Die UN-Konvention war und ist nötig, da in vielen Ländern weltweit Kinder mit Behinderungen von Schulbesuchen ausgeschlossen wurden, sie also keine Chance auf Bildung hatten und auch teilweise bis heute nicht haben. Dies war und ist in Deutschland aber nicht der Fall gewesen. Wir hatten ein gut funktionierendes Förderschulsystem, das mittlerweile leider immer weiter ausgedünnt wird. Auch sind Förderschulen bei uns ein fester Bestandteil des allgemeinbildenden Schulsystems. Dort finden Schüler mit Behinderungen die bestmögliche Unterstützung. Ihnen wird damit eine Teilhabe garantiert und eine bestmögliche Förderung, die speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Deswegen gelten Förderschulen laut Artikel 5 Abs. 4 der UN-Behindertenrechtskonvention auch ausdrücklich nicht als diskriminierend.
In Artikel 7 Abs. 2 der UN-Behindertenrechtskonvention heißt es außerdem: „Bei allen Maßnahmen, die Kinder mit Behinderungen betreffen, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“ Gerade dieser wichtigen Forderung der UN-Konvention wird die derzeitige übereilte, planlose Inklusionspolitik dieser Landesregierung nicht gerecht.
Denn es ist nicht im Sinne des Wohles der Kinder, wenn sie in überfüllte Klassen gestopft werden, wenn Sie ihnen die speziellen Unterstützungen nehmen, die sie so dringend brauchen, wenn überforderte Lehrer sich nicht um sie kümmern können oder wenn Sonderpädagogen von Schule zu Schule hetzen müssen und sie sich gerade mal wenige Stunden in der Woche mit ihren Kindern beschäftigen können, da sie gleich wieder auf dem Weg zur nächsten Schule sind.
All dies ist definitiv nicht im Sinne des Wohles der Kinder. Für Kinder mit Beeinträchtigungen sind deswegen die Förderschulen der Dreh- und Angelpunkt für individuelle Fördermaßnahmen. Sie können anhand ihrer Interessen, Bedürfnisse und Begabungen bestmöglich gefördert und dementsprechend auch auf ihren weiteren Lebensweg vorbereitet werden, für ein erfolgreiches Lernen und für die soziale, berufliche Integration, die gerade Kinder, die mit Beeinträchtigungen zu kämpfen haben, so dringend brauchen.
Förderschule, Ja zur individuellen Förderung von Kindern und Ja zur freien Entscheidung der Eltern, ob ihr Kind eine Förderschule besuchen soll.
Der gemeinsame Gesetzentwurf der CDU und der FDP geht für uns in die richtige Richtung, auch wenn er jetzt etwas weichgespülter ist als der Ursprungsantrag. Er setzt aber immer noch ein wichtiges Zeichen für das freie Entscheidungsrecht der Eltern und für eine Stärkung der Förderschulen. Deswegen werden wir als Fraktion einer Ausschussüberweisung auch zustimmen.
Was den Antrag von Rot-Rot-Grün angeht, der ist – wie gesagt – im Wesentlichen nur ein Berichtsersuchen, das man gut und gern in eine Kleine Anfrage hätte stecken können, weswegen wir keine Notwendigkeit sehen, den Antrag weiter zu behandeln, und einer Überweisung in den Bildungsausschuss nicht zustimmen würden.
Dann bleibt zum Schluss der separate Antrag der FDP. Insgesamt werden hier viele richtige Feststellungen und Forderungen erhoben, die das Gelingen von Gemeinsamem Unterricht betreffen. Auch fordern Sie, dass Gelingensbedingungen für den Gemeinsamen Unterricht festgeschrieben werden und quasi eine Art Gütesiegel für Schulen verliehen wird, an denen Gemeinsamer Unterricht gut möglich ist. Diese Schulen sollen dann Ihrer Meinung nach explizit als Schulen für Gemeinsamen Unterricht hervorgehoben werden. Und sicherlich kann man diesen Weg auch gehen, aber im Begründungstext der FDP finden sich dann doch zwei sehr bemerkenswerte Sätze, die mich doch stutzig machen. Ich zitiere: „Deswegen müssen Eltern bei der Schulwahl bereits wissen, ob die Schule über die notwendigen Voraussetzungen verfügt, um guten gemeinsamen Unterricht umzusetzen. Ist dies nicht der Fall, oder gibt es andere Hinderungsgründe im gemeinsamen Unterricht zu lernen, so muss es den Eltern von Kindern mit starken körperlichen und geistigen Behinderungen freistehen, eine der kompetenten und leistungsstarken Förderschulen als bestmöglichen Bildungsanbieter zu wählen.“ Das heißt also, selbst wenn die Voraussetzungen für Gemeinsamen Unterricht an der Schule nicht gegeben sein sollen, soll es trotzdem die Möglichkeit geben, dass Kinder mit Behinderungen im Gemeinsamen Unterricht an diesen Schulen beschult werden. Und hier bin ich ganz entschieden anderer Meinung. Wir alle bekommen regelmäßig Rückmeldungen von Lehrern, Schulleitungen, Schülern und Eltern über die herrschenden Probleme an ihren Schulen. Ein großes Problem ist immer wieder die Beschulung von Kindern mit Behinderungen an Schulen, die dafür überhaupt nicht die Vorausset
zungen haben – sei es das fehlende qualifizierte Fachpersonal oder die mangelnde sachliche Ausstattung. Leider sind dies in Thüringen bei Weitem keine Einzelfälle. Und sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, dann darf es nicht weiterhin die Möglichkeit geben, dass Kinder mit Beeinträchtigung dort trotzdem beschult werden. Diesen Zustand haben wir hier nun schon seit Jahren. Den Kindern, die davon betroffen sind, wird damit in keinem Fall geholfen. Ein Weiter-so-wie-gehabt, wie der Antragstext impliziert, darf es nicht geben – zum Wohle der betroffenen Kinder. Deswegen werden wir dem Antrag der FDP nicht zustimmen. Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Liebe Schülerinnen und Schüler hier im Hohen Haus und Lehrkräfte, um es mal umgangssprachlich einzuordnen, stellt ihr euch mal bitte vor, ihr wäret mit einer Besonderheit auf die Welt gekommen – ob man das jetzt Behinderung nennt oder einen gewissen Förderbedarf –, nehmen wir mal zum Beispiel an, ihr habt eine Dyskalkulie und die ist ziemlich schwer in einer Schule abzubilden bzw. zu unterrichten, und ihr würdet euch – und die Frage stellt sich hier und auch in diesem Gesetz – fragen, was wäre für euch die beste Schule. Wäre die beste Schule eine Fördereinrichtung, eine Förderschule, bei der ihr in der Regel keinen Abschluss machen könnt?
Oder wäre für euch die beste Schule eine allgemeinbildende Schule, an der ihr mit der entsprechenden Förderung in der Regel zu einem Abschluss kommt? Und darum dreht es sich hier um die Frage, ob und wie man Menschen in ihrer Besonderheit wertschätzt und auch fördert.
Kollege Tischner hat in seiner Einbringung darauf verwiesen, dass eine umfangreiche Anhörung stattgefunden hat. Üblicherweise finden Anhörungen im Parlament statt. Ich will mal zu der Anhörung, die uns zum Teil auch zugegangen ist – Kollege Tischner, wir sind nicht so, dass wir ganz uninformiert bleiben –, ich will mal sowohl zu diesem Gesetz
entwurf als auch zu dieser Anhörung sagen oder zitieren: „Der Blick des Forschers fand nicht selten mehr, als er zu finden wünschte.“ Von wem ist das?
Nein, von Herrn Lessing, falls Ihnen das noch etwas sagt, und zwar aus „Nathan, der Weise“. Was heißt das bezogen auf Ihr Gesetz? Sie haben in Ihr Gesetz etwas reingepackt, was Ihnen schon immer am Herzen lag, nämlich Inklusion möglichst so schwer zu machen, wie es irgend geht. Da war die CDU-Fraktion schon mal weiter, nämlich bis 2014. Jetzt sind offensichtlich andere Abgeordnete hier in der Fraktion – die FDP inklusive –, was es etwas schwerer macht, dort eine nicht ideologisch geführte Debatte zu führen.
Wer in der Bildungspolitik, sehr geehrte Damen und Herren, zündelt, der wird einen Flächenbrand entfachen.
Deswegen war und ist es von besonderer Bedeutung, dass im gesellschaftlichen Konsens unter Demokraten eine Bildungspolitik gesetzlich und administrativ vollzogen wird, die die Schüler und Schülerinnen mit ihren individuellen Voraussetzungen in den Blick nimmt, aber auch auf gesellschaftliche Herausforderungen und wissenschaftliche Erkenntnisse reagiert. Mit anderen Worten: Ziel ist es heute, Gesetze und Verordnungen zu erlassen und zu administrieren, die den Kindern eine gute Bildung sichern, um ein gesichertes Leben und einen erfüllten Beruf auszuführen. Dazu braucht es immer wieder den Blick in die Schulen vor Ort sowie die Diskussion mit Wissenschaft, Verbänden und Vertreterinnen aus der Gesellschaft wie zum Beispiel der Landeselternvertreter. Ich würde jetzt einmal kühn behaupten, dass Minister Holter wie kein Zweiter in den nächsten sechs, sieben Jahren derjenige Minister ist, der diese Gespräche intensiv geführt hat und auch die Ergebnisse aus diesen Gesprächen vorgelegt hat, nicht nur im Schulgesetz, sondern auch in den entsprechenden Empfehlungen, auch aus der Gesellschaft, auch aus den Verbänden heraus – darauf gehe ich nachher noch ein.
Uns als Rot-Rot-Grün ging und geht es um die Gestaltung von Zukunft. Dies wurde in dem 2019 verabschiedeten neuen inklusiven Schulgesetz deut
lich. Wir stellen fest: Diesen Anspruch teilen hier im Hohen Haus nicht alle. Mit dem von der CDU und FDP vorgelegten Schulgesetzentwurf und dem Antrag der FDP wird deutlich: Ihnen geht es darum, zurück in die bildungspolitische Vergangenheit zu verfallen und Ihre ideologischen Grabenkämpfe auf dem Rücken und auf Kosten verunsicherter Schüler, Familien sowie Schulen zu betreiben. Dabei verfährt die CDU nach dem Motto „Was stört mich mein Geschwätz von gestern?“ und hält sich nicht einmal an den selbst eingeforderten Schulfrieden. Beziehungsweise ist Schulfrieden offensichtlich nur das, was Herr Tischner selbst definiert.
Schauen wir einmal zwölf Jahre zurück. Damals – Kollegin Rothe-Beinlich ist schon darauf eingegangen, auf die Historie 2003, 2010/11 mit den entsprechenden Schulgesetzen, aber allein zwölf Jahre zurück – wurde von der CDU – hört, hört! – und SPD ein Richtungswechsel in der Bildungspolitik vorgenommen, der auf folgende Punkte gebracht werden kann: individuelle Förderung als durchgängiges Prinzip, längeres gemeinsames Lernen an der Thüringer Gemeinschaftsschule und die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention als im Prinzip „eine Schule für alle“.
Seitdem hat sich das Thüringer Bildungssystem gut entwickelt. Insbesondere bei der Integration der Schülerinnen mit Förderbedarf hat sich – und da zählen im Übrigen nicht nur diejenigen mit sonderpädagogischem, sondern auch pädagogischem Förderbedarf oder Sprachförderbedarf dazu – Thüringen von einem Schlusslicht hin zu einem Vorzeigeland entwickelt. Dafür gilt vor allen Dingen unseren Pädagoginnen Dank und Anerkennung.
Die gute Entwicklung des Thüringer Bildungssystems wird deutlich in bundesweiten Bildungsvergleichsstudien und unter anderem in den Entwicklungsplänen für Inklusion, die die CDU und die FDP abschaffen wollen.
Dies aufgreifend und absichernd hat die Regierungskoalition von Rot-Rot-Grün 2019 ein neues Schulgesetz beschlossen, das den gesetzlichen Rahmen und damit die Rechtssicherheit unter anderem für Gelingensbedingungen festschreibt. Gelingensbedingungen stehen im Übrigen – nur, um das hier mal klarzustellen – in Förderplänen. In
den Förderplänen für die Schülerinnen und Schüler ist festgelegt, welche Voraussetzungen für einen Unterricht, für eine Förderung des jeweiligen Kindes im Unterricht tatsächlich gegeben sein müssen. Und was haben wir gemacht? Wir haben das ins Gesetz genommen, indem wir gesagt haben: Die Kinder, die an den allgemeinbildenden Schulen unterrichtet werden sollen, werden dann dort unterrichtet, wenn die sächlichen, personellen und räumlichen Voraussetzungen vorliegen, damit dieser Unterricht dort auch stattfindet. Das sind Gelingensbedingungen. Die stehen aber nicht im Gesetz. Wie wollen Sie das denn machen, Kollege Tischner? Das können Sie nachher gern mal erklären. Sie sind ja, was das anbelangt, offensichtlich Experte in der Förderpädagogik. Sie können gern mal erklären, welche Gelingensbedingungen wir auf die jeweiligen Förderbedarfe individuell ins Gesetz nehmen sollen. Da bin ich wirklich mal gespannt.
Natürlich ist es so, dass jedes Gesetz, das entsteht, auch immer wieder hinterfragt werden kann. Es sind ja nicht nur gesellschaftliche und wissenschaftliche Entwicklungen, die dem zugrunde liegen. Wir haben zum Beispiel – Kollegin Rothe-Beinlich hat es schon gesagt – derzeit aktuell eine Diskussion um den § 17 Abs. 3 Thüringer Schulgesetz. Da geht es darum, dass Schulträger in Einzelfällen Schüler über die Landesgrenzen hinaus abgegeben haben. Nun haben wir in § 17 Abs. 3 auf Grundlage eines Urteils geregelt, dass nicht nur einzelne Schulen dort als Bedingungen existieren, sondern insgesamt alle Schulen. Wir müssen uns das natürlich auch noch mal ansehen, wenn wir jetzt feststellen, dass es Schulträger gibt, die das schon immer so gemacht haben, ob das in den Schulnetzplänen abgebildet sein muss. Da gibt es Gespräche. Da wird es auch die entsprechende Entwicklung geben. Aktuell ist Minister Holter dort im Gespräch.
Aber auch zum Beispiel § 15a Abs. 1 Thüringer Schulgesetz: Das betrifft insbesondere, Kollege Jankowski, unser Jena. Da geht es darum, ob Grundschülerinnen und Grundschüler --- Also das Prinzip, das hinter § 15a steht, ist: kurze Beine, kurze Wege. Richtiges Prinzip. Aber wir haben Schulträger, die aufgrund ihrer Schulstruktur – reformpädagogisch orientierte Schulen – die Schulbezirke
aufgehoben haben. Das haben wir überwiegend in Jena, wir haben es aber auch in Weimar, wir haben es in Erfurt. Das bringt uns in eine schwierige Situation, dass nämlich Eltern die Gemeinschaftsschule, die von 1 bis 12 geht, gar nicht mehr einfach so ansteuern können, weil das nicht die nächstgelegene Schule ist. Da müssen wir, denke ich mir, noch mal nachsteuern. Das haben auch die letzten Jahre bzw. das letzte Jahr gezeigt, dass es da noch mal Reformbedarf gibt. Das ist nichts, was uns wirklich Sorgen bereitet. Das können wir jetzt gern in dieser Gesamtdiskussion mit aufnehmen.
Aber wir haben insgesamt eine gute Entwicklung. Wir haben insbesondere im Bereich Inklusion – zu den sogenannten Gelingensbedingungen habe ich schon etwas gesagt –, mit den Entwicklungsplänen „Inklusion“, die an die Schulnetzplanung gekoppelt sind, die alle fünf Jahre aufgelegt werden müssen, die administrativen Voraussetzungen geschaffen, dass tatsächlich die Möglichkeit besteht, Schulen inklusiv weiterzuentwickeln. Das heißt, wir haben jetzt aktuell einen Entwicklungsplan bis 2025, vorgelegt vom Bildungsministerium, abgestimmt mit allen Schulträgern, in dem drinsteht: Wie ist der Stand, wie sind die Perspektiven für eine inklusive Schulentwicklung und was will man noch erreichen? Das kann jeder nachsehen. Das steht auch im Netz.
Rot-Rot-Grün will also – und hat das auch dokumentiert – mit dem inklusiven Schulgesetz ein inklusives Schulsystem, aber auch da, wo die Voraussetzungen noch nicht geschaffen sind, noch nicht da sind, dass diese dort noch entwickelt werden. Das ist aber offensichtlich nicht Grundlage der gesetzgeberischen Initiative von CDU und FDP. Es ist schon denkwürdig, dass eine Gruppe von vier Abgeordneten der FDP einem schlechten Entwurf der CDU beitritt, obwohl doch Frau Baum wissen müsste, dass das, was da drinsteht, nicht evidenzbasiert ist, also nicht auf den Tatsachen beruht.
Frau Baum, ich habe Ihnen extra meine Mündliche Anfrage mit dem Titel „Feststellungsverfahren bei Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf“ zugeleitet.