten der finanziellen Situation der Stadt Berlin immer wieder einreißen. Nehmen wir ein Treffen der Berliner Bundestagsabgeordneten, das mittlerweile die Berlinvertretung organisiert. Was war beim letzten Mal? – Nichts als Geschimpfe! Nehmen wir – Herr Gewalt, Sie waren leider nicht dazu eingeladen – die Rede des Regierenden Bürgermeisters in der letzten Woche beim traditionellen Spargelessen. Da fing er an über ein Verlöbnis, das es gegeben hat, zu erzählen, und dass der Bräutigam über lange Jahre Erwartungen bei der Braut geschürt hätte. Ich gebe zu, ich habe erst gedacht, er redet über das Ost-West-Verhältnis, dass die Braut im Osten nicht alle Erwartungen erfüllt bekomme, bin aber dann aber schnell einer

weiteren Erkenntnis anheimgefallen. Er meinte Berlin. Er ist tatsächlich in der Situation wie in einer Art Sado-Maso-Nummer zu sagen, der Bund ist der Bräutigam, der immer Versprechungen gemacht hat, und Berlin ist die Braut, die nun nach der Eheschließung etwas düpiert dort steht. Ich kann nur sagen: So nicht, Herr Diepgen, so nicht! Sie haben hier die Aufgabe, die Interessen des Landes Berlin zu vertreten, das heißt, etwas für die Umgangsformen zu tun. Das würde im Übrigen, Herr Wowereit, auch heißen, dass sich die SPD vielleicht an dieser Stelle mal einmischt und nicht tatenlos zusieht, wie CDU-Mitglieder an dieser Stelle die Verhältnisse zwischen der Bundes- und der Landesebene weiter verschärfen.

[Wowereit (SPD): Sie haben’s ja nötig!]

Wir bemühen uns durchaus, Herr Wowereit! Wenn dieser Senat ständig Öl ins Feuer gießt, darf sich niemand wundern, wenn eine Nachbesserung des Hauptstadtvertrags, des unzulänglichen Hauptstadtvertrags von 1994, im Augenblick im wahrsten Sinne des Wortes nur schwer möglich ist.

[Beifall bei den Grünen]

Sie müssen zum Schluss kommen!

Ja. – Wir haben Forderungen zu beiden Bereichen. Bei der Sicherheit war Bonn bedeutend besser ausgestattet. Wir haben Forderungen im Kulturbereich. Immerhin bewegt man sich da. Wir werden immer kritisch betrachten, dessen können Sie sicher sein, dass aus einer finanziellen Ausstattung nicht erwächst, dass der Bund nun bestimmt, was Kulturpolitik in Berlin sein soll. Da werden wir klar nein sagen.

Aber ein Punkt, den wir eigentlich hier an dieser Stelle diskutieren müssten, den wir für dringend halten, lautet: Wie sind die Beziehungen zwischen Berlin und der Bundesebene? Wie können wir sie verbessern? Eberhard Diepgen versucht hier – da muss ich an seine Spargelrede anknüpfen – eine ganz besondere Beziehung zwischen der Bundes- und der Landesebene hinzukriegen, nämlich eine, bei der man sich schlicht und einfach durchschnorrt, eine, die man als „Bratkartoffelverhältnis“ bezeichnen könnte. Sie wissen, was das ist. Da kann man kommen und gehen, wann man will.

Frau Künast, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen!

Man wird immer ernährt, muss aber selber nichts dazu beitragen, wenn es zum Beispiel um das strukturelle Sparen geht. Wir meinen, diese Stadt muss diskutieren: Welches ist die dienende Funktion als Hauptstadt? Was ist eine selbstbewußte Funktion als Hauptstadt? Wie verändern wir die Beziehungen zwischen Bund und Berlin so, dass Berlin nicht am Ende finanziell das Nachsehen hat?

[Beifall bei den Grünen]